Peter erschrak, als er auf der Landstraße von einem silbernen Wagen überholt wurde, der ihn fast abdrängte. Er selbst fuhr sehr schnell für die schlechten Straßenverhältnisse, aber was der Fahrer dieses Wagens da tat, war einfach verrückt. Eine Sekunde lang dachte er darüber nach, ihm zu folgen, aber letztendlich brauchte er zunächst einige Zeit für sich. Er war noch viel zu aufgebracht, um klar denken zu können. Er war sogar noch immer zu wütend, um Strenlich dankbar dafür zu sein, dass er ihm auf dem Revier den Hintern gerettet hatte. Wenn Simms davon Wind bekommen hätte, wäre er mittlerweile vielleicht wieder Streifenpolizist. Peter konnte diese Frau noch nicht besonders gut einschätzen, aber eins war klar, sie war nicht so nachgiebig wie Paul. Er vermisste ihn. Hin und wieder hatte er das Gefühl, dass er ganz in der Nähe war, so als ob er ihn beobachte, aber meistens tat Peter dies als Wunschdenken oder Halluzination ab. Es schmerzte einfach zu sehr, daran zu denken, dass er auf unbestimmte Zeit verschwunden war. Genauso wie sein richtiger Vater. Er fühlte sich im Stich gelassen. Natürlich würde Caine irgendwann wieder zurückkehren, doch warum mussten seine beiden Väter so kurz hintereinander verschwinden? Das war einfach zuviel für ihn gewesen. Er konnte diesen Schmerz nicht mehr aushalten, für einige Zeit froh und dann wieder allein zu sein, auf sich selbst gestellt, ohne jemanden, der sich wirklich um ihn sorgte. Peter wollte sich von all diesen Leuten distanzieren, das war die einzige Möglichkeit, nicht mehr weiter verletzt zu werden. Er musste seine Seele schützen, andernfalls würden ihn all die Menschen in seinem Leben zerstören. Wütend beschleunigte er den Stealth noch ein bisschen mehr und überholte einen Transporter, der vor ihm fuhr. Die schlechte Straße ließ den Sportwagen bei einigen Unebenheiten abheben und als Peter fast um den Truck herum war, kam ihm ein Fahrzeug entgegen. In letzter Sekunde scherte er wieder ein und beide Fahrer hupten laut. Ein Blick auf den Tacho verriet ihm, dass er bei weitem zu schnell fuhr, selbst für seine schlechte Laune. Also bremste er den Stealth langsam herunter und konzentrierte sich wieder auf die Straße. Vor ihm tauchte ein Schild auf, das die nächstgelegene Stadt auswies. Blaisdells Hütte war nur noch fünf Meilen entfernt. Hoffentlich würde er dort etwas Ruhe finden... Plötzlich entdeckte er vor sich ein tiefes Schlagloch und konnte nicht mehr rechtzeitig ausweichen. Der Stealth raste ungebremst hinein und Peter hörte das Knirschen von Blech. "Verdammt!", fluchte er laut und bremste ab. Genau das hatte ihm heute noch gefehlt! Er blickte in den Rückspiegel und als der Truck ihn überholte und sonst kein weiteres Auto zu sehen war, stieg er aus und besah sich den Schaden. Glücklicherweise schien nur das Metall zerkratzt und die Karosserie nicht verzogen, aber Peter nahm sich vor, den Stealth überprüfen zu lassen. Der Wagen war zu wertvoll für ihn. Auf einmal zerriss ein Schuss die Stille der Landstraße. Sofort schreckte Peter hoch und versteckte sich hinter seinem Wagen. Der Schuss schien von dem nahegelegenem Waldgebiet gekommen zu sein und Peter machte sich mit gezogener Waffe langsam auf den Weg zu den unweit entfernten Bäumen. Von seiner Position aus konnte er Stimmen hören, Männer, die nach etwas riefen. Die Jagdsaison war vorbei, also musste es etwas anderes sein. Vorsichtig lief er in den Wald hinein und erkannte von weitem einen Mann mit schwarzem Anzug, der mit einem Revolver in Richtung eines Wasserfalls marschierte, der nicht weit weg von hier lag. Peter schlich sich näher an die Männer heran und hörte, wie sie immer wieder nach einem Jungen riefen. Er möge doch wieder zurück zu ihnen kommen, alles würde gut werden. Aber nach einer kleinen Familienauseinandersetzung mit einem weggelaufenem Kind sah das nun wirklich nicht aus, eher nach einer Hetzjagd. Außerdem erkannte er den silbernen Wagen wieder, der ihn vorher überholt hatte und nun am Straßenrand geparkt war. Irgendetwas stimmte hier nicht. Peter war nur noch wenige Meter von dem Mann weg, der konzentriert den Abhang absuchte in dessen Abgrund der Fluss des naheliegenden Wasserfall entlang rauschte. Sofort fiel ihm die Waffe ins Auge. Sein Gefühl, dass etwas hier nicht stimmte, verstärkte sich. Für ihn sah das schwer nach dem Geheimdienst aus. Als für eine Zeitlang nichts weiter geschah, versuchte er sich in der Höflichkeitsmethode. Er trat aus seinem Versteck hervor und hielt die Waffe vorerst hinter seinem Rücken verborgen. "Kann ich ihnen helfen?", fragte er kurz und sah, wie der Mann regelrecht zusammenzuckte und sich blitzschnell umdrehte. Mit hochgehaltener Waffe blickte er ihn an und dachte für einige Sekunden nach, was er sagen sollte. "Wir suchen nach einem flüchtigen Verbrecher", gab er kurz zurück und wartete auf Peters Reaktion. Plötzlich hörte er einen Jungen nach Hilfe schreien. Im letzten Moment sah Peter, wie der Mann seine Waffe auf ihn richtete, doch er trat sie ihm aus der Hand und stieß ihn den Abhang hinunter. In Windeseile folgte er den Rufen und erkannte bald, wie zwei bewaffnete Männer hinter einem kleinen Jungen her waren, der nicht älter als elf oder zwölf Jahre zu sein schien. Peter zog seine Waffe und schoss auf den größeren der beiden Männer. Tatsächlich erwischte er ihn am Bein. Der andere Mann hatte das bemerkt und zielte jetzt auf ihn. Peter suchte hinter einem Baum Schutz und sah sich nach weiteren Angreifern um, doch die Männer schienen nur zu dritt zu sein. Mehrere Patronen schlugen in die Rinde des Baumes ein, als Peter sich umdrehte und ebenfalls auf den Mann schoss. Die ersten zwei Kugeln verfehlten ihr Ziel, doch die dritte traf ihn in die Schulter. Den Vorteil nutzend sprang er auf und folgte nun dem Jungen. Egal was geschah, er musste ihn beschützen und zum Revier bringen. Doch schon im nächsten Augenblick erkannte er einen Wagen, der dicht neben dem Waldstück hielt und weitere vier schwer bewaffnete Männer sprangen heraus. Er musste von hier verschwinden und neben der Straße war es zu gefährlich. Wenn er also den Jungen fand, mussten sie sich vorerst im Wald verstecken, bis die Gefahr gebannt war. Während er rannte, blickte Peter sich unentwegt um und versuchte das Kind, dass er eben noch gesehen hatte, zu finden, doch es schien wie vom Erdboden verschluckt. Verdammt, in welches Durcheinander war er jetzt schon wieder hinein geraten? Peter blickte sich kurz um und sah, dass die vier Männer nun auch ihm auf den Fersen waren. Er wollte gerade zum Sprint ansetzen, als ein lauter Schuss zu hören war und schon im nächsten Augenblick spürte Peter eine Kugel, die unterhalb seiner Schulter in sein Fleisch eindrang. Der Aufprall ließ ihn nach vorne stürzen und er verlor seine Waffe. Schon im nächsten Moment setzte der Schock ein und er begann zu zittern. Was sollte er jetzt bloß tun? Die vier Männer waren bereits viel zu nahe, als dass eine Flucht noch sinnvoll gewesen wäre und einen Kampf gegen vier Gegner mit Waffen und einer Kugel im Körper hörte sich auch nicht besonders gut an. Peter sah erschöpft auf und erkannte, dass sich die Männer um ihn herum positioniert hatten. Mit ihren langen schwarzen Mänteln wirkten sie fast einschüchternd. "Wer sind sie?", sprach ihr mutmaßlicher Anführer bedrohlich. Peter spürte, wie ihm langsam schwarz vor Augen wurde und er jede Kraft, die ihm noch blieb, aufbringen musste, um überhaupt sprechen zu können. "Ein...Wan...derer", log er kurz, doch die Männer glaubten es ihm nicht. Zumindest war es den Versuch wert gewesen... "Tut mir leid mich so früh von Ihnen verabschieden zu müssen, aber leider können wir es nicht riskieren, Sie als Zeugen wiederzusehen, ich hoffe Sie haben dafür Verständnis", sprach der Anführer wieder und richtete seine Waffe auf Peters Kopf. Ohne einen Ausweg in Sicht schloss er die Augen, um die Kugel nicht kommen sehen zu müssen. Sekunden der Stille vergingen und nichts geschah. Doch statt dem Schuss hörte der junge Cop plötzlich, wie die Männer in sich zusammen sackten und blickte sich irritiert um. Neben ihm hockte der kleine Junge den er gesehen hatte und starrte ihn skeptisch an. "Gehörst du zu denen?", fragte er vorsichtig und Peter schaffte es, den Kopf zu schütteln. "Ich bin...Polizist...", stieß er hervor und sah, wie der Junge ihm eine Hand reichte. "Komm", sprach dieser dann und half ihm langsam auf, "wir haben nicht viel Zeit, bis sie wieder zu sich kommen." +++ Kermit spürte das Unheil förmlich auf sich zukommen, je näher er dem geparktem Stealth kam. Peter würde nie ohne weiteres seinen Wagen mitten auf der Straße stehen lassen und die Tatsache, dass die Tür noch immer halb offen stand, machte es nicht besser. Vorsichtig parkte er seine Corvair dahinter und erkannte, dass alle Reifen des Wagens aufgeschlitzt waren. Da hatte jemand sich aber verdammt große Mühe gegeben, um Peter am wegfahren zu hindern... Kermit blickte sich um und stieg aus seinem Wagen, die Waffe schussbereit in der Hand. Wenn irgendjemand Peter auch nur ein Haar gekrümmt hatte... Der Stealth machte außer den platten Reifen und einigen Kratzern an der Stoßstange einen guten Eindruck, eigentlich wirkte es so, als hätte Peter ihn gerade verlassen. Kermit nahm an, dass er in das nahe Waldstück gelaufen war. Wenn also jemandem so daran gelegen war, dass er nicht mehr von hier verschwinden konnte, dann schien Peter wirklich in Schwierigkeiten zu stecken. Rasch lief Kermit zurück zur Corvair und rief Verstärkung, bevor er sich auf den Weg in den Wald machte. +++ Peter war mit seinen Kräften am Ende, als er mit dem Jungen den Wasserfall erreichte. Schon von weitem hatte er die tosenden Fluten gehört und er wurde das Gefühl nicht los, dass sie auf eine Sackgasse zuliefen. Soweit er die Wälder kannte, trennte sie von hier an ein breiter Fluss von der anderen und sicheren Seite und sie mussten entweder umkehren, oder den Flusslauf entlang gehen. Doch ihre Verfolger waren nicht dumm und warteten an der ersten Überquerungsmöglichkeit sicher schon auf sie. Erschöpft riss er sich von dem Jungen los und lehnte sich an einen Baum. Schwer atmend schloss er für einige Sekunden die Augen und genoss die Ruhe. "Wir müssen weiter!", forderte der Kleine, doch Peter schüttelte den Kopf. Er war am Ende. Die Wunde blutete unaufhörlich und entzog ihm das letzte bisschen Kraft, das er nach dem langen Marsch noch übrig hatte. Er würde nirgendwo mehr hingehen. "Ich...kann nicht mehr. Wir müssen uns irgendwo verstecken", erklärte er und rutschte an dem Baumstamm zu Boden. Der Junge sah ein, dass sie so schnell nicht mehr von hier weg kamen und kniete sich neben den Polizisten. "Die Wunde ist tief", bemerkte er und wollte Peters Jacke zur Seite schieben, als dieser ihn am Arm packte. "Wer bist du?", fragte er etwas grob, "und warum zur Hölle sind all diese Männer hinter dir her?" "Meine Name ist Lihuah", begann der Junge und drückte eine Hand auf Peters Wunde. Noch im selben Moment ließen die Schmerzen etwas nach. "Kommst du aus Chinatown?", erkundigte Peter sich erneut, doch Lihuah schüttelte den Kopf. "Eigentlich komme ich aus Ohio, aber ich war mit meiner Pflegemutter hier zu Besuch und da haben diese Männer mich gefunden." "Wer sind die?" "Ihre Anführer gehören einer geheimen Vereinigung aus China an. Seit ich fünf bin haben sie mich verfolgt. Sie glauben, dass ich etwas kann, das sie für ihre Zwecke nutzen könnten." "Eine chinesische Geheimorganisation? Na großartig...was für Zwecke könnten das wohl sein?" "Eine ganze Menge Dinge. Die Leute wollen an viel glauben, doch meistens stellen sich ihre Wünsche und Hoffnungen als falsch heraus." Lihuah nahm die Hand von Peters Schulter und tatsächlich hatte die Blutung nachgelassen. "Scheinbar nicht in diesem Fall", antwortete er und sah dem Jungen tief in die Augen. Er spürte förmlich, dass er etwas besonderes war. "Ich kann Menschen helfen...", begann der kleine Junge endlich, "ich kann ihre Gedanken lesen, ihren Schmerz spüren und sogar ihr Chi stärken." Peter zog die Augenbrauen hoch. "Dann bist du so etwas wie ein Wunderheiler? Und das als Kind?" Lihuah schüttelte den Kopf. "Wie in deinem Fall kann ich körperliche Wunden nur sehr beschränkt heilen. Es sind die seelischen Wunden, die ich zu heilen versuche." Peter erkannte die Ironie der Situation und musste fast lachen. Hier saß er nun, hatte eine Kugel riskiert bei dem Versuch, einen Jungen zu retten, der sich jetzt als Seelenheiler herausstellte. Der Tag nahm langsam eine interessante Wendung an. "Na dann viel Spaß. Ich glaube das wird ein Job auf Lebenszeit", seufzte er und schloss für einen Moment die Augen, nur um im nächsten Augenblick festzustellen, dass Lihuah die Hand auf seine Brust gelegt hatte. "Dein Chi ist vergiftet von all deinem Schmerz und den Selbstzweifeln", erkannte der Junge, doch Peter ließ sich nichts anmerken, "du bist innerlich zerrissen, du glaubst niemanden zu haben, dem du dich anvertrauen kannst. Du denkst, jeder wird dich früher oder später im Stich lassen." Als ihm die Sache zu persönlich wurde, wischte er die Hand des Jungen beiseite und stand langsam wieder auf. "Lass uns weiter gehen, bevor die Typen uns einholen." Lihuah nickte. "Du hast soviel Angst davor, wieder allein zu sein und trotzdem lässt du niemanden an dich heran", fügte er seiner Einschätzung hinzu, doch der Cop war schon weiter gelaufen. +++ Nervös besah Kermit sich die Einschusslöcher, die an einigen Bäumen deutliche Spuren hinterlassen hatten. Offenbar war Peter mitten in eine Schießerei geraten. Leider gab es von ihm keine Spur, ebenso wie von den Leuten, die es auf ihn abgesehen hatten. Kermit hoffte innigst, dass es sich nicht wieder um irgendwelche chinesischen Untergrundorganisationen handelte, die ein reges Interesse an Peter hatten, stellte er doch die Verbindung zwischen ihnen und Caine dar. Wenn dies der Fall war, steckte der Junge wahrlich in Schwierigkeiten. Von weitem hörte Kermit die Polizeisirenen und kam aus dem Wald, entdeckte aber gleich einige Meter entfernt Reifenspuren auf dem Asphalt. Offenbar waren die Täter mit ihren Wagen geflüchtet. Hoffentlich nicht zusammen mit Peter. Vielleicht befand er sich noch immer ganz in der Nähe, oder sie hatten ihn gar ermordet und unter der dicken Laubschicht versteckt... Kermit wollte gar nicht an so etwas denken. Nicht besonders erfreut war er allerdings von Simms Anblick, die bei ihrer Ankunft sichtlich gereizt auf ihn zustampfte, zusammen mit Skalany und Jody. "Was zur Hölle geht hier vor sich? Wo ist Detective Caine?" Kermit zuckte mit den Schultern und steckte seine Waffe weg. "Das kann ich Ihnen nicht sagen, Captain. Ich wollte bei ihm daheim vorbeischauen, aber da war er nicht. Da habe ich mir Sorgen gemacht und wollte es bei Blaisdells Haus versuchen. Auf den Weg dorthin habe ich den Stealth gefunden, alle Reifen sind von einem mittelgroßen Jagdmesser aufgeschlitzt worden. Hier im Wald finden sich Spuren einer Schießerei, einige der Patronen scheinen aus Petes Waffe zu stammen, aber das überlasse ich der Ballistik." "Wo soll er denn stecken?", fragte Jody in die Runde, aber natürlich konnte ihr niemand eine Antwort geben. "Hoffentlich in der Nähe, damit er uns dieses ganze Durcheinander erklären kann", sprach Simms düster. Als niemand sonst etwas hilfreiches zu sagen hatte, machte sich Kermit wieder auf den Weg in den Wald. "Vielleicht finden wir noch einige Anhaltspunkte", sprach er vor sich hin und ließ die drei Frauen zusammen mit einigen Polizisten am Straßenrand zurück. Simms war dieses eigentümliche Verhalten von Kermit gewohnt, daher störte es sie nicht besonders. Ändern würde er sich sowieso nicht. Es war einfach nur seine Art, tiefste Besorgnis zu zeigen. Angespannt wandte der Captain sich den verbleibenden Polizisten zu. "Also schön, machen sie sich zusammen mit Detective Griffin auf die Suche nach Spuren, ich will auch einen Ballistiker hier haben." Als die Polizisten ausschwärmten und nur noch die drei Frauen zurück blieben, seufzte Simms kurz. "Ich hätte heute besser nicht aus dem Bett steigen sollen...erst wird ein Mörder vor Gericht freigesprochen, dann werden uns die Mittel gekürzt und jetzt ist auch noch Peter Caine verschwunden...heute ist wirklich nicht mein Tag..." +++
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