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Teil 1
Autor: Fu-Dragon

 

Tief in Gedanken versunken schlenderte Detective Kermit Griffin aus dem 101. Revier, den Laptop wie ein Schutzschild vor sich haltend.

Endlich Feierabend von all den nervtötenden Gestalten und den ängstlichen Blicken um ihn herum. Es war einfach nicht mehr dasselbe wie noch vor wenigen Monaten. Jemand ganz bestimmtes fehlte ihm mehr, als er es jemals zugeben würde.

Zuerst war Paul, sein Mentor und Freund gegangen und nun auch noch Peter, Paul Blaisdells Pflegesohn. Peter hatte sich entschieden die Brandmale anzunehmen, um wie sein Vater seinen Weg als Shaolin Priester fortzusetzen, woraufhin er seinen Dienst quittierte. Seitdem ging es auf dem Revier richtig ruhig zu, von all den Ganoven einmal abgesehen.

Ja, seitdem Peter nicht mehr da war, hatte sich wirklich viel geändert. Nicht dass deswegen die Mordrate niedriger geworden war, doch er fehlte einfach an allen Ecken und Enden. Peter war ein ausgezeichneter Cop gewesen, zwar viel zu risikofreudig, aber doch sehr erfolgreich, gerade wegen seiner unkonventionellen Art. Kermit bemerkte oft die traurigen Blicke, die besonders Jody, aber auch viele andere, in Richtung Peters ehemaligen Schreibtisch warfen, der nun von einem jungen Cop, frisch von der Akademie, besetzt war.

Zugegeben, Peter war nicht aus der Welt, dennoch fiel es Kermit noch immer schwer zu verstehen, warum Peter ausgerechnet diesen Weg gewählt hatte. Er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass Peter von Lo Si als auch Caine 'gewaltsam' auf diesen Pfad geschubst worden war. Warum sonst hatte sich Kwai Chang Caine so plötzlich auf die Suche nach seiner seit mehr als 25 Jahren verstorbenen Frau gemacht? Er hatte Peter gerade mal drei Tage Eingewöhnungszeit in seine neuen Aufgaben gegeben, dann hatte er sich verabschiedet. Kermit glaubte keine Sekunde daran, dass der Shambhala Meister Laura wiederfinden würde - zumindest nicht am Leben.

Das brachte ihn wieder zu Peter zurück. Der ehemalige Cop war mit der für ihn noch ungewohnten Aufgabe, sich um Chinatown und seine Einwohner zu kümmern, ziemlich beschäftigt. Es blieb ihm so gut wie keine Zeit, sich mit seinen Freunden vom 101. Revier zu treffen. Kermit konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann Peter zum letzten Mal im Delanceys aufgetaucht war.

Doch die Sache hatte auch etwas Gutes. Die Einwohner Chinatowns vertrauten Peter mittlerweile genauso, wie sie seinem Vater vertrauten. Dadurch kam er an Informationen heran, die den Kollegen vom 101. Revier sonst verwehrt bleiben würden. Wann immer sie Probleme mit einem Fall in Chinatown hatten, wandten sie sich an Peter. Solange er nicht sein Schweigegelübde brechen musste, half er ihnen bei den Ermittlungen wann immer er konnte. Das wiederum sicherte Peter ein kleines, aber zumindest stetiges Einkommen, denn als Shaolin Priester verdiente er nichts.

Kermits Gedanken schweiften immer mehr in Peters Vergangenheit ab. Als ob er es selbst erlebt hätte liefen Peters Erlebnisse wie in einem Film, angefangen vom Tod seiner Mutter, der Zerstörung des Tempels, die 15-jährige Trennung von seinem tot geglaubten Vater und das erneute Wiedersehen, bis hin zum Erhalt der Brandmale, die alles in Peters Leben verändert hatten, vor seinen Augen ab.

Kermit konnte sich noch gut an Peters Abschied erinnern. Es hatte viele Tränen gegeben. Jeder mochte den jungen, charmanten, impulsiven Peter. Der Abschied war ihnen allen schwer gefallen. Kermit fragte sich, ob die Lücke, die Peter auf 101. Revier hinterlassen hatte, jemals gefüllt werden konnte.

Der Detective wusste wie schwer Peter es fiel, alles zu verkraften. Jede Person, um die er sich sorgte, schien einfach aus seinem Leben zu verschwinden. Zuerst sein Pflegevater Paul Blaisdell, seine diversen Freundinnen, und nun auch noch sein leiblicher Vater. Man sah es deutlich an Peters Augen, die immer einen traurigen Schimmer hatten, selbst wenn er lächelte. Die Konstante, die Peter fast verzweifelt in seinem Leben suchte, war einfach nicht vorhanden.

Kermit schüttelte den Kopf und drängte entschlossen die düsteren Erinnerungen zurück. Verwundert stellte er fest, dass er mittlerweile vor seiner Wohnung angekommen war und schon auf seinem Parkplatz stand. Wann war er ins Auto gestiegen und losgefahren? Soviel zum Spruch: Etwas im Schlaf beherrschen.

Er hatte keine Ahnung, warum er ausgerechnet heute soviel an Peter denken musste. Sein Gefühl sagte ihm jedenfalls, dass mit Peter alles in Ordnung war. Peter war für ihn wie ein kleiner Bruder und seitdem Peter Shaolin Priester geworden war, schien er sogar auf ihn abzufärben. Vielleicht lag es aber nur daran, dass sich das Band zwischen ihnen seit Peters Abschied noch enger zusammen gezogen hatte. Sie hatten viele Abende mit Reden verbracht und waren sich wesentlich näher gekommen, als bei der Arbeit im 101. Revier.

Allerdings konnte es auch daran liegen, dass Kermit schon seit über drei Monaten nichts mehr von Paul gehört hatte und er langsam anfing, sich Sorgen zu machen. Außerdem belastete es ihn, dass er mit Niemanden über den Kontakt mit Paul reden durfte. Es würde alle Beteiligten nur unnötig in Gefahr bringen. Wie gerne hätte er Peter, Annie oder den Kids wenigstens einmal gesagt: Paul geht es gut. Der Detective, wie gefährlich der Ort war wo Paul sich aufhielt und, so sehr er den Gedanken versuchte zur Seite zu schieben: Es konnte gut sein, dass Paul nicht mehr am Leben war.

Kermit waren die Hände gebunden. Er konnte Paul keine Nachricht zukommen lassen, ohne dass er von dem Ex-Captain die entsprechenden Daten bekam. Peter ahnte wohl, dass er mit Paul in Kontakt stand, denn er löcherte ihn oft mit Fragen, die Kermit schlicht und ergreifend nicht beantwortete.

Er vermisste Paul ebenso schmerzlich, wie Peter es tat. Hätte Paul ihm damals nicht das Versprechen abgerungen sich um Peter zu kümmern und ein Auge auf ihn zu haben, er wäre mit Paul gegangen. Doch so war er noch immer Senior Detective auf dem 1-0-1 und sein Freund und Mentor war auf sich alleine gestellt. Tief in seinem Inneren betete er, dass Paul es schaffen würde, sich von den Dämonen/Feinden zu lösen, die ihn verfolgten, und wieder zur Familie zurückzukehren. Wenn...ja wenn er solange überlebte.

Kermit schüttelte sich erneut und schob die unliebsamen Gedanken zur Seite. Wenn schon trübe Gedanken, dann bei einem anständigen Glas Whiskey und einer Zigarre in der Hand. Nicht auf einem Parkplatz.

Der Ex-Söldner seufzte und schloss sorgfältig seine heißgeliebte grüne Corvair, von allen nur das Kermitmobil genannt, ab und machte sich auf den Weg zu seiner Wohnung. Leise vor sich hin pfeifend betrat er den Fahrstuhl, der ihn zum 8. Stock beförderte. Mit einem leisen 'wusch' öffneten sich die Türen und Kermit stieg aus. Kaum hatte er einen Schritt aus dem Aufzug gemacht, stellten sich ihm die Härchen im Nacken auf. All seine Sinne sagten ihm, dass er nicht alleine war.

Innerhalb eines Wimpernschlags zog er seinen Desert Eagle aus dem Holster und presste sich in den Schatten der Wand. Zu seinem Glück war der Flur noch nie sehr gut beleuchtet gewesen, so dass es ihm nicht schwer fiel, im Schatten zu bleiben und so zu seiner Wohnung zu gelangen.

Kaum trat er um die Ecke, erblickte er eine Person, die vor seiner Türe stand. Auf ihn machte sie den Eindruck, als ob sie versuchte seine Türe aufzubrechen. Zwar ein sinnloses Unterfangen, er war sehr gut abgesichert, aber deshalb nicht weniger bedrohlich.

Eine eindeutig weibliche Figur zeichnete sich im schwachen Dämmerlicht ab. Seine früheren Erfahrungen hatten ihn gelehrt, Frauen nicht zu unterschätzen. Meist waren sie sogar noch gefährlicher als Männer. Man sprach nicht umsonst von den Waffen einer Frau.

Die Frau schien nicht zu bemerken, dass sie nicht mehr alleine war. In diesem Moment bückte sie sich. Kermit machte zwei große Schritte nach vorne und stand nun hinter ihrem Rücken. Die Mündung seines Desert Eagles presste er gegen ihren Nacken.

"So, wen haben wir dann da?", fragte er sarkastisch.

Die Frau zuckte zusammen, als sie plötzlich kaltes Metall an ihrem Nacken spürte. Vor lauter Schreck blieb ihr die Sprache weg.

"Hände über den Kopf und keine Tricks", kommandierte Kermit.

Sie tat, was er verlangte. Im Zeitlupentempo hob sie die Hände über ihren Kopf. Kermit drückte sie unsanft gegen die Wand und tastete sie mit einer Hand ab, die Waffe noch immer in ihren Nacken gedrückt. Er hörte, wie sie scharf den Atem einzog, als er auch vor intimeren Zonen bei seiner Durchsuchung nicht halt machte. Nur entfernt bekam er ihr Zittern mit.

Nachdem er seine Durchsuchung beendet hatte, befahl er ihr die Hände auf den Rücken zu legen. Gleich drauf schnappte kaltes Metall um die Handgelenke der Frau zu. Ein kleiner Laut löste sich von ihren Lippen, der sich wie das Wimmern einer Katze anhörte.

Kermit beachtete das nicht. Seine Brust drückte sich an ihren Rücken, als er sich über sie beugte, um seine Türe aufzuschließen. Erneut spürte er wie sie zusammen zuckte.

Nachdem der ehemalige Söldner die Türe geöffnet und in dem kleinen Kästchen neben der Türe seinen Sicherheitscode eingetippt hatte, schob er die Unbekannte nicht gerade sanft in den Raum. Im Vorbeigehen gab er der Türe einen Tritt, so dass sie wieder ins Schloss fiel. Dann packte er sie am Oberarm, zog sie in Richtung seines Sofas und gab ihr einen Stoß vor die Brust, so dass sie mit einem 'plopp' auf der Couch landete. Er setzte sich ihr gegenüber in einen Sessel, den Desert Eagle vorsichtshalber in der Hand behaltend und machte Licht.

Mit Kennermiene musterte er die junge Frau vor sich. Sie war ziemlich klein und zierlich, allerdings mit beachtlicher Oberweite, wie er vorher gefühlt hatte. Die langen, honigblonden Haare fielen ihr in wirren Strähnen über die Schultern und ihr ebenmäßiges Gesicht konnte er nur als hübsch bezeichnen. Sie trug Turnschuhe, abgewetzte Jeans und ein weites, grünes T-Shirt. Alles in allem wirkte sie in dem Aufzug eher unscheinbar, nicht wie eine Killerin, oder was auch immer sie war.

"Also, wer sind sie und was wollen sie hier?", fragte er mit einer Stimme, die Stahl zerschneiden konnte.

Die Frau blinzelte in dem grellen Licht. Er konnte in ihre verhangenen Augen blicken, in denen nichts als blanke Furcht stand.

"I... ich b.... bin Cara Thompson", brachte sie mühsam hervor.

"Was wollen sie von mir?", herrschte Kermit sie in bester Söldnermanier an, nicht ganz sicher, ob ihre Furcht nicht nur gespielt war.

"Sind sie Kermit Griffin?", erkundigte sie sich leise.

"Das sollten sie wissen, nachdem sie hier vor meiner Türe gestanden haben."

Er beugte sich etwas vor, so dass er ihr aus nächster Entfernung in die Augen starren konnte, wohl wissend wie sein Anzug, die dunkle Sonnenbrille und das ausdruckslose Pokerface auf andere wirkten. Die Frau wich ängstlich zurück soweit es das Sofa zuließ. Er folgte ihr.

"Bitte", wimmerte sie.

"Ich frage sie zum letzten Mal, Miss Thompson. Was wollen sie von mir?", knurrte er und beugte sich noch einige Zentimeter weiter vor.

"I...ich habe eine N...Nachricht für sie. V...von einem P...Paul", flüsterte sie verängstigt.

Im nächsten Moment packte der Detective die junge Frau am Kragen ihres T-Shirts und riss sie zu sich heran. Die Mündung seiner Waffe zielte direkt auf ihre Stirn. Den entsetzten Schrei der Frau hörte er gar nicht, dafür wirbelten seine Gedanken zu sehr durcheinander.

Er kannte nur einen Paul – Paul Blaisdell. Und der befand sich irgendwo in einem schmutzigen kleinen Ort, in einem schmutzigen kleinen Krieg. Wie kam er dazu, ihr eine Nachricht zu schicken? Kermit wusste, dass er der Einzige war, mit dem Paul in Kontakt stand. Außerdem wirkte die Frau absolut nicht wie Jemand, der sich in dieser düsteren Welt des Krieges behaupten konnte. Dazu hatte sie es ihm viel zu leicht, gemacht sie zu fangen. Es sei denn, das hier war eine gut ausgeklügelte Falle.

"Das ist absolut unmöglich. Entweder sie sagen mir jetzt die Wahrheit, oder sie sterben einen ziemlich qualvollen Tod", drohte er.

"Es ist die Wahrheit! Ich habe eine E-Mail bekommen, die anscheinend für sie bestimmt war", schrie sie in Todesangst.

Irgend etwas in ihrer Stimme machte ihn Glauben, dass sie die Wahrheit sagte. Er konnte die Todesangst deutlich in ihren Augen lesen. So konnte selbst der hartgesottenste Killer nicht schauspielern – hoffte er zumindest.

Langsam lockerte er seinen Griff um ihren Kragen. Cara fiel auf die Couch zurück, wo sie sich zitternd zu einem Ball zusammen rollte. Trockene Schluchzer schüttelten ihren Körper. Im Moment machte sie einen mehr als mitleiderregenden Eindruck wie sie da, mit den auf den Rücken gefesselten Händen, auf der Couch kauerte.

Leise seufzend verstaute Kermit den Desert Eagle wieder in seinem Holster. Er dachte nicht daran, sie in irgend einer Art und Weise zu trösten. Noch immer überwog der Söldnermodus in ihm. Auch wenn man ihm rein äußerlich nichts anmerkte, so hatte ihn Caras Aussage doch sehr geschockt. Gleichzeitig schossen ihm tausend Fragen durch den Kopf, die er alle beantwortet haben wollte.

Um ihr – und sich - etwas Zeit zu geben, ging Kermit in die Küche und setzte einen Kaffee auf. Er nutzte die Zeit, bis das Gebräu durchgelaufen war, um sich zu beruhigen. Aus dem Augenwinkel beobachtete er scharf die junge Frau, die keinerlei Anstalten machte zu fliehen. Nachdem der Kaffe durchgelaufen war, füllte er sich eine Tasse ein und kehrte zu der jungen Frau zurück, die sich inzwischen einigermaßen gefangen hatte und ihm mit verweinten Augen und nassen Wangen entgegen schaute.

Ohne die Waffe im Anschlag wirkte er wohl nicht mehr ganz so bedrohlich, so dass Cara einen kleinen Vorstoß wagte. "Bitte, nehmen sie mir die Handschellen ab. Ich habe ihnen nichts getan", flüsterte sie.

Kermit nippte an seinem Kaffee, bevor er ihr eine Antwort gab: "Das wird sich erst noch heraus stellen, Miss Thompson. Solange ich nicht weiß, was an ihrer seltsamen Geschichte dran ist, bleiben sie genau so wie sie sind. Am besten erzählen sie mir alles von Anfang an und ich werde entscheiden, ob ich ihnen glaube oder nicht."

"Ich habe keine Veranlassung zu lügen", entrüstete sie sich.

"Das entscheide immer noch ich. Fangen sie an", kommandierte er.

Cara, die einsah, dass dies der einzige Weg war aus der prekären Situation heraus zu kommen, versuchte die Angst, die sie noch immer im Griff hielt, zurück zu drängen und begann zu erzählen.

"Ich habe gestern Abend wie immer meine E-Mails abgerufen. Darunter befand sich auch diese Nachricht. Als ich sie las, dachte ich im ersten Moment an einen schlechten Scherz und wollte sie gleich wieder löschen. Doch dann las ich ihren Namen - Kermit - und ich erinnerte mich wage daran, den Namen schon einmal in den örtlichen Nachrichten gehört zu haben. Ich dachte nach und wusste auch wieder in welchem Zusammenhang. Sie sind ein Polizist und arbeiten auf dem 101. Revier. Dann habe ich zwei und zwei zusammen gezählt und bin zu dem Entschluss gekommen, dass diese Nachricht eventuell doch kein Scherz ist. Also habe ich mich auf den Weg gemacht, um ihnen die Nachricht zu bringen."

"Woher wissen sie wo ich wohne?", erkundigte sich Kermit, nicht gänzlich überzeugt.

"Ganz einfach. Ich bin zum 101. Revier gefahren und habe nach ihnen gefragt. Man teilte mir mit, dass sie nicht hier wären und als ich meinte es sei wichtig, wurde mir diese Adresse hier genannt."

"Von wem?"

"Den Namen weiß ich nicht mehr so genau. Rivers... Rivar oder so ähnlich."

Im ersten Moment konnte Kermit mit dem Namen nicht viel anfangen. Dann fiel ihm ein, dass die Urlaubsvertretung von Broderick Rivers hieß. Heißer Zorn durchfuhr ihn. Wie konnte eine Urlaubsvertretung einfach hergehen und seine Adresse weiter geben? Er machte sich gedanklich eine Notiz, am nächsten Tag ein sehr ernstes Wort mit Rivers zu sprechen. Es konnte nicht angehen, dass seine Adresse, die nicht einmal alle Kollegen vom 101. Revier kannten, einfach an eine fremde Person weitergegeben wurde. Kermit war ein Mann, bedingt durch seine Vergangenheit, der so gut wie nie persönliche Dinge über sich Preis gab. Je weniger die anderen wussten, desto sicherer waren sie - und auch er.

"Wenn sie mir nicht glauben, dann rufen sie doch an", versuchte Cara ihre Position zu verbessern.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, griff Kermit nach dem Telefonhörer und rief auf dem Revier an. Er ließ sich mit Rivers verbinden und sprach kurz mit ihm. Dann legte er wieder auf und wandte sich ihr zu.

"Also gut, der erste Teil ihrer Geschichte stimmt. Rivers hat bestätigt, dass sie sich tatsächlich nach mir erkundigt haben. Wie sieht es nun mit dem zweiten Teil aus? Wie lautet die Nachricht und wo haben sie den Beweis dafür?"

"Ich habe die Mail auf meiner Mailbox abgespeichert, damit sie sie lesen können."

"Sie haben was? Sind sie von Sinnen die Mail abzuspeichern? Schon einmal etwas von ausdrucken gehört?", herrschte er sie an.

Cara zuckte bei dem harten Tonfall erneut zusammen. "Mein Drucker ist kaputt. Ich konnte die Mail nicht ausdrucken, deswegen habe ich sie gespeichert. Was ist so schlimm daran?"

Darauf bekam sie von Kermit keine Antwort. "Screenname und Passwort ihres E-Mail Kontos", verlangte er, während er bereits den Computer hochfuhr.

Leise nannte Cara ihm ihre Daten. Dabei fiel ihm auf, dass ihr Screenname fast genauso lautete wie sein eigener, nur dass sie an der letzten Stelle eine 89 und er eine 98 stehen hatte. So langsam wurde ihre Geschichte immer wahrscheinlicher. Paul musste in großer Eile gewesen sein, als er die Nachricht abschickte, sonst wäre ihm so ein Zahlendreher niemals passiert.

Kaum eine Minute später hatte er die Nachricht gefunden, druckte sie aus und löschte sie unverzüglich. Mit gefurchter Stirn las er die kurze Mail:

K.:
Shin Tao.
Code Alpha 3-7-9.
M-0.
P.

Langsam ließ Kermit das Blatt Papier sinken. Für einen Außenstehenden machte die Mail sicherlich nicht viel Sinn, doch er verstand genau was darin stand und das schmeckte ihm überhaupt nicht.

"Sie haben die Mail hoffentlich nicht auf ihrer Festplatte abgespeichert?", wandte er sich an Cara.

Sie errötete. "Doch, das habe ich zur Sicherheit. Ich traue den Mailkonten nicht so und wollte sicher sein, dass sie auch denjenigen erreicht, für den sie bestimmt ist. Außerdem habe ich sie noch an ein anderes Mailkonto von mir geschickt. Man kann nie wissen."

Kermit verdrehte die Augen hinter den dunklen Gläsern. Mit ihrer gutgemeinten Aktion hatte sie sich selbst in große Gefahr gebracht. Er konnte nur hoffen, dass nicht schon das geschehen war, was er vermutete. Woher sollte sie auch wissen mit wem sie es hier zu tun bekommen würden? Sie war eine Zivilistin und kein Cop, das durfte er nicht vergessen. ...Oder anderes Szenario: sie spielte die gutgetarnte Vorhut von Shin Tao, dem es irgendwie gelungen war, diese Mail von Paul abzufangen.

Noch immer war Kermit sich nicht sicher, welche Rolle sie hier inne hatte, dazu musste er sie erst einmal überprüfen. Doch da waren im Moment eindeutig andere Dinge wichtiger. Auf jeden Fall würde er die junge Frau in seiner Nähe behalten, soviel stand für ihn fest.

Der Detective machte eine auffordernde Handbewegung in Richtung Cara. "Wir müssen gehen."

"Wir? Wohin denn? Machen sie mir nun endlich die Handschellen ab?"

Kermit ließ ein trockenes Lachen hören und griff nach seinem Laptop.

"Miss Thompson, sie bleiben solange mit diesen hübschen Armbänder verziert, bis ich mir endgültig sicher über ihre Identität bin. Nachher kommen sie noch auf dumme Gedanken und versuchen abzuhauen."

Cara schnappte nach Luft. Als sie ihm gutmütig, wie sie war die Nachricht hatte überbringen wollen, hatte sie nicht damit gerechnet, plötzlich wie ein Verbrecher behandelt zu werden. Zumal sie keine Ahnung hatte, was die ganze Aufregung sollte.

"Das können sie doch nicht machen!", rief sie empört aus.

"Ich kann und ich werde, Miss Thompson", lautete seine trockene Entgegnung.

"Das ist Freiheitsberaubung!", ereiferte sich Cara.

"Dann rufen sie doch die Polizei. Oh...halt...die ist ja schon hier."

Ohne auf ihre weiteren Proteste zu achten, ergriff er ihren Oberarm, zog sie von der Couch hoch und führte sie zur Türe. Er ergriff ein Jackett, das neben der Türe hing und legte es ihr um die Schultern mit dem Kommentar, es müsse ja nicht gleich jeder ihren Handschmuck sehen. Cara blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen, zumal er ihren Oberarm noch immer fest umspannt hielt.

Schweigend betraten sie den Fahrstuhl. Schweigend gingen sie zum Auto. Schweigend lies es Cara über sich ergehen, wie ein Gepäckstück auf dem Beifahrersitz der grünen Corvair verstaut und angeschnallt zu werden.

Erst nach einigen Minuten Fahrt, fand die junge Frau ihre Sprache wieder. Langsam, aber sicher bekam sie es erneut mit der Angst zu tun, da ihr die Gegend absolut unbekannt vorkam. Zum 101. fuhr er jedenfalls nicht.

"Wohin bringen sie mich? Das ist nicht der Weg zum Revier", meinte sie leise.

Kermit warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. "Ich bringe sie nirgendwohin, Miss Thompson. Sie begleiten mich nur."

"Ach? Und wohin darf ich sie begleiten?"

"Wir fahren zu einem Ex-Kollegen und gutem Freund von mir."

"Na ist das nicht toll, da freue ich mich aber. Und wann gedenken sie, mich endlich loszubinden?"

"Das sagte ich bereits, nachdem ich sie überprüft habe. Allerdings ist Peter jetzt wesentlich wichtiger und sie sind in meiner Gegenwart auch besser aufgehoben, glauben sie mir."

Ein Unterton lag in seiner Stimme, der Cara aufhorchen ließ. Für den Moment war ihre unangenehme Sitzposition vergessen.

"Ist es möglich, dass nicht nur sie und ihr Freund, sondern auch ich in ziemlichen Schwierigkeiten stecken?", erkundigte sie sich leise.

Kermit zuckte, unmerklich für sie, zusammen. Die Frau hatte einen sicheren Instinkt. Er musste höllisch aufpassen, was er sagte. Ihre Intelligenz war nicht zu unterschätzen.

"So ähnlich", erwiderte er wage.

Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie sie blass wurde. Die Antwort trug nicht gerade zu ihrer Beruhigung bei. Als keine Antwort von ihr kam, meinte er nur leise: "Hey, es wird schon alles gut gehen."

 

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