Im Krankenhaus Das L`hopital Saint Marie war ein steril wirkender, klobiger Bau aus roten Ziegeln und strahlte eine typische Krankenhausatmosphäre aus. Caine war tatsächlich vor ein paar Tagen hier eingeliefert worden und eine junge Schwester führte das Grüppchen in sein Zimmer. Caine lag reglos in seinem Bett, auf seinem wächsernen Gesicht saß eine Atemmaske und von seinen Handgelenken führten Infusionsschläuche zu an einem Ständer aufgehängten Flaschen mit durchsichtiger Flüssigkeit. Die junge Schwester sah die Besucher bedauernd an. "Es tut mir leid, dass ich Ihnen keine Hoffnung machen kann. Seit er hier ist, hat er das Bewusstsein noch nicht wieder erlangt, und es sind nun schon vier Tage," erklärte sie auf Englisch. Peter setzte sich auf den Bettrand und ergriff die Hand seines Vaters. "Paps, ich bin hier. Ich bin bei dir," flüsterte er und strich ihm mit dem Handrücken über die bleiche Wange. Die anderen standen am Fußende des Bettes; Kermit und Pierre fühlten sich etwas unbehaglich und wussten nicht, wohin mit ihren Händen. Lo Si betrachtete die Szene einen Moment scheinbar unbewegt, dann bat er die Schwester, sie allein zu lassen. Peter wandte sich um. "Lo Si, weißt du, was mit ihm los ist?" fragte er mit sorgenvollem Blick. "Geh etwas zur Seite, dann versuche ich, es heraus zu bekommen," erwiderte der Alte. Peter machte ihm Platz und Lo Si trat ans Bett und ergriff beide Hände des Kranken. Er schloss die Augen und versuchte, Verbindung zu Caines Chi herzustellen. Es kostete ihn eine Menge Kraft und Peter sah, wie sich sein Gesicht vor Anstrengung und Schmerz verzerrte. Schließlich öffnete er die Augen wieder. "Ich schaffe es nicht allein. Du musst mir helfen, Peter. Nimm meine Hand und die deines Vaters." Peter stellte sich auf die andere Seite des Bettes und schloss den Kreis. "Mr. Griffin, achten Sie darauf, dass niemand herein kommt," forderte Lo Si den etwas nervösen und ungläubig dreinschauenden Kermit auf. Dieser nickte und bezog, die Hand an der Waffe, vor der Tür des Krankenzimmers Stellung. Pierre rührte sich nicht und betrachtete das Geschehen mit großen Augen. Er wich bis zur Wand zurück, um Halt zu finden, und hielt den Atem an. Beide Shaolin schlossen wieder die Augen und drei Chis flossen zu einem zusammen. Peter glaubte, laut aufschreien zu müssen. Etwas schien ihn zu packen und zu schütteln; dunkle, phantomartige Wesen fuhren zischend um ihn herum und wollten ihn in eine pechschwarze Dunkelheit hinunterziehen. Mit aller Kraft konzentrierte er sich auf die Berührung mit den Händen, die er festhielt und zog sich daran zurück ins Licht. Als sich die Welt zu drehen aufhörte, öffnete er schwer atmend die Augen und ließ die beiden Hände los. Verstört sah er Lo Si an, der sich keuchend am Bettgestell festhielt. "Was zum Teufel war das?" fragte er und strich sich die verschwitzten Haare aus der Stirn. Lo Si atmete ein paar mal tief durch, ehe er antwortete. "Mein Verdacht hat sich bestätigt. Sein Chi ist vergiftet. Es ist von Parasiten befallen." "Waren das diese Wesen, die auch uns angreifen wollten?" erkundigte sich der junge Shaolin. "Ja, das waren die Ban Dai, sie ernähren sich von der Lebensenergie ihres Wirtes und fressen sein Chi langsam aber sicher auf." "Und was bedeutet das?" wollte Peter wissen, den ein schrecklicher Verdacht beschlich. "Er wird sterben," sagte Lo Si schlicht. "Was?" rief Peter völlig verstört, obwohl er genau das geahnt hatte. "Können wir denn gar nichts tun?" Er sah den Alten flehentlich an und raufte sich verzweifelt die Haare. Lo Sis Antwort erschien ihm genauso rätselhaft wie die Antworten, die sein Vater ihm auf solche Fragen gab: "Nicht in dieser Welt." "Kein Wunder, dass er und dein alter Herr sich so gut verstehen: Sie sprechen die gleiche Sprache!" ließ sich Kermit von der Tür her vernehmen. Er war die ganze Zeit ungewöhnlich still gewesen, vor allem, weil er sich so verdammt unbehaglich gefühlt hatte. Er ertrug es nicht, seinen Freund leiden zu sehen und er hasste das Gefühl, ihm nicht helfen zu können. Und noch mehr Unbehagen bereitete ihm, dass er nicht verstand, was zwischen den beiden Shaolin und Peters Vater eben vorgegangen war. Peter schien ihn gar nicht wahrzunehmen, vollkommen außer sich und den Tränen nahe lief er im Zimmer auf und ab. Er musste sich zwingen, ruhig zu atmen und seine Gedanken zu ordnen. ,Nicht in dieser Welt`, was um Himmels willen meinte der Alte damit nur? Lo Si legte ihm mitfühlend eine Hand auf die Schulter und Peter entspannte sich allmählich. "Beruhige dich, Peter, ja, so ist es gut," redete der Alte auf ihn ein. "Du musst lernen, deine Gefühle besser zu beherrschen, du bist jetzt ein Priester, Peter." mahnte er. "Und jetzt denke in Ruhe nach, du darfst dich um deines Vaters willen nicht von deinen Empfindungen überwältigen lassen. Hier können wir nichts gegen die Ban Dai tun, sondern nur dort, wo sie sich aufhalten und deinem Vater schaden. Sie ziehen ihn immer mehr in die Schattenwelt hinüber und danach in die Welt, die hinter der Schattenwelt liegt. Wenn er dort angelangt ist, gibt es kein Zurück mehr." "Die Schattenwelt!" rief Peter. "Das Bardo! Lo Si, im Bardo können wir sie bekämpfen!" Peter war es auf einmal wieder ein Stück leichter ums Herz. "Ja, aber sie sind sehr mächtig und es sind viele, Peter. Du hast gemerkt, dass sie auch unser beider Chi befallen wollten, als wir mit deinem Vater in Verbindung traten. Wir beide werden es alleine nicht schaffen." Peter war nahe daran, erneut zu verzweifeln. "Aber wer soll uns helfen?" fragte er mutlos. "Ich habe dir schon gesagt, wir brauchen eine Dragonswing." "Dragonswing," wiederholte Peter sinnierend. "Wir beide und wer noch ?" "Ich bin dabei," meldete sich Kermit und strich liebevoll über seine Pistole. Eigentlich hatte er nicht die geringste Ahnung, worum es hier ging, außer, dass ein Kampf bevorstand, aber er hatte seinem Freund versprochen, ihm zu helfen und einem Kermit Griffin machte so leicht nichts angst. Zudem war er bereits einmal Mitglied eines Dragonswing gewesen. "In diesem Fall wird Ihre Waffe Ihnen nichts nützen, Mr. Griffin," klärte Lo Si ihn auf. "Ich komme auch mit," sagte Pierre entschlossen; es war das erste, was er sagte, seit sie hier waren. Er hatte die ganze Zeit reglos in einer Ecke gestanden und teils staunend, teils erschrocken alles beobachtet, was sich im Zimmer abgespielt hatte. Lo Si sah ihn zweifelnd an. Zu Peter gewandt sagte er: "Dein junger Freund ist ein sehr tapferer Bursche und er verehrt deinen Vater. Aber glaubst du wirklich, dass er einer solchen Aufgabe gewachsen ist?" "Ich weiß es nicht, aber wir können im Moment wohl kaum wählerisch sein. Wenn wir alle an ihn glauben, wird er es auch schaffen." Er sah den schmächtigen Jungen aufmunternd an. Lo Si betrachtete den Kranken nachdenklich. "Uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Er wird den Ban Dai nicht mehr lange Widerstand leisten können. Wir müssen heute Nacht ausruhen und Kraft sammeln und morgen früh werden wir es versuchen." Die kleine Gruppe verließ das Krankenzimmer und wanderte durch die Krankenhausflure. Vor dem Haus standen einige Bänke auf einer kleinen Grünfläche. Dort ließen sie sich nieder und setzten ihre Beratung fort. "Wir sind erst vier. Meinst du, dass das reicht?" gab Peter zu bedenken. "Wir werden fünf sein," kündigte der Alte zu seiner größten Überraschung an. "Ich sag's ja, wundersame Vermehrung," murmelte Kermit dazwischen. "In Paris lebt ein Freund von mir," fuhr Lo Si unbeirrt fort. "Er heißt Chin Ling und er wird mit uns kommen. Auch er war im Tempel, vielleicht erinnerst du dich an ihn, Peter?" "Und wenn er nicht mitkommen will?" entgegnete Peter zweifelnd. "Schließlich ist nicht jeder in dieser Beziehung so freimütig wie ich!" fügte Kermit grinsend hinzu. "Er wird mitkommen," sagte Lo Si überzeugt. "Warum holst du dann nicht Chin Ling und wir gehen gleich?" erkundigte sich Peter. Lo Si musterte ihn missbilligend. "Wir alle waren den ganzen Tag auf den Beinen und haben kaum gegessen. Es hat keinen Sinn, den Ban Dai geschwächt gegenüber zu treten. Wir werden all unsere Kraft brauchen, deswegen sollten wir essen und schlafen, bevor wir den Kampf aufnehmen." Peter glaubte, weder das eine noch das andere zu können, wenn er seinen Vater in so großer Gefahr wusste. "Du musst es trotzdem versuchen, um deines Vaters willen," sagte Lo Si, als habe er Peters Gedanken gelesen. *** Kermit und Peter wanderten in der Dämmerung zurück in die Pension, den sehr nachdenklichen und etwas verstört wirkenden Pierre hatten sie in die Mitte genommen. Sie hätten auch ein Taxi nehmen können, aber nach dem Erlebten brauchten sie alle etwas frische Luft. Lo Si wollte die Nacht bei seinem Freund Chin Ling verbringen und morgen würden sie sich alle wieder vor dem Krankenhaus treffen. "Monsieur Peter?" fragte Pierre leise. Peter wandte sich ihm zu. "Ja?" "Monsieur Peter, ich verstehe das alles nicht. Was hast du da im Krankenhaus zusammen mit Monsieur Lo Si gemacht?" Peter seufzte verhalten und dachte, dass es möglicherweise doch keine so gute Idee gewesen war, den Jungen mit ins Krankenhaus zu nehmen. Das war für ihn alles ein bisschen viel gewesen. Und morgen würde es noch weitaus schlimmer werden... "Peter? Redest du neuerdings nicht mehr mit jedem?" Kermits flapsiger Kommentar brachte Peter wieder zu sich. "Wisst ihr, das ist nicht so leicht zu erklären," begann er. "Lo Si und ich, wir also, wir haben Verbindung zu Paps Chi aufgenommen, um zu sehen, wie sehr es geschwächt ist." "Chi." Kermit ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen, " Der beste Freund eines jeden Shaolin." "Das Chi ist die Lebensenergie des Menschen," sagte Pierre. "Das hat Monsieur Lo Si doch so erklärt, oder, Monsieur Kermit?" "Keine Ahnung, ob er das so gesagt hat, ich war ja vor der Tür und habe gegen bissige Krankenschwestern und tollwütige Ärzte gekämpft." sagte Kermit grinsend zu dem Jungen. Peter grinste ebenfalls und stieß ihn mit dem Ellenbogen über Pierres Kopf hinweg in die Seite. "So lange, wie du meinen Vater und mich, und auch Lo Si, schon kennst, solltest du inzwischen doch ein wenig Ahnung von diesen Dingen haben," tadelte er scherzend. Kermit schob seine Brille auf die Nasenspitze und
fixierte Peter darüber hinweg spöttisch. "Schon gut," lenkte Peter immer noch grinsend ein und setzte seine Erklärung fort. Dabei stellte er fest, das Pierre die Zusammenhänge viel schneller begriff, als er gedacht hätte; vielleicht auch deshalb, weil er sich für das Thema, im Gegensatz zu Kermit, brennend interessierte. Als sie bei der Pension ankamen, war Pierre in groben Zügen mit allem vertraut und wirkte nicht mehr ganz so verschreckt. Kermit dagegen weigerte sich nach wie vor standhaft, diese Dinge bis zu seinem Verstand vordringen zu lassen - zumindest erweckte er sehr erfolgreich diesen Eindruck - , war aber, ganz die alte Söldnermanier, zu allen Schandtaten bereit.
|
Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 zurück zum Autoren Index zurück zum Story Index
|