"Peter! Hilfe!" Der junge Shaolin schreckte aus seiner Meditation hoch und schaute sich um. "Hat hier jemand um Hilfe gerufen, oder habe ich es mir eingebildet?", fragte er in den Raum hinein. Natürlich bekam er keine Antwort, denn er stellte schnell fest, dass er sich ganz alleine im Meditationszimmer befand, sah man von einigen brennenden Kerzen ab, die bizarre Muster auf die Wände zauberten. Angestrengt lauschte er in das Halbdunkel, konnte aber außer den normalen Geräuschen von Chinatowns Straßen nichts weiteres vernehmen. Dennoch breitete sich von einer Sekunde zur anderen ein ganz eigentümliches Gefühl in seiner Magengegend aus. Gleichzeitig war ihm, als würde eine eiskalte Hand über seinen Rücken streichen. Er erschauerte, seine Sinne standen in Alarmbereitschaft. Irgendetwas stimmte nicht, dessen war er sich mittlerweile sicher. Er beschloss, sich noch einmal in die Meditation zu begeben. Dort hatte er die Stimme zum ersten Mal gehört. Einige Male atmete er hochkonzentriert ein und aus, dabei die Kerzenflamme vor sich beobachtend. Er fand seine Mitte und leitete sein Chi in seinem Körper so, dass er spürte, wie er immer mehr in diese andere Welt gezogen wurde. Die Kerze verschwand vor seinen Augen, der Raum löste sich auf. Nun befand er sich im Geiste wieder bei seinem Lieblingsplatz nahe des Sees. Regungslos stand er am Ufer und starrte über die beinahe spiegelglatte Fläche des Wassers, seine Sinne ganz auf die Umgebung gerichtet. Er hörte ein leises Rauschen, das von sehr weit her zu kommen schien. Je mehr er sich darauf konzentrierte, desto deutlicher wurde es. Es dauerte nur kurze Zeit, dann verstand er die Worte. "Peter! Hilfe!" Eisiger Schreck durchzuckte Peter. Nicht nur die Worte, auch die Stimme erkannte er. Sie gehörte eindeutig Cara! Der Schock riss ihn beinahe aus der Meditation. Es gelang ihm nur mit äußerster Anstrengung, seine Sinne weiterhin auf die Entdeckung zu richten. Er öffnete sich voll für seine Schwester des Herzens. Eine Welle von Furcht, Panik und Pein schwappte über ihn hinweg und ließ ihn keuchen. Sie brauchte Hilfe! Eindeutig! In Gedanken formte er einen Energieball, den er in die Luft warf. Er sollte ihm die Richtung weisen, wo sie sich aufhielt. Zu seiner Enttäuschung schwebte die Kreation ganz ruhig an einer Stelle und machte sich nicht auf die Suche, wie er es gehofft hatte. Erneut tief ein und ausatmend, versuchte der Shaolin sie durch die ganz spezielle Verbindung zu finden, die ihn und Cara verband. Vor seinem geistigen Augen materialisierte sich langsam ein bläulich schimmerndes Band, das sich schnell in der Länge ausdehnte und wabernd mitten in der Luft zu hängen schien. Erleichterung durchflutete den jungen Ex-Cop. Mit großen Schritten folgte er der Linie, aber kam nur wenige Meter weit, dann tat sich vor seinen Augen eine hohe, unüberwindliche Wand auf. Sie war so hoch und breit und zudem noch spiegelglatt, dass er weder um sie herum laufen, noch über sie klettern konnte. Mit dem Mut der Hoffnung unternahm Peter mehrere Versuche, das Hindernis zu sprengen; leider erfolglos. Letztendlich wurde ihm bewusst, dass es Caras Angst war, die ihn daran hinderte, ihr eine Nachricht zukommen zu lassen und auch, zu entdecken, wo sie sich befand. Er musste eine Rettung auf die herkömmliche Methode versuchen. Der ehemalige Cop stieß einen kehligen Laut aus und tauchte aus der Meditation auf. Mit einer geschmeidigen Bewegung sprang er auf die Beine. Ein kurze Bewegung mit dem Arm und die Kerzen im Raum gingen aus. Dann eilte er aus dem Zimmer in Richtung Caines Wohnquartier. Sein Vater kam ihm schon auf der Treppe entgegen. "Paps, wie gut, dass du hier bist. Cara steckt in Schwierigkeiten", sprudelte der junge Mann hervor. "Ich weiß, mein Sohn", erwiderte Caine und umfasste Peters Schultern in einer beruhigenden Geste. "Du weißt? Heißt das, du weißt, wo sich Cara befindet?", erkundigte er sich hoffnungsvoll. "Nein, leider nicht. Ich empfing nur deine Gedanken und machte mich sofort auf den Weg." "Shit. Ich hatte so gehofft…" Peter vollendete den Satz nicht. Statt dessen fuhr er sich mit zittrigen Fingern durch die Haare. "Was machen wir jetzt nur? Wie soll ich Cara finden, wenn ich nicht den kleinsten Anhaltspunkt habe, wo ich sie suchen muss?" "Du könntest bei deinen Freunden vom Revier anrufen?", schlug Caine vor. Peters Gesicht erhellte sich. "Gute Idee." Er zog sein Handy aus der Hosentasche und wählte die altbekannte Nummer. "101. Revier, Broderick am Apparat.", ertönte es kurz darauf in der Leitung. "Hi John, Peter hier. Kannst du mir sagen, ob Cara heute bei euch war?" "Ja, das war sie." "Weißt du, wohin sie wollte?" "Tut mir leid, ich habe nicht mit ihr gesprochen. Warum fragst du?" Der Shaolin erklärte kurz die Sachlage. "…ich müsste also dringend wissen, wohin sie wollte", beendete er die Erklärung. Einen Augenblick herrschte Stille in der Leitung, dann ertönte Brodericks Stimme erneut. "Du kannst es bei Blake versuchen. Soweit ich mich erinnere, hat sie sich mit ihm unterhalten. Er müsste schon Zuhause sein." "Danke, das werde ich tun. Uh, John, könntest du vielleicht für Verstärkung sorgen?" "Peter, es tut mir leid, aber mir sind die Hände gebunden.", erwiderte Broderick bedauernd. "Ja, ich weiß. Personen müssen mindestens 24 Stunden verschwunden sein, bevor man sie als vermisst melden kann und nur Aufgrund einer vagen Vermutung, kannst du keine Suchmannschaft auf die Beine stellen. Einen Versuch war es wert. Trotzdem danke. Ich melde mich wieder", rezitierte Peter und legte auf. Eilig wählte er Blakes Nummer und wippte ungeduldig auf den Fußballen auf und ab, während es klingelte. Nach dem fünften Läuten wurde endlich abgenommen. "Blake." "Peter hier. Blake, ich müsste von dir wissen, wohin Cara heute noch wollte", kam er sofort zur Sache. "Sie hatte vor, zusammen mit Kermit ein Picknick im Parker Wald zu machen. Sie erzählte mir von einer kleinen Lichtung, die sie durch Zufall gefunden hat. Dorthin wollte sie Griffin jedenfalls entführen. Stimmt etwas nicht?" "Ich bin mir noch nicht sicher. Danke Blake, du hast mir sehr geholfen." Noch bevor der Detective etwas erwidern konnte, legte Peter auf. "Cara und Kermit befinden sich irgendwo im Wald auf einer Lichtung", erklärte er schnell seinem Vater und machte sich eiligst auf den Weg zu seinem Stealth. Als Peter sich in die weichen Ledersitze gleiten ließ, saß sein Vater schon wie von Geisterhand neben ihm. Hastig startete der junge Mann den starken Motor und manövrierte das Fahrzeug aus der engen Parklücke. Nicht zum ersten Mal wünschte er sich, noch ein Cop zu sein, dann müsste er jetzt nur die Sirene aufs Autodach klemmen und könnte durch die Stadt brausen. So musste er sich an die Verkehrsregeln und vor allen Dingen an den zähflüssigen Verkehr halten. Es kam Peter wie eine Ewigkeit vor, bis sie endlich den Stadtrand erreichten und schneller fahren konnten. Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto mehr verstärkte sich Peters ungutes Gefühl. Die Stille im Fahrzeug hielt er nicht lange aus. "Dad, kommen wir noch rechtzeitig?", erkundigte er sich. "Ich weiß es nicht, mein Sohn", antwortete Caine ehrlich. "Überhaupt, wie sollen wir sie dort finden? Du kennst nicht zufällig diese Lichtung?" "Nein, ich kenne sie nicht. Vielleicht gelingt es uns dort, eine Verbindung zu Cara oder Kermit aufzubauen. Die Nähe ist unser Vorteil." "Sofern sie dort überhaupt sind", unkte Peter. In Gedanken setzte er hinzu: *Lass uns die beiden bitte noch rechtzeitig finden.* ********** Kermit ignorierte den scharfen Schmerz in seinem Bein, der langsam einem dumpfen, aber nicht weniger peinigendem Pochen wich. Besorgt betrachtete er Cara im fahlen Licht des Mondes, der sich in der Zwischenzeit die Herrschaft am Himmel erobert hatte. Ihr Vorhaben schien nicht leicht zu sein. Ihre Hautfarbe glich der einer vollreifen Tomate. Sie wirkte, als würde sie hohes Fieber haben und ihr Atem ging seltsam abgehackt. Sie murmelte etwas, das sich wie "ich kann nicht mehr" anhörte, dann sackte sie plötzlich in der Fesselung zusammen. Nur jahrelanges Training half dem Ex-Söldner in dieser Situation einen klaren, wenn auch brummenden, Kopf zu behalten. Die Aufregung unterdrückend, versuchte er ihren Zustand so gut er konnte zu analysieren. Aus nächster Nähe betrachtete er ihr Gesicht, denn ihr Kopf lag nun auf seiner Schulter. Schnell stellte er erleichtert fest, dass die ungesunde Röte auf ihren Wangen langsam aber stetig nachließ. Auch ihr Atemrhythmus erholte sich zusehends. Vorsichtig, damit er nicht ihren empfindlichen Nacken verletzte, hob er seine Schulter etwas an und senkte sie etwas schneller. Das sollte ein leichtes Klopfen auf die Wangen simulieren, damit sie schneller zu sich kam. Gleichzeitig sprach er sie an: "Cara, hey, Prinzessin, öffne deine wunderschönen Augen." Mehrere Minuten lang wiederholte er die Prozedur. Mehr konnte er nicht machen. Er spürte nur, dass mit jedem erfolglosen Versuch ein Teil seiner 'Coolheit' von ihm abplatzte und die Sorge um seine Frau immer mehr die Oberhand gewann. Schon ziemlich verzweifelt, suchte er ihr Gesicht immer wieder nach jedem noch so kleinen Zeichen ab, dass sie wieder zu sich kommen würde. Endlich kam die Erlösung. Ein leises Stöhnen kündigte Caras Rückkehr in die Welt an. Ein paar Sekunden später flatterten ihre Lider und sie öffnete die Augen. Verwirrt starrte sie ihren Mann an. "Was ist passiert?" "Du bist ohnmächtig geworden beim Versuch, Peter zu Hilfe zu holen.", erklärte Kermit sanft. Er konnte deutlich sehen, wann die Erinnerung zurückkehrte. Caras Kehle entrang sich ein kurzer Schluchzer und sie zuckte zusammen, als hätte sie einen elektrischen Schlag erhalten. Dann hob sie ihren Kopf von Kermits Schulter und lehnte sich statt dessen gegen die raue Rinde des Baumes. "Ich erinnere mich wieder", versetzte sie traurig. Kermit wagte kaum, die Frage zu stellen. "Hattest du Erfolg?" Eine kleine Träne rann Cara über die Wange. "Ich weiß es nicht, Kermit. Ich habe in Gedanken so laut geschrieen wie ich konnte. Irgendwann ging mir dann im übertragenen Sinne die Luft aus. Ich hätte nicht gedacht, dass das so anstrengend sein würde." "Aber das ist doch positiv. Hast du mir nicht vor kurzem nach einer Meditationsstunde bei Caine erklärt, dass er meinte je schlapper du dich nach einer Lektion fühlst, desto tiefer du eingetaucht bist ins Meditieren?", versuchte Kermit Cara Mut zu machen. Sie ließ ein hoffnungsloses Lachen hören. "Ja, das habe ich. Nur konnte ich da immer spüren, dass Caine oder Peter bei mir waren." Ihre Stimme verlor sich in unterdrückten Tränen. Sie musste sich räuspern, bevor sie weiter sprechen konnte. "Aber dieses Mal, da war nichts. Niente, Basta, Nothing, Zero, Zilch. Ich habe nichts gespürt, absolut nichts. Das kann doch kein gutes Zeichen sein. Ich meine…hätte Peter mir nicht geantwortet, wenn er mich gehört hätte?" "Vielleicht warst du zu sehr auf deine Aufgabe konzentriert und hast eine Antwort deswegen nicht wahr genommen.", schlug der Cop vor. "Aber Peter…er hat doch gesagt, ich würde ihn immer spüren", brach es verzweifelt aus Cara hervor. Kermit verfluchtet die Tatsache, seine Frau nicht in die Arme zu nehmen und trösten zu können. Sie so leiden zu sehen konnte er kaum ertragen. Dagegen waren die Schmerzen in seinem Bein ein reiner Sommerspaziergang. Es fiel ihm mehr als schwer, seiner Stimme einen ruhigen Klang zu geben. "Damit meinte Peter aber eine normale Situation. Ich bin sicher, es liegt an deiner Aufregung, dass du nichts spürst. Schaffst du es, dich zu beruhigen, wirst du etwas von Peter oder Caine empfangen können. Du wirst sehen!" "Und wie soll ich mich in dieser Situation beruhigen können?", schnauzte Cara Kermit an. "Das ist mir einfach nicht möglich!" "Ich habe nicht gesagt, dass du es sollst. Ich sagte nur, in ruhigem Zustand hättest du Kontakt. Nicht mehr und nicht weniger", erwiderte Kermit beschwichtigend. Cara öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloss ihn aber sogleich. Erst eine ganze Weile später meinte sie: "Verflixt, tut mir leid, Kermit. Ich wollte dich nicht so anfahren." Der Cop lachte leise. "Dann sind wir jetzt wohl quitt. Ich habe es vorhin gemacht, du tatest es jetzt. Es scheint, wir entschuldigen uns heute ziemlich oft." Die flapsige Bemerkung tat der aufgeheizten Situation gut. Cara verlor etwas ihrer Anspannung und lächelte sogar leicht. "Wenn wir wieder Zuhause sind, dann werde ich mich auf ganz andere Art und Weise bei dir entschuldigen", meinte sie anzüglich. Kermit grinste breit und ignorierte das heftige Ziehen der Wunde an seiner Lippe. "Da freue ich mich schon drauf." Als hätte man einen Schalter umgelegt, wechselte Caras Stimmung. All die Unsicherheit und Hilflosigkeit kehrte zurück. "Kermit, bist du wirklich sicher, dass ich Peter und Caine spüren könnte?", fragte sie mit der Stimme eines kleinen Kindes. "Natürlich bin ich das", antwortete Kermit fest. Ein Hoffnungsschimmer keimte in Caras tränenverhangenen Augen auf. "Meinst du wirklich?" "Ja, das meine ich", gab Kermit im Brustton der Überzeugung zurück, obwohl er selbst nicht daran glaubte. Aber wenn Cara die Worte noch hundert Mal hören wollte, dann würde er es hundert Mal wiederholen. Als Lohn erhielt er einen kleinen Kuss. "Danke", hauchte sie. "Du hast mir wieder Zuversicht gegeben." "Gern geschehen, Prinzessin.", erwiderte er zärtlich und küsste sie seinerseits. Nach ein paar Sekunden ließ er von ihr ab und fuhr fort: "Nun sollten wir weiter machen mit unseren Befreiungsversuchen. Sicher ist sicher." Cara nickte zustimmend. Geschäftig wandte sie sich ihren Befreiungsversuchen zu. Kermit hingegen verdoppelte seine Bemühungen, die Fesselung zu lösen. Er konnte nicht sagen warum, aber er hatte das schlechte Gefühl, dass bald etwas unangenehmes passieren würde. Sein scharfes Gehör vernahm deutlich die Geräusche im Wald und es gab da ein Trappeln, das ihm ganz und gar nicht gefiel. Seine blutdurchtränkte Hose konnten die Tiere sicher über Meilen riechen. Aufgrund früherer Einsätze in diesem Wald, wusste er, dass hier unter anderem ein großes Rudel Wölfe hauste. Um einen Bären machte er sich weniger Sorgen. Die konnte man mit lautem Rufen vertreiben, denn die großen, kräftigen Pelzträger waren im Grunde ihres Herzens Feiglinge, solange sie keine Jungen hatten. Wölfe hingegen nicht. Die würden sich die leichte Beute nicht entgehen lassen und sich im Rudel auf sie stürzen. Als hätten die grauen Jäger seine Gedanken vernommen, zerriss ein Heulen die Stille der Nacht. Cara zuckte spürbar zusammen und sah sich mit weit aufgerissenen Augen um. "Oh Gott, hat das nicht wesentlich näher geklungen, als das letzte Mal?", erkundigte sie sich mit dünner Stimme. Kermit rieb seine Wange beruhigend an der ihren. "Nein, da täuschst du dich. Wie du weißt, klingen Schallwellen viel lauter, wenn es leiser ist. Die Wölfe sind noch Meilenweit weg, keine Sorge, Prinzessin.", log er aalglatt. Ein argwöhnischer Blick streifte ihn. "Vorhin, als das erste Heulen erklang, war es aber auch schon sehr ruhig. Und das hier hörte sich eindeutig lauter an." "Du täuschst dich", erwiderte Kermit leichthin. "Ich bin der Erfahrenere hier von uns und ich sage dir, das Heulen hier war nicht lauter. Sie kommen nicht näher." Cara ließ sich schließlich überzeugen und fuhr mit dem Dehnen und Strecken der Deckenstreifen fort. Kermit machte ebenfalls weiter, aber seine Gedanken kreisten unablässig um dieses eine Thema. Selbstverständlich hatte seine Frau recht gehabt. Dieses Heulen hatte um einiges näher geklungen, viel zu Nahe für seinen Geschmack. Nachdenklich betrachtete er seine geliebte Frau, sollte er ihr doch die Wahrheit mitteilen? Eine ganze Weile rang er mit sich selbst, dann kam er zu dem Entschluss, es vorerst zu lassen. Sie stand schon genug Angst und Sorgen aus, da musste er ihr nicht noch mehr aufbürden. Sie konnten eh rein gar nichts dagegen tun, insofern machte es keinen Unterschied, ob sie es nun wusste oder nicht. Mit Bestürzung bemerkte Kermit, wie es plötzlich an seinem Schenkel merkwürdig warm wurde. Er unterdrückte einen Fluch. Als Cara ohnmächtig geworden war, musste er das Bein wohl zu sehr belastet haben und nun blutete die Wunde wieder. Nicht gerade gute Aussichten, hier noch Stunden durchhalten zu können. Schon jetzt merkte er, wie sich immer wieder mal ein Schleier über seine Augen legte. Es dauerte immer nur kurz, vielleicht zwei Sekunden, aber die Abstände wann es passierte, wurden immer kürzer. Er konnte nur hoffen und beten, dass er noch lange genug durchhielt und sich irrte, was die Wölfe anbelangte. ************ Peter trommelte ungeduldig mit den Fingerspitzen auf dem Lenkrad herum, während er seinen Stealth über den schmalen Pfad manövrierte, der zum Waldparkplatz führte. Für seinen Geschmack kamen sie viel zu langsam voran, zumal sich seine düstere Vorahnung immer mehr verdichtete. Beinahe im Minutentakt versuchte er, etwas von Cara zu empfangen, sei es nur ein kleines Aufblitzen ihres Chis - der Lebenskraft - oder ein kurzer Gedanke, aber es herrschte absolute Funkstille. Normalerweise konnte er am Rande seiner Wahrnehmung meistens zumindest eine leise Schwingung wahrnehmen, ähnlich dem sanften Flügelschlag eines Schmetterlings, das ihm sagte ihr ging es gut. Dass dem nicht so war, ängstigte ihn mehr, als er sich selbst gegenüber zugeben wollte. Es konnte kein gutes Zeichen sein. Endlich erreichte er den angestrebten Parkplatz. Das Scheinwerferlicht erfasste einen kleinen Wagen – Caras Gefährt. Ohne sich dessen bewusst zu sein, stieß er einen kleinen Laut aus, was Caine veranlasste, ihm die Hand auf den Arm zu legen. Peter achtete nicht auf ihn. Direkt neben dem anderen Auto brachte er den Stealth mit eingeschaltetem Licht zum Stehen und stieg eilig aus. Er ging mehrmals um den Kleinwagen herum, als könne dieser ihm sagen, was passiert wäre. Anschließend sah er sich mit dem geschulten Auge eines Cops in der Gegend um. Er konnte keinerlei Spuren eines Einbruchs am Auto oder eines Kampfes erkennen. Hier musste also alles noch in Ordnung gewesen sein. Was im Umkehrschluss bedeutete, die beiden Griffins mussten in den Wald gegangen sein. Das Heulen eines Wolfes, viel zu nah für seinen Geschmack, veranlasste den jungen Shaolin, sich wirr durch die Haare zu streichen. Einer Eingebung folgend, legte er die Hand auf das Wagendach und schloss die Augen. Er versuchte seine Mitte zu finden, aber seine eigenen, überschäumenden Emotionen standen ihm im Weg. Nach wie vor bekam er keinen Kontakt. Enttäuscht öffnete er die Augen und bemerkte, dass sein Vater auf der gegenüberliegenden Seite dasselbe tat wie er. Peter wartete angespannt darauf, dass sein Dad ebenfalls wieder von seiner Kurzmeditation auftauchte. Kaum tat er das, platzte es schon aus ihm heraus: "Hast du was empfangen können?" Caine zuckte in unnachahmlicher Manier die Schulter. "Sie sind hier, im Wald." "Wo?", hakte Peter sofort nach. "Das…weiß ich nicht. Ich bekam nur sehr kurz Kontakt, dann wurde er geblockt." "Geblockt? Was meinst du mit geblockt?" Beschämt, dass es ihm nicht gelungen war, Verbindung mit den Griffins aufzunehmen und gleichzeitig aufs Höchste erregt, begann Peter hin und her zu laufen. "Meinst du, die Sing Wah haben sie gefangen? Herrgott, Paps, lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!" Caine warf seinem Sohn einen tadelnden Blick zu, der Peter mitten in der Bewegung erstarren ließ. Er murmelte eine Entschuldigung und bat den Shambhala Meister stumm darum, ihm eine Antwort zu geben. Nach einer Ewigkeit, wie es Peter schien, aber in Wahrheit gerade mal zwei Sekunden dauerte, antwortete Caine: "Nein, ich kann keine dunklen Mächte spüren. Es sind Cara und Kermit selbst. Durch die Situation, in der sie sich befinden, haben beide unwissentlich eine Mauer um ihre Gedanken errichtet. Wie auch dich, behindern sie ihre Gefühle." Peter fühlte sich ertappt und kratzte sich unangenehm berührt an der Nase. Er atmete ein paar Mal tief ein und aus, aber das half ihm auch nicht, ruhiger zu werden. Schließlich gab er seine Bemühungen auf und sah seinen Vater auf eine Lösung hoffend an. "Paps, was machen wir nun? Wie sollen wir sie bloß finden?" "Wir folgen der Spur", erwiderte Caine einfach. "Welche Spur? Ich sehe nichts", antwortete Peter irritiert. "Mein Sohn, erinnere dich an die Lektion damals im Tempel. Ich brachte dir bei, mit mehr als nur deinen Augen zu sehen. Nimm die Umgebung in dich auf und dann erkenne, was sich verändert hat." Der junge Shaolin stieß erleichtert die Luft aus. An diese Lektion erinnerte er sich noch sehr gut. Ja, sie würden der Spur folgen, dazu brauchten sie nur noch Licht. Er stürzte zu seinem Auto, stellte das Licht aus und kramte dann aus dem Handschuhfach zwei kleine Taschenlampen hervor. Als er die eine anmachte tat sich gar nichts, die zweite glomm kurz sehr schwach auf, dann gab auch sie ihren Geist auf. "Verdammt!", rief er aus und pfefferte die beiden unnützen Objekte auf den Sitz. "Ich Idiot hätte dran denken sollen, Lampen mitzunehmen. Jetzt stehen wir hier in der Dunkelheit und haben keine Chance, der Spur zu folgen." Mit aller Kraft warf der die Wagentüre zu, so dass die Fenster vibrierten. Eine starke Hand legte sich auf seine Schulter und er wurde herum gewirbelt. In Caines Stimme klang eine Spur Ungeduld mit, als er sagte: "Peter, dein Ärger bringt dich nicht zum Ziel. Nimm ihn an und lass ihn gehen." *Was? Bist du wahnsinnig? Mir in dieser Situation noch eine Lektion erteilen zu wollen!*, schoss es aufmüpfig durch Peters Gedanken. Noch einmal wallte sein Zorn auf, aber dann erkannte er, dass sein Vater Recht hatte. Wiederum schloss er kurz die Augen und tat genau das, was Caine verlangte. Diesmal gelang es ihm sogar. Wesentlich ruhiger blickte er den Shaolin an. "Das ändert aber leider nichts an der Tatsache, dass wir kein Licht haben. Wie willst du das ändern?" "Erinnere dich an die Vernissage", erwiderte Caine. Es fiel Peter wie Schuppen von den Augen. Die Ausstellung des Galeristen Greco vor zwei Jahren. Damals hatte es einen Stromausfall gegeben und eine Bande von Gangstern hatte die Vernissage überfallen. Er und sein Vater hatten damals auch kein Licht gehabt, als sie versuchten, die Verbrecher aufzuhalten, die damals Blake schwer verletzt hatten. Caine hatte ihm gezeigt, wie er seine Pupillen kontrollieren konnte, damit er auch in tiefster Dunkelheit etwas sehen konnte. Dieselbe Technik würde ihnen heute auch den Weg weisen. Ein Grinsen glitt über das Gesicht des jungen Mannes. "Gib mir nur ein paar Sekunden, dann bin ich auch so weit", verkündete er freudig. Wie schon so oft an diesem Tag, ließ sich Peter in eine leichte Meditation gleiten. Mit tiefen, regelmäßigen Atemzügen brachte er sich in den richtigen Gemütszustand. Er konzentrierte sich darauf, sein Chi in seinem Körper so zu leiten, dass er seine Pupillen kontrollieren konnte. Er brauchte zwei Versuche, dann wurde es langsam heller um ihn. Zuerst erkannte er nur ein leichtes Dämmern. Dieses steigerte sich stetig, bis es ihm beinahe genauso hell wie am Tag vorkam. Zu seinem Erstaunen bemerkte er, dass er nur schwarz/weiß sah, aber dafür kamen ihm die Kontraste um einiges schärfer vor. Dies konnte für die Suche nur von Vorteil sein. "Ich bin so weit, Paps", meinte er schließlich. Caine nickte anerkennend. "Sehr gut, mein Sohn. Nun lass uns nach dem richtigen Weg suchen. Was ist hier verändert?" Die beiden Shaolin stellten sich inmitten des Parkplatzes auf und ließen Stück für Stück den Blick über die Umgebung schweifen. Es gab drei Wanderwege, die von diesem Platz weg führten. Einen davon mussten Kermit und Cara genommen haben. Es dauerte eine Weile, dann entdeckte Peter einen abgebrochenen Zweig, der ihm noch relativ frisch vorkam. Ein Gefühl sagte ihm, dass er sich auf der richtigen Spur befand. Er deutete darauf. "Paps, sie sind hier entlang gegangen." Caine neigte den Kopf zur Seite. "Du hast Recht. Lass uns gehen." Eiligen Schrittes machten sich die Shaolin auf den Weg, wobei sie sehr auf jedes Detail in der Umgebung achteten. Da Blake von einer Lichtung gesprochen hatte, konnte es nur bedeuten, dass die Griffins irgendwann von dem normalen Weg abgegangen waren. Es galt, diese Abzweigung nicht zu verpassen, denn sonst würde ihre Suche im Sande verlaufen. Schon während den ersten hundert Metern nahm Peters Unruhe um einiges zu. Er meinte ein leises Knurren zu hören, konnte aber nicht abschätzen woher es gekommen, noch wie weit es weg gewesen war. "Hast du das auch gehört?", wandte er sich an seinen Vater. Caine nickte besorgt. "Wir müssen uns beeilen, sie sind in höchster Gefahr."
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