Teil 4
Autor: Jenny

 

Sie waren einige Meilen gelaufen, als Peters Kräfte erneut schwanden und sie zu einer Pause zwangen. Müde setzte der junge Cop sich auf den Waldboden. Er war am Ende. Egal wie nah diese Typen ihnen waren, im Moment hatte er nicht einmal mehr die Energie, wieder aufzustehen. Müde lehnte er sich an einen nahestehenden Baumstamm und schloss die Augen.

Lihuah erschien an seiner Seite und musterte ihn für eine lange Zeit.

"Du hast ein gutes Herz, trotzdem erlaubst du niemanden, es zu sehen. Deine Angst, wieder verletzt zu werden führt dazu, dass du keinem Menschen mehr traust. Hinter allen Dingen vermutest du etwas böses. Aber die Leute auf dem Revier sind deine Freunde, sie wollen dir nur helfen."

"Würdest du bitte damit aufhören?", fauchte Peter, als die Schmerzen in seiner Schulter wieder stärker wurden.

"Aber du darfst dich nicht von ihnen isolieren. Du darfst nicht zulassen, dass dein Schmerz über das Vergangene dich vereinnahmt."

"Weißt du, du hörst dich verdammt nach jemanden an, der mir das auch immer erzählt hat - kurz bevor er mich wieder im Stich gelassen hat."

Peters Stimme klang sehr ernst. Zu tief waren noch die Wunden über Caines erneutes Verschwinden ebenso wie das von Paul. Letztendlich fühlte er sich wieder so allein wie damals im Waisenhaus.

"Wer war das?", wollte Lihuah wissen, doch Peter winkte ab.

"Vergiss es, nicht wichtig", stöhnte er, als eine weitere Welle der Agonie durch seinen Körper rauschte. Er brauchte ein Schmerzmittel und wenn er es nicht gleich bekam, würde er den Kampf gegen die Ohnmacht verlieren.

Lihuah war indes aufgestanden und überblickte das Umfeld nach möglichen Verfolgern, doch er entdeckte niemanden. Glücklich darüber kehrte er zu dem Polizisten zurück.

"Du bist die Rettung, die mir mein Freund versprochen hat", erklärte er dann und lächelte breit.

"Na...das freut mich aber...", gab Peter sarkastisch zurück. Diese ganze Situation machte ihn noch wahnsinnig. Solange er nicht wusste, wie nahe ihre Verfolger ihnen auf den Fersen waren, konnte er seinem Körper kaum die Ruhe gönnen, die dieser so dringend brauchte.

Aber trotzdem gingen seine Energiereserven vorerst zu Ende. Er musste sich ausruhen, selbst wenn es nur für einige Minuten war.

"Ich spüre sein Chi ganz deutlich. Es...es geht von dir aus...", erklärte der Kleine dann, doch Peter driftete langsam aber sicher in Ohnmacht.

"Wer...ist denn dein Freund?", fragte er schwach und Lihuah zog seine Jacke aus, um ihn damit zuzudecken.

"Er nennt sich Caine. Er ist mein bester Freund", antwortete er dann, doch Peter schaffte nur noch ein kurzes "Paps?", ehe er entgültig in eine tiefe Bewusstlosigkeit sank.

+++

"Du hast mir geholfen!", hörte Caine Lihuahs aufgeregte Stimme und schloss für einige Sekunden die Augen, um sich auf den Jungen zu konzentrieren.

"Wie...meinst du das?", fragte er ihn verstört, denn schließlich saß Caine noch immer in einem Truck auf dem Weg nach Chinatown. Siebzig Meilen trennten ihn von seinem Ziel..

"Der Polizist, er hat mich gerettet!"

"Ein Polizist, sagst du?"

Caines Unruhe, die ihn schon den ganzen Tag über begleitet hatte, steigerte sich ins Unermessliche.

"Sein Name ist Peter."

Caine erschrak so sehr, dass die Verbindung zu Lihuah abbrach. In Sekundenbruchteilen realisierte sein Gehirn, dass nun nicht nur Lihuahs, sondern auch das Leben seines Sohnes auf dem Spiel stand, wenn die Verfolger die Männer waren, die er hinter all dem vermutete.

Er musste so schnell wie möglich nach Chinatown kommen.

+++

"Captain, Kermit!", drangen Skalanys Rufe durch den Wald, als sie vor einer Stelle etwas tiefer im Wald stehen geblieben war.

Sofort eilten beide zusammen mit Jody auf die erschrockene Frau zu und sahen bald den Grund für ihr Verhalten.

Die Blätter auf dem Boden waren zusammengeklebt, so als hätte jemand auf ihnen gelegen. Nicht weit von dieser Stelle hatte sich ein Blutfleck gebildet, der auf den gelben Blättern deutlich hervor stach.

"Jemand ist erschossen worden", bemerkte Simms nervös, doch Kermit schüttelte leicht den Kopf.

"Vielleicht nicht erschossen...vielleicht...angeschossen", sprach er vor sich hin und folgte dem aufgewühlten Laub.

Immer mehr Polizisten fanden nun zwischen dem herbstlichen Laub Blutflecken und Kermit sah ein, dass es sich hier um eine weitaus größere Schießerei gehandelt hatte, als er es angenommen hatte. Die Spuren waren so verteilt, dass es ihm unmöglich war herauszufinden, wo Peter hin verschwunden war, falls er nicht in dem Wagen der mutmaßlichen Täter steckte.

Trotzdem ließ ihn das Gefühl nicht los, dass er weiter in den Wald laufen sollte. Das aufgewühlte Laub wirkte wie eine Einladung für ihn.

"Wir sollten warten, bis Nicky hier ist", schlug Jody vor, doch Kermit machte sich bereits auf den Weg.

"Ich habe das Gefühl, ich bin Peter auf der Spur", sprach er und zog seine Brille ab.

Das war nun wirklich kein gutes Zeichen.

Und er sollte recht behalten.

Nicht weit entfernt entdeckte er eine weitere Blutspur an einem der Bäume. Vermutlich hatte jemand sich dort angelehnt.

"Sieht so aus, als hätten sie dich an der Schulter erwischt, Pete", flüsterte er leise vor sich hin und berührte das Blut mit seinen Fingern.

Es war noch nicht allzu tief in die Rinde des Baumes eingezogen, offenbar war es relativ frisch.

"Captain", er drehte sich zu der blonden Frau um und deutete auf seinen Fund.

"Ich glaube, Peter ist noch hier irgendwo."

Simms nickte. "Ich werde einen Hubschrauber her beordern, vielleicht finden wir ihn auf diese Weise", schlug sie vor und sah sich im nächsten Augenblick einem Officer gegenüber.

"Ich glaube, wir haben einen der Männer bereits gefunden", erklärte dieser und deutete auf eine Leiche, die gerade von einem Abhang nach oben gehoben wurde. Vermutlich war einer der Angreifer hinunter gestürzt, oder Peter hatte nachgeholfen...

Kermit sah ein, dass sie auf diese Weise nie vorwärts kommen würde. Er konnte ohne die Gerichtsmediziner nicht beweisen, dass es Peters Blut war, aber seine Instinkte sagten es ihm. Und es konnte gut möglich sein, dass dem Jungen nicht genug Zeit blieb, bis er vom Hubschrauber gefunden wurde.

Statt dem Captain zurück zu der Leiche zu folgen, begann er immer weiter in den Wald hinein zu laufen. Er würde Peter finden, ganz gleich in welchen Schwierigkeiten er jetzt schon wieder steckte.

+++

Lihuah versuchte mittlerweile zum fünften Mal, Peter aufzuwecken, aber noch immer reagierte dieser nicht. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet und liefen sein Gesicht herunten, bis sie schließlich auf den Erdboden tropften.

In der Zwischenzeit hatte Lihuah sich oft umgesehen, doch seine Verfolger schienen entweder einen anderen Weg gewählt, oder ihre Suche aufgegeben zu haben. Zumindest verschaffte ihm das etwas Zeit.

Aufgeregt holte er die Brieftasche wieder hervor, die der Polizist bei sich getragen hatte. Als er zusammen brach, war sie ihm aus der Tasche gefallen und Lihuah hatte sie eingesteckt.

Jetzt sah er sich voller Ehrfurcht die glänzende Marke an, zusammen mit der Aufschrift "101. Revier".

Er selbst hatte schon immer davon geträumt auch mal ein Polizist zu werden. So konnte er den Leuten helfen und genau das wollte Lihuah.

Plötzlich fiel ihm der Name des Polizisten auf. Er hatte sich schon vorher als Peter vorgestellt, doch nun traf es ihn fast wie einen Schlag, als er seinen Nachnamen las.

"Caine", sprach Lihuah überrascht und plötzlich ergab es auch einen Sinn, dass Caine so seltsam reagiert hatte, als er ihm von Peter erzählt hatte. Und Peter so seltsam, als er ihm von Caine erzählt hatte. Aber war er nicht im Tempel ums Leben gekommen?

Er erinnerte sich, wie aufgelöst Caine damals gewesen war, als er über den Verlust seines Sohnes sprach, der ebenfalls Peter hieß. Keine Frage, hier schien es sich eindeutig um Caines Sohn zu handeln. Trotzdem war er irgendwie anders, als Lihuah ihn sich vorgestellt hatte. Er war ein waschechter Amerikaner und schien auch nicht allzu sehr an den fernöstlichen Bräuchen interessiert zu sein, so wie Caine es war.

Neugierig legte er Peters Unterarme frei und suchte nach den Shaolinbränden, doch ernüchtert musste er feststellen, dass dort keine waren. Aber warum war er kein Shaolinpriester, wenn er doch Caines Sohn war?

Peter war inzwischen wieder zu sich gekommen und beobachtete, wie Lihuah seinen rechten Arm nach allen Seiten drehte und wendete.

"Was tust du da?", fragte er und kniff die Augen vor Schmerzen zusammen.

Der Junge wirkte nervös, kniete sich dann aber neben ihn.

"Bist du wirklich Caines Sohn?", fragte er neugierig und Peter musste fast lächeln. So hatten sich die Wege von Vater und Sohn wieder gekreuzt.

"Ja, das bin ich", antwortete er müde und stellte fest, dass Lihuah seinen Kopf auf seine weiche Jacke gebettet hatte.

"Aber du siehst ihm nicht sehr ähnlich."

"Oh...danke...", stieß Peter gespielt beleidigt hervor.

"Und wo sind deine Shaolinbrände?", der Junge deutete auf seine Unterarme, "Wenn du ein echter Shaolin wärst, hättest du doch die Brände."

Peter richtete sich langsam auf und legte Lihuah seine Hand auf die Schulter.

"Warum lässt du uns nicht einfach erst mal von hier verschwinden, dann erzähle ich dir die ganze Geschichte, einverstanden?"

Der Junge willigte ein und half dem Cop langsam wieder auf die Beine. Sofort drehte sich alles vor Peters Augen, doch er schaffte es gerade noch, sich an einen Baum zu stützen.

Müde atmete er einige Male tief durch und folgte dann dem Jungen immer weiter in den westlichen Teil des Waldes hinein. Peter hoffte, dass sie dadurch bald an der Hütte seines Ziehvaters ankommen würden, von dort aus war Hilfe nur noch ein Telefonat weit entfernt.

+++

"Wie ist deine Position, Kermit?", hörte der Ex-Söldner sein Funkgerät rauschen.

Es war Jody, ihre Stimme klang angespannt. Er wusste zu genau, was sie für Peter empfand, leider hatten es die beiden noch immer nicht übers Herz gebracht, miteinander auszugehen. Wenn es nach ihm ginge, wären sie das perfekte Paar.

"Ich bin etwa zwei Meilen von euch entfernt. Ich glaube, dass ich irgendjemandem auf der Spur bin."

Kermit wollte Peters Namen nicht erwähnen, denn noch wusste er nicht hundertprozentig, ob es Pete war. OK, er wusste es schon, aber er konnte es nicht beweisen. Indem er es nicht sagte, war das auch nicht nötig. Er wusste einfach, dass er auf der richtigen Spur war.

"Der Helikopter kann heute aufgrund des Wetters nicht starten, aber Captain Simms hat Suchtrupps herbeordert. Sie werden in etwa einer Stunde hier sein. Willst du solange auf deiner Position bleiben?"

Kermit ahnte, dass Simms sie diese Frage stellen ließ. Jody wusste selbst zu genau, dass er es nicht tun würde. Sobald er sich an etwas festgebissen hatte, ließ Kermit für gewöhnlich nicht mehr so schnell los.

"Negativ, ich werde weitersuchen, melde mich, sobald ich etwas gefunden habe."

Am anderen Ende herrschte für eine Weile Ruhe.

"Brauchst du Unterstützung?", fragte Jody dann zögerlich.

Kermit wusste, worauf sie hinaus wollte, aber er konnte es nicht riskieren. Er war ein Einzelkämpfer, Jody mit dabei zu haben, konnte auch bedeuten, sie beschützen zu müssen, aber er musste all seine Sinne jetzt darauf richten, Peter zu finden.

"Nein, ich komme allein klar...aber danke", erwiderte er dann und suchte weiter.

+++

Seit einigen Minuten wusste Peter, dass sie verfolgt wurden.

Zwar hatte er den Gegner noch nicht gesehen, aber hörte das eigentümliche Rascheln von Laub am Boden. Sich umzudrehen hätte bedeutet, dem Gegner ein Zeichen zu geben, dass er Bescheid wusste, was vor sich ging. Also beließ er es dabei, dass er es Lihuah nur mit Augenkontakt übermittelte. Das war leise und sparte ihm Energie.

Peter hatte so sehr gehofft, nicht mehr auf diese Typen zu treffen, bevor sie das Haus seines Ziehvaters erreichten, aber sein Wunsch wurde bedauerlicherweise nicht erhört.

Gerade, als er hinter einem Baum Schutz suchen und auf die Angreifer warten wollte, war Lihuah plötzlich nicht mehr da. Er war einfach aus seinem Blickfeld...verschwunden.

Es war wieder genauso wie noch vor wenigen Stunden, als Lihuah von den bewaffneten Männern verfolgt wurde und urplötzlich nicht mehr zu sehen war. Peter nahm sich vor, ihn gründlich nach diesem Phänomen auszufragen - falls er ihm noch einmal begegnete.

Irritiert hielt er trotzdem weiterhin an seinem Plan fest und sprang hinter den nächstbesten dicken Baum.

Sofort wurden Schüsse abgegeben und Rinde splitterte von dem Stamm ab, hinter dem Peter sich versteckte. Der routinierte Griff nach seiner Waffe endete mit der Einsicht, dass er sie bei der Schießerei verloren haben musste. Bei all der Aufregung war sie dann wahrscheinlich unter das Laub geraten.

Also gut, offenbar saß er hier in der Falle.

Er hatte keine Waffe und seine Kung Fu Künste würden ihm bei der Entfernung auch nicht viel bringen. Außerdem war Lihuah verschwunden und er hatte absolut gar keine Möglichkeit, ihn zu suchen. Da blieb nur die Option des Wegrennens. Soweit er es gehört hatte, waren sogar zwei Männer hinter ihnen her, wenn er also nicht bald verschwand, würde es nicht lange dauern, bis einer von ihnen nahe genug dran war, um ihn zu treffen, während der andere Feuerschutz gab.

Peter betete innerlich, dass alles gut ausgehen würde und rannte los. Dabei schlug er wie ein Hase Haken und versuchte immer einen Baum zwischen sich und die Schusslinie der Gegner zu bringen. Über Lihuah würde er sich später Gedanken machen. Der Junge hatte sich schon einmal gut vor diesen Typen versteckt, er würde es auch noch einmal schaffen.

Tatsächlich schien sein Plan zu gelingen.

Und als ob das alles nicht gut genug war, erschien Pauls Waldhütte in seinem Blickfeld. Er war nun noch wenige hundert Meter entfernt!

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Kermit war nicht mehr weit von der Stelle entfernt, an der er die Schüsse gehört hatte, als ihm ein kleiner Junge direkt in die Arme lief. Er war nicht älter als zwölf Jahre und asiatischer Herkunft.

Verwirrt packte er ihn bei den Armen und zerrte ihn hinter einen dicken Baumstamm, damit sie halbwegs geschützt waren.

"Was tust du denn hier, Kleiner?", fragte er angespannt, war er doch nicht weit davon enternt, Peter zu finden.

"Sind sie ein Guter?", fragte der Junge, doch Kermit hatte keine Zeit für solche Dinge.

"Das willst du gar nicht wissen, glaub mir...sag mal, hast du meinen Freund gesehen, sein Name ist Peter Caine, etwa 1,80m groß, 80 kg, dunkle Haare, macht Kung Fu?"

Zu seiner Überraschung nickte der Junge und deutete auf die Stelle, aus der die Schüsse kamen.

"Sie müssen ihm helfen, Mister. Diese Typen wollen ihn umbringen!"

"Alles klar", Kermit machte sich bereit und drückte den Jungen an den Baumstamm, "Versteck dich hier. Wenn ich bis in einer Stunde nicht zurück bin, lauf nicht weg, sondern warte hier. Einige Polizisten werden bald vorbeikommen und dir helfen, ok?"

Der kleine Junge nickte und Kermit machte sich auf den Weg.

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