Kapitel 5 Direktor Carlton E. Lake atmete erleichtert auf. Die Glocke ertönte zum zweiten Mal – in fünf Minuten war endlich Schulbeginn! Nun würden sich die Horden zerstreuen und in ihre Klassen gehen. Ausgerechnet den heutigen Tag, da Mrs. Mallory, seine Sekretärin, krank war, schien sich die halbe Schule ausgesucht zu haben, um dringend etwas im Sekretariat zu erledigen oder einen Mitschüler krank zu melden. Ganz abgesehen davon, dass für den Tag der offenen Tür am Nachmittag noch jede Menge vorzubereiten war. Nur gut, dass er in den ersten beiden Stunden keinen Unterricht halten musste, da konnte er versuchen, einige der wichtigeren, nun liegengebliebenen, Dinge selbst zu erledigen. Doch das verflixte Telefon, das ihn schon seit fast einer Stunde pausenlos auf Trab hielt, klingelte schon wieder! Mit einem tiefen Seufzer der Resignation nahm er den Hörer ab und meldete sich: "Roosevelt High, Direktor Lake." Eine ihm nur allzu bekannte Stimme antwortete: "Guten Tag, Herr Direktor. Wie schön, dass Sie gleich selbst am Apparat sind. Hier spricht Peter Caine. Ich weiß nicht, ob Sie sich noch an mich erinnern?" Er erschrak. Ein Anruf der Polizei an der Schule bedeutete selten etwas Gutes. Meist war eines der Kids mit dem Gesetz in Konflikt geraten, in der Regel ging es dabei um Ladendiebstahl oder eine Schlägerei. Vorsichtig erwiderte er: "Aber ja, natürlich, Detective. Wie könnte ich vergessen, wie sehr Sie und Ihr Vater der Schule geholfen haben? Was kann ich für Sie tun? Geht es um einen meiner Schüler?" Zu seinem Erstaunen klang sein Gesprächspartner etwas verlegen, als er entgegnete: "Den Detective habe ich an den Nagel gehängt, ich bin jetzt Shaolinpriester. Ich möchte Sie um ein Gespräch unter vier Augen bitten, aber möglichst nicht an der Schule, denn es soll nicht bekannt werden, dass ich mich mit Ihnen treffe. Könnten wir uns vielleicht heute Abend sehen? Zum Beispiel bei Ihnen, oder Sie besuchen mich in der Wohnung meines Vaters." Er war nicht mehr bei der Polizei? Dann ging es womöglich gar nicht um etwas Illegales? Carlton atmete auf. Aber warum tat er so geheimnisvoll? Seine letzte Frage hatte er auch nicht beantwortet. Irgendetwas war da faul. Er hakte nach. "Sie machen mich aber neugierig, das muss ich schon sagen! Geht es um jemand hier an der Schule? Einen Schüler oder Lehrer vielleicht?" Einen Moment lang war es still in der Leitung. Dann erklang ein etwas zögerliches "Ja. Einer Ihrer Schüler hat mich um Hilfe gebeten, in einer ziemlich heiklen Angelegenheit. Aber mehr kann ich Ihnen erst verraten, wenn wir uns treffen... Falls wir uns treffen, sollte ich besser sagen." Diese Antwort war alles andere als beruhigend. Aber wenn ein Schüler in Schwierigkeiten war, blieb ihm gar nichts anderes übrig als auf das seltsame Spielchen einzugehen – umso mehr, da er Peter Caine als vertrauenswürdig und zuverlässig erlebt hatte; bestimmt würde der junge Mann eine solche Geheimniskrämerei nicht ohne triftigen Grund veranstalten. "Unbedingt. Passt Ihnen so gegen acht? Viel früher kann ich hier nicht weg, weil wir heute Nachmittag eine Veranstaltung haben. Ich könnte zu Ihnen kommen." "Acht Uhr ist ausgezeichnet. Vielen Dank, dass Sie sich darauf einlassen, auch ohne weitere Informationen." Der Schulleiter musste lächeln, weil seinem Anrufer die Erleichterung deutlich anzuhören war. Er erwiderte: "Ich bitte Sie, das ist doch selbstverständlich. Wenn Sie es so spannend machen, muss es sehr wichtig sein. Das kann ich nicht einfach ignorieren. Bis heute Abend also." "Bis heute Abend, und noch einmal danke." * Die erste Hürde war genommen! Peter seufzte erleichtert. Was für ein Glück, dass er den Schulleiter gleich persönlich an der Strippe gehabt hatte! Er machte sich keine Illusionen darüber, dass das Gespräch am Abend auch so einfach verlaufen würde – schließlich war das Stehlen von Klausuraufgaben alles andere als eine Bagatelle – aber er vertraute fest darauf, dass er Direktor Lake davon überzeugen konnte, dass Tommy eine Chance verdiente. Vor allem falls er es schaffte, Ho Wang mit ins Boot zu holen und ihn von einer Anzeige abzubringen. Leider kannte er zwar dessen Musikgeschäft, aber nicht ihn selbst (wenn man von den wenigen Gelegenheiten absah, bei denen er ihn in der Apotheke seines Vaters angetroffen und ein paar Höflichkeitsfloskeln mit ihm ausgetauscht hatte). Er konnte ihn nicht so recht einschätzen. Nun, da musste er eben auf seine Intuition vertrauen und außerdem hoffen, dass Ho Wang ihm nicht genauso misstrauisch gegenüberstand wie viele andere in Chinatown. Gut gelaunt machte er sich auf den Weg in seine zukünftige Wohnung, wo Lo Si ihn bereits zur ersten Lektion des Tages erwartete und ihn mit den verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten von Gingko und Ginseng vertraut machte. Zwei Stunden später – seinem Schüler rauchte bereits der Kopf – verbeugte der Alte sich lächelnd. "Das war ausgezeichnet, Peter. Ich bin sehr zufrieden mit deinen Fortschritten. Legen wir eine Pause ein und setzen unseren Unterricht am Nachmittag fort. Ich werde jetzt ein paar Hausbesuche machen und über Mittag bei meinem alten Freund Chiang Cheng bleiben. Er ist sehr krank, und ich könnte bei seiner Pflege deine Hilfe gut gebrauchen. Vielleicht magst Du mich demnächst einmal dorthin begleiten?" "Natürlich – wenn Du meinst, dass ich dir schon von Nutzen sein kann? Ich habe doch noch nicht viel Ahnung von Heilkunde, und von Krankenpflege auch nicht", gab Peter zu bedenken. "Das macht nichts. Zu guter Pflege gehört weit mehr als nur die Auswahl der richtigen Medizin. Mindestens ebenso wichtig sind Mitgefühl, Zeit für die Kranken und ihre Familien und ein offenes Ohr für ihre Sorgen. Das alles kannst du ihnen auch jetzt schon geben, für die passenden Kräuter sorge vorläufig noch ich." "Wenn du das so sieht, dann komme ich gerne mit", stimmte der junge Shaolin zu. Doch dann fiel ihm ein, wie wenig ihn gerade die älteren Leute in Chinatown akzeptierten, und er bemerkte bitter: "Wenn ich dort überhaupt willkommen bin." "Mach dir darüber keine Gedanken", versuchte der Ehrwürdige ihn diesbezüglich zu beruhigen. "Ich kenne Chiang und seine Frau Liu lange genug, um zu wissen, dass sie dich gerne in ihrem Haus willkommen heißen werden." Etwas in Lo Sis allzu beiläufigem Tonfall ließ Peter aufhorchen. Er musterte seinen Lehrer argwöhnisch. "Hast du da etwa ein wenig nachgeholfen? Sie womöglich dazu überredet?" Lo Si schwieg und sah seinen Schüler mit Unschuldsmiene an. Der fuhr auf: "Also ja... o Lo Si, wie konntest du das nur tun? Damit hast du, nein, habe ich mich ihnen ja praktisch aufgedrängt. Wie peinlich!" Verletzt wandte er sich ab und fuhr sich mit der Hand durchs Haar und über die Augen. *Versager! Sowas kann auch nur wieder dir passieren, dein Vater hätte das nicht nötig gehabt! – Ach Paps, wie bist du nur auf die verrückte Idee gekommen, ich könnte mich an deiner Stelle um die Leute in Chinatown kümmern? Und wieso um Himmels war ich naiv genug zu glauben sie würden mich als Shaolin akzeptieren? Weil ich jetzt die Brandmale trage? Das reicht wohl nicht. Erst recht nicht im Vergleich zu dir... Es ist wie früher im Tempel, da bekam ich auch ständig zu hören, dass meine Bemühungen nicht gut genug waren, dass der Sohn des Kwai Chang Caine es besser können müsste. Nur dass ich jetzt schon im Vorfeld abgeblockt werde, bevor ich überhaupt den Versuch machen kann, den Leuten zu helfen. Nein, Lo Si muss losziehen und seine Freunde vorab bearbeiten... Vielleicht hätte ich doch bei der Polizei bleiben sollen, da konnte ich wenigstens ab und zu etwas ausrichten...* Eine Hand auf seinem Arm riss ihn aus seinen selbstquälerischen Überlegungen. Lo Si war an ihn herangetreten und bat: "Peter, lass es mich erklären. Meine Freunde kennen dich kaum, dafür aber deinen Ruf als schießwütiger Polizist; deshalb haben sie natürlich Vorbehalte. Aber sie wissen genau, dass ich ihnen niemals jemanden empfehlen würde, dem ich nicht vollkommen vertraue. Deshalb sind sie ohne weiteres auf meinen Vorschlag eingegangen, dich in Chiangs Pflege mit einzubinden." Peter entfuhr ein bitteres Lachen, er schüttelte den Kopf. "Bitte, Peter, du drängst dich ihnen nicht auf, ganz bestimmt nicht! Sie sind bereit, ihre Vorurteile gegen den Hotshot-Cop abzulegen und den Menschen Peter Caine kennenzulernen. Aber das können sie nur, wenn du ihnen die Gelegenheit dazu gibst. Verstecke dich jetzt nicht hinter falschem Stolz, sondern nutze die Chance, ihnen zu zeigen, wer du wirklich bist. Denke daran – mit jedem Menschen, dem du hilfst, fällt es den anderen leichter, sich ebenfalls von dir helfen zu lassen. Und das ist es doch, was du tun möchtest, oder nicht?" "Ja, schon... Aber wie kann ich..." "Nein, kein Aber!", fiel ihm der Ehrwürdige resolut ins Wort. "Das hartnäckige Misstrauen, das dir von einigen entgegenschlägt, ist schwer zu ertragen und noch schwerer aufzulösen. Aber gib den Leuten ein wenig Zeit! Ich weiß, sie werden erkennen, dass du eben nicht mehr der leichtsinnige, hitzköpfige Hotshot-Cop bist, für den sie dich halten. Und dann werden sie dir genauso vertrauen wie deinem Vater oder mir. Hab einfach Geduld, auch wenn es schwerfällt." Tief aufseufzend, lenkte Peter ein. "Du hast Recht." Er drehte sich zu Lo Si um, brachte sogar ein schwaches Lächeln zustande. "Bitte verzeih mir meinen Ausbruch, das war unangebracht. Es tut mir leid." Lo Si winkte ab. "Es gibt nichts zu verzeihen. – Aber morgen kommst du mit mir zu den Chengs, nicht wahr?" "Ja, natürlich." "Bloody marvellous!", stellte der Alte zufrieden fest und verabschiedete sich.
Als Lo Si die Wohnung verlassen hatte, ging Peter in den Meditationsraum, ließ sich auf dem Boden nieder und schloss die Augen. In Gedanken ließ der junge Shaolin seine Lektion noch einmal Revue passieren, um sich das gerade Gelernte dauerhaft einzuprägen. Anschließend brach er auf zu 'Wangs Musikladen'. *Ich hoffe nur, dass Mr. Wang schon hier ist – schließlich drückt ein Großteil seiner Kundschaft gerade die Schulbank und kommt erst am Nachmittag vorbei*, dachte er, als er das kleine Geschäft betrat. Das Glück war ihm hold; als er eine junge Verkäuferin nach dem Besitzer fragte, wurde er in ein kleines Büro geführt, in dem Ho Wang am Schreibtisch saß und arbeitete. Er erhob sich, ging seinem Besuch entgegen und deutete eine Verbeugung an. "Herzlich willkommen, Mr. Caine! Der Besuch eines Shaolinpriesters in meinem bescheidenen Laden ist eine große Ehre für mich. Möchten Sie eine Tasse Tee mit mir trinken? – Xiaoli, bringen Sie uns doch bitte etwas Tee." Offensichtlich hatte er nicht die Absicht, nach amerikanischer Manier gleich zum Geschäft – oder in diesem Fall zum Grund für Peters Besuch – zu kommen, sondern wollte erst einmal eine allgemeine Unterhaltung anfangen, wie es der asiatischen Höflichkeit entsprach. Peter hatte bereits mit so etwas gerechnet und ließ sich bereitwillig darauf ein. Wenn er etwas für seinen Schützling erreichen wollte, musste er ohnehin auf Ho Wang eingehen, sonst war dieser bereits verprellt, noch bevor Peter sein Anliegen ganz vorgetragen hatte. Sie verbrachten etwa eine halbe Stunde mit allgemeiner Konversation (die der Ladenbesitzer auch weidlich nutzte, um seine Neugier in Bezug auf Peters Abschied bei der Polizei und seine ZukunftspPläne zu befriedigen), bevor Ho Wang schließlich seinen Besucher fragte, was er denn für ihn tun könne. "Ich möchte Sie um Hilfe bitten. Gestern kam ein junger Mann zu mir – nennen wir ihn einmal John Smith – der vor ein paar Monaten mit seiner Familie hierher nach Sloanville gezogen ist. Er kannte keinen Menschen in der Stadt und war froh, dass er in seiner neuen Schule schnell Anschluss fand. Leider hat er erst nach einiger Zeit gemerkt, dass seine sogenannten Freunde kein guter Umgang für ihn waren. Inzwischen hat John sich von ihnen zurückgezogen und will nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Aber unglücklicherweise hat er unter dem Einfluss seiner Clique eine Dummheit begangen, die ihm jetzt sehr leid tut und die er wieder gutmachen will." Peter machte eine kleine Pause. Ho Wang, der ihm aufmerksam zugehört hatte, erwiderte: "Lassen Sie mich raten. Wenn Sie ausgerechnet zu mir kommen, hat dieser 'John' irgendetwas angestellt, das mit mir oder meinem Geschäft in Zusammenhang steht. Hat er etwas gestohlen?" "Ja." Peter nickte. "Er hat auf Verlangen seiner Kumpel, quasi als Mutprobe, in Ihrem Geschäft eine CD gestohlen. Die wird er natürlich bezahlen und sich bei Ihnen entschuldigen. Und jede Strafe akzeptieren, die Sie ihm zusätzlich auferlegen." Ho Wang stand auf und trat zum Fenster. Er blickte hinaus. Sein steifer Rücken drückte Ablehnung aus. "Warum kommt der junge Mann dann nicht selbst zu mir? Ist er so feige, dass er mir nicht persönlich unter die Augen treten kann, sondern erst einen Fürsprecher schicken muss?" Diese Frage hatte Peter kommen sehen. Er entgegnete: "Nein, das war mein Vorschlag. Ich sollte hinzufügen, dass Johns ehemalige Clique ihn heimlich beim Diebstahl der CD fotografiert hat und nun versucht, ihn mit diesen Aufnahmen zu erpressen. Er soll zusammen mit ihnen einen Einbruch begehen. Weil er das auf keinen Fall tun will, hat er sich an mich gewandt. Ich kann fühlen, dass er es ehrlich meint, und möchte ihm helfen. Aber noch besser wäre es, wenn möglichst die ganze Bande unschädlich gemacht würde. Deshalb dürfen die auf keinen Fall mitbekommen, dass John sich nicht erpressen lässt, sonst riechen sie Lunte und gehen mir durch die Lappen. Ich habe ihn gebeten, zum Schein auf das Spiel einzugehen, damit sie denken, alles läuft nach Plan." "So, so. Und Sie wollen es im Alleingang mit einer ganzen Bande Jugendlicher aufnehmen?" Bei diesen Worten drehte sich der Ladenbesitzer wieder um und sah Peter skeptisch an. Dieser grinste nur. "Aber nein, wo denken Sie hin. Ich habe einen sehr guten Draht zur Polizei." Wider Willen musste auch Ho Wang lächeln. "Natürlich. – Nun gut, nehmen wir einmal an, ich bin bereit, Ihrem Schützling eine Chance zu geben. Was erwarten Sie dann konkret von mir?" "Nur eines: Sie verzichten auf eine Anzeige bei der Polizei und geben John ein paar Tage Zeit, sich bei Ihnen zu melden. Nur solange, bis wir die Erpresser haben. Wie ich schon sagte, akzeptiert John jede Strafe, die Sie ihm für den Diebstahl auferlegen. Ich habe da auch schon ein paar Ideen..." * * * Kurz darauf verließ Peter das Musikgeschäft in bester Laune. Er war sehr zufrieden mit dem Verlauf seines Gesprächs mit Ho Wang. Nun musste er nur sich nur noch mit Kermit zusammensetzen und überlegen, wie sie Phils Bande am besten zu fassen bekämen, ohne Tommy in Gefahr zu bringen. Kermit konnte sich außerdem unauffällig beim Raubdezernat nach Phil erkundigen und seinen eventuellen Verbindungen zu 'kriminellen Vereinigungen'. Vielleicht war dort auch bekannt, ob Malcolm Watts wieder in Sloanville aufgetaucht war. Ganz automatisch schlug der junge Shaolin den Weg zum 101. Revier ein, doch nach wenigen Schritten hielt er inne. War es wirklich eine gute Idee, Kermit auf dem Revier aufzusuchen? Ein Anruf wäre viel un¬auffälliger, niemand würde etwas mitbekommen, vor allem nicht Phils Clique. Doch das war nicht der einzige Grund für Peters plötzliches Zögern. *Komm schon, sei ehrlich. Gib zu, du hast einfach Angst davor, im Revier aufzukreuzen, weil dir dann nur wieder bewusst wird, dass du nicht mehr dazu gehörst. Wie beim letzten Mal, als alle plötzlich zu einem dringenden Einsatz abgezogen sind und du nicht mit durftest, sondern heimgehen musstest. Das hat verdammt weh getan, und du willst nicht dass sowas nochmal passiert. Gib's doch zu, dir fehlt der Trubel und die tolle Gemeinschaft, du möchtest nicht vor Augen geführt bekommen, was du alles für das Leben als Priester aufgegeben hast. Noch dazu, wo du als Shaolin bisher kein Bein auf den Boden bekommen hast.* Also machte Peter wieder kehrt (die kleine Stimme in seinem Inneren, die ihm *Feigling, Feigling!* zuflüsterte, ignorierte er geflissentlich) und ging zurück zu seiner zukünftigen Wohnung. Er war schon fast am Ziel, als ihm eine junge Frau auffiel, die langsam vor ihm herging, in jeder Hand eine offensichtlich schwere Tasche. Sie wirkte unsicher, müde. Plötzlich schwankte sie und brach zusammen. Sie wäre auf dem schneebedeckten Boden aufgeschlagen, hätte Peter sie nicht geistesgegenwärtig aufgefangen. Sein prüfender Blick in ihr kalkweißes Gesicht wäre gar nicht nötig gewesen; der junge Priester spürte genau, dass sie einen Schwächeanfall erlitten hatte und ohnmächtig geworden war. Er trug sie hoch in die Apotheke, legte sie dort vorsichtig auf die Plattform und vergewisserte sich, dass Puls und Atmung stabil waren. Dann wickelte er die völlig durchgefrorene junge Frau in eine warme Decke und eilte in die Küche, um einen stärkenden Kräutertee zuzubereiten. Gerade als er mit der dampfenden Teeschale in der Hand die Apotheke wieder betrat, schlug sein unfreiwilliger Gast die Augen auf. Sie fasste sich leise stöhnend an den Kopf und versuchte, sich aufzurichten, sank jedoch ächzend wieder zurück. Große blaue Augen sahen den Shaolin fragend an, der auf die junge Frau zukam, sie stützte und ihr etwas von dem heißen Tee einflößte. "Ah, danke, das tut gut... Was ist passiert? Wer sind Sie? Wo bin ich hier?" "Mein Name ist Peter Caine, ich bin Shaolinpriester. Sie sind auf der Straße zusammengebrochen, und ich habe Sie hierher in die Apotheke meines Vaters gebracht. – Trinken Sie den Tee, er wärmt nicht nur, sondern wirkt belebend und kräftigend." Als sie die Schale geleert hatte, wollte sie sich erneut aufrichten, doch Peter drückte sie sanft wieder auf die Plattform zurück. "Bitte ruhen Sie sich noch ein wenig aus, Sie sind noch nicht kräftig genug, um schon wieder aufzustehen. Ich bringe Ihnen einen frischen Tee und eine Kleinigkeit zu essen." Sie protestierte mit schwacher Stimme: "Nein, nein, bitte machen Sie sich keine Umstände, Mr. Caine, ich möchte Ihnen nicht noch weiter zur Last fallen. Mir geht’s schon wieder viel besser. Das ist nur mein Kreislauf, ich habe einen niedrigen Blutdruck, und da wird mir manchmal ein wenig schwindlig, aber es ist schon wieder vorbei." "Ja, das sehe ich an Ihrem blassen Gesicht und daran, wie Ihre Hände zittern", kommentierte Peter trocken. "Wenn ich Sie jetzt gehen lasse, brechen Sie auf der Treppe gleich wieder zusammen. Nein, nein, Sie ruhen sich jetzt brav aus, und wenn es Ihnen wirklich besser geht, fahre ich Sie nach Hause oder wohin auch immer Sie mit Ihrem schweren Gepäck hinwollten." Er wies auf die Einkaufstaschen, die er an der Wand ab¬gestellt hatte. Sie widersprach erneut, doch der junge Shaolin konnte sie nach einigem Hin und Her dazu überreden, doch noch liegen zu bleiben. Er brachte ihr einen kleinen Imbiss und eine Kanne Tee, dann zog er sich in den Meditationsraum zurück, um sie nicht noch weiter in Verlegenheit zu bringen. Denn er spürte, dass es ihr schrecklich peinlich war, von einem Fremden Hilfe annehmen zu müssen. Als er kurze Zeit später wieder nach ihr sah, war sie erschöpft eingeschlafen. Umso besser, da ruhte sie sich wenigstens aus; sie sah aus, als hätte sie es dringend nötig. Ihr rotblondes Haar war stumpf, ihr zartes Gesicht wirkte selbst im Schlaf sorgenvoll angespannt, ihre Kleidung war sauber und gepflegt, aber abgetragen und keinesfalls warm genug für die eisigen Temperaturen draußen. Sie machte den Eindruck, als hätte sie seit Tagen nichts Anständiges mehr in den Magen bekommen. Peter fühlte sich unwillkürlich an einen Vogel erinnert, der aus dem schützenden Nest gefallen war. Was möglicherweise daran lag, dass die junge Frau sehr mädchenhaft aussah, sie wirkte fast wie ein Teenager in der High School. Peter zog die heruntergerutschte Decke wieder hoch, ergriff das leere Tablett und schlich aus dem Raum. Er nutzte die Gelegenheit, um in Ruhe mit Kermit zu telefonieren.
*Nein, bitte nicht aufhören, es ist gerade so schön! Ich will jetzt nicht wachwerden! Bitte nicht!* Natürlich half das nichts. Der angenehme Traum verflüchtigte sich, und viel zu schnell wachte Susan Barnaby auf. Sie hielt die Augen noch eine Weile lang geschlossen und spürte dem intensiven Glücksgefühl nach, das sie gerade eben noch verspürt hatte, als dieser junge Mann mit den ausdrucksstarken haselnussbraunen Augen sie vor dem Ungeheuer gerettet hatte, das sie zu verschlingen drohte. *Schade, dass es solche Helden nur im Märchen gibt, nicht auch im wirklichen Leben! Na ja, da kann man nichts machen, ich stehe wohl besser auf und stelle mich meinen Problemen selbst. Auch ohne Ritter.* Resigniert seufzend schlug sie die Augen auf. Doch was war das? Träumte sie womöglich doch noch? Diesen Raum voller Bücherregale, Kräuter und exotischer Gegenstände kannte sie überhaupt nicht. Wie war sie denn hierher gekommen? Zuerst konnte sie sich an überhaupt nichts erinnern, aber dann fiel ihr ein, dass sich ein junger Mann, nicht unähnlich dem Ritter aus ihrem Traum, sehr fürsorglich um sie gekümmert und ihr heißen Tee gebracht hatte. Vermutlich war sie wieder einmal umgekippt, wie so oft in letzter Zeit. Susan seufzte schwer. Kreislaufprobleme, Appetitlosigkeit und ständige Übelkeit waren kein guter Beginn für eine Schwangerschaft, genausowenig wie das heruntergekommene, zugige Loch, in dem sie vor fast einer Woche, nach dem schrecklichen Streit mit Mike, vorübergehend Unterschlupf gefunden hatte. Allein beim Gedanken an ihren Ex-Freund schossen ihr Tränen in die Augen. Tränen der Verzweiflung, aber auch der Wut. Wie konnte er sie nur so im Stich lassen, sich einfach aus der Verantwortung stehlen? Er tat gerade so, als hätte er mit der Schwangerschaft nichts zu tun, dabei war es doch auch sein Kind, nicht nur ihres! Berechnung hatte er ihr vorgeworfen, hatte gar behauptet sie wolle ihn mit einem Kind an sich binden, ihn unter Druck setzen, damit er sie endlich heirate. Als Susan entrüstet widersprochen und ihn daran erinnert hatte, dass er es gewesen war, der an dem bewussten Abend keineswegs hatte warten wollen, bis sie ihr Diaphragma eingesetzt hatte, war er ausgerastet und hatte sie aufs Übelste beschimpft. Hatte sogar von ihr verlangt, 'das Problem' schleunigst aus der Welt zu schaffen. Sie hatte ihn nur ungläubig angestarrt, hatte geglaubt, sich zu verhören; dann war sie zutiefst verletzt aus der gemeinsamen Wohnung gerannt, blind vor Tränen, einfach drauflos. Irgendwann hatte sie sich ein billiges Hotelzimmer genommen, um aus der Kälte zu kommen, aber die ganze Nacht kein Auge zugetan. Seitdem kehrten ihre Gedanken ständig zu diesem Streit zurück, an dem... *Schluss jetzt, Susan! Mike ist Vergangenheit, du musst dich um dein Baby kümmern!*, rief sie sich ener¬gisch zur Ordnung. *Und außerdem ist er es nicht wert, dass du seinetwegen heulst. Wisch dir die Tränen ab. Steh auf, pack deine Siebensachen, bedank dich bei dem netten jungen Mann und verschwinde.* Als hätten ihre Gedanken ihn herbeigezaubert, stand dieser plötzlich im Türrahmen und lächelte sie an. "Na, gut geschlafen? Geht es Ihnen besser?" Seine braunen Augen blickten besorgt, doch besaß er den Takt, so zu tun, als bemerke er die Tränenspuren auf ihrem verheulten Gesicht gar nicht. Susan setzte sich vorsichtig auf. "Ja, vielen Dank für Ihre Hilfe. – Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt, wie unhöflich von mir. Mein Name ist Susan Barnaby." "Angenehm. Was halten Sie von einem heißen Tee? Ich glaube, Sie können etwas Wärme gut vertragen." Sie schüttelte den Kopf. "Vielen Dank, aber ich muss zusehen, dass ich heimkomme." Er blickte sie fragend an. "Werden Sie erwartet? Möchten Sie vielleicht jemanden anrufen? Sie können gerne mein Handy benutzen." "Nein, auf mich wartet niemand mehr. Aber ich muss noch ein Stück laufen, und ich bin schon spät dran..." Er unterbrach sie. "Ich habe versprochen, Sie heimzufahren, und das halte ich auch, machen Sie sich über den Heimweg keine Gedanken. Kommen Sie, gehen wir hinüber in die Küche, da ist es gemütlicher." Wie er sie dazu gebracht hatte, wusste sie später nicht mehr, aber plötzlich saß sie am Küchentisch, bei Tee und Gebäck, und erzählte ihm von sich. Sie merkte, wie gut es ihr tat, endlich jemand zu haben, der ihr wirklich zuhörte und nicht nur ständig von sich selber sprach. So kam es, dass sie einem Wildfremden ihr Herz ausschüttete und ihm ihre Sorgen anvertraute. Die Furcht davor, nicht nur ihre Gesangsausbildung abbrechen zu müssen, sondern auch noch ihren Job als Garderobiere in einem kleinen Musicaltheater zu verlieren. Die Angst vor der Zukunft als alleinerziehende Mutter ohne Geld und Unterstützung. Und nicht zuletzt die Wut und die Enttäuschung über ihren Ex-Freund, der sich so einfach vor der Verantwortung für ihr gemeinsames Kind drückte. Als sie bei der Erwähnung von Mikes Namen erneut in Tränen ausbrach, nahm der junge Priester sie kurzerhand in die Arme und hielt sie beschützend umfangen, während sie sich an seiner Schulter all ihren Kummer von der Seele weinte. * * * Eine halbe Stunde später stiegen Peter und Susan langsam die enge, schlecht beleuchtete Treppe zu Su¬sans winziger Einzimmerwohnung hinauf. Peter betrachtete sich die Umgebung sehr genau, ihm entgingen weder die Schmierereien an den Wänden noch der Schmutz im Treppenhaus. Als Susan schließlich die Tür öffnete und ihm ihr 'Reich' zeigte, war er vorgewarnt, dennoch erschrak er beim Anblick der kaputten, notdürftig mit Pappe abgedeckten Fensterscheibe, des von den Wänden abblätternden Putzes und der Stockflecken an der Decke. Hier konnte Susan auf keinen Fall bleiben, in dieser Umgebung wurde sie ernsthaft krank. Etwas von seinem Entsetzen schien sich in seiner Miene widerzuspiegeln, denn Susan blickte zu Boden und sagte verlegen: "Es ist nicht großartig, ich weiß, sogar ziemlich lausig. Aber ich brauchte halt von heute auf morgen eine bezahlbare Unterkunft. Sobald mein Kreislauf mitmacht, suche ich mir etwas Besseres." Peter erwiderte: "Es tut mir leid, wenn ich jetzt etwas taktlos bin, Susan, aber das ist keine Wohnung, das ist eine Zumutung. Sie müssen unbedingt hier raus, und zwar sofort. Dieses Loch macht Sie krank, hier dürfen Sie auf keinen Fall bleiben. – Ich helfe Ihnen sehr gerne, eine neue Wohnung zu finden." "Sie haben ja Recht, Peter, aber ich kann nirgendwo anders hin. Nochmal ins Hotel zu ziehen kann ich mir nicht leisten, auch nicht für kurze Zeit", widersprach Susan verzagt. "Es wird schon noch für eine Weile gehen. Vielleicht finde ich ja bald eine neue Unterkunft, dann komme ich hier raus." "Nein, ich habe eine bessere Idee. Wir fahren jetzt in mein Apartment, und wenn Ihnen das gefällt, bleiben Sie erstmal da und kommen wieder zu Kräften. Ich übernachte in der Apotheke, ich will ja ohnehin dorthin umziehen. Keine Sorge, Sie haben die Wohnung für sich und können bleiben solange Sie wollen. Währenddessen können wir uns in Ruhe nach einem kindgerechten, bezahlbaren Zuhause für Sie und Ihr Baby umsehen. Allerdings muss ich Sie vorwarnen, es ist momentan ziemlich ungemütlich, denn bis auf die Möbel, die Küche und jede Menge Umzugskisten ist meine Wohnung schon so gut wie leergeräumt. Aber sie ist zumindest warm, trocken und schimmelfrei. Und die Fenster sind dicht."
Am frühen Abend brachte Peter seine neue Freundin zur Arbeit, das hatte er sich nicht nehmen lassen. Da der Bühneneingang zu Susans Theater in einer sehr engen, spärlich beleuchteten Seitenstraße lag, parkte der junge Shaolin den Stealth in der breiteren Straße, und die beiden gingen zu Fuß in das Gässchen hinein. Nach etwa fünfzig Metern blieb Susan vor einer unauffälligen Tür stehen. "Hier ist der Bühneneingang, da muss ich jetzt rein." Sie reichte ihm die Hand. "Vielen Dank fürs Herbringen, Peter." Dieser staunte. "Ich muss sagen, der ist gut versteckt. Ich wäre nie darauf gekommen, dass sich hier der Eingang zu einem Musicaltheater verbirgt. – Wann soll ich Sie wieder abholen?" Susan schüttelte den Kopf. "Das müssen Sie wirklich nicht. Vielen Dank für das Angebot, Peter, ich komme schon gut nach Hause. Außerdem wird es spät werden, ich möchte nicht, dass Sie meinetwegen so lange wach bleiben müssen." "Keine Sorge, ich bin garantiert noch wach, wenn Ihr Stück aus ist. Aber gerade weil es spät wird, möchte ich Sie gerne abholen. Wenn ich Ihnen schon meine Wohnung aufdränge, die abends mit öffentlichen Verkehrsmitteln extrem schlecht zu erreichen ist, dann bin ich ja quasi schuld, wenn Sie sich ein Taxi nehmen müssen. Das will ich nicht. Bitte tun Sie mir den Gefallen und sagen Sie mir, wann ich Sie abholen darf." Wider Willen musste Susan lachen. "Wenn Sie das so sehen... Ok, dann dürfen Sie mich gerne abholen, vielen Dank!" Sie überlegte kurz, dann fügte sie hinzu: "Seit kurzem wird 'The Phantasticks' gegeben, das hat nur eine kleine Besetzung, da bin ich meistens schon um halb zwölf fertig." "Gut, dann bin ich kurz vor halb zwölf hier", erwiderte Peter. "Das passt ganz gut, denn ich habe um acht Uhr einen Termin und weiß nicht so genau, wie lange der dauert. Aber bis halb zwölf schaffe ich es bestimmt." Im Stillen setzte er hinzu: *Hoffe ich jedenfalls.* Susan fiel noch etwas ein: "Wissen Sie was, wenn Sie nach der Vorstellung zu mir hochkommen, dann müssen Sie nicht draußen in der Kälte warten und frieren. Haben Sie noch ein bisschen Zeit? Dann zeige ich Ihnen wo ich arbeite und stelle Sie auch gleich dem Pförtner vor. Heute Abend hat der alte Jeremiah Dienst, der ist schon eine halbe Ewigkeit hier beschäftigt, ich habe Ihnen ja von ihm erzählt. Wenn er weiß, dass ich Sie mich abholen, dann lässt er Sie bestimmt nachher durch." Eigentlich hatte Peter sofort zurückfahren wollen, um sich auf sein Gespräch mit dem Direktor der 'Roosevelt High' vorzubereiten, aber er spürte, dass Susan viel daran lag, sich nicht nur von ihm helfen zu lassen, sondern sich so gut wie möglich zu revanchieren. Deshalb hatte er bereits zugelassen, dass sie ihn in seinem eigenen Apartment zum Abendessen bewirtet hatte; aus genau demselben Grund ließ er sich nun von ihr zum Pförtner schleifen, der ihn einem strengen Verhör unterzog. Innerlich schmunzelte er ein wenig darüber, wie misstrauisch er hier beäugt wurde, doch es machte ihm nichts aus, denn Susan hatte ihm verraten, dass der alte Mann sich ein wenig als Susans Beschützer ansah, vor allem seit ihrer Trennung von Mike, und dass er alle ihre Bekanntschaften sehr genau unter die Lupe nahm. Als Jeremiah schließlich zustimmte, Peter nach Ende der Vorstellung einzulassen – dieser kam sich vor wie nach einer bestandenen Abschlussprüfung – zog Susan Peter ohne viel Federlesen ins Theater hinein, veranstaltete eine kleine Privatführung und zeigte ihm stolz ihren Arbeitsplatz. Dann begleitete sie ihn wieder zum Bühnenausgang. Spontan umarmte sie ihn zum Abschied und küsste ihn auf die Wange. Erschrocken über ihre eigene Kühnheit, lief sie puterrot an und schlug die Hand vor den Mund. Sie drehte sich auf dem Absatz um und flüchtete zurück ins Theater. Peter grinste in sich hinein und ging zu seinem Auto zurück. In Gedanken war er schon bei dem anstehenden Treffen mit Direktor Lake, deshalb bemerkte er nicht, dass ihm ein brennender Blick folgte. *** Mike Foster stand in einem Hauseingang auf der anderen Straßenseite und ärgerte sich maßlos. Er war extra hierhergekommen, weil er mit Susan reden wollte - er war sogar bereit, ihr vielleicht noch eine Chance zu geben, trotz ihres zickigen Abgangs von letzter Woche – und nun das! Da kam sie mit einem anderen Mann aus dem Theater spaziert und besaß sogar die Frechheit, ihn auch noch abzuknutschen! "So, so, da hat die kleine Schlampe wohl schon wieder einen neuen Hengst, das ging ja sehr schnell! Mir Vorwürfe machen, weil ich ihren Balg nicht aufziehen will, und ein paar Tage später schon mit einem anderen Typen rumziehen, das ist ein starkes Stück! Na, wartet nur ihr beiden, ihr sollt mich kennenlernen!" Er beschloss, nach der Vorstellung mit seinem Auto in der Nähe zu warten, um herauszufinden, wo Susan hinwollte. Womöglich holte ihr neuer Lover sie ab, dann könnte er dem gleich mal eine Abreibung verpassen. Vielleicht sollte er ja seinen Kumpels Bescheid geben, damit die auch ein bisschen Spaß hatten? * * * Es war bereits nach halb acht Uhr, als Peter seinen Stealth vor dem alten Backsteingebäude parkte und die Stufen bis zum dritten Stock hochstieg. Bald würde Direktor Lake eintreffen, und Peter hatte sich noch keine Gedanken darüber gemacht, wie er den Schulleiter am besten davon überzeugen konnte, dass Tommy eine Chance verdiente. Er beschloss, in der Küche kalte Getränke und Knabberzeug herzurichten und sich dann in den Meditationsraum zurückzuziehen, um sich in Ruhe auf das Gespräch vorzubereiten. Doch das war ihm nicht vergönnt. Er hatte gerade die Kerzen entzündet und sich auf dem Boden niedergelassen, als er Schritte im Flur hörte. Eine energische, befehlsgewohnte Stimme rief: "Hallo? Ist jemand da?" "Ja, hier im Meditationsraum. Einen Moment bitte, ich komme." Resigniert erhob er sich und ging seinem Besucher entgegen, einem älteren, äußerst selbstbewusst wirkenden Mann mit strengen asiatischen Gesichtszügen, dessen frappante Ähnlichkeit mit Tommy Wu dem jungen Shaolin sofort ins Auge fiel. *Ich wette, das ist Tommys Vater. Na toll, ausgerechnet jetzt, kurz vor Direktor Lakes Besuch! Schlechter könnte das Timing ja wohl kaum sein! Und er sieht nicht so aus, als stünde ihm der Sinn nach Small Talk.* Freundlich begrüßte er seinen späten Gast: "Guten Abend, was kann ich für Sie tun?" Dieser taxierte ihn misstrauisch von Kopf bis Fuß, bevor er in ungeduldigem Tonfall antwortete: "Mein Name ist Thomas Wu. Ich suche Caine, den Shaolinpriester. Ist er da?" Peter nickte. "Ja. Ich bin Peter Caine." Die harten Augen verengten sich zu Schlitzen. "Sie sind Shaolin? In Ihrem Alter?" Diese Reaktion kannte Peter schon zur Genüge; wortlos krempelte er seine Ärmel hoch und zeigte Tommys Vater seine Brandmale. Der warf einen äußerst skeptischen Blick darauf, erwiderte aber nichts dazu, sondern sah Peter fest in die Augen und sagte in drohendem Tonfall: "Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie seit kurzem mit meinem Sohn verkehren. Seltsamerweise ist der Junge in letzter Zeit wie ausgewechselt, benimmt sich respektlos und aufsässig und schottet sich von allem und jedem ab, auch von seiner Familie. Das gefällt mir ganz und gar nicht! Sollten Sie etwas damit zu tun haben, dann seien Sie gewarnt. Ich werde keinesfalls hinnehmen, dass jemand ihn seiner Familie entfremdet."
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