Cara war emsig damit beschäftigt, weitere Bücher in die Regale zu sortieren. Eigentlich hatte sie schon vor Stunden damit fertig sein wollen, doch die Geschehnisse des vergangenen Tages beschäftigten sie so sehr, dass sie sich nicht richtig konzentrieren konnte. Außerdem fühlte sie sich schon seit Tagen ziemlich schlapp, so dass sie nicht so schnell voran kam, wie sie es sich gewünscht hätte. Der Bücherberg von ihr schien eigentlich ständig anzusteigen, anstatt weniger zu werden. Mit Erstaunen stellte sie bei einem Blick auf die Uhr fest, dass es fast schon wieder Mittag war. Dann fiel ihr plötzlich wieder ein, dass sie in nicht einmal einer viertel Stunde mit Peter verabredet war. Er hatte ihr heute morgen, nach ihrem Gespräch, versprochen so gegen ein Uhr aufzutauchen, um ihr beim Einräumen zu helfen. Cara ließ die Bücher so stehen und liegen wie sie waren und hetzte die Stufen in den oberen Stock hinauf, um noch schnell zu duschen und die staubigen Klamotten gegen ein sauberes T-Shirt einzutauschen. In letzter Zeit hatte Peter tatsächlich die Angewohnheit entwickelt, pünktlich aufzutauchen, so dass sie sich beeilen musste. Kaum war sie fertig, hörte sie schon den familiären Klang von Peters Stimme. "Hallo? Jemand Zuhause?" Cara konnte sich nur mit Mühe eine freche Antwort verkneifen, die ihr auf der Zunge lag. Statt dessen eilte sie die Treppen hinunter, um ihn zu begrüßen. Peter stand mitten im Raum mit einer riesigen Pizzaschachteln in der Hand und grinste sie halb verlegen, halb jungenhaft an. So ganz waren die Ereignisse der letzten Stunden doch noch nicht vergessen. Cara trat schnell auf ihn zu, hauchte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und nahm ihm die Schachtel aus der Hand. "Hallo, Peter! Das ist aber eine riesige Pizza, wer soll die denn bloß essen? Hast du schon daran gedacht, dass wir nur zu zweit sind?" Irgendwie lockerte dieser Ausspruch die angespannte Stimmung und Peter musste grinsen. "Na wer schon? Wir beide. Du weißt, mit Essen habe ich noch nie Probleme gehabt." "Ach stimmt ja. Du bist ja auch bekannt als das Fass ohne Boden, wenn es um die Nahrungsaufnahme geht", gab sie flapsig zurück. Gekonnt wich sie Peters spielerischem Schlag aus und brachte sich, als auch die Pizza in den obersten Stock in Sicherheit. Eine gute Stunde später waren beide in die Arbeit vertieft. Cara hatte Peter gezeigt was er tun musste und nun arbeiteten sie in nebeneinander liegenden Gängen, um sich nicht ständig über die Füße zu fallen. Die lockere Stimmung kehrte zurück. Über die Bücherregal hinweg unterhielten sie sich über Gott und die Welt. Freche Bemerkungen gingen hin und her. Es war fast so, als hätte es diesen unglückseligen Abend niemals gegeben. Peter wurde von Clumsy abgelenkt, die seine Schnürsenkel entdeckt hatte. Mit ihrer tapsigen Art, ganz im Gegensatz zur Eleganz von anderen Katzen, versuchte sie immer wieder die hin- und herrutschenden Schnürsenkel zu erobern. Peter konnte sich ein von Herzen kommendes Lachen nicht verkneifen und machte sich einen Spaß daraus, Clumsy zu necken. So merkte er nicht, dass es plötzlich vollkommen still in der anderen Reihe wurde. Cara stellte gerade ein Buch in die oberste Buchreihe, als sie plötzlich wieder dieses komische Gefühl übermannte, das sie mittlerweile schon zu Genüge kannte. Bevor sie auch nur noch eine Bewegung machen konnte, wurde sie mitten in ihren eigenen, ganz persönlichen Albtraum gezogen. Die Wand zu ihrer rechten Seite öffnete sich urplötzlich. In einem seltsamen Wirbel von Farben und Formen wurde die Öffnung immer breiter, bis sie fast die gesamte Höhe des Zimmers einnahm. Ein übler Geruch nach Schwefel, Teer und Verwesung schlug ihr entgegen, doch das war noch das harmlose daran. Aus der Öffnung tauchten knochige, bleiche Handknöchel auf. Es schien, als würden sie zuerst Mühe haben, aus der nicht mehr existierenden Wand zu kommen. Doch dann folgten den Knöcheln ein Arm, ein Fuß und schließlich der ganze Körper. Die Gestalt war vollkommen in Lumpen gekleidet. Da wo keine Kleidung mehr am Körper vorhanden war, schienen die blanken, vermoderten Knochen durch. Caras Blut verwandelte sich von einer Minute zur andern in pures Eiswasser. Sie konnte sich keinen Millimeter mehr bewegen, war verdammt dazu diesem schrecklichen Schauspiel zu folgen. Doch das schlimmste kam erst noch. Als Caras Blick an der Gestalt höher wanderte in Richtung des Gesichtes. Zumindest das, was von einem Gesicht übrig geblieben war, meinte sie auf der Stelle tot umfallen zu müssen. Dieses vermoderte, nur noch aus halb herab hängenden Hautfetzen und blanken Knochen bestehende Gesicht mit rotglühenden Augen, gehörte eindeutig Mr. Singer! Und er sah ganz und gar nicht so freundlich aus, wie er früher immer gewesen war. Die Stelle, an der sich zu Lebzeiten ein Mund befunden hatte, zog sich zu einem Grinsen auseinander, das man nur als teuflisch ansehen konnte. Zum ersten Mal sprach diese Alptraumgestalt sie mit hohler Stimme an: "Die Zeit ist gekommen. Du gehörst mir!" Cara, zur Bewegungslosigkeit ob dieses Schauspiels verdammt, tat das einzige, was sie in dieser Situation tun konnte: Sie schrie. Schrie so laut wie noch nie in ihrem Leben. Langsam, als wolle sie jede Sekunde auskosten, kam die schreckliche Gestalt immer näher auf sie zu, die spitzen Hände wie Kallen nach ihr ausgestreckt. Höhnisches Gelächter erfüllte die flirrende Luft. Zwei Hände legten sich von hinten auf ihre Schultern. Cara brach unter diesem vollkommen unterwarteten Angriff fast zusammen. Einzig die Starre in ihrem Körper hielt sie noch auf den Beinen. Oh Gott, hinter ihr musste sich auch so eine Gestalt befinden! Die Gestalt von vorne kam ebenfalls immer näher. Gleich, gleich würde sie von den beiden Gestalten eingekreist sein und dann…. Der hinterste Winkel in ihrem Gehirn, der noch funktionierte, nahm wie aus weiter Ferne eine zweite Stimme wahr. Eine Stimme, die ihr bekannt und doch so fremd vorkam in diesem Augenblick. Sie spürte, wie ihre Schultern fester umfasst und sie geschüttelt wurde. Der scharfe Schmerz, als sich die Finger noch fester in ihr Fleisch gruben, riss sie zurück in die Gegenwart. Allerdings war dieses Alptraumhafte Bild von Mr. Singer, der noch immer auf sie zukam, auch noch vorhanden. Cara schaffte es, kurz den Kopf zu drehen und erkannte die Gestalt, die nun neben ihr stand und sie mehr als nur besorgt anstarrte. Es war Peter, kein Geist! Halb von Sinnen von Angst, grub Cara ihre Finger in Peters Hemd und hielt sich an ihm fest wie an einem Rettungsanker. "Hei Cara, was ist los?", drang Peters Stimme durch ihre umnebelten Gedanken. Nicht fähig den Blick erneut von der Schreckensgestalt zu nehmen, riss Cara an Peters Hemd und rief panisch aus: "Siehst du es denn nicht? Tu was, bitte!" Peter konnte unter seinen Fingern deutlich spüren, wie der gesamte Körper Caras zitterte wie Espenlaub. Sie war bleich wie ein Leintuch, eine dünne Schweißschicht bedeckte ihr Gesicht. So sehr er es wollte, er konnte nichts ungewöhnliches entdecken. Auch seine erweiterten Sinne teilten ihm keine Gefahr mit. Ein kurzer Blick zu Clumsy, die sich ebenfalls ganz ruhig verhielt und nun mit einem Papierfetzen fangen spielte, machte ihm klar, dass das, was hier ablief einzig und allein in Caras Gedanken passierte. Erneut schüttelte er sie. "Was? Was soll ich sehen? Hier ist nichts Cara!", versuchte er erneut zu ihr durch zu dringen. Cara schaffte es den Blick von der schrecklichen Gestalt abzuwenden und Peter in die Augen zu sehen. Große, gepeinigte, vor Horror geweitete Augen bohrten sich in seinen Blick. Noch nie hatte Peter einen Menschen gesehen, der so in Panik war wie sie. Hätte sich Cara nicht noch immer dermaßen in seinem Hemd fest gekrallt, dann wäre er sicherlich vor Schreck einen Schritt zurück gewichen. Was hatte sie nur so erschreckt? Er konnte einfach nichts fest stellen. "D...doch…siehst du es denn nicht Peter? Er...er ist da, will mich holen!", brachte sie mit schwankender Stimme hervor. Peter schaffte es, ihre Finger von seinem Hemd zu lösen und nahm sie in seine Hände. Sie waren einskalt. "Cara, nun beruhige dich doch. Niemand ist hier, nur du und ich. Es ist alles in Ordnung", redete er beschwichtigend auf sie ein. Cara schüttelte vehement den Kopf. "D...Das stimmt nicht Peter. Oh Gott, warum kannst du ihn nicht sehen? Er ist gleich hier!", rief sie erneut aus. Ihre Stimme klang noch viel panischer als vor wenigen Sekunden. Peter sah keine andere Möglichkeit ihr zu beweisen, dass nichts hier war, als sie in jene Richtung zu drehen, aus der dieses Etwas anscheinend kommen sollte. "Nun sage mir was du siehst. Wer ist hier?", wollte Peter wissen. Cara, die merkte was er vorhatte, fing noch mehr an zu zittern. Sie wollte sich gegen ihn wehren, wollte rennen so schnell ihre Füße sie nur trugen, wollte sich die Seele aus dem Leib schreien, doch sie konnte nichts von all dem tun. "Oh, Gott Peter, was tust du", wimmerte sie. "du..." Cara brach mitten im Satz ab. Kein Mr. Singer stand mehr da. Keine Krallen, die sich nach ihr ausstreckten. Kein...nichts. Nur die blanke, weiße Wand mit dem Bild von einem Einhorn leuchtete ihr entgegen. "Was siehst du Cara?", hakte Peter noch einmal nach. "I...ich...e...es ist weg", stammelte Cara, die nicht begreifen konnte, was hier mit ihr geschah. Peter drehte die zutiefst erschütterte Frau zu sich herum, damit er ihr in die Augen sehen konnte. Er beugte sich ein wenig zu ihr hinunter, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. "Okay, Kleines. Es ist alles gut. Nun sage mir doch bitte endlich, wen oder was du gesehen zu haben glaubst." Ein trockener Schluchzer schüttelte ihren Körper. "I...ich...es...," war alles, was sie noch von sich geben konnte. Plötzlich weiteten sich ihre Pupillen. Ihre Hautfarbe wurde noch blasser, sofern das überhaupt möglich war. Dann sackte sie vor seinen Augen zusammen. Peter reagierte gedankenschnell und fing die Frau auf, bevor sie zu Boden krachen konnte. Er trug den selbst noch in seiner Ohnmacht vor Angst starren Körper zum Sofa, wo er sie vorsichtig in die Kissen gleiten lies. Die nächsten Minuten waren angefüllt mit Peters Geschäftigkeit. Er handelte nur noch rein automatisch. Die Sorge um die wie tot daliegende Cara trieb ihn vorwärts. *Nein, ich will nicht noch einmal einen Menschen, den ich mag, verlieren*, war alles, was er denken konnte. Er hatte schon viel zu viele Verluste in seinem Leben hin nehmen müssen und er sollte verdammt sein, wenn er zulassen würde, dass Cara etwas vergleichbares geschehen sollte. Nachdem er ihre Beine hochgelagert und ihr mit dem nassen Waschlappen den Schweiß vom Gesicht gewaschen hatte, nahm er die noch immer eiskalten Hände zwischen die seinen und rieb sie fest, um die Blutzirkulation anzuregen. Gleichzeitig versuchte er selbst, wieder von seinem hohen Adrenalinspiegel herunter zu kommen. Zumindest einer von ihnen sollte in der Lage sein, klar zu denken und es war offensichtlich, dass nur er es sein konnte. Mit den Minuten die verstrichen, ihm kamen sie wie Stunden vor, gewann schließlich sein Verstand die Oberhand. Auf das naheliegendste, nämlich einen Krankenwagen zu rufen, war er bis jetzt noch nicht gekommen. Er griff zum Telefon, um dies sofort nachzuholen und ärgerte sich gleichzeitig, warum er nicht schon früher daran gedacht hatte. In diesem Moment begannen Caras Augenlider zu flattern. Fürs Erste war der Telefonanruf vergessen. Außerdem war er sicherlich schneller, wenn er sie persönlich ins Krankenhaus brachte, nun, da sie aufzuwachen schien. Peter kniete sich vor das Sofa und nahm ihre Hand in die seine. Atemlos wartete er darauf, dass sie wieder vollends zu sich kam. Es dauerte nicht lange und Cara öffnete die Augen. Im ersten Moment schaute sie sich verwirrt um, dann kehrte die Erinnerung zurück. Peter konnte deutlich sehen, wie die dunklen Wolken der Erkenntnis sich in ihren Gesichtszügen fest setzten. Abrupt versuchte sie sich aufzurichten, doch Peter verhinderte das, indem er ihr eine Hand auf die Schulter legte und sie sehr bestimmt in die Kissen zurück drückte. "Du bleibst schön brav liegen, junge Dame", unterstrich er seine Tat mit Worten. Sie wiedersprach ihm nicht. Für ihn ein deutliches Zeichen, dass es ihr nicht gut gehen konnte. "Wie geht es dir?", hakte er besorgt nach. Cara schaffte es, ein leichtes Lächeln auf die Lippen zu zaubern, das aber alles andere als echt wirkte. "Ganz gut", flüsterte sie so leise, dass er sie fast nicht verstand. Peter gab Cara mehrere Sekunden bevor er die Frage aussprach, die ihm auf der Seele brannte. "Kannst du mir mal sagen was zum Teufel hier passiert ist?", platzte er heraus. Anhand Caras zusammenziehen der Augenbraue wurde ihm schnell bewusst, dass er sich mit dieser Frage ziemlich im Ton vergriffen hatte. Er konnte förmlich sehen, wie der Trotz in diese eben noch voller Angst schauenden Augen zurück kehrte, die ihn nun plötzlich zornig anfunkelten. Unhörbar seufzend machte er sich auf ein Gefecht gefasst, das unweigerlich kommen würde, wenn sie ihn so ansah wie jetzt. Wäre nicht ihr immer noch blasser Teint gewesen, man hätte annehmen können, dass es die letzten Minuten niemals gegeben hatte. Er fragte sich was mit ihr los war. Diese schnellen Stimmungsschwankungen, er musste nur an den gestrigen Abend denken, waren absolut atypisch für sie. "Was soll ich da groß darüber reden? Du glaubst mir doch eh nicht", schnappte Cara zurück. Peter fuhr sich in einer halb verzweifelten Geste durch die eh schon wirren Haare. Mit dem letzten Quäntchen Geduld, das er aufbringen konnte, versuchte er seinen Satz ein wenig abzuschwächen. "Schau mal, Cara. Du und ich haben hier absolut normal zusammen gearbeitet. Plötzlich fängst du an zu schreien und verfällst vollkommen in Panik. Und dann wirst du auch noch ohnmächtig. Meinst du nicht, ich habe zumindest eine Erklärung verdient, was dich am helllichten Tag so durcheinander bringt? Kannst du dir nicht vorstellen, dass ich mir ziemliche Sorgen um dich mache?" Peters Versuch Cara zu beruhigen kam nicht bei ihr an. Das zornige Funkeln in ihren Augen blieb. "Vergiss die ganze Sache einfach. Da gibt es nichts zu reden und nun lass mich einfach in Ruhe", lautete ihre schroffe Antwort. Peter sah ein, dass er hier nur gegen eine Wand redete. So langsam bemerkte er, wie auch in ihm der Ärger aufstieg. Scheinbar ruhig zuckte er nur die Schultern. "Wie du willst. Dann werde ich dich jetzt mal ins Krankenhaus bringen. Deine Ohnmacht muss ja eine Ursache haben." Trotz Peters Hand auf ihrer Schulter, gelang es Cara sich in eine sitzende Position aufzurichten. "Du willst was? Hast du nun vollkommen den Verstand verloren oder nicht gehört was ich gesagt habe?" Die nachfolgenden Worte betonte sie extra stark. "MIR GEHT ES WIEDER GUT und ich will, dass du von hier verschwindest! Ist das nun auch deutlich genug, damit du das kapierst?" Peter konnte über diesen Ausbruch nur den Kopf schütteln. Hier war etwas ganz und gar nicht in Ordnung. Wie konnte ein Mensch, der anscheinend noch vor wenigen Minuten etwas furchtbares erlebt hatte, sich dermaßen um hundertachtzig Grad drehen? Sie fiel hier ja von einem Extrem ins andere! Mühsam beherrscht entgegnete er: "Ich werde nicht eher von hier weg gehen, bis ich sicher bin, dass es dir wirklich gut geht. Schau dich doch nur im Spiegel an. Du bist leichenblass und du zitterst noch immer, sollte dir das nicht aufgefallen sein. Nein, ich bestehe darauf, dass du dich untersuchen lässt!" "Den Teufel werde ich!", rief sie entrüstet aus. Cara schob seine Hand einfach zur Seite und sprang voller Zorn auf die Beine. Kaum stand sie, gaben ihre Knie auch schon wieder unter ihr nach. Im letzten Moment gelang es Peter Cara aufzufangen. "Junge Dame, das reicht jetzt. Ich bringe dich ins Krankhaus ob du willst oder nicht und wenn ich dich fesseln und knebeln muss, um dich dahin zu bringen", versetzte er ärgerlich und zu allem entschlossen. Von ihr kam keine Antwort, sie war schon wieder in eine Ohnmacht abgedriftet. *********************** Mit Cara auf den Armen stürmte Peter knapp zwanzig Minuten später in die Notaufnahme des Stadtkrankenhauses. Eine Schwester eilte gleich auf den jungen Shaolin zu. Sie wirkte sehr erleichtert, als sie erkannte, dass es sich dieses Mal nicht um ihn, sondern um die Person auf seinen Armen drehte. "Hier hinein bitte. Legen sie sie auf die Liege, ich hole gleich einen Arzt", meinte die Schwester. Peter tat wie ihm geheißen wurde und legte Cara auf die Untersuchungsliege im Untersuchungsraum 1. Ein Raum, der auch ihm von zahlreichen Besuchen im Krankenhaus bestens bekannt war. Allerdings war er da meist der Patient gewesen. Wenige Minuten später trat der Arzt ein, dicht gefolgt von der Schwester. "Ich bin Dr. Mathews. Was ist passiert?" "Peter Caine und das hier ist Cara Thompson. Sie ist plötzlich ohnmächtig geworden und seitdem ist sie immer mal wieder wach und in der nächsten Minute wieder ohnmächtig. Geschweige denn ansprechbar", erwiderte Peter. "Gab es einen Vorfall, der zu dieser Ohmacht führte?", hakte der Arzt nach, während er Cara leicht auf die Wange klopfte, in dem Versuch sie aufzuwecken. Eine Sekunde lang war Peter in Versuchung, dem Arzt alles über Caras Seltsames Benehmen zu erzählen, doch dann besann er sich anders. Er wollte auf keinen Fall, dass der Arzt Cara dann womöglich in die Psychiatrie überwies. So meinte er nur lahm: "Nein, nicht dass ich wüsste. Wir waren den ganzen Nachmittag zusammen, es gab keinerlei Anzeichen für ihren Zusammenbruch." Der Arzt akzeptierte seine Antwort ohne nachzuhaken. Er wandte sich voll seiner Patientin zu. "Na dann wollen wir mal. Warten sie bitte draußen, Mr. Caine, während ich Miss Thompson untersuche. Lassen sie sich von der Schwester an der Rezeption die nötigen Papiere zum ausfüllen geben, dann sind sie wenigstens eine Weile beschäftigt während sie warten." Peter gehorchte dem indirekten Befehl des Arztes ohne Wiederworte, auch wenn alles ihn ihm schrie, bei ihr bleiben zu wollen. Das Letzte, was er hörte, als sich die Türe des Untersuchungszimmers hinter ihm schloss, waren die Worte des Arztes der einer Schwester Anweisungen gab. Das Ausfüllen der Formulare dauerte nur wenige Minuten. Allerdings machte ihm gerade dieses Ausfüllen sehr bewusst, wie wenig er eigentlich von Cara wusste. Nachdem er die Formulare der zuständigen Schwester wieder zurück gegeben hatte, begann er wie ein Tiger im Käfig unruhig hin und her zu wandern. Immer wieder wanderten seine Blicke zur Wanduhr, die sich nur mit quälender Langsamkeit weiter zu bewegen schien. Irgendwann blieb er vor einem der großen Fenster stehen und starrte blicklos in die Ferne. Wie sehr wünschte er sich in diesem Moment seinen Vater an seine Seite, doch dieser war heute den gesamten Tag in der Gemeinde unterwegs, so dass er ihn nicht erreichen konnte. Ja, er konnte ihn wirklich nicht erreichen. Peter war dermaßen durcheinander, dass es ihm trotz einiger Versuche nicht gelang, eine gedankliche Verbindung zu seinem Vater her zu stellen. Heftige Gewissenbisse machten sich in ihm breit. Was war er nur für ein Shaolin Priester, wenn ihm nicht einmal die einfachsten Aufgaben gelangen? Er schaffte es nicht, mit seinem Vater in Verbindung zu treten und er war auch nicht in der Lage gewesen, Cara vor dem was ihr geschah zu beschützen. Er hatte nicht einmal gespürt, dass da etwas in der Luft gelegen hatte! Sein Vater hätte das mit Sicherheit bemerkt und auch gewusst was zu tun wäre. Nur er, Peter, hatte mal wie üblich kläglich versagt. Das alles war nur seine Schuld. Wäre er ein besserer Priester, Freund und Mensch, hätte er alles verhindern können. Dessen war er sich sicher. Und was wollte er nun tun? Mal wieder wie ein kleiner Junge zu seinem Vater rennen und hoffen, dass der alles in Ordnung bringen würde? Peter schnaubte ungeduldig durch die Nase. Er war wirklich ein toller Mann. Brauchte immer seinen Vater, wenn etwas war. Schon früher, als er noch als Cop gearbeitet hatte, war das so gewesen. So oft, dass er es gar nicht zählen konnte, hatten entweder sein Vater oder Kermit ihn aus brenzligen Situationen heraus geholt. Wurde er denn nie erwachsen? Schaffte er es irgend wann mal selbst auf sich aufzupassen und nicht die Menschen, die um ihn herum waren ins Unglück zu stürzen? Wozu hatte er überhaupt den Brand erhalten, wenn er ihn nicht nutzen konnte? Klar, sein Vater sagte ihm immer wieder seine Fähigkeiten würden wachsen, er müsse nur auf seine innere Stimme hören, die ihm den richtigen Weg weisen würde. Diesen Spruch konnte er langsam aber sicher nicht mehr hören. Aber wo waren diese Fähigkeiten, wenn er sie tatsächlich mal brauchte? Nirgends! Wie war das noch mal, als er es geschafft hatte den dunklen Krieger zurück zu drängen und den Abgrund zu schließen? Wer war da mal wieder bei ihm gewesen und hatte ihm geholfen? Sein Vater und Kermit! Scheinbar konnte er ohne einen von beiden wirklich nichts richtig machen. Seiner Meinung nach hatte er den Titel als Shaolin Priester nicht verdient. Er konnte ja noch nicht einmal die Kräuter seines Vaters auseinander halten, von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen. Toll...wirklich toll! Peters düstere Gedanken wurden durch die Ankunft des Arztes unterbrochen. Der Mediziner warf ihm einen skeptischen Blick zu. "Alles in Ordnung Mr. Caine?" Peter fuhr sich durch die Haare, schüttelte den letzten unliebsamen Gedanken ab. "Ja. Was ist mit Cara?", brachte er die Sache direkt auf den Punkt. "Bevor ich auf ihre Frage näher eingehe, lassen sie mich erst noch ein paar Fragen stellen." Peter wurde Himmelangst bei dieser Bemerkung. Was
verheimlichte ihm dem Arzt? Je schneller er diese Fragen hinter sich hatte, desto eher würde er auch wissen was mit Cara war. Der Arzt bombardierte ihn mit Fragen über Caras Eßgewohnheiten, wie lange sie schlief, ob sie Stress hatte und noch einiges mehr. Ab und an waren auch Fragen dabei, die er nicht beantworten konnte. Dies versetzte ihm jedes Mal einen Stich. *Soviel zum Thema: Wie gut kenne ich Cara*, dachte er verbittert. Irgendwann konnte Peter seine Ungeduld nicht länger bremsen und warf mit Vehemenz ein: "Ich will nun endlich wissen was mit Cara los ist, Doc. Spannen sie mich nicht länger auf die Folter!" Der Arzt zuckte ein wenig verlegen die Schultern. "Das ist es ja. Wir haben keinerlei Ursachen gefunden, die so eine plötzliche Ohmmacht hervor rufen könnte. Nicht einmal die Blutuntersuchung hat etwas ergeben, wenn man von einem etwas erhöhten Adrenalinspiegel einmal absieht." "Wie bitte?" Peter konnte seinen Ohren nicht trauen. "Wollen sie mir nun weis machen, dass Caras Ohnmacht keine körperlichen Ursachen hat?" "Genau das, Mr. Caine. Miss Thompson ist absolut gesund. Ich kann nur vermuten, dass der Stress zusammen mit den unregelmäßigen Mahlzeiten diesen Zusammenbruch verursacht hat." Erneut fuhr sich Peter ungeduldig durch die Haare. Er war so sicher gewesen, nun endlich den Grund für ihr seltsames Verhalten zu erfahren und nun das. Was ging hier nur vor? "Und was schlagen sie vor Doc? Sind sie sicher nichts übersehen zu haben?" Der Arzt lächelte Peter ermutigend zu. "Sehr sicher, Mr. Caine. Sie können mir wirklich glauben wenn ich ihnen sage, dass Miss Thompson nicht krank ist. Achten sie die nächste Woche einfach darauf, dass sie regelmäßig isst und keinen Stress hat, dann dürfte sich die ganze Sache in Wohlgefallen auflösen. Ein, zwei Tage Bettruhe könnten auch nichts schaden." "Uh. Danke Doc. Die Bettruhe wird ihr aber gar nicht schmecken. Dann kann ich sie wohl wieder mit nehmen?", gab Peter zurück. Das Lächeln des Arztes wurde breiter. "Wem gefällt es schon im Bett zu liegen? Ich habe schon fest gestellt, dass Miss Thompson ein ziemlich hitziges Temperament hat. Im Moment schläft sie. Ich musste ihr ein Beruhigungsmittel geben, weil sie partout nicht still liegen wollte sofern sie mal wach war. Lag wohl an der fremden Umgebung. Jedenfalls sehe ich keinen Grund, sie hier zu behalten. Achten sie nur darauf, dass sie sich in den nächsten Tagen an meine Anweisungen hält." "Sicher doch Doc. Vielen Dank." Peter streckte dem Arzt seine Hand entgegen, die dieser ergriff und sie kräftig drückte. "Nichts zu danken, Mr. Caine. Und nun entschuldigen sie mich bitte, ich habe noch andere Patienten, die meiner Aufmerksamkeit bedürfen." Peter folgte dem Arzt aus dem Wartezimmer. Im Türrahmen drehte sich der Arzt noch einmal zu Peter um und fing plötzlich an zu kichern, als wäre ihm etwas sehr lustiges eingefallen. Peter schaute ihn fragend an. Der Arzt meinte, noch immer lachend: "Wussten sie eigentlich, dass ihre Freundin über eine sehr ausgeprägte Blutzirkulation verfügt? Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der solch leuchtend rote Fußsohlen hat. Damit könnte sie glatt als Leuchtturm durchgehen." Peter konnte über diesen Scherz überhaupt nicht lachen. Was war nun daran wieder so lustig? Konsterniert schaute er dem Arzt hinterher, bis dieser um die Ecke verschwand, erst dann machte er sich auf den Weg ins Untersuchungszimmer. *************************** Kermit stieg, leise vor sich hin pfeifend, aus seiner Corvair. In der Hand hielt er einen winzigen Frosch mit einer Miniatursonnenbrille, den er einer Eingebung zufolge für Cara gekauft hatte. Sein schlechtes Gewissen hatte ihm keine Ruhe gelassen, so dass er nach diesem harten Arbeitstag doch noch beschlossen hatte, bei Cara vorbei zu schauen. Sie hatte ihn ja quasi eingeladen, oder nicht? Immerhin hatte er sich im Büro ihr gegenüber auch nicht gerade sehr nett verhalten. Jeder Streit musste auch einmal ein Ende haben und er hoffte, dass Cara sein "Entschuldigungsgeschenk" gefallen würde. *Sicherlich*, beruhigte er sich gedanklich. *Sie ist ja nicht nachtragend.* Echt seltsam, was hatte dieses kleine, zierliche Persönchen nur an sich, dass er so oft an sie denken musste? Sonst war es ihm doch immer total egal, wen er beleidigte und wen nicht. Kermit schloss die Corvair ab und legte die wenigen Meter bis zu ihrem Geschäft zurück. Der Verkaufsraum selbst war dunkel, aber in der oberen Etage hatte er Licht gesehen. Er beschloss, sich selbst Eintritt zu verschaffen, ziemlich sicher, dass Cara das Klopfen nicht hören würde, wenn sie einen Stock höher war. Die Klingel funktionierte leider noch nicht. Kermit nahm sich vor, das an seinem nächsten freien Tag gleich für sie zu erledigen. Mit Caras Ersatzschlüssel, den sie ihm gegeben hatte, lies er sich selbst ein. Schon von hier unten konnte er die beiden Stimmen so deutlich hören, als würden sie direkt vor ihm stehen. "Du tust jetzt genau das, was ich dir gesagt habe und keine Widerrede junge Dame", hörte er Peter schimpfen. "Ich denke nicht daran du...du...du Tyrann du", kam es genauso empört von Cara zurück. Kermit verdrehte hinter seiner Sonnenbrille die Augen. Konnten die beiden in letzter Zeit nicht einen Tag ohne Streit verbringen? So langsam war das wirklich nicht mehr zum aushalten. Cara und Peter waren Freunde, doch das war er hier erlebte und hörte glich eher einer erbitterten Feindschaft. Angesichts des wenig erfreulichen Tages, den er schon hinter sich hatte, spürte er wie kalte Wut sich in ihm breit machte. Was war das nur eine Welt, wenn schon enge Freunde so aufeinander los gingen? Für ihn stand nur eines fest: So konnte es mit den beiden nicht weiter gehen und er würde derjenige sein, der dem ganzen ein Ende bereitete. Hier und jetzt und egal wie! Ohne sich groß um den Lärm zu kümmern, den er verursachte, stapfte er die wenigen Treppenstufen in den oberen Stock hinauf. Die beiden hätten ihn eh nicht mal gehört, wenn er getrampelt hätte wie eine Herde Elefanten bei der Lautstärke ihrer 'Unterhaltung'. Am Türrahmen blieb er mit vor der Brust verschränkten
Armen stehen und beobachtete die beiden erst einmal. Weder Cara noch Peter
schienen ihn zu bemerken. *Das habe ich doch schon einmal gesehen*, dachte Kermit ironisch. Ihm kam es vor wie ein Dejá vu Erlebnis. Es war noch nicht einmal 24 Stunden her, als er Cara gewaltsam von Peter hatte trennen müssen, damit sie ihm nicht an den Kragen ging. Gerade eben warf Cara Peter an den Kopf: "Du bist der herrischste Mensch, den ich kenne. Und überhaupt! Du hast mir gar nichts zu sagen, du bist nämlich nicht mein Vater!" Das Reichte Kermit. Ihm platzte der Kragen. "Jetzt ist aber entgültig Ruhe!", klirrte seine Stimme wie Donnerhall durch den Raum. Innerhalb einer Sekunde herrschte vollkommene Stille. Zwei Augenpaare starrten ihn vollkommen überrascht an. "Du setzt dich hierhin Peter, und du dich dort Cara", befahl Kermit in einem Tonfall, den er ansonsten nur gegenüber irgendwelchen dubiosen Subjekten benutzte. Weder Cara noch Peter wagten es sich, seinen Anordnungen zu wiedersetzen. Mit hängenden Köpfen trottete jeder der beiden auf den ihm angewiesenen Platz. Kaum hatte sich Cara hingesetzt, öffnete sie ihren Mund, um zu sprechen. "Ein Wort von einem von euch, ohne dass ihr dazu aufgefordert werdet und ihr werdet den Tag bedauern, an dem ihr einen Fuß auf diese Welt gesetzt habt", warnte Kermit in seinem bedrohlichsten Tonfall. Cara erstarrte mitten in ihrer Bewegung. Selbst wenn sie gewollt hätte, sie hätte keinen Ton mehr heraus gebracht. War das derselbe Kermit, der sich ihr gegenüber immer so geduldig und zuvorkommend verhielt? Sie konnte es kaum glauben. Nicht einmal, als er sie ganz am Anfang ihrer Bekanntschaft irrtümlich für eine Verbrecherin gehalten hatte, hatte er so furchteinflößend auf sie gewirkt. Klar, sie hatte schon sehr viele Geschichten über Kermit und seine ungewöhnlichen Aktionen gehört, aber dass er sich tatsächlich so verhalten konnte hatte sie sich nicht vorstellen können. Bis jetzt. Nun war ihr klar, warum es hieß: man legt sich mit keinem Kermit Griffin an und warum einige Leute schon den Kopf einzogen, wenn sie seinen Namen nur hörten. So wie er hier stand wirkte er mehr als nur ein wenig furcheinflößend und sie hoffte von ganzem Herzen, dass sie niemals auf der falschen Seite von ihm stehen würde. Kermit hatte mit der Gesamtsituation absolut keine Probleme. Ganz der Herr der Lage ließ er die beiden anderen spüren, wer hier das Sagen hatte. Dazu bedurfte es nicht einmal mehr der Worte. Seine Erscheinung und seine Ausstrahlung genügten vollkommen. Mit voller Absicht ließ sich Kermit Zeit. Er holte in aller Ruhe einen Aschenbecher aus Caras Miniküche, zündete sich genüsslich eine Zigarette an und setzte sich dann zwischen die beiden Kampfhähne. Tief inhalierte er den Rauch, bevor er sich Peter zuwandte. "Also, was zum Henker ist hier schon wieder los?" "Ganz einfach", erwiderte Peter vollkommen entnervt. "Die junge Dame hier", dabei schoss er einen nicht gerade netten Blick in Caras Richtung, "meint, sie muss sich nicht an die Anweisungen des Krankenhausarztes halten und will mal wieder alles besser wissen." Kermit war, als hätte er einen Schlag in den Magen erhalten. Was war hier nur alles in den letzten Stunden geschehen? Warum hatte Peter Cara ins Krankenhaus gebracht? Kermit brauchte einen Moment, um mit der völlig neuen Situation umgehen zu können. Genau jenen Augenblick suchte sich Cara heraus um einzuwerfen: "Moment mal, du hast doch selbst gesagt, dass der Arzt mich für vollkommen gesund eingestuft hat." Mit einem stahlharten Blick, der selbst durch die grüne Sonnenbrille hindurch seine Wirkung nicht verfehlte, wandte sich Kermit an Cara. "Mädchen, das ist meine letzte Warnung.
Noch ein ungefragtes Wort von dir und ich versohle dir den Hintern, dass
du drei Tage nicht mehr sitzen kannst. Jetzt ist Peter an der Reihe und
du bist gefälligst ruhig." "Okay Peter. Alles mal der Reihe nach. Was ist genau passiert?" Peter erzählte Kermit, was sich zugetragen hatte. Er fing bei Caras ungewöhnlichem Verhalten und ihrer anschließenden Ohnmacht an und endete mit dem jetzigen Zeitpunkt. Nachdem der junge Shaolin geendet hatte, herrschte vollkommene Stille im Zimmer. Kermit musste wohl erst einmal verarbeiten, was er da gehört hatte und Cara wurde bewusst, wie dumm sie sich schon die ganze Zeit über verhielt. Auf gut Deutsch hatte sie sich verhalten, wie ein kleines, verzogenes Gör, dabei hatte sich Peter die ganze Zeit doch nur Sorgen um sie gemacht und versucht sie auf seine Weise zu beschützen. Urplötzlich kullerten ihr Tränen über die Wangen, die bald in heftiges Schluchzen übergingen. Die beiden Männer sahen sich betreten an. Mal wieder konnten sie den schnellen Stimmungsumschwung von Cara nicht nachvollziehen. Kermit wollte ihr beschwichtigend seine Hand auf die Schulter legen, doch sie schob sie einfach zur Seite. "Nein, lass mich. Ist gleich wieder vorbei",
bat sie mit tränenerstickter Stimme. Sie sagte mit zitternder Stimme: "Es tut mir leid, Peter wie ich mich dir gegenüber verhalten habe. Ich weiß wirklich nicht, was da über mich gekommen ist." Peter schluckte hart bei diesem Blick, der ihm durch Mark und Bein ging. Seine Stimme klang selbst nicht ganz sicher als er entgegnete: "Schon gut, Cara, mach dir darüber keine Gedanken. Hauptsache es geht dir gut." "Nein wirklich, es tut mir wahnsinnig leid. In letzter Zeit erkenne ich mich ja selbst nicht wieder. Ich habe keine Ahnung, warum ich dir gegenüber dermaßen die Beherrschung verloren habe.", beteuerte sie. "Vielleicht liegt das ja an deiner übersteigerten Blutzirkulation wie mir der Arzt erzählte", versuchte Peter lahm zu scherzen, um die Situation aufzulockern. Er fühlte sich ja selbst nicht ganz unschuldig an der ganzen Sache. Von beiden Seiten erntete er einen verwunderten Blick aufgrund dieser Aussage. Kermit zog fragend die Augenbraue nach oben. Mehr brauchte er nicht zu tun, damit Peter freiwillig mit der Erklärung heraus rückte. "Der Arzt im Krankenhaus machte halt einen Scherz über deine Füße. Er meinte er hätte noch nie jemand mit so leuchtend roten Fußsohlen gesehen wie dich. Hei, das sollte doch nur ein Scherz sein", schloss Peter, als er Kermits düsteren Blick bemerkte. Kermit Kopf schoss bei Peters Erklärung in die Höhe. Die Ereignisse des heutigen Tages fielen ihm ein. Konnte da etwa ein Zusammenhang bestehen? Es wurde immer wahrscheinlicher für ihn, zumal wenn er an Caras Angstzustände dachte. Die Frage war nur wie? Bevor die junge Geschäftsinhaberin reagieren konnte, hatte Kermit ein Bein von ihr zu sich her gezogen und zog ihr die Schuhe und auch Socken aus. Cara protestierte nur schwach. Sie wagte es noch immer nicht, sich Kermit entgegen zu setzen. Nicht nach dem, was sie sich in letzter Zeit alles geleistet hatte. Leuchtend rote Fußsohlen schauten Kermit entgegen. Genau wie bei den Toten in der Leichenhalle! "Peter, hast du nicht erwähnt Cara wäre Blut abgenommen worden?", wollte Kermit wissen, ohne seine Aktion näher zu erklären. "Ja, aber..." Weiter kam er nicht, denn Kermit sprang auf und eilte aus dem Raum. "Ich muss nur kurz telefonieren. Und ihr beiden benehmt euch solange damit das klar ist", warf er zur Vorsicht über seine Schulter zurück. Knapp zehn Minuten später kehrte Kermit zurück. Sein Gesichtsausdruck war todernst. So ernst, dass er beiden, die nun einträchtig nebeneinander saßen, damit regelrecht Angst einjagte. Schwer ließ er sich an den freien Platz am Ende der Couch fallen. "Kannst du mir mal erklären was das alles soll?", wagte Peter einen Vorstoß. Kermit umriss kurz die Ereignisse der letzten Tage im Revier. Die unschönen Dinge ließ er Cara zuliebe weg. "...ich habe gerade Nickie angerufen, damit er mit deinem Blut denselben Test durchführt. Wie es der Zufall will, ist er gerade im Krankenhaus und wird sich in wenigen Minuten wieder melden", endete Kermit seine Erklärung. Wie auf Verabredung klingelte in dem Moment Kermits Handy. "Und?", war alles, was er sagte. Den Rest der Zeit hörte er nur zu. Kermits Gesichtsausdruck wurde mit jeder Sekunde düsterer und düsterer. Nachdem er aufgelegt hatte und sich Cara zuwandte, zog diese instinktiv den Kopf ein, als würde sie jeden Moment einen Hieb von ihm erwarten. Kermit rieb sich die brennenden Augen unter seinen Gläsern. Ein Versuch, sich wenigstens noch eine Sekunde Zeit zu verschaffen bevor er die Frage stellen musste, deren positive Antwort er gar nicht haben wollte. Seltenst war er sich so unsicher vorgekommen, wie in jenem Moment. Ein tiefer Atemzug. Dann sagte er: "Cara, ich muss dir diese Frage stellen. Nimmst du Drogen? Bist du von etwas abhängig und hast Angst es uns zu sagen?" Cara sprang wie von der Tarantel gestochen hoch. Ihr Mund klappte auf und wieder zu. Mit vielem hatte sie gerechnet, aber nicht mit so etwas. Ein tieftrauriger Blick, der sich wie ein Messer in seine Eingeweide bohrte traf ihn. "Wie kannst du mir so etwas nur zutrauen, Kermit? Du solltest mich wirklich besser kennen. Das tut wirklich weh!" Am Ende das Satzes wurde ihre Stimme immer leiser. Man merkte ihr deutlich an, wie sehr Kermits Frage sie verletzte. Wie viel Kraft es ihn in dem Moment kostete sie nicht einfach in seine Arme zu ziehen und sie zu trösten, wusste nur er. Peter war derjenige der handelte. Er tat das, was Kermit verwehrt blieb. Er sprang ebenfalls auf und zog Cara beschützend in seine Arme, die schon wieder zu zittern anfing. Der Ausdruck seiner Augen teilte Kermit deutlich mit, was er von dieser Frage hielt. "Wie kannst du nur", wiederholte er Caras Worte in eindeutig tadelndem Wortlaut. "Der Arzt hat gesagt, man soll die nächsten Tage jeglichen Stress von ihr fern halten und was machst du?", gab er seinen Worten Nachdruck. Kermit kam sich vor wie eine Laus. Manchmal hasste er seinen Job regelrecht. Vor allem wenn es um solche Dinge wie hier ging. "Tut mir leid, Cara, wenn ich dich mit meinen Worten verletzt habe, doch im Moment kann ich auf dein Feingefühl leider keine Rücksicht nehmen. Ich glaube dir ja, dass du keine Drogen nimmst. Aber wo ist dann der Zusammenhang? In deinem Blut sind genau dieselben Inhaltsstoffe gefunden worden wie in den Opfern und du hast ebenfalls diese roten Fußsohlen. Was soll ich also glauben?" Mehrere Minuten kehrte Stille ein. Peter hatte Cara zur Couch zurück geführt und hielt sie nun beschützend im Arm. Ein jeder war mit Nachdenken beschäftigt, auch wenn es sich bei den dreien nicht überall um denselben Gedanken handelte. Schließlich war es Kermit, der wieder als erster das Wort ergriff. Er spürte, dass er kurz vor der Lösung des Falles stand, aber ihm fehlte einfach noch die richtige Verbindung. "So kommen wir nicht weiter. Versuchen wir mal die Sache von der logischen Seite anzugehen. Nickie meinte, die Fußsohlen könnten eine allergische Reaktion auf etwas sein. Hat sich da in letzter Zeit etwas bei dir verändert? Hast du neue Schuhe, neue Socken, oder läufst du gerne Barfuss durch die Gegend?" Cara schüttelte den Kopf. Durch Peters Ruhe hatte auch sie sich wieder soweit beruhigt, dass sie klar denken konnte. Ihr war bewusst geworden, dass Kermit diese Frage hatte stellen müssen. "Nein, weder noch. Die Schuhe, die ich trage, habe ich schon ein paar Jahre. Socken trage ich immer dieselben und ich laufe auch nicht Barfuss durch die Gegend, nicht einmal in meiner Wohnung." Bei der Erwähnung der Wohnung machte es bei Kermit klick. Eine kleine Vorahnung, die er nicht näher beschreiben konnte setzte sich in seinen Gedanken fest. "Okay, dann kann es daran also nicht liegen. Wie ist es eigentlich mit deinem Wohnungen. Du hast gesagt, du hättest in letzter Zeit öfter Realitätsverluste gehabt. Wo traten sie auf? In beiden Wohnungen, oder nur hier?" Caras Kopf ruckte nach oben. Ihre Augen wurden groß. "Wenn ich richtig überlege, dann war es nur hier in der Wohnung. In meinem richtigen Zuhause habe ich noch nie so ein Erlebnis gehabt." Noch nachträglich schüttelte sie sich bei dem Gedanken daran. Peter mischte sich ein. "Also wenn wir das kurz zusammen fassen dann haben wir folgendes: Tatsache ist, du hast eine Art Ausschlag an den Fußsohlen, der von irgend etwas her rühren muss. Da nur in dieser Wohnung erwähnte Dinge geschehen sind, muss es hier etwas geben, was der Auslöser dafür ist. Du gehst nicht Barfuss, doch mit irgend etwas musst du mit bloßen Füssen Kontakt gehabt haben." Die Erleuchtung kam bei allen dreien gleichzeitig. Wie auf Kommando sahen sich die drei gegenseitig an und riefen aus: "Die Dusche!" Im nächsten Moment eilten die beiden Männer ins Badezimmer. Cara folgte ein wenig langsamer nach. "Wann hast du die Installation der Dusche machen lassen?", erkundigte sich Kermit. Cara gab ihm die Auskunft. "Und wann haben diese Halluzinationen angefangen?", warf Peter ein. Cara musste einen Moment lang nachdenken. Die Wahrheit fiel ihr wie ein Schleier von den Augen. "Kurz danach. Das war, als ich das erste Mal hier duschte." Die beiden Männer wechselten einen Blick. "Bingo", war alles was Kermit sagte. Sein Blick fiel auf den Boiler. "Hast du zufällig Werkzeug hier?", meinte er. "Moment ich hole gleich etwas. Und du Cara wirst dich jetzt erst einmal eine Weile ausruhen während wie hier suchen", gab Peter zurück. Cara gehorchte ohne zu murren. ************* Eine gute Stunde später betraten die beiden Männer das Wohnzimmer. Kermit hielt ein kleines Kästchen in den Händen, das er misstrauisch und gleichzeitig triumphierend beäugte. Cara richtete sich schlaftrunken auf. Trotz des Lärms, den die beiden Männer gemacht hatten, hatte sie ein wenig vor sich hin gedöst. "Und, was hast du da gefunden?" "Ich denke die Ursache des Übels. Dieses Kästchen gehört auf keinen Fall in einen Boiler. Weißt du noch wer die Installation durchgeführt hat?" "Selbstverständlich. Der Mann hieß George Cunningham." "Hast du die Adresse?" "Nicht hier. Die Rechnung habe ich in meiner Wohnung. Allerdings habe ich seine Nummer aus dem Telefonbuch, das kann ich dir anbieten." "Dann gib mal her." Kermit ergriff das Telefonbuch, das Cara ihm reichte und begann wie wild darin zu blättern. Wenige Minuten später rief er triumphierend aus: "Hab ihn!" An Peter gewandt meinte er: "Pass mir ja gut auf Cara auf. Lass sie auf keinen Fall alleine! Am besten geht ihr zu deinem Vater, da seid ihr sicher." Dann verschwand er ohne ein weiteres Wort oder eine Erklärung, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her. Cara und Peter konnten ihm nur völlig perplex nachschauen. Die beiden verstanden rein gar nichts mehr.
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