Autor: Turandot
 

Kapitel 12

Peter hatte einen langen Tag vor sich, deshalb stand er zeitig auf. Nach einem ausgiebigen Frühstück und einer Runde T'ai Chi fühlte er sich bereit für die anstehenden Herausforderungen.

Zuerst fuhr er zum 84. Polizeirevier, wohin Mike Foster und seine Freunde gebracht worden waren, und machte dort seine Aussage.

Er war der Meinung, eine Nacht in der Zelle sei eine ausreichende Strafe für den nächtlichen Überfall, deshalb verzichtete er großzügig auf eine Anzeige. Während das Protokoll angefertigt wurde, unterhielt er sich angeregt mit einer Beamtin, die er von einigen gemeinsamen Einsätzen her kannte.

Nach etwa einer Viertelstunde konnte er dann seine Aussage unterschreiben und wandte sich zum Gehen, als er hinter sich plötzlich eine zornige Stimme hörte: "Da ist der Kerl ja schon wieder! He du, nimm dich in acht! Niemand nimmt mir ungestraft meine Freundin weg! Ich krieg dich schon noch!"

Peter drehte sich um. Das Schlägertrio vom Vorabend war gerade aus der Zelle geführt worden. Übernächtig, zerzaust und mit zerknitterter Kleidung boten sie alle miteinander einen jämmerlichen Anblick. Doch während Mikes Kumpane mehr als erleichtert wirkten, dass sie nun gehen durften, war dieser drauf und dran, sich erneut auf den jungen Shaolin zu stürzen, trotz der vielen Polizisten um ihn herum. Peter konnte in seinen Augen eine ungeheure Wut lodern sehen, die schon fast an Hass grenzte.

Er zuckte mit den Achseln und wandte sich wieder ab, ohne den Wüterich einer Antwort zu würdigen. Diese gelassene Reaktion schien Öl ins Feuer zu gießen. Mike rief ihm hinterher: "Sag deiner Schlampe, sie soll ihren Krempel bis morgen aus meiner Wohnung wegholen, sonst schmeiß ich das Zeug in den Müll! Und dann soll sie mir nie wieder, hörst du, nie wieder unter die Augen kommen!"

*Lass gut sein, Freundchen. Gestern war ich total erledigt, da konntest du mich provozieren. Aber heute lass ich mich nicht reizen, den Fehler begeh ich nicht nochmal.*

Peter kehrte um und erwiderte ruhig: "Ich werde Susan ausrichten, dass sie sich ihre Sachen abholen kann."

"Und sag ihr, ich zahl keinen Cent für ihren Balg, den kann sie alleine durchfüttern! Wahrscheinlich ist der ohnehin gar nicht von mir – ist das deiner? Wie lang läuft das denn schon zwischen euch?"

"Ich helfe Susan eine neue Wohnung zu finden, das ist alles."

Diese Antwort wurde mit höhnischem Gelächter quittiert. "Das Märchen kannst du deiner Großmutter erzählen! Ich hab doch euch erwischt!", triumphierte Mike. "Gestern Nachmittag, vor dem Theater, als sie dich abgeknutscht hat. Was sagst du jetzt?"

Also das war es! Susans Ex hatte das harmlose Küsschen missverstanden! Peter hatte Mühe, sich ein Grinsen über soviel Dummheit zu verkneifen. "Susan hat mich geküsst, ja das stimmt. Ich denke gar nicht daran, das zu abzustreiten. Aber zwischen uns 'läuft' nichts. Susan hat zu viele andere Sorgen, um sich auch noch eine neue Liebesbeziehung aufzuhalsen. Ich bin ihr Freund, nicht ihr Geliebter."

Wie fast schon erwartet, stieß seine Erklärung auf Unglauben. Mike lachte höhnisch. "Ja, ja, und ich bin der Kaiser von China! Du glaubst doch nicht, dass ich dir das abnehme?"

"Die Wahrheit hängt nicht davon ab, dass wir sie glauben. Ich lüge nicht." Peter zuckte mit den Schultern, wandte sich ab und verließ das Gebäude.

Draußen musste er dann doch grinsen. *Meine Güte, was hab ich denn da gerade gesagt?! Das klang ja fast schon ein bisschen wie eine von Paps' kryptischen Weisheiten. Gehört das bei Shaolin automatisch dazu? Fang ich jetzt auch schon damit an, die Leute mit unverständlichen Sprüchen zu nerven?"

Er schüttelte über sich selbst den Kopf, stieg in den Stealth und fuhr auf direktem Weg zurück zu seiner neuen Wohnung, um noch rechtzeitig vor seinem Lehrer dort einzutreffen.

*

Nach einer weiteren Lektion in Heilkunde und einer kurzen gemeinsamen Meditation verließen Peter und Lo Si die Apotheke und machten sich auf den Weg zu den Chengs. Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto mulmiger wurde Peter zumute. Was machte er eigentlich hier? Lo Si hatte selbst zugegeben, dass die seine Freunde Vorbehalte gegen ihn hatten – wollte er ihnen dann wirklich einfach so ins Haus schneien? Sich eine neuerliche Abfuhr holen? Was hatte der Alte ihm da bloß eingebrockt?

Als sie vor dem fünfstöckigen Gebäude angekommen waren, in dem Liu und Chiang wohnten, blieb der Ehrwürdige stehen und blickte Peter durchdringend an.

"Du bist nervös." Das war keine Frage, sondern eine Feststellung; leugnen hätte keinen Sinn gehabt, also nickte Peter nur. "Ja. Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe immer noch das Gefühl, es ist ziemlich aufdringlich von mir, hier einfach so aufzukreuzen, obwohl ich nicht wirklich willkommen bin."

Lo Si legte Peter beruhigend die Hand auf den Arm. "Deine Furcht ist verständlich, aber völlig unangebracht. Schließ die Augen... Atme tief durch... Gut... Konzentrier dich ganz auf deine Gefühle. Spüre deinen Ängsten nach... Der Furcht, einen Fehler zu machen, der Angst vor Zurückweisung... Verdränge sie nicht, sondern nimm sie an... Und jetzt lass sie los, dann bist du innerlich frei und kannst dich ganz auf deine Aufgabe konzentrieren."

* * *

Angespannt und ungeduldig saß Liu Cheng auf dem Sofa und wartete. Es war schon elf Uhr vorbei, wann kam Lo Si denn endlich? Gerade heute hätten sie ihn schon am Morgen dringend gebraucht, Chiang ging es heute wieder schlechter, er klagte über starke Schmerzen in der Brust und war sehr schlecht gelaunt. Vor ein paar Minuten war er in einen unruhigen Schlummer hinübergeglitten, aber sicher nicht für lange. Er würde bald wieder erwachen, hoffentlich kam Lo Si bis dahin!

Ob er den jungen Caine wohl heute mitbrachte? Er hatte gestern so etwas angedeutet. Liu schüttelte den Kopf. Das war eine ziemlich verrückte Idee – wie sollte ein so impulsiver, ungeduldiger Mensch wie Peter Caine bei der Pflege eines Kranken von Nutzen sein? Noch dazu wenn der so grantig war wie Chiang?

Ihr Mann war sehr rüstig, er hasste es krank zu sein und war dementsprechend schwierig, wenn er doch einmal das Bett hüten musste. Nun lag er schon über eine Woche, ohne dass es besser wurde. Mit jedem Tag wurde er brummiger. Und da meinte Lo Si, ausgerechnet Peter Caine sei der Richtige für Chiangs Pflege?

Ganz abgesehen davon, dass ihnen der junge Mann charakterlich ungeeignet schien, hatte er als Polizist (oder jetzt eben Ex-Polizist) sicher nicht viel Ahnung von Heilkunde. Was mochte das bloß werden?

Doch Lo Si hatte sich ihre Einwände neulich nur ruhig lächelnd angehört und gemeint: "Ihr habt Peter schon länger nicht mehr getroffen, ihr wisst nicht, wie sehr er sich inzwischen weiterentwickelt hat. Gebt ihm eine Chance, ihr werdet überrascht sein. Er ist jetzt ein Shaolin."

Das war auch so etwas – bis vor kurzem war der junge Caine noch bei der Mordkommission gewesen, und jetzt war er auf einmal ein Shaolin? Wie war denn das gekommen?

Schon einmal waren Gerüchte aufgekommen in Chinatown, als er mit seinem Vater und dem Ehrwürdigen nach Kalifornien in ein Kloster gereist war. Es wurde gemunkelt, er wolle seine Shaolinausbildung beenden, die durch den tragischen Tempelbrand vor fast zwanzig Jahren abrupt abgebrochen worden war. Aber dann war er ohne Brandmale zurückgekommen und hatte seine Arbeit bei der Polizei wieder aufgenommen, als sei nichts gewesen. Seit dieser Zeit hatte er den Spitznamen 'Shaolin Cop'.

Aber jetzt sollte er auf einmal doch ein Shaolin sein? Das war alles sehr merkwürdig.

Andererseits hielt Lo Si offenbar sehr viel von ihm, und dem Urteil des Alten konnte man normalerweise blind vertrauen. Deshalb hatten sie letzten Endes doch relativ rasch eingewilligt, es einmal mit Peter Caine zu ver¬suchen. Der Ehrwürdige hatte den jungen Mann gewissermaßen unter seine Fittiche genommen, es schien ihm sehr wichtig zu sein, ihm zu helfen; das war also eine gute Gelegenheit für Chiang und sie, endlich ihrerseits etwas für Lo Si zu tun, dem sie in den langen Jahren ihrer Freundschaft schon so manches zu verdanken hatten.

Liu merkte, wie sich ihre Gedanken im Kreis drehten. Doch wozu sollte das Grübeln gut sein? Sie konnten ohnehin nicht mehr zurück. Sie hatten ihr Wort gegeben, Peter Caine eine Chance zu geben, und das würden sie halten.

*Eines muss man ihm lassen – auch wenn er leichtsinnig und aufbrausend ist, er hat sich schon immer sehr für seine Mitmenschen eingesetzt, weit über die Polizeiarbeit hinaus. Da ist er seinem Vater sehr ähnlich. Aber ich kann mir trotzdem nicht so recht vorstellen, dass er die nötige Geduld für die Krankenpflege hat...*

*

Es klopfte an der Wohnungstür. *Das ist bestimmt Lo Si. Endlich!*

Sie erhob sich schwerfällig. So schnell es ging, humpelte sie, auf ihren Stock gestützt, zur Tür und öffnete sie. Draußen standen Lo Si und Peter Caine. Sie verbeugten sich höflich.

Erleichtert begrüßte sie die beiden und bat sie herein. "Ni hao. Willkommen. Bitte tretet ein."

Lo Si und sein Lehrling erwiderten den Gruß und betraten die Wohnung. Im selben Moment war aus dem Schlafzimmer ein leises Stöhnen zu hören; Chiang erwachte. Sofort ging Lo Si zu ihm und winkte seinem Begleiter, ihm zu folgen.

Liu wusste, sie würde vorläufig nicht gebraucht; das war ihr nur recht, denn sie wollte einen Moment allein sein. Täuschte sie sich oder hatte Peter Caine sie bei dem Wort 'Willkommen' fragend und ein wenig zweifelnd angesehen?

Durch diesen einen kurzen Blick fühlte sie sich regelrecht bei einer Lüge ertappt. Meinte sie dieses Willkommen wirklich ehrlich? Und konnte er spüren dass sie nicht recht wusste, was sie von ihm halten sollte?

Nun ja, der junge Mann war intelligent; es konnte ihm wohl kaum entgangen sein, dass Chinatown ihm nicht vorbehaltlos entgegenkam. Gerüchten zufolge gab es etliche Leute, die es sehr bedauerten, nun mit Peter Caine vorlieb nehmen zu müssen, wo sie früher auf den Schutz und die Hilfe seines Vaters zählen konnten.

Plötzlich hatte Liu ein schlechtes Gewissen, weil sie immer nur ihre Vorbehalte gesehen hatte anstatt Lo Si zu vertrauen, und weil sie überhaupt nicht auf die Idee gekommen war, sich zu fragen, wie es dem jungen Caine in dieser Situation gehen mochte.

Er hatte vor kurzem eine Arbeit aufgegeben, in der er nicht nur sehr gut und erfolgreich gewesen war, sondern die ihm auch sehr viel Anerkennung eingebracht hatte. Nun war er ein Apothekerlehrling, dessen Fähigkeiten viele in Chinatown misstrauten. Sein Vater, der ihm Vieles zeigen und ihm den Weg ebnen hätte können, war von einem Tag auf den anderen aus Sloanville verschwunden, und niemand schien zu wissen, ob Kwai Chang Caine jemals wiederkommen würde. Wie mochte seinem Sohn da zumute sein?

Immer noch grübelnd, humpelte Liu in die Küche und machte Wasser heiß. Bisher hatte Lo Si bei seinen Besuchen immer einen Kräutertee aufgebrüht, das würde heute sicherlich auch nicht anders sein.

Und richtig, kurz bevor das Wasser kochte, kam der junge Caine mit einer Tüte Kräuter zu ihr und fragte sie höflich, ob er einen Tee zubereiten dürfe. Sie sah ihm bei seiner Arbeit zu und wunderte sich, wie ruhig und sorgfältig er diese einfache Tätigkeit verrichtete.

Bei ihren bisherigen Begegnungen hatte er immer sehr fahrig gewirkt; er hatte sich kaum stillhalten können und hatte Liu mit seiner Unruhe ganz nervös gemacht. Er war ihr immer vorgekommen wie ein Wirbelwind – voller ungebremster Energie, mitreißend im positiven wie negativen Sinn. Nun stellte sie zu ihrer Überraschung fest, dass dieses Getrieben-Sein vollkommen verschwunden war.

Kein Zweifel, Peter Caine hatte sich verändert. Er schien viel gelassener als früher. Vielleicht war es doch keine so schlechte Idee von Lo Si gewesen, ihn in ihr Haus zu bringen?


Kapitel 13

"Gut, Tommy, ich spreche mit meinen Kollegen und gebe dir dann Bescheid. Ich rufe dich morgen früh im Sekretariat an. Bis dann."

"Auf Wiederhören, Mr. Caine. Und nochmals vielen vielen Dank."

"Schon ok, ich freue mich dass ich helfen konnte."

Nachdenklich drückte Peter auf den Aus-Knopf seines Handys. Dass Tommy nur den Treffpunkt erfahren hatte, nicht mehr, war ein herber Rückschlag. Um Phils Bande schnappen zu können, mussten sie sie auf frischer Tat ertappen; aber das war nicht möglich, wenn sie den Tatort nicht kannten.

Tommy hatte vorgeschlagen, ihm diese Information zu beschaffen, indem er zu diesem Bandentreffen ging, und notfalls – sozusagen mit polizeilicher Erlaubnis – auch den Einbruch mitmachte. Er wollte unbedingt unter Beweis stellen, dass er seine zweite Chance wirklich verdiente, und aktiv dazu beitragen, Phil und seine Clique unschädlich zu machen.

Peter konnte das sehr gut verstehen, denn bisher war Tommy zu untätigem Abwarten verdonnert gewesen, während Peter an seiner Stelle mit Ho Wang und Direktor Lake verhandelt hatte.

Doch im Gegensatz zu Tommy wusste Peter als ehemaliger Polizist ganz genau, wie riskant ein Undercover-Einsatz war. Von einem Moment zum anderen konnte die Situation eskalieren, zum Beispiel wenn der verdeckte Ermittler enttarnt wurde, und dann wurde es brandgefährlich. Wie oft hatte er das schon selbst erlebt! Aber er war für solche Einsätze ausgebildet worden und war sich stets des Risikos bewusst gewesen. Tommy dagegen war nicht nur Zivilist, sondern auch noch minderjährig.

Es musste einfach einen anderen Weg geben, die Bande zu schnappen, ohne Tommy in Gefahr zu bringen! Nur welchen? Er zerbrach sich den Kopf, aber es wollte ihm einfach keiner einfallen.

*Und wenn wir doch auf Tommys Vorschlag zurückgreifen? Nur mal so als Gedankenspiel... Wie lassen sich die Gefahren auf ein vertretbares Maß reduzieren? Wie nah muss ich an der Bande dran sein, damit ich meine Shaolinkräfte wirksam einsetzen kann? Wenn ich nur ein bisschen mehr Erfahrung hätte, könnte ich besser einschätzen, wo meine Grenzen sind. Aber vielleicht kann Lo Si...*

Der Klingelton seines Handys unterbrach seine Überlegungen. Ein kurzer Blick auf die Rufnummer verriet ihm den Anrufer.

"Hallo, Kermit. Wie geht's?"

Sein bester Freund meldete sich, knapp wie immer: "Gratuliere, Pete, du hast den Haupttreffer gelandet."

"Watts?"

"Ja. Mein Bekannter im Raubdezernat hat mich gerade angerufen. Wie es scheint, ist Watts vor einiger Zeit in der Stadt gesehen worden. Es heißt, er versucht, Teenager zu rekrutieren und seine Organisation wieder aufzubauen. Das deckt sich auch mit dem, was Donny mir geflüstert hat."

"Wow!" Peter pfiff leise durch die Zähne.

"Bisher konnte keiner an ihn rankommen, aber wenn deine Bande auch zu Watts' Organisation gehört, haben wir vielleicht eine Chance. Die Jungs vom Raubdezernat würden dir dafür die Füße küssen. Hast du von deinem Kontakt schon was gehört?"

"Vor ein paar Minuten. Ich wollte dich ohnehin deswegen anrufen, es eilt nämlich ein bisschen."

"Ja?"

Peter zögerte ein wenig, denn er war sich selbst noch nicht wirklich sicher, ob sie Tommys Idee in die Tat umsetzen sollten. Außerdem war ihm klar, wie Kermit auf einen solchen Vorschlag reagieren würde.

"Die Sache steigt schon morgen Abend, aber ich weiß nicht genau wo und wie, nur dass die Bande an einem Treffpunkt über die Einzelheiten informiert wird und dann gleich zuschlägt. Mein Schützling möchte unbedingt zu diesem Treffen gehen, um uns weitere Informationen zu beschaffen. Wenn wir ihn mit einer von Blakes Miniwanzen ausstatten, könnten wir in einer Nebenstraße Position beziehen und mithören. Sobald die Jungs dann am Tatort eintreffen und loslegen, schnappen wir sie uns."

Wie erwartet, erwiderte Kermit wie aus der Pistole geschossen: "Kommt nicht in Frage."

"Ja, das habe ich auch zuerst gesagt. Aber ich sehe im Moment keine andere Möglichkeit, an konkrete Informationen über den Einbruch ranzukommen. Du etwa?"

"Nein. Aber es ist unverantwortlich, Zivilisten in Polizeiaktionen hineinzuziehen. Das weißt du doch noch, oder?"

Peter seufzte. "Ja, natürlich. Genau das habe ich dem Jungen auch erklärt, und noch so einiges mehr. Aber er will unbedingt den Schaden selbst wieder gutmachen, den er angerichtet hat. In gewisser Weise kann ich das verstehen. Sein Ehrgefühl verlangt, dass er als der Übeltäter selbst etwas unternimmt wird und nicht alles von anderen bereinigen lässt."

Kermit schnaubte ungeduldig. Peter konnte sich richtiggehend vorstellen, wie sein Freund am anderen Ende der Leitung die Augen verdrehte. "Ehrgefühl. Na toll. Verlangt sein Ehrgefühl auch, sich unnötig in Gefahr zu begeben? Um Himmels willen, Pete, in welchem Jahrhundert und auf welchem Stern lebt er denn?"

"Vergiss nicht, dass die Uhren in Chinatown manchmal ein wenig anders gehen... Würde es helfen, wenn ich dir sage, dass der Junge nicht nur von der Polizei, sondern auch von zwei Shaolinpriestern beschützt wird?"

"Gleich zwei?"

"Ja. Ich werde Lo Si bitten, mitzukommen. Ich lerne erst noch und kann meine Kräfte noch nicht so gut kontrollieren wie er. Aber Lo Si ist als Backup mehr wert als eine ganze Einheit Polizisten."

Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille. Kermit dachte offensichtlich nach.

Dann ein Seufzen: "Und wenn sie ihn filzen?"

"Wenn sie nicht gerade elektronische Geräte benutzen, sind Blakes Minis kaum zu entdecken."

"Und wenn doch?"

"Dann müssen wir ihn eben schnell sein und ihn rausholen, bevor ihm etwas passiert. Kermit, ich weiß, es ist gefährlich, aber ich habe so ein Gefühl, dass wir es riskieren können. – Schaffst du es bis heute Abend, die Wanze zu organisieren? Dann könnten wir uns im Delancey's treffen, und bei dieser Gelegenheit bringst du mir das Ding mit."

"Oh yeah! Wenn du dich endlich mal wieder dort blicken lässt, schaffe ich noch ganz andere Sachen."

*

Als er sich dieses Mal von seinem Gesprächspartner verabschiedete, lächelte Peter leise vor sich hin. Die Aussicht auf einen unbeschwerten Abend im Delancey's mit seinen Freunden hob seine Laune ungemein. Wie lange hatte er das nicht mehr gehabt! Zwar waren erst wenige Wochen vergangen seit seinem Ausscheiden aus dem Polizeidienst, aber für den jungen Shaolin schien es eine Ewigkeit. Seine Tage waren vollkommen ausgefüllt mit Lernen und der Arbeit in der Apotheke, und auch abends war er meist mit seinen Lektionen beschäftigt, so dass er es bisher nicht ein einziges Mal ins Stammlokal des 101. Reviers geschafft hatte.

*Sei ehrlich mit dir selber, Pete! Wenn du wirklich gewollt hättest, dann hättest du es schon möglich machen können. Wenigstens ab und zu. Aber du hattest Angst vor den unvermeidlichen Fragen danach, wie's dir geht und was du den ganzen Tag so treibst: Vor allem vor der Frage, wie du als Shaolin in der chinesischen Gemeinde akzeptiert wirst. Gerade weil es dir noch nicht einmal ansatzweise gelungen ist, in der Gemeinde Fuß zu fassen. Es gibt halt niemand gerne zu, dass er sich wie ein Versager vorkommt.*

Aber so langsam schien sich ein Silberstreif am Horizont zu zeigen. Die Chengs hatten ihn heute zwar kritisch, aber nicht ablehnend empfangen und ihn am Schluss gebeten, am nächsten Tag wiederzukommen. Tommy brauchte keine Angst mehr vor Erpressung zu haben und Susan konnte er mit ein bisschen Glück bald eine Sozialwohnung beschaffen. Am frühen Abend hatten sie deswegen einen Termin bei der Stadträtin Linda Abernathy.

Wenn er es recht besah, war er plötzlich ganz schön beschäftigt. Nicht nur mit dem Umzug und seinem Unterricht beim Ehrwürdigen, sondern zunehmend mit 'richtiger' Arbeit.

Immer noch lächelnd, holte er sein Schreibzeug heraus und machte sich an die Aufgaben, die Lo Si ihm gestellt hatte. Sein Lehrer würde in kaum einer Stunde für die nächste Lektion eintreffen, und wenn er bis dahin fertig sein wollte, musste er jetzt konzentriert und zügig arbeiten. Vor allem weil er sehr pünktlich wieder Schluss machen wollte, um rechtzeitig bei Susan zu sein.

* * *

"Nein, ich glaub's nicht – T.J., kennst du den Typen da? Irgendwie erinnert mich der an jemand..." – "Hi Pete, gibt’s dich überhaupt noch??" – "Mann, ich wollte dich schon zur Fahndung ausschreiben..." – "Hey Partner, schön dass du da bist!" – "Bist du doch gekommen! Ich dachte ja, Kermit wollte sich einen schlechten Scherz mit uns erlauben..."

Als Peter das Delancey's betrat, wo sich anscheinend mindestens das halbe Revier versammelt hatte, wurde er von lauter strahlenden Gesichtern empfangen. Sofort fand er sich im Mittelpunkt einer ganzen Traube von Leuten wieder. Alle freuten sich sehr, ihn wiederzusehen. Mary-Margaret warf sich ohne großes Federlesen einfach in seine Arme und drückte ihn.
Sofort bekam er ein schlechtes Gewissen, dass er sich so lange nicht hatte blicken lassen. Nur weil er nicht eingestehen wollte, wie unsicher und einsam er sich fühlte, hatte er seine Freunde gemieden, hatte sich auf gelegentliche kurze Telefonate oder Treffen mit Kermit und mit Mary-Margaret beschränkt. Das war unfair gewesen, hätte er nicht wissen müssen, dass sie das betrübte?

Doch er bekam gar keine Gelegenheit, sich deswegen zu entschuldigen. Als er es dennoch versuchte, unterbrach ihn Chief Strenlich gleich: "Schon ok, Pete, wir können uns alle denken, dass du im Moment einfach viel zu viel um die Ohren hast."

"Umso schöner, dass du es doch einmal geschafft hast vorbeizukommen", fiel Jody ein, die übers ganze Gesicht strahlte.

"Oh yeah", fiel Kermit ein, der sich langsam von hinten an Peter herangearbeitet hatte und ihm nun mit der rechten Hand auf die Schulter klopfte, während er ihm heimlich mit der linken einen Umschlag in die Jackentasche schob.

"Hey Partner, alles klar?", fragte er Peter zur Begrüßung und nickte ihm bedeutungsvoll zu.

Dieser grinste nur von einem Ohr zum anderen und wiederholte: "Oh yeah!"


Kapitel 14

Es war einer der schönsten Abende seit langem für Peter. Gerührt stellte er fest, dass er zwar nicht mehr zum 101. Revier gehörte, aber immer noch ein Teil der engen Gemeinschaft war, die alle miteinander verband. An ihrer Freundschaft würde sich nichts ändern, auch wenn er jetzt keine Dienstmarke mehr hatte. Das hatte er vorher zwar auch schon gewusst; dennoch tat es ihm sehr gut, es wirklich erleben zu dürfen.

Nur Blakes gut gemeinte Frage, ob Jordy sich denn schon in ihrer neuen Umgebung eingelebt habe, versetzte Peter einen kleinen Stich. Seine Freundin war gerade eben erst für ein Jahr nach Washington gegangen, um dort einen seit längerem geplanten Lehrgang zu absolvieren.

"Oh, entschuldige, das war wohl die falsche Frage", murmelte Blake betroffen, als er Peters betretenes Gesicht sah.

"Schon ok, Shaky, mach dir keine Gedanken, das war nur mein schlechtes Gewissen, das sich gerade wieder gemeldet hat", beruhigte Peter ihn. "Weißt du, wir haben beschlossen, dass jetzt jeder erstmal sein eigenes Leben neu einrichten soll. Unsere Beziehung liegt sozusagen vorläufig auf Eis. Die meiste Zeit hält mich Lo Si mit seinen Lektionen ohnehin so sehr auf Trab, dass ich kaum dazukomme, an Jordy zu denken, geschweige denn mich bei ihr zu melden. Und wie ich sie kenne, geht’s ihr genauso."

Er grinste ein wenig. "Wahrscheinlich mischt sie mit ihrem Ehrgeiz und ihrer enormen Energie den ganzen Kurs auf, und die Ausbilder wissen gar nicht wie ihnen geschieht."

"Ja, sie braucht immer ziemlich viel Action um sich herum", stimmte Blake zu.

Mary-Margaret fiel ein: "Ohne euch beide ist es richtig ruhig und schrecklich langweilig im Revier."

"Der einzige, der momentan mit seinen Wutanfällen ein wenig Abwechslung hereinbringt, ist Kermit", ergänzte T.J und brachte sich dann gerade noch rechtzeitig vor dem Ex-Söldner in Sicherheit, der sich in diesem Augenblick mit einem frisch aufgefüllten Glas in der Hand zu dem kleinen Grüppchen gesellte.

"Holde Kollegin, lass uns doch mal kurz allein und komm in drei Minuten wieder, wir müssen ein kleines Männergespräch führen", verscheuchte er Mary-Margaret ziemlich direkt. Diese zuckte nur die Achseln und gab schlagfertig zurück: "Wie du meinst. Aber das kostet was. Ich lasse mir jetzt von Terry auf deine Rechnung Cocktails für Jody und mich mixen." Sie packte ihr leeres Glas und verschwand in Richtung Tresen.

Kermit zog eine Skizze aus der Tasche. "Pass auf. Hier ist der Treffpunkt. In dieser kleinen Seitenstraße wird Blakes Abhörwagen stehen; wir werden so gegen 8 Uhr aufbrechen, damit der Wagen rechtzeitig dort ist, bevor die Bande sich versammelt. Komm mit Lo Si einfach zum Revierparkplatz, ihr könnt bei uns mitfahren. Sobald wir die Adresse haben, geben wir sie per Funk an das Einsatzkommando weiter, das hier am 63. Revier wartet. Das ist nahe genug an der Georgestreet, dass die Kollegen gleichzeitig mit den bösen Jungs am Tatort eintreffen müssten. Die Einbrecher werden hops genommen, und die Sache ist vorbei."

Peter nickte. "In Ordnung. Ich werde meinem Schützling sagen, dass er gar nicht erst versuchen soll, am Tatort den Sachverhalt zu erklären, sondern sich der Einfachheit halber mit verhaften lassen soll; wir kommen dann, holen ihn raus und begleiten ihn nach Hause."

"Nein, Pete, das geht nicht. Du weisst, dass ihn seine Eltern abholen müssen."

"Doch, das geht. Schließlich wird er ja nur pro forma verhaftet, er gehört doch nicht zur Bande. Da kann er einfach gehen."

"So einfach ist das nicht...", gab Kermit zu bedenken, doch Peter fiel ihm ins Wort. "Kermit, es ist wichtig, dass sein Vater vorläufig nichts davon erfährt, der Junge will es ihm selbst beibringen sobald alles vorbei ist. Ich fürchte, es wird der Beziehung der beiden unheimlich schaden, wenn der Vater zu früh davon erfährt oder womöglich seinen Sohn vom Polizeirevier abholen muss wie einen gemeinen Kriminellen.

Auf der anderen Seite wird der Erfolg der Aktion dem Jungen den Rücken stärken, wenn er zu seiner Beichte antritt. Es wird auch dann schwer genug für ihn werden. Glaub's mir, ich habe den Vater kennengelernt, der hat Haare auf den Zähnen."

"Na ja..." Kermit zögerte noch, dann gab er sich einen Ruck. "Also gut. Du hast recht, er ist ja nicht wirklich ein Tatverdächtiger, sondern spielt gewissermaßen Hilfssheriff." Unauffällig ließ er die Skizze wieder in seiner Tasche verschwinden.

"Dann ist ja alles klar, oder?", fragte Blake und fügte besorgt hinzu: "Weiß Dein Schützling, wie er mit der Wanze umgehen muss? ich möchte sie gerne in einem Stück und funktionstüchtig zurück erhalten."

"Wir werden ihm das erklären, mach dir da nur keine Gedanken", versuchte Peter ihn zu beruhigen. *Wenn du wüsstest... Weil ich mich ja nicht selbst mit Tommy treffen kann, wird Lo Si das übernehmen, dem ich meinerseits vorher erkläre, wie das Ding funktioniert. Aber das wird schon klappen.*

Blake sah ihn misstrauisch an, sagte aber nichts dazu. Er war bekannt dafür, dass er seine technischen 'Spielereien' hütete wie seinen Augapfel und ziemlich sauer werden konnte, wenn jemand unvorsichtig damit umging oder gar ein Gerät kaputt machte; deshalb versuchte Peter, von diesem heiklen Thema abzulenken.

Er bekam Schützenhilfe in Gestalt von Mary-Margaret und Jody, die mit ihren Cocktails auf sie zukamen. "Hey, ist das ein 'Sex on the Beach'? Den kann ich inzwischen auch mixen", fragte Blake Jody gut gelaunt.

"Ja, weil du Nachhilfestunden bei einer gewissen jungen Kellnerin nimmst", neckte sie ihn. "Möchte nicht wissen, was sie dir sonst noch beibringt..."

Zwischen den beiden entspannt sich ein freundschaftliches Geplänkel, das Peter Gelegenheit gab, sich mit Mary-Margaret ein paar Schritte zu entfernen und in Ruhe mit ihr ein paar Worte zu wechseln. In den letzten Wochen war ihre Freundschaft intensiver geworden, denn sie litten beide sehr darunter, überhaupt keine Nachricht von Kwai Chang Caine zu haben, und gaben sich gegenseitig Halt.

"Sag mal, hast du deine Wohnung jetzt vermietet? Als ich dich heute Mittag auf dem Handy nicht erreicht habe, hab ich's auf der Festnetznummer probiert. Da ging eine nette junge Dame ran mit sehr angenehmer Stimme und sagte mir, dass du jetzt in der Apotheke wohnst", fragte Mary-Margaret.

"Ja, vielleicht. Das ist noch nicht raus", gab Peter zurück und fügte erklärend hinzu: "Die junge Dame heißt Susan Barnaby. Sie ist mir gestern buchstäblich vor die Füße gefallen, weil ihr Kreislauf schlapp gemacht hat. Ihre Wohnung ist ein zugiges Loch, in dem sie ernsthaft krank wird, deshalb habe ich sie vorläufig in meinem Apartment einquartiert."

Er seufzte. Auf Mary-Margarets fragenden Blick hin fügte er hinzu: "Eigentlich sollte das nur ein Provisorium sein, bis sie etwas Passendes findet oder in eine Sozialwohnung ziehen kann. Aber wir waren heute bei Linda Abernathy vom Stadtrat. Sie kennt sich auf diesem Gebiet sehr gut aus, und sie veranschlagt die Wartezeit auf eine Sozialwohnung auf etwa sechs bis sieben Monate. Und das auch nur, weil Susan schwanger ist; sonst wäre es mindestens ein ganzes Jahr."

"Dann wird sie vermutlich länger in deinem Apartment bleiben?"

"Ja. Vielleicht mag sie es auch auf Dauer mieten. Ich habe ihr jedenfalls das Angebot gemacht, und ich glaube sie ist nicht abgeneigt. Dann muss sie mir allerdings die Nebenkosten zahlen, sonst wächst mir das Ganze finanziell über den Kopf. Aber ich glaube, das bekommt sie hin, auch wenn ihr Gehalt nicht gerade üppig ist. Sie arbeitet als Garderobiere in einem kleinen Theater, und gut die Hälfte ihres Verdienstes verschlingt ihre Gesangsausbildung."

Nachdenklich fügte er hinzu: "Allerdings mache ich mir im Moment weniger Sorgen wegen der Kosten, sondern wegen Susans Ex-Freund. Der hat zufällig gesehen, wie sie sich von mir mit einem Küsschen verabschiedet hat, und seitdem glaubt er, wir hätten etwas miteinander. Er schäumt vor Wut, ich traue ihm zu, dass er ihr auflauert. Vor allem, weil er das bei mir schon erfolglos probiert hat. Er hat sich nur eine blutige Nase und eine Übernachtung auf dem 84. geholt."

Ein leichtes Grinsen überzog Mary-Margarets Gesicht. "Aha, so war das! Ich habe schon von seinem Auftritt gehört. Er muss ja ziemlich randaliert haben. – Schau nicht so überrascht, ich habe eine Freundin dort, die mit mir auf der Polizeischule war. Sie hat mir davon erzählt, allerdings ohne deinen Namen zu erwähnen. Der Typ scheint ja ein ziemlicher Choleriker zu sein und außerdem eine lockere Hand zu haben."

"Ja, den Eindruck hatte ich auch", gab Peter zurück. "Meinst du, die Kollegen vom Streifendienst könnten mein Apartment ein bisschen im Blick behalten? Nur für den Fall, dass der Typ versucht, Susan zu belästigen?"

* * *

Der nächste Tag zog sich wie Kaugummi für Tommy. Als ihn Mr. Caine frühmorgens in der Schule angerufen und ihm gesagt hatte, er dürfe, mit einer Miniwanze ausgestattet, zum Treffen von Phils Bande gehen, war er selig gewesen. Er durfte aktiv etwas dazu beitragen, seinen Fehler wieder gutzumachen! Seitdem wartete er ungeduldig darauf, dass der Unterricht endlich, endlich zu Ende ging und er nach Hause konnte, wo der Ehrwürdige Lo Si ihm die Wanze und weitere Anweisungen übergeben würde.

Immer noch 10 Minuten! War die Zeit stehengeblieben? Zum erstenmal in diesem Schuljahr verfluchte er seinen Entschluss, ausgerechnet am Freitag Nachmittag den Wahlkurs 'Französische Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts' belegt zu haben. Eigentlich interessierte ihn das sehr, aber heute konnte er sich beim besten Willen nicht für den seligen Abbé Prévost und seine Novelle über das Schicksal der leichtsinnigen Manon Lescaut und ihres treu-braven Chevalier Des Grieux begeistern.

"… mon cœur s'ouvrit à mille sentiments de plaisir, dont je n'avais jamais eu l'idée. Une douce chaleur se repandit dans toutes mes veins. J'étais dans une espèce de transport, qui m'ôta pour quelque temps la liberté de..."

Er konnte sich heute einfach nicht auf den Text konzentrieren, zumal Mandy ihn fürchterlich holpernd vorlas und damit selbst die Geduld eines Engels auf eine harte Probe stellte. Gott sei Dank musste er den Kitsch nur noch knappe 7 Minuten ertragen, dann konnte er nach Hause und seine Großmutter aufsuchen.

Als der Französischlehrer fragte, wer denn weiterlesen wolle, meldete Tommy sich in seiner Verzweiflung sofort, denn dann hatte er wenigstens keine Gelegenheit mehr, die Uhr über der Tafel anzustarren, sondern musste in sein Buch schauen. Vielleicht verging dann die Zeit auch ein wenig schneller?

Ding... Dong. Endlich läutete es! Blitzschnell raffte er seine Schulsachen zusammen und war schon aus der Tür, bevor seine Mitschüler überhaupt aufgestanden waren.

Er rannte den Gang entlang, aus dem Schulhaus und zu seinem Fahrrad. Knapp eine Viertelstunde später war er auch schon daheim und stürmte die Treppe zur Wohnung seiner Großmutter hoch, wo er sie mit einem Besucher gemütlich bei Tee und Keksen sitzen sah. Das musste der Ehrwürdige Lo Si sein.

Er begrüßte seine Großmutter und verbeugte sich höflich vor dem alten Shaolinpriester. Dieser blinzelte ihn durch seine Brillengläser hindurch an. "Ah, du bist Tommy, nicht wahr? Wie schön, dich kennenzulernen. Ich habe schon viel von dir gehört. Deine Großmutter hat mir gerade erzählt, dass du momentan in der Schule die Sekretärin vertrittst. Sie ist sehr stolz auf dich."

"Komm, Junge, setz dich ein wenig zu uns. Erzähl, was hast du heute erlebt?", forderte ihn seine Großmutter zum Bleiben auf.

Nur zu gerne leistete er dieser Einladung Folge. Die drei plauderten eine Weile von den verschiedensten Dingen, bis der Ehrwürdige sich verabschiedete und fragte: "Möchtest du mich noch ein Stück begleiten?"

Tommy, der die ganze Zeit wie auf Kohlen gesessen hatte, war nur allzu bereit dazu. So machten die beiden sich zusammen auf den Weg nach draußen. Als sie das Haus verlassen hatten, steuerte Lo Si auf den alten Kastanienbaum im Hof zu und setzte sich davor auf die Bank. Er erklärte Tommy die Funktionsweise der Wanze und übergab sie ihm zu treuen Händen. Erleichtert steckte Tommy den Umschlag mit dem kleinen Gerät in seine Tasche. Als er sich wieder zu Lo Si umwandte, um ihm zu danken und einen Gruß an Peter Caine mitzugeben, war der Alte verschwunden.

*Seltsam...Wo ist er hin, wie hat er das gemacht?*

Kopfschüttelnd ging Tommy zurück ins Haus und versteckte die Wanze in seinem Zimmer. Nun musste er sich nur noch am Abend aus dem Haus schleichen, ohne dass sein Vater etwas mitbekam!

 

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