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Caine in Not Peter wanderte gedankenverloren durch die Straßen. Es war an der Zeit, dass er endlich in die Wohnung seines Vaters einzog, um endgültig dessen Platz in Chinatown einzunehmen. Er war jetzt der Shaolin-Priester in der Stadt, das musste er sich immer wieder ins Gedächtnis rufen. Peter betrachtete die Tätowierungen auf seinen Unterarmen und seufzte. Es fiel ihm schwer, seine eigene Wohnung und sein altes Leben völlig aufzugeben. Als er aufsah, bemerkte Peter, dass er vor der Eingangstür des 101.
Reviers stand. Er musste den vertrauten Weg in Gedanken ganz automatisch
gegangen sein; so oft war er ihn in den vergangenen Jahren gegangen oder
gefahren, dass er nicht mehr darüber nachzudenken brauchte. Peter betrat das Gebäude und schritt durch die Räume, die jahrelang sein zweites Zuhause gewesen waren. Seine ehemaligen Kollegen freuten sich, ihn zu sehen, klopften ihm auf die Schulter oder schüttelten ihm die Hand und sprachen aufmunternde Worte: "Schön, dich zu sehen!" "Wie geht`s dir so?" "Hast du etwas von deinem Vater gehört?" erkundigte sich Blake. "Nein, ich habe nichts von ihm gehört," antwortete Peter, "Ist Kermit da?" "Sicher, er ist in seinem Büro und foltert wie üblich seine Tastatur!" spottete Blake. Peter grinste ihn an: "Der gute alte Kermit wie er leibt und lebt! Na, dann will ich ihm mal Hallo sagen." Peter klopfte an Kermits Bürotür. "Darf man die Höhle des Löwen betreten?" "Verdammt, ich hab doch gesagt, ich will nicht gestört werden!" blaffte Kermit, ohne sein wildes Tastengehämmer zu unterbrechen. Peter hob beschwichtigend die Hände. "Hier ist also immer noch keiner auf die glorreiche Idee gekommen, dir mal einen Maulkorb zu verpassen." stellte er trocken fest. Endlich sah Kermit auf. So durfte nur ein einziger Mensch mit ihm reden,
ohne sich dabei in unmittelbare Lebensgefahr zu begeben. Kermit stand auf und trat auf seinen Freund zu. Die beiden Männer packten sich an den Unterarmen; zu mehr Nähe war Kermit noch nicht einmal bei seinem besten Freund bereit. Peter zeigte Kermit den merkwürdigen Stein, den er in seines Vaters Wohnung gefunden hatte und bat ihn, ob er wohl im Internet etwas darüber in Erfahrung bringen könne. "Na, mal sehen ," brummte dieser geschäftig und traktierte von neuem seine Tastatur. Nach einer halben Stunde gab er entnervt auf. "Nichts, niente, nada. Aber auch wirklich rein gar nichts. Was ist das für ein Ding, von dem ich hier noch nicht einmal den Namen finden kann? Als würde er nicht existieren ," sagte Kermit fassungslos. Beide starrten auf den grünen Conianctus, der vor ihnen auf dem Tisch lag. "Weißt du, wenn ich ihn in die Hand nehme, dann spüre ich die Energie meines Vaters. Vorhin glaubte ich sogar, sein Gesicht zu sehen. Seine Augen haben mich aus dem Stein heraus angesehen. Es geht ihm gut, da bin ich sicher," sinnierte Peter "Na, das hört sich doch an wie ein steinzeitliches Bildtelefon!" kommentierte Kermit. "Ach, was soll`s." Peter steckte den Stein wieder ein und die Freunde plauderten noch eine Weile über dies und das, ehe Peter sich verabschiedete. *** Caine saß im Lotussitz auf dem Boden des kahlen Raumes. Er meditierte und versuchte, Verbindung mit dem Chi seiner Frau Laura aufzunehmen. Er war sich so sicher gewesen, sie hier lebend zu finden, doch bis jetzt war seine Suche vergeblich gewesen. Er öffnete sein Chi so weit wie möglich, um jedes noch so schwache Signal wahrnehmen zu können. Seine Konzentration richtete sich völlig nach innen, und mit einem Mal glaubte er ganz weit weg und ganz schwach seine Frau zu spüren. Sein Atem wurde ebenso wie sein Herzschlag schneller und er wandte alle Kraft und Konzentration auf den Hauch von Energie, den er wahrzunehmen glaubte. So tief sank er in seine Meditation, dass er nicht bemerkte, wie jemand in die Wohnung eindrang. Eine dunkle Gestalt glitt ins Zimmer und betrachtete den versunkenen Priester einen Moment. Dann ließ sie sich in der gleichen Weise neben ihm nieder und versank ebenfalls in Regungslosigkeit. Caine spürte auf einmal, wie etwas versuchte, in sein eigenes Chi einzudringen. Er kämpfte dagegen an, doch sein Chi war so weit geöffnet, dass er es nicht mehr rechtzeitig verschließen konnte. Eisige Kälte und tiefe Schwärze drangen in ihn ein und verursachten ihm große Schmerzen. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse der Qual. Mit einer letzten Anstrengung versuchte er, sich zu wehren, doch es war zu spät. Sein Körper bäumte sich noch einmal auf, dann fiel er bewusstlos zu Boden. Die schwarz gekleidete Gestalt erhob sich lautlos und glitt aus dem Zimmer. *** Peter beschloss zwei Tage später, nun doch endlich in die Wohnung seines Vaters einzuziehen. Er begann, seine Sachen in Kisten zu verstauen und nutzte die Gelegenheit, einmal gründlich auszumisten. Nach weiteren zwei Tagen war alles verpackt und er telefonierte sich durch sein Adressbüchlein, um einige Freunde für den Transport anzuheuern. "Nein, tut mir leid. ich kann wirklich nicht," sagte Kermit bedauernd. "Captain Simms hat mich so mit Arbeit eingedeckt, dass ich bis Weihnachten weder zum Essen noch zum Schlafen komme," fügte er sarkastisch hinzu, "Geschweige denn dazu, den Gepäckträger für einen Priester zu spielen." Schade, dachte Peter, mit Kermit hätte die Sache sicher viel Spaß gemacht. Schließlich fand er doch noch ein paar Kumpel, die ihm halfen und bald waren alle Kisten in Caines Wohnung verstaut. Peter ließ sich erschöpft auf eine davon sinken und griff in die Innentasche seiner Jacke, um zu kontrollieren, ob er den Wohnungsschlüssel in dem ganzen Trubel auch nicht verloren hatte. Dabei stieß seine Hand auf etwas sehr Kaltes. Als er es berührte, durchzuckte ihn ein stechender Schmerz und ein sehr beklemmendes Gefühl machte sich in seiner Brust breit. *** Caine wusste nicht, wie lange er bewusstlos gewesen war. Sein Kopf schmerzte, als habe er eine Eisenstange darauf bekommen und er fühlte sich sehr schwach. Mit größter Anstrengung gelang es ihm, sich aufzurichten und er tastete sich an der Wand entlang in die Küche. Dort trank er ein Glas Wasser und fühlte sich ein wenig besser. Benommen ließ er sich auf einen Küchenstuhl sinken und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Aber in seinem Kopf war nur ein Brausen und dieser stechende Schmerz. Er verzog das Gesicht und merkte, wie ihm schwindlig wurde. "Monsieur Caine?" rief eine Stimme, was ihm erneut einen stechenden Schmerz durch den Kopf jagte. Eine junge Frau betrat die Küche. Es war Marie-France, die bei Caine Kung-Fu-Unterricht nahm. Bei Caines Anblick erschrak sie: Sein Haar war verschwitzt und zerzaust, sein Gesicht leichenblass und er sah aus, als wolle er jeden Moment vom Stuhl kippen. "Geht es Ihnen nicht gut?" fragte sie auf französisch. Caine versuchte, zu antworten, doch er brachte kein Wort heraus. Marie-France zögerte nicht länger, zückte ihr Handy und rief einen Krankenwagen. Innerhalb von zehn Minuten waren die Sanitäter da und hoben Caine auf eine Trage. "Sind Sie eine Verwandte?" "Nein, und so viel ich weiß, hat er keine Verwandten. Er hat nie jemanden erwähnt," antwortete die junge Frau. Einer der Sanitäter hielt Caine einen gelben Zettel und einen Stift hin und er unterschrieb mit letzter Kraft, dass er mit der Einlieferung einverstanden war. Dann wurde er erneut bewusstlos und der Zettel fiel ihm aus der Hand. Marie-France entdeckte ihn erst, als der Krankenwagen abgefahren war und legte ihn auf den Küchentisch. Nach einer Weile erschien erneut die schwarz gekleidete Gestalt in der Wohnung. Als sie entdeckte, dass Caine fort war, verwüstete sie zornig die Wohnung und riss alles aus den Schränken und Regalen, was nicht niet- und nagelfest war. Dann glitt sie genauso lautlos wie sie gekommen war, wieder hinaus. *** Kermit saß wie üblich an seinen Computer im Büro und
war völlig in seine Arbeit vertieft, als die Tür aufflog und
Peter hereinstürmte. Der junge Mann war aschfahl und wirkte völlig verstört. Keuchend
blieb er vor Kermits Schreibtisch stehen und strich sich die verschwitzten
Haare aus der Stirn. "Seh ich etwa aus wie ein Reisebüro?" gab Kermit ungnädig zurück. "SOFORT!" bellte Peter ihn an. "Schon gut, schon gut. Was um alles in der Welt willst du in Paris und warum siehst du aus wie ein wandelndes Leintuch?" wollte Kermit wissen und hackte auf seine Tastatur ein. "Ich muss meinen Vater suchen. Er ist in irgendeiner großen Gefahr!" sagte Peter verzweifelt. "Woher weißt du das so genau? Außerdem konnte dein alter Herr bis jetzt doch auch ganz gut auf sich selbst aufpassen," wollte Kermit wissen. Peter holte den Conianctus aus der Jackentasche und legte ihn auf den Tisch. Der Stein hatte sich dunkelblau verfärbt und strahlte eine eisige Kälte aus.
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