3. Teil
Autor: Fu-Dragon

 

Peter saß mit untergeschlagenen Beinen mitten im Meditationsraum seines Vaters. Mehrere Kerzen warfen ihren Schatten an die Wand, der Duft von Weihrauch und anderen Kräutern hing in der Luft.

Zum x-ten Mal an diesem Abend, versuchte Peter in eine meditative Phase zu gelangen. Etwas mit dem er normalerweise keinerlei Probleme mehr hatte, doch heute schien es ihm einfach nicht gelingen zu wollen. Zu viele Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf und zudem hatte er seit einigen Stunden ein sehr schlechtes Gefühl in der Magengegend, das er sich nicht erklären konnte. Er spürte nur, dass dieses Gefühl ihn auch am Rande betraf, daher war er ihm so wichtig, es näher zu erforschen. Doch dafür musste er es schaffen, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Im Moment ergab dies für ihn einen wahren Teufelskreis, den er nicht durchbrechen konnte.

Caine betrat leise den Meditationsraum. Halb im Schatten verborgen, beobachtete er die vergeblichen Versuche seines Sohnes zu meditieren. Er spürte die innere Zerrissenheit Peters. Wenn er nicht einmal realisierte, dass er sich mit seinem eigenen Vater in einem Raum aufhielt, konnte das nichts Gutes bedeuten. Er löste sich aus dem Schatten.

"Hallo mein Sohn", sagte er sanft.

Peter zuckte dennoch erschreckt zusammen. "Paps, was machst du denn hier? Entschuldige, dumme Frage, ist ja dein Appartement. Wie lange bist du schon da? Was hast du alles mitbekommen?"

Die Fragen prasselten wie üblich in einem wahren Feuerwerk aus Peters Mund, ein deutliches Zeichen, dass er aufgeregt war.

"Lange genug, um zu erkennen, dass du durcheinander bist. Willst du reden?"

Peter fuhr sich in altbekannter Geste durch die Haare und zuckte die Schultern.

"Ach Paps, was soll ich sagen? Ich habe einfach nur ein schlechtes Gefühl über etwas und ich komme nicht dahinter, was es ist", teilte ihm der junge Mann mit.

Caine merkte, dass Peter ihm nur die halbe Wahrheit erzählte, doch er beließ es dabei.

"Peter, du musst deine Gedanken frei machen von jedem Denken, nur so kannst du in eine meditative Phase gelangen."

Peter sprang auf die Füße, plötzlich voller Ärger. "Ja, ja, Paps, das weiß ich. Doch kannst du mir auch sagen wie ich das machen soll, wenn mir soviel im Kopf herum geht?", stieß er hervor.

"Schließe die Augen, atme tief ein und aus und leere deine Gedanken", gab Caine zurück.

"Wenn das nur so einfach wäre. Hast du noch mehr so guter Ratschläge für mich?", schnappte er ärgerlich.

Caine antwortete nur mit einem Schulterzucken. Er wollte seinem Sohn gerne helfen, doch solange dieser nicht bereit war, seine Hilfe anzunehmen, konnte er nichts tun.

"Na toll", fauchte Peter. "Mehr als ein Schulterzucken ist dir dein Sohn heute wohl nicht wert."

Er wandte sich zum Gehen. Caines Stimme hielt ihn einen Moment zurück.

"Wohin gehst du, Peter?"

"Weg, einfach nur weg von all dem hier."

Peter machte eine weitausholende Geste mit der Hand, die den gesamten Raum und auch seinen Vater einschloss. Bevor dieser noch etwas erwidern konnte war Peter verschwunden.

Caine schüttelte nur den Kopf und starrte lange auf den Fleck, wo vor wenigen Sekunden noch Peter gestanden hatte. Er hörte die durchdrehenden Reifen, als Peter aus dem Parkplatz fuhr und blieb in Gedanken versunken stehen.

Ganz vorsichtig schlüpfte er in die gedankliche Verbindung, die er mit seinem Sohn teilte, doch alles was ihm entgegen kam, waren Ärger und Wut und eine große Unsicherheit. Um alles andere hatte Peter eine Barriere errichtet, die er nicht durchdringen konnte.

Er fragte sich, was da passiert war, was seinen Sohn dermaßen aus der Bahn werfen konnte. Er wusste nur, dass Peter heute Nacht nicht nach Hause gekommen war. Er hatte ihm durch ihre spezielle Gedankenverbindung mitgeteilt, dass er die Nacht bei Cara verbrachte und zu diesem Zeitpunkt schien es ihm noch gut gegangen zu sein. Was also war passiert?

Caine entschloss sich dazu, Cara morgen zu besuchen. Vielleicht konnte sie ihm einen Hinweis darauf geben, warum sein Sohn so ärgerlich war.

****************

Peter fuhr ziellos durch die Gegend. Inzwischen hatte es angefangen zu regnen, doch das bemerkte er gar nicht. Er war viel zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, die nach wie vor nur um ein Thema kreisten.

Sahen ihn seine Freunde tatsächlich als gewalttätigen, aufbrausenden Supermacho, den es nicht kümmerte, wie er andere behandelte und wem er Schaden zufügte?

Die Werbereklame einer Nachtbar kam in sein Blickfeld. Spontan machte Peter eine Kehrtwende und stellte den Stealth auf einen Parkplatz vor der Bar ab. Der Laden war genauso gut wie jeder andere, um seinen Kummer zu ertränken. Wenn seine Freunde schon dachten, er würde sich so benehmen, dann konnte er das auch tun. Irgendwie hatte sich dieser absurde Gedanke schon so fest in sein Gehirn gesetzt, dass er es mittlerweile schon als Realität ansah.

Die Hände in die Hosentasche geschoben betrat Peter die Bar. Schummriges Licht begrüßte ihn. Er brauchte nicht lange, um zu erkennen, dass er in einer dieser zwielichtigen Bars geraten war, die er sonst mied wie die Pest. Das gesamte Interieur machte einen ziemlich schäbigen Eindruck auf ihn. Einige Tische waren besetzt mit Männern, die gierig auf die Tanzfläche schauten, wo eine, das musste er zugeben, dunkelhäutige Schönheit dabei war, sich nach und nach zu entblättern.

Er zuckte nur die Schultern. *Warum auch nicht?*, sagte er zu sich selbst. *Du kannst dir hier genauso gut die Birne zusaufen wie woanders.* Immerhin war er hier sicher nicht zufällig einem seiner Exkollegen zu begegnen.

Er nahm an einem Tisch nahe der Tanzfläche Platz, bestellte den ersten Whiskey und flirtete ein wenig mit der Kellnerin.

*****************

Anhaltendes Klingeln riss Cara aus dem Tiefschlaf. Sie schaute auf die Uhr. Fast drei Uhr in der Früh.

*Welcher Idiot kommt Nachts um diese Zeit hierher?*, dachte sie grimmig.

Sie brauchte einen Augenblick, um sich zurecht zu finden. Mühsam schwang sie die Beine aus dem Bett, zog sich ihren Morgenmantel über ihr Schlafshirt und taumelte die Treppe hinunter. Nachdem sie durch ihren Spion geschaut, den Kermit ihr eingebaut hatte, war sie hellwach. Mit einem Ruck riss sie die Türe auf.

"Peter, was machst du denn hier? Ist etwas passiert? Komm herein", rief Cara erschrocken aus, während sie ihr Gegenüber musterte.

Der Shaolin machte einen vollkommen verstörten Eindruck auf sie. Seine völlig zerzausten Haare klebten durch den Regen an seinem Kopf, sein Shirt hing ihm halb aus der mit diversen Schmutzflecken bedeckten Hose und er hatte ein ziemlich dümmliches Grinsen auf den Lippen, das ihr im ersten Schock gar nicht auffiel.

"Hallo Täubchen", säuselte Peter und schob sich schwankend an ihr vorbei.

"Puh", Cara wedelte mit der Hand vor ihrer Nase herum. "Mensch Junge, du bist ja total betrunken und stinkst zehn Kilometer gegen den Wind nach Alkohol."

"Aber Mäuschen, wie kannst du nur so etwas sagen? Ich bin völlig nüchtern", lallte Peter und schlang tapsig seine Arme um Cara.

"Ja ganz klar, du bist vollkommen nüchtern, logisch", gab Cara trocken zurück.

Gleichzeitig versuchte sich aus Peters, im Moment gar nicht angenehmer, Umarmung zu befreien und ihn in Richtung Sofa zu schieben. Sie schaffte es gerade noch, mit ihm bis zur Couch zu kommen, bevor er das Gleichgewicht verlor und mit einem lauten Plumps auf das Sitzmöbel krachte.

Cara schüttelte den Kopf. "Oh Mann, was hast du nun wieder angestellt? Sag bloß, du bist in dem Zustand auch noch Auto gefahren?", wollte sie leicht ärgerlich wissen.

Peter grinste sie schief an und versuchte erneut nach ihr zu greifen. "Hey, kann sich ein Mann nicht einmal amüsieren, ohne dass gleich jeder Sauer wird? Komm her zu mir, Baby und gib deinem Süßen einen Begrüßungskuss", lallte er.

Cara wich seiner Hand elegant aus und wandte sich Richtung Küche. "Ich bin gleich wieder da, und du bleibst schön brav sitzen, hast du das verstanden?", sagte sie in ihrem besten Oberlehrerton.

Peter salutierte flapsig und erwiderte: "Jawohl Chef, zu Befehl Chef."

Cara konnte nur den Kopf schütteln. Peter hatte eindeutig mehr als nur einen über den Durst getrunken.

Knapp fünf Minuten später kam sie mit einem dampfenden Becher starken Kaffees aus der Küche zurück. Sie erblickte Peter, der nun auf dem Boden saß und es geschafft hatte in den wenigen Minuten, ihr Wohnzimmer in ein halbes Chaos zu verwandeln. Sowohl die Kissen, als auch ihre Zeitschriften, die noch kurz zuvor ordentlich auf dem Wohnzimmertisch gelegen hatten, lagen alle auf dem Boden verstreut. Er hatte einzelne Seiten heraus gerissen, zu Kugeln geformt und sie im gesamten Raum verteilt.

"Hey, wo issssie Katze, will mir ihr ssspielen", lallte er.

Cara verdrehte die Augen. "Clumsy schläft oben in meinem Zimmer. Dich kann man keine fünf Minuten alleine lassen, komm hoch."

"Nein, will mit Kazzze spielen", entgegnete Peter stur und schob seine Unterlippe schmollend nach vorne.

Cara stellte den Kaffee vorsichtig auf den Tisch und bückte sich, um Peter vom Boden hoch zu helfen. Er schlug ihr einfach die Hand weg, als sie nach ihm greifen wollte.

*Na toll, ist er nun 5 Jahre alt, oder über 30?* fragte sich Cara im Stillen. Ihr war klar, dass sie hier mit rationalem Verstand nicht weiter kam.

"Okay Peter, du kommst jetzt vom Boden hoch, setzt dich auf das Sofa, trinkst deinen Kaffee und wenn du das brav gemacht hast, hole ich Clumsy zur Belohnung, einverstanden?", sprach sie zu ihm, wie mit einem kleinen Kind.

Ein strahlendes Lächeln erhellte Peters schmollende Gesichtszüge. "Einverssssanden", stimmte er zu.

Diesmal ergriff Peter ihre Hände und ließ sich von ihr auf die Beine ziehen. Er schwankte stark und brachte Cara fast zum Fallen, als er sich plötzlich mit seinem gesamten Gewicht auf ihre Schultern lehnte.

"Uh, ganz langsam, Peter. Noch einen Schritt nach links und wir sind da", keuchte Cara.

Plötzlich wurde Peter kalkweiß im Gesicht und stöhnte. "Oh, isss mir schlecht."

"Oh nein, nicht auch das noch", sandte Cara ein Stoßgebet an den Himmel.

Das Letzte, was sie heute noch gebrauchen konnte, war Erbrochenes auf ihrem schönen weißen Teppich. So schnell sie konnte, schleifte sie Peter ins Bad. Mit Ach und Krach schafften sie es gerade noch bis zur Toilette, bevor Peter seinen Mageninhalt entleerte. Cara drehte sich fast selber der Magen um, den Geruch hatte sie noch nie ausstehen können.

Sie schaffte es, ihren Ekel zu überwinden, feuchtete unter dem Wasserhahn einen Waschlappen an und wartete ungeduldig, bis Peter mit seiner Orgie über der Toilette fertig war. Anschließend drückte sie die Toilettenspülung, wischte ihm das Gesicht mit dem Waschlappen ab, was er sich ohne Gegenwehr gefallen ließ, und half ihm wieder auf die Beine.

Widerspruchslos ließ er sich von Cara ins Wohnzimmer führen und auf das Sofa setzen. Cara drückte ihm erneut die Kaffeetasse in die Hand und beobachtete ihn mit Argusaugen.

"Hier trink das, vielleicht wirst du dann wieder ein wenig nüchterner", meinte sie.

Peter stellte die Kaffeetasse unangetastet auf den Tisch zurück. Verschwunden war seine Fröhlichkeit, die er vorhin noch an den Tag gelegt hatte. Plötzlich standen ihm Tränen in den Augen.

"Oh Cara, ich bin so ein Versager", seufzte er leise. Dann fing er wie ein kleines Kind an zu weinen.

Cara war vollkommen unvorbereitet auf diesen schnellen Stimmungswechsel. Ihn so zu sehen tat ihr im Herzen weh und es wühlte sie zutiefst auf. Nach einer kleinen Schrecksekunde setzte sie sich neben ihn und nahm ihn in die Arme.

"Schon gut Peter, es ist alles in Ordnung", tröstete sie und strich ihm über die Haare.

"Nichts ist gut, g...gar n...nichts ist g...gut", stotterte Peter zwischen zwei Schluchzern.

"Was ist passiert?", fragte sie sanft.

"N...nichts, ich bin nur ein V…V...Versager", stammelte Peter.

Caras Gedanken wirbelten wild durcheinander. Sie fuhr fort, ihn fast abwesend weiterhin zu trösten und dachte nach. Ihr war klar, dass sie in seinem Zustand keine vernünftige Antwort von ihm bekommen würde. Was hatte seine seltsame Bemerkung zu bedeuten? Wie kam Peter darauf, dass er ein Versager war? Was war passiert? Warum tauchte er mitten in der Nacht sturzbetrunken vor ihrer Türe auf?

Es dauerte eine Weile bis Cara bemerkte, dass Peter an ihrer Schulter immer schwerer wurde und das Schluchzen aufgehört hatte. "Peter?", fragte sie.

Keine Antwort. Er war an ihrer Schulter eingeschlafen.

Cara ließ Peter vorsichtig auf das Sofa zurücksinken. Sie schnappte sich eines der Kissen vom Boden und legte es ihm unter den Kopf. Dann erhob sie sich, legte auch seine Füße auf die Couch, holte eine Decke und breitete sie über ihn aus.

Nachdenklich blickte sie auf ihn herunter. Peter schlief tief und fest. Sie war sich sicher, dass ihn so schnell auch nichts mehr aufwecken würde. Morgen früh würde er jedenfalls einen Kater haben, der sich gewaschen hatte. Sie hoffte, dass er sich bis zum Morgen zumindest soweit erholt hatte, dass er mit ihr reden konnte. Ohne Grund betrank sich niemand dermaßen und sie machte sich ziemlich Sorgen was da passiert war. Leider konnte sie Caine nicht anrufen, da dieser kein Telefon besaß. Daher musste sie wohl oder übel bis morgen früh warten, bevor sie mehr erfahren konnte. Außerdem war sie hundemüde.

Vorsichtshalber stellte sie eine leere Schüssel dicht an die Couch, falls Peter wider erwarten doch aufwachen und ihm schlecht werden sollte. Zwei Aspirin und ein Glas Wasser folgten, ein kleiner Helfer gegen den Kater. Mit einem letzten traurigen Blick auf die schlafende Gestalt beugte sie sich über Peter, strich ihm sanft eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht und löschte das Licht bis auf eine kleine Lampe in der Ecke, bevor sie die Treppen hinauf in ihr Schlafzimmer ging. Die Türe ließ sie halb offen stehen, falls Peter in den verbleibenden Stunden, die sie noch schlafen konnte, etwas brauchte. Dann fiel sie vollkommen erschöpft in ihre Kissen.

************

Clumsy weckte Cara, indem sie mit ihren kleinen Pfoten auf ihr herumhüpfte und ihr in das Ohr maunzte. Die junge Frau öffnete verschlafen die Augen. Ein leichtes Lächeln glitt über ihre Lippen, als sie nach der Katze griff und ihr die Ohren kraulte.

"Guten Morgen, meine Süße, bist wohl hungrig was?", murmelte sie.

Das kleine Kätzchen miaute zustimmend und rieb ihren Kopf an ihrem Kinn. Kurz darauf fielen Cara die Ereignisse der Nacht wieder ein. Mit einem Ruck setzte sie sich im Bett auf. Ihr Blick fiel auf die Uhr, es war fast Mittag.

"Oh Mist", fluchte Cara und strampelte sich aus dem Bett. Sie nahm sich gerade mal Zeit, ihren Bademantel überzustreifen, bevor sie die Treppe hinunter hetzte, Clumsy ihr dicht auf den Füßen.

Das Wohnzimmer war menschenleer. Nur die sauber zusammengelegte Decke und die Papierknäuel, die in der neben dem Sofa stehenden Schüssel lagen, zeugten davon, dass sie die Vorkommnisse der Nacht nicht geträumt hatte. So wie es schien, hatte Peter das Wohnzimmer aufgeräumt, bevor er sie ohne ein Wort verlassen hatte. Daraus schloss sie, dass es ihm heute Morgen besser ging, doch das änderte nichts an den Sorgen, die sie sich um ihn machte.

Etwas musste geschehen sein und sie war fest entschlossen, es heraus zu finden. In aller Eile ging sie in die Küche und öffnete für die hungrige Katze eine Dose Futter. Nebenher schnappte sie sich ihr Telefon und wählte Peters Nummer. Gleich nach dem ersten Klingeln ging der Anrufbeantworter an, was für sie bedeutete, dass Peter das Handy mit Absicht ausgeschaltet hatte. Sie wusste nicht was mehr überwog, ihre Sorge, oder die aufkeimende Wut.

Sie schmiss das Telefon in die Ecke und zog sich in aller Eile an. Duschen wollte sie in ihrer Buchhandlung, sie war eh schon viel zu spät dran. Als sie zurück in die Küche kam, war Clumsy mit ihrem Frühstück fertig. Bedauernd schaute Cara auf den Kühlschrank, doch sie hatte einfach keine Zeit zum Frühstücken. Sie hob die kleine Katze auf die Arme und ging zu ihrem Wagen.

In regelmäßigen Abständen von fünf Minuten, versuchte sie Peter über ihr Handy zu erreichen. Immer wieder sprang nur der Anrufbeantworter an. Leider hatte sie auch keine Zeit im Appartement seines Vaters vorbei zu fahren, da sie gleich einen Termin mit einem Vertreter hatte.

Schließlich entschloss sie sich wütend dazu auf Peters Anrufbeantworter zu reden. Zum letzen Mal wählte sie die Nummer und sprach: "Hey Peter, ich bin es, Cara. Hör mal, so was kannst du mit mir nicht machen. Du tauchst nachts sturzbetrunken vor meiner Türe auf und am nächsten Morgen bist du wieder verschwunden, ohne auch nur einen Ton zu sagen. Ich dachte bis jetzt eigentlich wir sind Freunde und können über alles reden, doch das scheint ziemlich einseitig zu sein. Du kannst dir nicht vorstellen, dass ich mir genau jetzt große Sorgen um dich mache, oder? Und ich sage dir noch etwas Peter: wenn du dich bis heute Abend nicht gemeldet hast, dann setze ich Kermit auf dich an und der wird dich finden, das schwöre ich dir. Bitte, Peter, melde dich bei mir, ich mache mir wirklich ziemliche Sorgen um dich!"

Der letzte Satz hatte selbst in Caras Ohren ziemlich traurig und flehend geklungen, im Gegensatz zum Beginn, als ihre Wut eindeutig die Oberhand gehabt hatte. Ab jetzt konnte sie nur bangen und hoffen.

Das Auto des Vertreters stand schon vor ihrer Ladentüre, als sie den Motor abstellte. Sie seufzte innerlich, holte tief Luft und ergab sich in ihr Schicksal. Das Gespräch mit dem Vertreter würde hoffentlich nicht schief gehen und sie hoffte, zumindest so lange ihre Gedanken beisammen zu halten. Mit einem geschäftsmäßigen Lächeln stieg sie aus dem Wagen und streckte dem Vertreter die Hand hin.

Knapp eine Stunde später war sie heilfroh, dass der Vertreter wieder weg war. Zumindest konnte sie einen kleinen Erfolg verbuchen. Sie hatte den Liefervertrag zu ihren Gunsten abschließen können, auch wenn ihr bei dem Geplapper des Mannes bald die Ohren abgefallen waren. Erleichtert ließ sie sich auf das Sofa in ihrer oberen Wohnung fallen. Clumsy sprang auf ihren Schoß und sie streichelte sie abwesend.

Ihre Gedanken irrten wieder zu Peter. Warum meldete er sich nicht? So langsam wurde sie immer unruhiger. Sie beschloss, Arbeit sei die beste Medizin, aber zuvor wollte sie die Dusche nachholen, die sie heute Morgen hatte ausfallen lassen müssen.

Eine Viertelstunde später ging sie in ihren Laden herunter und machte da weiter, wo sie am Vorabend aufgehört hatte. Dennoch konnte sie nicht verhindern, dass ihre Gedanken nach wie vor um Peter kreisten.

Zu ihrem eigenen Erstaunen kam sie ganz gut voran. Langsam aber sicher wurden die Regale immer voller. Der Laden nahm immer mehr Form an. Ein Geräusch ließ Cara auf dem Absatz herum fahren. Trotz ihrer miesen Laune musste sie doch über das, was sie da sah, lachen.

Clumsy machte ihrem Namen mal wieder alle Ehre. Sie war auf die Theke geklettert, wo noch Caras Aufzeichnungen von gestern herum lagen. Dabei war sie wohl auf den Blättern ins Rutschen gekommen und war mit sämtlichen Notizen auf den Boden gepurzelt. Da lag sie nun auf dem Rücken, versuchte sich aus den Papieren zu kämpfen und maunzte beleidigt.

Cara ging lachend zu Clumsy und befreite sie aus ihrer Notlage. Die Katze warf ihr nur einen eingeschnappten Blick zu und trollte sich von dannen. Die junge Frau schüttelte den Kopf. Mit Clumsy wurde es wahrlich nicht langweilig, dem Kätzchen fiel alles mögliche und unmögliche ein, um Unsinn anzurichten. Sie bückte sich, um die Papiere aufzuheben. Plötzlich überfiel sie wieder dieses komische Gefühl, das sie gestern schon gehabt hatte, als ihr Mr. Singer erschienen war.

Sie drehte sich langsam herum und schrie. Direkt vor ihr hatte sich ein tiefer Abgrund gebildet, der ins Bodenlose zu führen schien. Aus diesem Abgrund kam eine Hand hervor, die sich an den Rand krallte. Mit vor Entsetzen aufgerissenen Augen wich Cara bis an die Wand zurück. Sie zitterte am ganzen Leib und konnte sich nicht mehr bewegen.

Der Hand folgten ein Kopf und ein Rumpf. Wiederum war es Mr. Singer, der sich aus dem Abgrund hervor zog, doch er wirkte seltsam verzerrt. Mit steifen Schritten kam er auf sie zu, streckte dabei die Hand nach ihr aus.

Cara schrie erneut. Zu mehr war sie nicht in der Lage. Mr. Singer kam immer näher, sie erkannte zutiefst erschreckt, dass sein Gesicht, je näher er kam, immer mehr einer verzerrten Maske glich. Entsetzt schloss sie die Augen, gleich würde die Gestalt sie berühren. Sie konnte nur noch beten.

Irgendwann, im hintersten Winkel ihres Denkens, der noch funktionierte, bemerkte sie, dass es ziemlich lange dauerte, bis die Gestalt sie berührte. Sie müsste inzwischen längst bei ihr angekommen sein. Sie nahm ihren ganzen Mut, den sie noch aufbringen konnte, zusammen und öffnete die Augen einen spaltbreit.

Die Gestalt und der Abgrund waren weg. Absolut nichts deutete mehr darauf hin, dass hier gerade etwas für sie sehr schreckliches geschehen war.

Caras Knie gaben nach. Wie ein Schluck Wasser, glitt sie an der Wand hinunter. Sie verbarg ihren Kopf zwischen den Knien und verschränkte die Hände über dem Kopf. Trockene Schluchzer schüttelten ihren Körper.

Etwas stupste gegen ihren Knöchel. Sie schrie erneut auf, dann registrierte sie, dass es sich bei diesem Etwas um Clumsy handelte. Sie nahm die Katze hoch und drückte sie eng an sich, schluchzte in das weiche Fell der Kleinen. Das Kätzchen spürte, dass es seiner Herrin nicht gut ging und versuchte ihr Bestes sie zu trösten, indem sie ihr mit ihrer winzigen Zunge über den Hals leckte und leise schnurrte.

Die Nähe des kleinen Wesens half Cara, ihren Schock zu überwinden. Irgendwann saß sie nur noch blass da, kraulte das Kätzchen am Bauch und starrte auf den Fleck, an dem sich vorhin der Abgrund befunden hatte. Immer wieder gingen ihr dieselben Fragen durch den Kopf. Hatte sie sich das nur eingebildet, oder war das tatsächlich geschehen? Vor allen Dingen, zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tage. Konnte es sein, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zuging? War der Geist Mr. Singers so stark, dass er selbst im Tod nicht ruhen konnte? Oder was war hier los? Verlor sie am Ende noch den Verstand? Was geschah hier nur? Sie hatte keinerlei Erklärung.

Widerstrebend erhob sich Cara mit noch leicht zitternden Beinen und schritt vorsichtig an die Stelle, an der sich der Abgrund befunden hatte. Vor ihr lag nur der Teppichboden. Kein Loch mehr, kein gar nichts. Sie konnte es einfach nicht verstehen. Was sollte sie jetzt nur tun? Sie bezweifelte stark, dass ihr irgendjemand diese Geschichte glauben würde, so abstrakt war das alles.

Ein Klopfen an der Türe ließ sie einige Zeit später zusammen schrecken. Sie hatte wieder begonnen die Bücher einzuräumen, und war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie alles um sich herum vergessen hatte.

Sie schaute zur Türe. Caine stand dort und wartete geduldig, bis er herein gelassen wurde. Cara eilte zur Türe und öffnete sie, ließ Caine in den Raum treten. Sofort fiel ihr Peter wieder ein. Sie betrachtete Caine genauer, wie auch er sie studierte und meinte den Hauch von Besorgnis in seinen Zügen erkennen zu können.

"Hallo Caine", sagte Cara leise und verbeugte sich vor ihm zur Begrüßung.

"Cara", erwiderte Caine und verbeugte sich ebenfalls, sie keine Sekunde aus den Augen lassend. "Du bist durcheinander", stelle er fest.

Cara seufzte tief. Sie war nicht gewillt, ihm die Vorkommnisse der letzten Stunde zu berichten, so deutete sie nur einladend auf das Sofa und erwiderte: "Ja, ich mache mir Sorgen um Peter, hast du ihn heute schon gesehen?"

"Nein, das habe ich nicht. Deswegen bin ich hier. Weißt du, was mit Peter los ist? Er war gestern Abend sehr wütend, als er den Dojo verließ."

Cara erbleichte. Sie hatte gehofft, dass Caine etwas von ihm gehört hatte und diese Hoffnung wurde nun zerschlagen.

"Ich habe keine Ahnung, Caine. Peter tauchte gestern Nacht vor meiner Haustüre völlig betrunken auf. Heute morgen, als ich aufwachte, war er schon wieder weg und ich kann ihn seitdem nirgends erreichen."

Caine zögerte einen Moment mit der nächsten Frage. "Cara, ich weiß dass Peter auch die vorhergehende Nacht bei dir verbracht hat. Willst du mir erzählen, was sich abgespielt hat? Vielleicht finden wir dann einen Hinweis. Peter hat sich im Moment dermaßen abgeschottet, dass ich ihn nicht erreichen kann."

Cara holte tief Luft, versuchte abzuwägen, wie viel sie Caine, sich selbst betreffend, verraten sollte. Schließlich entschloss sie sich dazu, ihm zumindest in dieser Hinsicht die Wahrheit mitzuteilen. Einen Shambhala Meister konnte man eh nicht anlügen, Caine würde das sofort bemerken.

"Peter ist bei mir geblieben, weil ich Probleme mit einem Alptraum hatte", erwiderte sie leise.

Caine legte ihr die Hand an die Wange und schaute ihr tief in die Augen. "Willst du mir erzählen, was dich so erschreckt hat?"

Cara wich zurück. "Nein!" rief sie aus.

Caine akzeptierte ihren Rückzug und fragte weiter. "Was ist dann geschehen, wie war Peters Verhalten?"

"Absolut normal. Auch als er gegangen ist, fiel mir nichts auf."

"Irgend etwas muss geschehen sein, Cara. Versuche dich zu erinnern und teile mir alles mit, an das du dich erinnern kannst."

Cara schloss für einen Moment die Augen und fing dann an alles zu erzählen. Nachdem sie geendet hatte herrschte einige Minuten lang Schweigen. Caine schaute Cara so intensiv an, dass sie es nicht mehr aushalten konnte und den Blick abwandte.

"Mein Sohn ist sehr durcheinander, das ist das Einzige, was ich im Moment von ihm wahr nehmen kann. Nach dem was du mir erzählt hast, gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder hat er, nachdem er dich verlassen hat, etwas erlebt, was ihn in diese Lage brachte, oder es war Kermits Aussage, die ihn so getroffen hat."

Cara schüttelte den Kopf. "Das zweite kann ich mir nicht vorstellen, Kermit hat mir gesagt, dass zwischen den beiden alles in Ordnung ist und dass er sich bei Peter entschuldigt hat. Wie ich schon sagte, er schien völlig normal zu sein, als er mein Geschäft verließ und gestern Nacht war er zu betrunken, um zu reden."

Caine seufzte leise, die Sorge um seinen Sohn war ihm deutlich anzumerken.

"Dann werde ich mich jetzt auf die Suche nach meinem Sohn machen und wir beide reden später weiter."

Cara senkte den Blick, sie wusste auf was sich die letzten Worte bezogen, daher ging sie gar nicht näher darauf ein.

"Hast du das Gefühl er ist in Gefahr?"

"Nein, das nicht. Er ist nur sehr durcheinander und verletzt."

Cara war deutlich erleichtert. "Wenigstens etwas. Bitte gib mir gleich Bescheid, wenn du ihn gefunden hast. Ich mache mir ziemliche Sorgen um ihn."

Caine legte Cara die Hand an die Wange, brachte sie dazu, ihm in die Augen zu schauen.

"Das werde ich tun. Und du..." sein Blick wurde intensiver. "Wirst morgen bei mir vorbei kommen. Ich werde dir einen Tee zubereiten, der dich Nachts schlafen lässt."

"Ich weiß nicht, ob ich Zeit dazu habe. Ich habe hier sehr viel zu tun", erwiderte sie.

"Cara!" Caines Ton machte deutlich, dass er keinerlei Widerspruch duldete.

Sie wusste wann sie besiegt war. "Ja Meister Caine", erwiderte sie leise.

Die junge Frau erhob sich und verbeugte sich respektvoll vor Caine, der die Geste ebenfalls erwiderte und dann aus dem Laden eilte. Cara schaute ihm noch eine ganze Weile hinterher, bevor sie mit einem leisen Seufzen ihre Arbeit erneut aufnahm.

 

Teil 1     Teil 2     Teil 3     Teil 4    Teil 5    Teil 6    Epilog

zurück zum Serien Index      Zurück zum Story Index