Der Tag des Kampfes Peter, Kermit und der kleine Pierre standen vor dem großen Backsteingebäude und warteten. Gerade ging glutrot die Sonne auf und tauchte alles in ein beinahe romantisches Licht. Es war ein friedlicher Morgen und nichts deutete darauf hin, was die kleine Gruppe noch vor sich hatte. Peters Gesicht war sorgenvoll, hoffentlich waren sie noch nicht zu spät! Kermit dagegen schien sich förmlich auf den bevorstehenden Kampf zu freuen. Erwartungsvoll ging er auf und ab und summte dabei leise vor sich hin. Pierre stand reglos und etwas bleich dicht neben Peter. "Ach, da sind sie ja endlich!" rief Kermit erfreut, als er Lo Si in Begleitung eines unscheinbaren, schlanken Chinesen kommen sah. "Guten Morgen, meine Freunde!" begrüßte Lo Si die Wartenden und er und Chin Ling verbeugten sich. Peter erwiderte die Verbeugung und Pierre folgte seinem Beispiel, Kermit gab den beiden lieber die Hand. Lo Si sah sie alle aufmerksam an und sagte: "Ich habe wichtige Neuigkeiten für euch: Chin Ling hat mir gesagt, dass die Ban Dai auf Geheiß eines Meisters oder Anführers handeln, sie suchen sich ihren Wirt nicht selbst aus. Das bedeutet, wir müssen als erstes ihn finden und vernichten, dann haben wir mit den Ban Dai leichtes Spiel. Denn dann suchen sie sich einen neuen Meister, der über sie das Sagen hat." "Und wer soll dieser neue Meister sein?" fragte Peter. "Normalerweise kommen die Meister aus den Reihen der Sing Wah oder einer anderen dunklen Macht. In diesem Fall musst du ihr neuer Meister werden, Peter, denn du bist ein Priester. Und wenn du ihr Meister bist, kannst du ihnen befehlen, Kwai Chang Caines Chi zu verlassen." führte der Alte aus. "Und wo werden sie dann hingehen?" wollte Peter wissen. "Wenn sie keinen neuen Wirt haben, in den sie übergehen können, werden sie sterben, denn dann geht ihre gestohlene Lebensenergie sofort verloren. Und sie bestehen nur aus solcher." "Das hört sich nicht allzu schwierig an, aber wenn sie mich nicht als Meister akzeptieren?" zweifelte Peter. "Dann wird Kwai Chang Caine sterben," lautete Lo Sis ernüchternde Antwort. "Also lasst uns keine Zeit mehr verlieren," drängte der junge Priester. "Vorher muss ich dich noch warnen, Peter: Du wirst in der Schattenwelt deinem Vater begegnen, wie damals, als wir ihm schon einmal dorthin folgen mussten. Aber er wird verändert sein und dich möglicherweise nicht erkennen. Und die Ban Dai werden ihn verfolgen und über die Schwelle ins Reich des Todes bringen wollen. Du musst ihren Meister finden, um deinen Vater zu retten, vergiss das nicht!" vermittelte ihm der Alte eindringlich. "Hast du eine Ahnung, wer ihr Meister ist?" Chin Ling mischte sich in das Gespräch. "Wir haben eine Vermutung, aber es wäre nicht hilfreich, sie jetzt zu äußern. Du könntest wertvolle Zeit damit verlieren, einer falschen Fährte nachzujagen." Peter sah den Chinesen nachdenklich an. Er war
deutlich älter, als er ihn in Erinnerung hatte, obwohl er ihm damals
schon alt vorgekommen war, aber, rief Peter sich ins Gedächtnis,
es war bald 20 Jahre her, dass sie gemeinsam im Tempel gewesen waren und
er war damals noch ein Junge gewesen. Als Kind kamen einem alle Menschen
über 30 furchtbar alt vor
"Das tue ich gerne, Kwai Chang Caine ist mein Freund," erwiderte dieser mit einem Lächeln. *** Die fünf Aufrechten machten sich auf den Weg in das Krankenzimmer. Eine aufgeregte Schwester versuchte, ihnen klar zu machen, dass die Besuchszeit noch nicht begonnen hatte und sie jetzt nicht hinein könnten. "Wenn wir auf die Besuchszeit warten, ist es zu spät," sagte Lo Si ernst zu ihr. "Seien Sie unbesorgt, wir werden uns beeilen," fügte er vieldeutig hinzu. Die Schwester startete noch einen letzten Versuch, indem sie damit drohte, den dienst habenden Oberarzt zu verständigen, wenn sie nicht gleich wieder gingen, gab aber auf, als sich die Besucher davon nicht beeindrucken ließen. Mit einem Kopfschütteln ging sie zurück ins Schwesternzimmer. Im gleichen Moment steckte eine andere Schwester ihren Kopf aus dem Zimmer neben dem Krankenzimmer Caines und rief nach Hilfe. "Schnell, hol Dr. Bainard, Jaqueline, die Patientin auf 107 hat einen Krampfanfall!" rief sie auf Französisch. Die Freunde verstanden die Worte zwar nicht, sahen aber kurz darauf einen Arzt und mehrere Schwestern in größter Eile in dem Zimmer verschwinden. Da dies jedoch der Alltag auf einer Intensivstation war, schenkten sie dem keine weitere Beachtung. *** Caine schien noch blasser als am Vortag. Seine Wangen waren eingefallen und sein Gesicht sah dadurch beinahe aus wie ein Totenkopf. Peter schnürten sich bei diesem Anblick Herz und Kehle zu. Er schluckte trocken. Lo Si forderte sie auf, einen Kreis um das Bett zu bilden und einander an der Hand zu fassen. Er und Peter ergriffen wieder je eine Hand Caines, Chin Ling nahm Lo Sis und Kermit Peters andere Hand und die beiden nahmen Pierre in die Mitte. Peter fragte den Jungen, der fast ebenso bleich war wie Caine: "Willst du wirklich mitkommen? Jetzt kannst du noch umkehren." "Ich komme mit," sagte Pierre mit zusammen gebissenen Zähnen. Lo Si nickte in Peters Richtung, damit er die Führung übernahm. "Schließt die Augen und haltet euch gut fest," ordnete dieser an. Er konzentrierte sich auf das Chi seines Vaters und spürte die mächtige Energie von Lo Si und die etwas schwächere von Chin Ling, die das Gleiche taten. Von Kermit kam etwas beinahe aggressives herüber geschwappt und die Energie von dem Jungen war sehr klar und rein. Peter vereinigte die Energieströme mit seinem eigenen zu einem einzigen großen Strom. Ein wirbelnder langer Schlauch bildete sich, an dessen Ende ein schwarzes Loch gähnte: Der Eingang zum Schattenreich, der Welt zwischen Leben und Tod. Die fünf wurden in diesen Strudel gesogen und bewegten sich in Spiralen auf das Loch zu. Dabei hielten sie einander fest an den Händen. Auf einmal brach der Strudel ab und sie standen ohne Übergang in einem dunklen Raum. Sie sahen sich vorsichtig um. Auf einmal brachen mehrere finstere Gestalten aus dem Schatten hervor und stürzten sich bedrohlich zischend auf die Gruppe. Sie wirkten beinahe selbst wie Materie gewordene Schatten. Chin Ling entpuppte sich als großartiger Kämpfer und Lo Si stand ihm in nichts nach. Kermit verteilte Tritte und Hiebe nach allen Seiten und hatte sichtlich Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Er fluchte dabei nicht jugendfrei und sehnte sich nach seiner Pistole. Auch Pierre kämpfte wie besessen. Peter hielt sich ebenfalls nicht zurück und so hatten sie den ersten Angriff gemeinsam bald zurück geschlagen. "Peter, mach dich auf die Suche nach ihrem Meister!", mahnte Lo Si etwas außer Atem. "Wir suchen deinen Vater." Peter nickte nur und ließ die Vier etwas widerstrebend zurück. Zu fünft hatten sie es mit den Angreifern leicht aufnehmen können, aber alleine würde es viel schwieriger sein. Er ging einen dunklen Gang entlang und fühlte sich unangenehm an seinen Traum erinnert. Auf einmal hörte er Schritte hinter sich und fuhr herum. Höchst erstaunt sah er Pierre auf sich zukommen. "Monsieur Peter, warte, ich komme mit dir!" rief er atemlos. "Ich glaube, das ist keine so gute Idee," widersprach Peter. "Du solltest lieber bei den anderen bleiben." "Nein, du brauchst doch Hilfe. Du kannst nicht ganz allein mit ihnen kämpfen, es sind zu viele," sagte der Junge überzeugt. Peter lächelte. "Du bist sehr mutig.
Na schön, dann komm mit." Gemeinsam setzten sie ihren Weg fort. Nach kurzer Zeit hörte Peter viele Stimmen, wie in einem überfüllten Restaurant, und sie kamen zu einem großen Raum, der wie eine Bar anmutete. So ähnlich hatte es beim letzten Mal hier auch ausgesehen, nur schienen noch viel mehr Menschen hier zu sein. Er sah elegante Frauen und dunkel gekleidete Männer und immer wieder zischte solch ein Schattenphantom, ein Ban Dai durch den Raum. Plötzlich rempelte ihn jemand von hinten ziemlich
unsanft an und eine Stimme lallte: "Du stehs aber gans schön
im Weg, junger Feund!" "Paps, was soll das? Du bist ja betrunken!" rief er entsetzt. Caine rülpste vernehmlich und kicherte. "Wieso sagsu Pappsu mir? Ibinnich dein Papps, Kumpel." Er sah ihn beleidigt an, setzte die Flasche an die Lippen und nahm einen tiefen Zug. Dann klopfte er Peter aufmunternd auf die Schulter, rülpste noch einmal herzhaft und schlingerte davon. "Oh mein Gott, ich wusste, dass es schlimm werden würde, aber das hier übertrifft alles!" Er warf Pierre, der Mühe hatte, sich ein Lachen zu verbeißen, einen vernichtenden Blick zu. "Das ist alles andere als komisch!" tadelte Peter ihn. Dann weiteten sich seine Augen und er riss Pierre mit dem Ruf: "Vorsicht!" zu Boden und warf sich schützend über ihn. Einer der Ban Dais war knapp über ihre Köpfe gebraust. "Verdammt ungemütlich hier," brummte er. "Komm, lass uns hier verschwinden." Sie rappelten sich auf und kehrten dem Trubel den Rücken. Als sie um die nächste Ecke bogen, erwartete der Ban Dai sie, der über ihre Köpfe geflogen war. Peter und Pierre gingen beinahe gleichzeitig in Angriffsstellung. In minutenschnelle hatten sie ihn überwältigt, Peter hielt ihn am Boden fest und drehte ihm die Arme auf den Rücken. "So, Freundchen, und jetzt bist du schön brav und führst uns zu deinem Meister!" zischte Peter zwischen den zusammen gebissenen Zähnen hervor. *** Lo Si, Chin Ling und Kermit wanderten indessen ihrerseits durch diese dunkle Welt. Lo Si sagte: "Wir müssen die Türe zur Welt des Todes finden und sie verschließen. Wenn Kwai Chang Caine hindurch tritt, ist er verloren und unsere Mission ist gescheitert." Zuerst hat er Caine selbst suchen wollen, sich dann aber eines Besseren besonnen. In seinem jetzigen Zustand würde Caine nicht auf sie hören, ja sie nicht einmal erkennen. Es hätte also wenig Sinn, es zu versuchen. Die drei liefen dunkle Gänge entlang, kamen an den sonderbarsten Räumen vorbei und begegneten noch sonderbareren Gestalten auf ihrem Weg. Auf einmal blieb Lo Si so abrupt stehen, dass Kermit beinahe in ihn hineinrannte, streckte die Nase in die Luft und schnupperte wie ein Spürhund. "Ich rieche die Welt des Todes!" *** Peter riss den Ban Dai unsanft auf die Füße und stieß ihn vor sich her. Ziemlich unwillig, heftig zappelnd und sich wehrend, stolperte dieser vor ihm her, aber es gelang ihm nicht, sich aus Peters eisernem Griff zu befreien. Unendlich lange schien den beiden Freunden der Weg durch die düstere Schattenwelt, immer tiefer gerieten sie in das undurchschaubare System aus Fluren und Zimmern, die sich allmählich und beinahe unmerklich zu Felsgängen und Höhlen wandelten. Am Eingang zu einer besonders großen und dunklen Höhle blieb der Ban Dai plötzlich ruckartig stehen. "Was ist? Was soll das?" herrschte Peter ihn an, doch dann begriff er, dass diese Schattengestalt ihren Meister anscheinend so sehr fürchtete, dass sie ihm nicht unter die Augen treten wollte, schon gar nicht als Gefangene des Feindes. "Okay, verzieh dich," zischte Peter ihm verächtlich zu und verpasste ihm einen kräftigen Tritt. Zischelnd sauste die Gestalt davon, so schnell sie konnte. "Zu dir komme ich später noch." versprach er der fliehenden Kreatur finster. "Ich habe schon auf dich gewartet, Peter," ertönte plötzlich eine dröhnende, an den Wänden widerhallende Stimme aus der Höhle. Peter bedeutete Pierre, hier auf ihn zu warten und betrat die Höhle. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, zog er scharf die Luft ein. Ihn erschreckten weniger die verschiedenen Folterinstrumente, die er in der Dunkelheit nur erahnen konnte, oder das unheimliche Dämmerlicht in der Höhle, sondern vielmehr die Gestalt, die ihn erwartete. Auf der dem Höhleneingang gegenüberliegenden Seite stand ein großer, schwarz gekleideter Chinese mit einem blitzenden Dolch in der Hand. Auf seinem Gesicht zeigte sich das gleiche teuflische Grinsen und dasselbe gefährliche Blitzen in den Augen wie bei dem Riesenkraken aus Peters Traum. Peter spürte beinahe das Blut in seinen Adern gefrieren, als er den Mann erkannte und seine Kehle schnürte sich zu, als lege der Krake wieder seinen Tentakel um Peters Hals. "Tan!" *** Lo Si bedeutete seinen Begleitern, leise zu sein und hinter ihm zu bleiben. "Eigentlich bin ich noch nicht auf die Ewigkeit vorbereitet, der Pfarrer meinte, wenn er mir die Beichte abnähme, würde er sich selbst versündigen..." ließ sich Kermit leise vernehmen. Er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme ein wenig dabei zitterte. Chin Ling stand mit stoischer Miene hinter ihm. Als sie um die nächste Ecke bogen, mussten sie die Hände schützend vor das Gesicht heben. Vor ihnen lag eine halbgeöffnete Tür, aus der gleißendes Licht fiel und in unregelmäßigen Abständen quollen nach Schwefel riechende Rauchwolken hervor. "Das Tor zur Hölle!" entfuhr es Kermit. "Nein, das ist die Tür zur Welt des Todes," belehrte ihn Lo Si. "Was aber so ziemlich auf das Gleiche hinauslaufen dürfte " murmelte der Polizist sarkastisch. "Kommt, wir müssen sie verschließen. Tretet nicht in den Lichtkreis, sonst werdet ihr unweigerlich hinein gesogen!" gebot der Alte. Vorsichtig bahnten sie sich hintereinander einen Weg auf die andere Seite der Tür, als plötzlich Caine in Begleitung von zwei Ban Dai auftauchte. Er war in einem ähnlichen Zustand, wie der, in dem er Peter begegnet war und hatte den Schattenwesen brüderlich die Arme um die Schultern gelegt. Sein Haar war verschwitzt und zerzaust und das irre Grinsen lag nach wie vor auf seinem Gesicht. "Wo bingihrmichin, Feunne ? Hup." erkundigte er sich lallend, inzwischen hatte er auch einen mächtigen Schluckauf. Er ließ sich von den Gestalten willig mitschleifen und sie hielten genau auf die Tür zu. *** "Ganz recht, mein Freund! Und endlich kann ich mich an deinem Vater dafür rächen, was er mir vor langer Zeit angetan hat! Und du wirst sein Schicksal teilen." Tan spuckte die Worte aus, als habe er etwas Widerwärtiges in den Mund bekommen. "Aber nein, das ist das ist unmöglich!" stammelte Peter völlig verwirrt. "Du bist tot! Mein Vater hat dich getötet! Du du kannst gar nicht Tan sein, das ist völlig unmöglich!" Tan steckte seinen Dolch ein und trat langsam auf Peter zu. "Ja, dein Vater hat mich getötet, und er hat meine Familie gedemütigt. Aber er hat nur meinen Körper getötet, meine Seele konnte er nicht vernichten." erklärte er mit einem eisigen Lächeln, das Peter einen Schauer über den Rücken jagte. "Aber ich sehe dich doch vor mir. Wie kann das sein?" wollte Peter wissen. "Du bist ganz schön neugierig, Shaolin!" entgegnete Tan mit einem zornigen Funkeln in den Augen und spie Peter dabei das letzte Wort förmlich vor die Füße. "Aber du sollst es erfahren, da du hier ohnehin nicht lebend heraus kommst. Meinen Körper kannst du nur hier im Bardo sehen. In der Welt der Lebenden hat sich meine Seele einen anderen Körper gesucht." Peter schluckte trocken. Irgendein unschuldiger Mensch war also von Tans Seele besessen? Ein grauenhafter Gedanke! Es schüttelte ihn bei dieser Vorstellung. "Ein belebender Gedanke, nicht war?" fügte Tan mit einem teuflischen Grinsen hinzu und verschränkte die Hände auf seinem Bauch. "Bedauerlicherweise ist dieser gastfreundliche Mensch im Moment in einem ähnlichen Zustand wie dein armer Vater, " fuhr er mit gespieltem Bedauern fort. "Was es mir auf der anderen Seite ermöglicht, hier zu sein und zu verhindern, dass der treue und besorgte Sohn seinem Vater zu Hilfe eilt!" Sein Grinsen wurde noch eine Spur teuflischer und er breitete die Arme aus. "Wenn du freiwillig mit mir gehst, machen wir es kurz und schmerzlos und du triffst deinen geliebten Vater bald im Jenseits wieder," bot er Peter in einem schmierigen Tonfall an. "Niemals!" schleuderte der junge Shaolin ihm entgegen und ging blitzschnell in Angriffsstellung. "Wie du willst!" spie ihm Tan vor die Füße und sein Blick wurde eiskalt. "Dann kämpfe!" Es wurde ein langer, erbitterter Kampf. Peter musste alle Register ziehen, um Tan standzuhalten. Pierre beobachtete die Szene mit angehaltenem Atem von seinem Versteck aus. Peter wusste nicht, wie lange sie schon kämpften. Tan war brutal und hatte ihm schon eine Reihe von Prellungen und kleinerer Verletzungen angedeihen lassen und Peter ermüdete allmählich. Tan schien dagegen keinerlei Schwäche zu kennen. Der junge Shaolin fühlte, wie seine Konzentration nachließ. Tan hatte es geschafft, ihn halb zu Boden zu zwingen und stand bedrohlich funkelnd über ihm. Mit einer Hand hielt er ihn fest wie mit einer Schraubzwinge und sein Gesicht verzerrte sich vor Anstrengung. "Pass auf!" schrie plötzlich eine helle Stimme hinter ihm und im letzten Moment erkannte Peter, dass Tan seinen Dolch gezogen hatte und ihn auf seine Brust niedersausen lassen wollte. Blitzschnell drehte er sich zur Seite und fühlte einen stechenden Schmerz in der Schulter, in die der Dolch stattdessen gefahren war. Irritiert lockerte Tan seinen Griff etwas. "Wer war das?" fragte er misstrauisch. Peter nutzte seine Verblüffung und hebelte ihm mit einem gezielten Fußtritt den Dolch aus der Hand. Er fing ihn in der Luft und sprang mit solchem Schwung auf die Füße, dass Tan nach hinten kippte und das Gleichgewicht verlor. Pfeilschnell war Peter über ihm und hielt ihm den Dolch an die Kehle. "Dein Spiel ist aus!" zischte er und packte den Dolch fester. "Du kommst in jedem Fall zu spät. Meine treuen Diener bringen deinen Vater gerade durch die Türe des Totenreiches." presste Tan hervor. Peter packte Tan so fest am Kragen, dass dieser röchelte. "Bring mich dahin!" herrschte er ihn an und ritzte mit dem Dolch leicht seine Haut. *** Kermit zischte seinen Begleitern zu: "Schnell, macht die Tür zu, ich werde sie ein wenig ablenken." Er setzte sein breitestes Wolfsgrinsen auf und trat mit ausgebreiteten Armen auf Caine zu. "Kwai Chang Caine, alter Freund, schön, dich zu sehen!" rief er ihm fröhlich entgegen. "So bald hätte ich dich hier allerdings nicht erwartet!" "Werbissu?" lallte Caine und runzelte die Stirn. Er dachte angestrengt nach. "Ikenndinich," sagte er schließlich und wandte sich wieder der Tür zu. "Aber Kwai Chang, ich bin es, Kermit! Dein alter Freund Kermit! Sag bloß, du erkennst mich nicht mehr." Lo Si und Chin Ling schlichen sich hinter den Schattengestalten vorbei Richtung Tür. "Was willsu, du komicher komisser Vogel?" brachte Caine mühsam hervor. "Meinen alten Freund umarmen!" rief Kermit noch fröhlicher und trat auf Caine zu. Er nahm ihn in die Arme und drückte den älteren Mann an sich. Unbemerkt von den Schattengestalten hob er ihn dabei hoch und wollte sich mit ihm von der Tür entfernen. Lo Si und Chin Ling wollten gerade die Türe zuschieben, als sich Schritte näherten. *** Peter bog mit Tan im Schlepptau um die Ecke, Pierre war dicht hinter ihnen. Peter stolperte vor Verblüffung beinahe über seine eigenen Füße, als er Kermit da mit seinem Vater im Arm stehen sah. "Was..?" setzte er an, doch Lo Si gab ihm einen Wink, zu schweigen. Tan witterte eine Chance und riss sich los. Er wollte sich auf Kermit stürzen und ihm Caine entreißen. Blitzschnell sauste eine kleine Gestalt an ihm vorbei und stellte ihm ein Bein. Mit wütendem Gebrüll stürzte Tan genau auf die noch geöffnete Tür zu, überschlug sich am Boden und verschwand schreiend in dem gleißenden Licht. Es zischte kurz auf und der Geruch nach Schwefel wurde einen Moment lang etwas schärfer. Dann kehrte Stille ein. Tan war verschwunden. Alle Beteiligten starrten einen Moment lang verblüfft auf die Tür, in der Tan verschwunden war. Kermit ließ Caine los, ohne es zu merken. Peter half Pierre auf die Beine und klopfte ihm anerkennend auf die Schultern. "Großartig gemacht, mein Freund!" Die beiden Ban Dai machten einen verwirrten Eindruck, da sie ihren Meister verloren hatten und machten Anstalten, sich zu entfernen. "Nichts da, ihr bleibt schön hier, meine schattenhaften Freunde, und hört mir zu!" fuhr Peter sie an. Die beiden dunklen Kreaturen zuckten förmlich zusammen und fielen vor Peter auf die Knie. Der baute sich vor ihnen auf und gebot ihnen mit donnernder Stimme: "Ab jetzt bin ich euer Meister und ich befehle euch, das Chi von Kwai Chang Caine zu verlassen. Sammelt alle eure Kameraden ein und verschwindet. Und das ein bisschen zackig." Mit einer wegwischenden Geste verscheuchte er sie und verzog gleichzeitig das Gesicht, weil er die Verletzung seiner Schulter ganz vergessen hatte. Die ruckartige Bewegung rief sie ihm schmerzlich ins Gedächtnis. Über all das hatten sie Caine selbst ganz vergessen. Er wankte, leise vor sich hin brabbelnd, auf die immer noch offen stehende Tür zu. "Paps, nein!" schrie Peter entsetzt und stürzte ihm nach. Caine schien ihn überhaupt nicht wahrzunehmen und ging mit einem freudestrahlenden Blick auf das Licht zu, wie ein Kind auf den Weihnachtsbaum. Peter sprang ihm nach und fühlte auf einmal, wie ihm schwarz vor Augen wurde. Der Kampf mit Tan hatte ihm doch sehr zugesetzt, das merkte er jetzt. Er bekam gerade noch einen Zipfel von Caines Jacke zu fassen, ehe das Dunkel ihn ganz verschlang. *** Als er langsam wieder zu sich kam, erfasste ihn die Erkenntnis wie ein Schwerthieb. Er hatte seinen Vater nicht retten können, im letzten Moment hatte er ihn doch noch verloren! Er wollte nicht aufwachen, wollte für immer in der gnädigen Dunkelheit bleiben, um den Schmerz nicht ertragen zu müssen. Doch sein Bewusstsein kehrte unbarmherzig zurück. Er fühlte etwas Weiches, Warmes unter sich, das sich rhythmisch hob und senkte. Verblüfft öffnete er die Augen und erkannte, dass er im Krankenzimmer seines Vaters lag, quer über dem Bett auf dessen Bauch. Verstört richtete Peter sich auf und blickte um sich. Lo Si saß in dem großen Besuchersessel in der Ecke und schien auch erst allmählich zu sich zu kommen. Er blinzelte und hielt sich den Kopf. Kermit lehnte erschöpft am Fenster und hielt sich mit beiden Händen am Rahmen fest, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Ihm war augenscheinlich furchtbar schwindlig. Chin Ling saß zusammen gesunken auf einem anderen Stuhl und wirkte ebenfalls sehr erschöpft. Der Junge lag in dem leeren Bett neben Caines und schlief. Eine beinahe unheimliche Stille lag über dem Raum. Peter fuhr sich durch die Haare und fühlte sich vollkommen hilflos. Er wagte kaum, seinen Vater anzusehen. "Peter ?" Eine leise, heisere Stimme rief ihn fragend beim Namen. Peter fuhr zu seinem Vater herum. Dieser hatte die Augen geöffnet und sah sich verwirrt um. Die Atemmaske hatte er vom Gesicht genommen. "Peter, was tust du hier? Was ist passiert?" "Paps!" flüsterte Peter den Tränen nahe. Er ergriff die Hand seines Vaters und spürte dabei, dass seine eigenen Hände zitterten. "Wie fühlst du dich?" Als Antwort fasste Caine sich an den Kopf und verzog schmerzvoll das Gesicht. Dann erschien ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht und er zwinkerte Peter zu. Peter schluckte trocken. "Oh, Paps, ich hab gedacht, ich hätte dich verloren! Ich liebe dich!" sagte er leise und legte seinen Kopf an dessen Brust. Die Erleichterung brach sich Bahn und ein paar Tränen rollten über sein Gesicht und versickerten in Caines Bettdecke. Caine strich ihm mit der Hand über das Haar. "Ich liebe dich auch." sagte er leise. "Danke, mein Sohn." Nach einer Weile richtete Peter sich auf, schniefte beinahe ärgerlich und sah seinen Vater ernst an. "Eines musst du mir versprechen, Paps," bat er ihn. Caine sah ihn fragend an. "Versprich mir, dass du dich nie wieder betrinkst!"
sagte Peter mit leidender Miene. Er wandte sich an Peter und fragte: "Woher wusstest du, dass ich deine Hilfe brauchte?" Peter war erstaunt über diese Frage, sonst wusste sein Vater doch auch immer alles, ohne dass man ihm es sagen musste. Er griff in seine Jackentasche, holte den Stein heraus und legte ihn in Caines Hand. Der Conianctus war nun wieder dunkelgrün und so warm, als habe er lange in der Sonne gelegen. Caine sah den Stein einen Moment lang scheinbar unbewegt an, dann schloss er die Augen und atmete tief durch. Seine Hand ballte sich zitternd um den Stein und er spürte dessen kraftvolle Wärme und Energie. Er öffnete die Augen wieder und sah seinen Sohn an. "Du hast den Stein gefunden," sagte er halb fragend, halb feststellend. Schließlich gab er Peter den Stein zurück
und versetzte ihm mit der Faust einen sanften Puff auf die Wange. Auf
seinem Gesicht erschien ein Lächeln. Peter stand auf und ging zur Tür. "Ich werde mal eine Schwester holen." sagte er. "Damit sie dem Arzt sagen kann, dass du aufgewacht bist," fügte er an seinen Vater gewandt hinzu. Er öffnete die Tür und wollte auf den Flur treten, als plötzlich schnelle Schritte und aufgeregte Stimmen zu hören waren. Pierre lauschte den für ihn vertrauten französischen Worten und teilte den anderen mit: "Irgend jemandem geht es sehr schlecht, sie glauben, dass sie stirbt." "Sie?" wiederholte Peter und sah wieder Ärzte und Schwestern im Nebenzimmer verschwinden. Er ging zum Schwesternzimmer und als er nur wenig später mit Schwester Jaqueline zurückkam, wurde gerade ein Bett aus Zimmer 107 geschoben. Die Gestalt darin war völlig mit einem Leintuch bedeckt und die Schwestern hatten keine Eile mehr. Als sie an Peter vorbei gingen, verrutschte auf einmal das Leintuch ein wenig und Peter konnte einen Moment lang das Gesicht der Toten sehen, ehe eine der Schwestern es wieder verdeckte. Ihm stockte der Atem: Es war Zia. Tans Tochter. Die Schwester sah Peter mitfühlend an. "Haben Sie sie gekannt?" erkundigte sie sich vorsichtig. "Flüchtig." erwiderte Peter. "Was war mit ihr?" "Sie hatte einen Unfall und lag im Koma. Leider hatte sie nicht so viel Glück wie Ihr Vater." erklärte Schwester Jaqueline bedauernd. "Es tut mir leid." Peter antwortete nicht. Ihm kam gerade ein ungeheuerlicher Gedanke. Als sie wieder allein im Zimmer waren, erzählte
er Lo Si, was Tan ihm gesagt hatte. "Das ist gut möglich," erwiderte der Alte. "Das Chi einer Person, die dem Betroffenen sehr nahe gestanden hat, ist sehr empfänglich dafür, und es war für Tan daher leichter, sie zu benutzen, als eine fremde Person zu missbrauchen. Zudem konnte er auf Zias Kooperation rechnen, da sie ebenfalls Rachegelüste gegen deinen Vater hegte. Er hatte mit ihr leichtes Spiel." "Ich glaube es nicht, er hat seine eigene Tochter für seine finsteren Pläne missbraucht und sogar geopfert," murmelte Peter fassungslos. "Wie kaltherzig muss ein Vater sein, um so etwas über sich zu bringen." "Aber nun lasst uns gehen." mahnte Lo Si. "Kwai Chang braucht jetzt Ruhe."
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