Die Rückfahrt verlief in vollkommener Stille. Weder Cara noch Kermit war nach Reden zumute. Kermit konnte nur den Kopf darüber schütteln, dass er tatsächlich ein Begräbnis für eine Katze abgehalten hatte. Er hoffte, dass keiner seiner Kollegen je etwas darüber erfahren würde, sonst wäre ihm viel Spott sicher. Außerdem sorgte er sich um Cara, die totenblass neben ihm saß. Sie machte ganz den Eindruck, als würde sie unter Schock stehen. Seitdem sie die Katze vergraben hatten, hatte sie keinerlei äußerliche Reaktionen mehr gezeigt. Auf seine Frage, ob sie in der Wohnung außer ihren Computer noch etwas vermisste, hatte er nur ein Schulterzucken geerntet. Sie war stumm ins Schlafzimmer geflüchtet und hatte wahllos irgendwelche Sachen in ihren Koffer gestopft. Das Chaos hatte sie überhaupt nicht beachtet. Auch ihre Miene war vollkommen ausdruckslos, selbst in ihren Augen konnte er nichts mehr erkennen. Sie schien sich vollkommen in sich zurück gezogen zu haben. Kein gutes Zeichen! Peter sah ihnen schon von weitem an, dass etwas passiert sein musste. Er konnte Caras innere Leere spüren, mehr empfing er von ihr nicht mehr. Sein fragender Blick traf Kermit. Dieser schüttelte leicht den Kopf und nickte in Caras Richtung. Peter verstand den Wink und verbiss sich die Frage, die ihm auf der Zunge lag. Kermit schlug Cara vor gleich ihren Koffer auszupacken und eine heiße Dusche zu nehmen. Als diese nickte, erhob sich Peter und zeigte ihr das Gästezimmer, das direkt neben dem seinem lag. Kaum hatte sich die Türe hinter ihr geschlossen wandte er sich an Kermit. "Was ist passiert?" "Sie haben sie schon gefunden. Es wurden sämtliche Zimmer durchsucht. Es war alles auf dem Boden verstreut. Den Computer haben sie mitgenommen und sie haben ihre Katze umgebracht, an der sie anscheinend sehr gehangen hat." "Du sagtest, es wurden alle Zimmer durchsucht? War der Computer so gut versteckt? Wurde großer Schaden angerichtet?" "Nein, eigentlich nicht. Der Computer befand sich gleich im Wohnzimmer, außer einem umgeworfenen Tisch, aufgerissenen Sofakissen und herausgerissenen Schubladen befindet sich alles noch an seinem Platz. Zumindest was die Möbel anbelangt." "Seltsam", erwiderte Peter nachdenklich. "Warum seltsam? Du weißt, dass die Sing Wah unberechenbar sind." "Das schon, aber warum hätten sie sich die Mühe machen sollen alles zu durchsuchen, wenn sie das schon gefunden hatten was sie suchten? Das sieht ihnen nicht ähnlich. Sie müssen noch nach etwas ganz anderem gesucht haben. An blinde Zerstörungswut kann ich nicht glauben, dann hätte es wiederum anders aussehen müssen." "Stimmt", erwiderte Kermit nachdenklich. Sein Verstand lief auf Hochtouren. Peter kam ihm mit einer Antwort zuvor. "Im Klartext bedeutet das, dass sie noch hinter etwas ganz anderem her sind. Und auch, dass dieser Vorfall nicht direkt mit der Mail von Paul zusammen hängt. Das war nur ein dummer Zufall. Die suchen nach etwas ganz anderem." Kermit, der inzwischen schon längst zur selben Erkenntnis bezüglich Paul gekommen war, nickte zustimmend. "Aber nach was? Miss Thompson war so mies drauf durch den Tod ihrer Katze, dass sie mir nicht sagen konnte, ob noch etwas fehlte." "Sie steht unter Schock", erwiderte Peter prompt. "Das ist unschwer zu übersehen. Ich frage mich nur, was sie angeblich in ihrem Haus hat, das für die Sing Wah von Nutzen sein könnte? Der Fall wird immer komplizierter, wenn du mich fragst", entgegnete Kermit trocken. "Und die einzige Person, die uns die Frage beantworten könnte, ist nicht in der Lage dazu", vollendete Peter den Satz. Der Shaolin machte sich auf den Weg in seinen Arbeitsraum. Kermit folgte ihm dicht hinterher. Während Peter mit geübter Hand einen Beruhigungstee für Cara zusammen stellte, unterhielten sie sich weiter. "Was weißt du alles über sie?" fragte er. "Noch nicht sehr viel. Sie ist 27 Jahre alt, wuchs in einer typischen Kleinstadt auf. Eltern sind beide tot. Sie sind vor knapp drei Jahren, zusammen mit ihrem Verlobten, bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Normaler Schulabschluss, normaler Werdegang, keinerlei Auffälligkeiten, nicht einmal ein Strafzettel hat sie je erhalten. Lehre als Bibliothekarin. Sie ist vor zwei Jahren hierher gezogen und hat von dem Geld, das ihr ihre Eltern hinterlassen haben ein kleines Häuschen im Wald gekauft. Im Moment arbeitet sie freiberuflich für das Antiquariat hier in Sloanville. Ende des Essays." "Hm, das hört sich nicht gerade nach einem aufregenden Leben an. Wie steht es mit dem Unfall ihrer Eltern und ihres Verlobten, könnte da ein Ansatzpunkt liegen?" "Nein, das habe ich auch sofort geprüft. Es handelte sich tatsächlich um einen Unfall. Ein Trucker, der hinter dem Steuer eingeschlafen war, ist auf die Gegenfahrbahn geraten und hat das Auto erfasst." "Aber wo liegt dann der Knackpunkt? Ich werde das Gefühl nicht los, dass der Computer in dieser Sache nur eine Nebenrolle spielt. Die sind hinter etwas ganz anderem her und das ist auch nicht Paul." Kermit seufzte vernehmlich. "So kommen wir nicht weiter. Wir müssen wohl oder übel warten, bis Miss Thompson uns mehr sagen kann. Im Moment wissen wir ja noch nicht einmal wonach wir suchen. Wie ist es übrigens auf dem Revier gelaufen?" "Ganz gut soweit. Ich habe Captain Simms mitgeteilt, was passiert ist. Sie ist nicht sehr glücklich über die Tatsache, dass ein Zivilist involviert ist, aber sie hat uns jede Unterstützung zugesagt. Du sollst morgen früh ins Büro kommen und die entsprechenden Papiere ausfüllen, danach bist du offiziell mein Leibwächter." Peter konnte sich bei den letzten Worten ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Beide wussten, dass Peter ihm mittlerweile durch seinen Stand und sein Training als Shaolin haushoch überlegen war, wenn es darum ging, eine Gefahr frühzeitig zu erkennen. Es war wohl eher so, dass Peter auf Kermit aufpasste und nicht anders herum. Kermit erwiderte auch nichts, sondern schoss ihm nur seinen schärfsten Blick zu. Cara trat aus dem Gästezimmer und näherte sich vorsichtig den beiden Männern. Man konnte deutlich erkennen, dass sie geweint hatte. Allerdings schien es ihr trotzdem wesentlich besser zu gehen. Peter drückte ihr eine Tasse des selbstgebrauten Tees in die Hand. "Trinken sie das, das wird ihnen gut tun." Cara verzog das Gesicht, als sie an dem Gebräu roch. "Was ist das denn? Wollen sie mich vergiften?", fragte sie empört. Peter zog eine Augenbraue in die Höhe. Die Dame neigte wohl dazu, von einem Extrem ins andere zu fallen. Eben noch schien sie am Boden zerstört zu sein und jetzt wandelte sie plötzlich auf dem Kriegspfad. "Das ist ein Beruhigungstee. Sehen sie es als Medizin an", entgegnete er. Sie gab ihm unverzüglich die Tasse zurück. Als er nicht nach ihr griff, ging sie zum Spülbecken und leerte den Inhalt der Tasse in den Ausguss. Danach spülte sie die Tasse gründlich aus und stellte sie zum Abtrocknen auf die Ablage. Mit trotzig vor der Brust verschränkten Armen wandte sie sich den beiden zu. Peter beobachtete alles mit offenem Mund. In der gesamten Zeit, seitdem er hier diverse Tees braute, war ihm so etwas noch nicht passiert. Mit Grauen dachte er daran, wie sein Vater reagiert hätte, wenn er sich je so benommen hätte. Wahrscheinlich würde er die nächsten Stunden auf den Knien zubringen und den Terrassenboden schrubben, so wie er es immer im Tempel als Bestrafung machen musste. Anschließend wäre dann wieder eine der berühmten Lektionen von Caine gekommen. Hier allerdings wusste er nicht, wie er darauf reagieren sollte, ihre unerwartete Aktion überraschte ihn vollkommen. Aus dem Augenwinkel beobachtete Peter, wie sich Kermits Augenbrauen unheilverkündend zusammenzogen. *Uh...Uh*, dachte er im Stillen, *das gibt Ärger.* Schon befand sich Kermit auf dem Weg zu Cara, die sich angesichts Kermits grimmigen Gesichtsausdrucks nicht mehr allzu wohl in ihrer Haut zu fühlen schien. Instinktiv trat sie einen Schritt zurück und Peter trat gleichzeitig einen Schritt vor, um im Notfall einschreiten zu können. Nun war Cara direkt zwischen den beiden Männern gefangen. Obwohl keiner der beiden sie berührte, nahm ihr die geballte Ausstrahlung von beiden fast den Atem. Plötzlich kam sie sich sehr dumm vor, so reagiert zu haben. Sie traute sich weder Peter noch Kermit in die Augen zu blicken. "Miss Thompson, sie haben mir etwas versprochen", grollte Kermit. Cara ließ den Kopf hängen. "Tut mir leid, ich weiß auch nicht was in mich gefahren ist", erwiderte sie leise. "Das war sehr kindisch von ihnen. Als erwachsene Frau hätte ich ihnen ein wenig mehr Verstand und vor allen Dingen Benehmen zugetraut", kam es scharf zurück. "Ich sagte schon, dass es mir leid tut", betonte Cara mit leichtem Trotz in der Stimme. Diesmal war es Peter, der die Situation rettete. "Haben wir nicht wichtigere Dinge zu tun, als über ausgeleerte Teetassen zu reden? Mich interessiert immer noch was die Sing Wah bei ihnen suchten." Cara zuckte nur die Schultern. "Ich weiß es nicht." Peter führte die beiden an den Küchentisch. Eine neue Tasse Tee wurde vor Cara gestellt, die sie schweigend akzeptierte und vorsichtig dran nippte. "Versuchen sie sich zu erinnern, was außer dem Computer noch fehlt", sprach Peter eindringlich. Cara starrte nachdenklich in die Tasse. "In all dem Durcheinander ist es schwer zu sagen, was fehlt oder nicht. Ich habe keine wertvollen Gegenstände in der Wohnung, für die sich ein Einbruch lohnen würde. Das teuerste war wohl der Computer und den haben sie mitgenommen." "Was haben sie außer der gespeicherten Mail auf der Festplatte", wollte Kermit wissen. "Nichts, was irgendwie von Bedeutung ist nehme ich mal an. Ein paar abgespeicherte Mails von meinen Freunden, ein paar Programme und die Bücherliste, die ich für Mr. Singer, das ist der Besitzer des Antiquariats in dem ich arbeite, gerade erstelle." "Miss Thompson, ich bin sicher, dass nach etwas bestimmten gesucht wurde. Kann es etwas mit ihrem Beruf zu tun haben? Welche Bücher haben sie bearbeitet." Caras Kopf ruckte nach oben. "Bücher, das ist es!", rief sie aus. Beide warteten gespannt. Cara wandte sich Kermit zu. "Sie haben auf ihrer Wanderung durch die Zimmer nicht zufällig eine ungefähr so große", sie beschrieb die Größe mit den Händen, "braune Bücherkiste gesehen?" Kermit, der ein sehr gutes Erinnerungsvermögen besaß, schüttelte den Kopf. "Nein, es befand sich definitiv keine Bücherkiste in ihrem Haus." "Dann haben sie sie mitgenommen", schloss Cara ihre Betrachtung. "Und warum sollten die Sing Wah an Büchern interessiert sein?", dachte Peter laut nach. "Es sei denn...Miss Thompson, von welchen Büchern reden wir hier im Moment überhaupt?" "Ich kenne den Inhalt leider nicht. Mr. Singer rief mich vorgestern an und meinte, er würde mir eine Kiste mit alten Büchern schicken, die ich katalogisieren soll. Ich habe nur einen kurzen Blick hinein geworfen und kann mich leider an die einzelnen Titel nicht mehr erinnern. Ich weiß nur noch, dass die Bücher alle im esoterischen Bereich angesiedelt waren." Peter und Kermit warfen sich einen ernsten Blick zu. Das hörte sich absolut nicht gut an. Wer wusste schon, um was für Bücher es sich gehandelt hatte. "Können sie sich nicht an etwas mehr erinnern?", hakte Peter nach. "Nein, leider nicht. Jedenfalls an nichts, was die Bücher anbelangt. Allerdings fiel mir bei Mr. Singer auf, dass es ihn sehr drängte, mir die Bücher zu schicken. Das ist ziemlich atypisch für ihn. Normalerweise nutzt er so etwas immer aus, um auf einen Kaffee bei mir vorbei zu kommen." Kermit und Peter erhoben sich gleichzeitig. "Ich denke, es ist an der Zeit, diesen Mr. Singer aufzusuchen", meinte Kermit grimmig. "Peter, ihr beide bleibt hier." Bevor auch nur einer von ihnen Zeit hatte zu antworten, verschwand Kermit schon über die Feuertreppe. ************* Schon von weitem erkannte Kermit, dass bei dem Antiquariat etwas nicht stimmte. Eine kleine Menschenmenge hatte sich rund um das Gebäude gebildet. Mehrere Streifenwagen parkten vor dem Haus. Außerdem bahnte sich gerade ein Leichenwagen den Weg durch die Menschenmenge. Mit quietschenden Reifen brachte er die Corvair zum Stehen und hetzte auf die Szene zu. Ein Polizist in Uniform wollte ihn daran hindern, die Absperrungslinie zu betreten. Nachdem Kermit ihm seine Marke gezeigt hatte, trat er zur Seite. Er ging direkt auf Jody zu, die am Eingang des Gebäudes stand. "Was ist passiert?" fragte er ohne Begrüßung. Jody wandte sich ihm erstaunt zu. "Hey Kermit, was machst du denn hier? Ich dachte, du spielst Babysitter für Peter." "Powell", knurrte er warnend. Ein eiskalter Blick traf sie. Die Blondine hob die Hände in einer abwehrenden Geste hoch. "Schon gut, Kermit. Ich habe verstanden. In das Antiquariat wurde eingebrochen. Mr. Singer, der Besitzer des Antiquariats, wurde erstochen." "Wie lange ist das her?", fragte Kermit dazwischen. "Nicky meinte es könne nicht länger als eine Stunde her sein. Ein Kunde, dem es komisch vorkam, dass Mr. Singer den Laden nicht geöffnet hat, rief die Polizei an, nachdem er ins Innere geschaut und ihn inmitten von Büchern liegend gesehen hat. Du solltest mal sehen wie dort gewütet wurde. Alle Bücher wurden aus den Regalen gerissen. Seltsamerweise ist das Geld in der Kasse unberührt, während der Rest des Ladens ziemlich übel zugerichtet wurde. Also wurden die Männer entweder bei ihrem Überfall gestört, bevor sie sich der Kasse zuwenden konnten, oder sie waren auf der Suche nach etwas ganz bestimmtem." Kermit schob sich an Jody vorbei, um sich selbst einen Überblick zu verschaffen. Ein Blick genügte, um zu erkennen, dass tatsächlich ganze Arbeit geleistet worden war. Der Laden sah wie ein Schlachtfeld aus. "Weißt du etwas darüber?", erkundigte sich Jody. "Ich bin mir noch nicht sicher, aber alles deutet darauf hin, dass das mit meinem Fall zu tun hat", erwiderte Kermit abwesend, auf die weiße Kreidezeichnung starrend, die vom Ableben Mr. Singers zeugte. "Und damit auch mit Peter. Braucht ihr Verstärkung?", fragte Jody sichtlich besorgt. "Am besten hältst du dich aus allem heraus, Herzblatt und das meine ich ernst", wandte Kermit schroff ein. Jody sah ihn mit großen Augen an. Wenn er in dem Ton sprach, dann war einiges faul an der Sache. "Kermit ist es nicht besser.…" "Nein", schnitt er ihr hart das Wort ab. "Ist schon festgestellt worden, ob etwas fehlt?" "Nur zum Teil. Bei all den Büchern ist es auch schwer festzustellen. Sofort fiel nur auf, dass der Computer sowie sämtliche Bücherlisten und Lieferscheine fehlen", entgegnete Jody, die aufgegeben hatte weiter auf Kermit einzureden. Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte. "Das dachte ich mir", entgegnete Kermit. "Wenn du mehr Informationen darüber hast was außer den erwähnten Dingen noch fehlt, dann ruf mich an." "Mache ich, Kermit. Und du bist sicher, dass du keine Verstärkung brauchst?" Kermit schenkte ihr sein berühmtes Wolfsgrinsen und fuhr mit dem Zeigefinger Jodys Wange entlang. "Glaube mir, Herzblatt, du willst da ganz bestimmt nicht mit hinein gezogen werden." ********************** Zwei Stunden später versammelten sich Kermit, Peter und Cara am Küchentisch. Kermit hatte einen kurzen Zwischenstop auf dem Revier eingelegt, um nach weiteren Informationen zu suchen, bevor er zu Peter zurück gekehrt war. Cara hatte die Nachricht vom gewaltsamen Ableben Mr. Singers schwer getroffen. Mr. Singer war stets ein netter und liebenswürdiger alter Mann gewesen, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Und nun das. Selten hatte sie etwas so sehr geschockt, sah man vom gewaltsamen Tod ihrer Eltern und ihres Verlobten ab. Cara wurde immer klarer, dass die Sache weitaus gefährlicher war, als sie bis jetzt angenommen hatte. Wenn die Kerle fähig waren einen armen, alten Mann und eine wehrlose Katze einfach ohne Grund umzubringen, dann würden sie vor nichts zurückschrecken. Heldenhaft versuchte sie sich nicht ansehen zu lassen wie sie sich fühlte, allerdings mit wenig Erfolg. Peter hatte vorhin ein kurzer Blick auf ihr Gesicht genügt, nachdem Kermit die Nachricht überbracht hatte und er hatte sie beschützend an sich gezogen. Cara hatte sich erlaubt ein paar Sekunden in seiner Umarmung zu verharren, dann hatte sie sich vehement von ihm gelöst. Sie spürte einfach, dass jetzt nicht die Zeit zum Trauern war. Kermit hieb mit der Faust so heftig auf den Tisch, dass die beiden anderen zusammen zuckten. Inzwischen hatte man sich auf das allgemeine Du geeinigt. "So ein verdammter Mist. Wir diskutieren hier schon weiß Gott wie lange und sind der ganzen Sache keinen Schritt näher gekommen. Cara, bist du sicher, dass du dich nicht an die Büchertitel erinnern kannst?" "Herrgott ja, Kermit. Das habe ich dir nun schon hundert Mal gesagt. Davon, dass du immer wieder nachfragst, wird es auch nicht anders", wehrte sich Cara. "Aber du hast sie doch gesehen." "Ja habe ich. Kannst du dich etwa an alles, das du einmal flüchtig gesehen hast erinnern? Ich jedenfalls nicht." Peter, der schweigend zuhörte, warf nachdenklich ein: "Vielleicht kann ich dir weiter helfen, Cara." "Du?" kam es wie aus einem Mund von Kermit und Cara. "Ja ich." Peter lächelte verlegen. "Zumindest einen Versuch ist es wert, falls du bereit bist mitzumachen, Cara." "Ich bin ganz Ohr, was hast du vor?" "Nun ich...ähem...also...ihr wisst, dass ich ein paar Fähigkeiten habe, die über die normale Realität hinaus gehen. Du hast die Bücher gesehen Cara, das bedeutet, dass die Titel auch noch irgendwo in deinem Gedächtnis gespeichert sind. Ich will versuchen mit deiner Hilfe an diesen Teil deines Gedächtnisses heran zu kommen." "Du meinst Hypnose?", hakte Cara nach, die nicht so ganz verstand, was er meinte. Peter errötete leicht, es war ihm sichtlich unangenehm über seine Shaolin Fähigkeiten zu reden. "Nicht direkt. Ich werde versuchen, mein Chi mit dem deinen zu verbinden, so dass ich das sehen kann, was du gesehen hast. Alles, was du tun musst, ist dich auf den Moment zu konzentrieren, in dem du diese Bücherkiste geöffnet hast." Cara schwieg ein paar Sekunden. "Ich habe so etwas noch nie gemacht, Peter. Bräuchtest du da nicht einen erfahreneren Partner? Ich weiß gar nicht wie das funktionieren soll." Peter grinste schräg. "Überlass das einfach mir. Ich finde, wir sollten es probieren. Mehr als schief gehen kann es nicht und außerdem habe ich so etwas schon ein paar Mal gemacht. Ich finde, du hast ein sehr feines Gespür und ich bin sicher, du wirst keine Probleme haben." Mit Absicht verschwieg er, dass er die Rückführung zum ersten Mal mit einer Person versuchte, die keine Ahnung von diesen Dingen hatte. Cara erschein Peter ein wenig blass um die Nasenspitze zu sein. "Ich bin schon damit einverstanden, allerdings würde ich gerne noch ein wenig mehr über das hören, auf was ich mich da einlasse." "Cara, das willst du gar nicht wissen", kam die prompte, sehr ernst gemeinte Antwort von Kermit. Ihr Kopf ruckte in seine Richtung. Schließlich nickte sie vorsichtig. "Also, gut. Wahrscheinlich würde ich eh nichts von dem verstehen, was du mir erzählst. Wann willst du anfangen?" "Sofort." Cara schnappte nach Luft. Peter lächelte sie jungenhaft an und streckte ihr die Hand entgegen. "Nur keine Angst, Cara. Es wird schon schief gehen." Cara ergriff die Hand und ließ sich von ihm in den Meditationsraum führen, Kermit dicht an ihren Fersen. "Genau das hoffe ich nicht", murmelte sie so leise, dass keiner von beiden sie hörte. Einige Minuten später erstrahlte der gesamte Raum in mildem Kerzenschein. Cara saß im Schneidersitz Peter gegenüber, der auf der weichen Matte die volle Lotusposition eingenommen hatte. Direkt hinter Cara hatte es sich Kermit gemütlich gemacht. Er würde als ihr Wächter fungieren und über sie wachen, während sie in Meditation versunken waren. Außerdem hatte er Papier und Bleistift neben sich liegen, um sich gegebenenfalls Aufzeichnungen machen zu können. Cara war ziemlich aufgeregt, da half auch Peters Gelassenheit nicht viel. Zwischen ihnen brannte eine weiße Kerze deren Flamme leicht im Wind flackerte, der durch die geöffneten Fenster strich. Sie schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch, um sich Mut zu machen. "Und was jetzt?", erkundigte sie sich mit leicht zitternder Stimme. "Ich möchte, dass du dich vollkommen auf die Kerzenflamme konzentrierst. Atme tief ein und aus, bis du merkst wie du ruhiger wirst und höre nur auf meine Stimme. Wenn du meinst bereit zu sein, dann reiche mir die Hände und schließe deine Augen. Den Rest erledige ich." "Na, wenn es weiter nichts ist", kam es eher kläglich von Cara. Sie versuchte sich ganz auf das Flackern der Kerze zu konzentrieren, während sie auf Peters Stimme lauschte, die ruhig und beschützend klang. Langsam merkte Cara wie sie ruhiger wurde, die Flamme verschwamm immer mehr vor ihren Augen. Wärme breitete sich in ihr aus, der Alltag verschwand ganz aus ihrem Denken. Ihre Gefühle lagen für Peter vollkommen offen, er war erstaunt wie gut sie auf das alles ansprach. "Nun schließe deine Augen und reiche mir deine Hände", sagte er leise. Cara tat was er verlangte. Als sich ihre Finger berührten, zuckte sie erschreckt zurück. Peter hielt ihre Hände mit Nachdruck fest. Auch er spürte den starken Energiestrom, den er sonst nur von seinem Vater kannte, zwischen ihnen fließen. "Ganz ruhig, Cara, es ist alles in Ordnung. Vertrau mir und entspanne dich." Die junge Frau atmete tief ein und aus. Langsam gewöhnte sie sich an diesen ungewohnten Energiestrom. Sie spürte Peters Zuversicht und Wärme, die sie vollkommen einhüllte und ließ sich einfach fallen. In diesem Augenblick löste sich die Welt, so wie sie sie kannte auf. Gemeinsam mit Peter wurde sie in einem spektralen Wirbel gezogen. Ängstlich riss Cara die Augen auf und blickte in Peters seltsam verzerrte Gesichtszüge. Sie hatte keine Ahnung, ob das nun der Realität entsprach oder nicht. Dann löste sich der Wirbel auf. Erstaunt stelle sie fest, dass sie sich in ihrem eigenen Haus befand und Peter direkt neben ihr stand. Haltsuchend lehnte sie sich an ihn und schaute zu ihm hoch. "Träume ich das alles, oder was passiert hier?" Peter legte beschützend einen Arm um ihre schlanken Schultern. "Versuche erst gar nicht, das Ganze zu verstehen. Wir sind quasi direkt in deinen Gedanken. Konzentriere dich bitte auf den Moment, als du die Bücherkiste geöffnet hast." Cara nickte, seine Nähe gab ihr die Kraft, die sie benötigte. Direkt vor ihren Augen materialisierte sich die Bücherkiste. "Na so was", lautete Caras fassungsloser Kommentar. Sie kniete sich vor die Kiste und öffnete sie geschickt. Ein Buch nach dem anderen wurde herausgenommen. Peter las die einzelnen Titel der Bücher laut vor. Es handelte sich allesamt um sehr alte Bücher, die sich eindeutig mit Magie beschäftigten. Ein mit einem Sternähnlichen Schloss versehenes Buch erregte Peters besondere Aufmerksamkeit. Es wirkte seltsam vertraut auf ihn. Peter schluckte hart, als er das goldene Sonnenzeichen auf dem Umschlag erkannte. "Shambhala", flüsterte er. Das Bild vor ihm verschwand für einen Moment, bevor er sich näher mit dem Buch befassen konnte. Ein Seitenblick auf Caras ungesunde Gesichtsfarbe teilte ihm unmissverständlich mit, dass es höchste Zeit wurde zurück zu kehren. Immerhin war es Caras erster Ausflug in diese Gefilde und er wusste aus eigener Erfahrung, wie sehr solch eine Reise in die Vergangenheit anstrengen konnte. Erneut fasste er Cara an den Händen und brachte
sie denselben Weg zurück, den sie gekommen waren. Wieder gab es diesen
spektrale Wirbel und dann materialisierte sich langsam der Meditationsraum. "Okay Cara, Zeit zu mir zurück zu kommen. Öffne deine Augen." Caras Lider flackerten. "Gut so Mädchen, mach weiter", bekräftigte er sie. In Zeitlupentempo hob sich Caras Kopf, ihre Lider flatterten. Nur mit Mühe schaffte sie es, die Augen zu öffnen. Peter lächelte sie aufmunternd an. "Hast du prima gemacht, Cara. Ich bin stolz auf dich." Cara erwiderte schwach sein Lächeln. Sie fühlte sich vollkommen erledigt. Ganz ohne ihr zutun kippte sie mit dem Oberkörper nach hinten und wurde von dem überraschten Kermit reflexartig aufgefangen. "Nanu", kommentierte Kermit Caras plötzliche Nähe und schaute zu Peter. "Das ist vollkommen normal, Kermit. So eine Reise erschöpft und verbraucht eine gewaltige Menge an Energie. Hinzu kommt, dass sie keine Erfahrung mit diesen Dingen hat. Die ersten paar Male ist es mir genauso ergangen. Gib ihr ein paar Minuten und sie ist wieder einigermaßen auf dem Damm", beantwortete Peter die unausgesprochene Frage. Eine kurze Handbewegung des Shaolin ließ sämtliche Kerzen im Raum erlöschen. Graziös kam er auf die Beine und beugte sich über die beiden noch am Boden sitzenden Personen. Cara war nicht einmal im Stande, ihren Kopf von Kermits breiter Brust zu heben. "Das ist einfach nur unfair", beschwerte sie sich leise. Beide Männer lachten leise bei diesem treffenden Kommentar. "Es wird dir bald wieder besser gehen", meinte Peter mitfühlend und nahm Cara schwungvoll auf die Arme, damit Kermit aufstehen konnte. "Wie kannst du nur nach all dem so fit sein", muffelte sie, den Kopf in seine Halsbeuge gedrückt. "Reine Übungssache. Wenn du das ein paar Mal gemacht hast, dann wird es immer einfacher", erwiderte Peter leichthin, während er sie quer durch den Raum trug. "Oh Hilfe, bloß nicht noch mal", flüsterte Cara. Peter ließ Cara vorsichtig auf das Sofa gleiten. Kermit setzte sich wie immer auf seinen angestammten Platz, den Sessel, und beobachte Cara besorgt, während Peter in die Küche ging, um einen weiteren Tee aufzusetzen. Wenig später kehrte er mit dem dampfenden Getränk zurück. Er drückte Kermit eine Tasse in die Hand und setzte sich neben Cara auf die Couch, die sich die gesamte Zeit keinen Millimeter bewegt hatte. Peter hielt Cara die Tasse an den Mund, brachte sie mit sanftem Nachdruck dazu, den gesamten Inhalt zu leeren. Es dauerte nur wenige Minuten bis die Farbe in Caras Wangen zurück kehrte. Peter strich mit den Fingerspitzen zart über ihre Schläfen, überprüfte unauffällig ihr Chi. Erleichtert stellte er fest, dass es schon dabei war, sich zu regenerieren. Plötzlich beugte sich Cara nach vorne und hielt ihren Magen mit beiden Armen umfasst. "Oh Gott, ist mir schlecht", stöhnte sie. Wortlos riss Peter die junge Frau vom Sofa hoch und eilte mit ihr ins Badezimmer. Kermit sah den beiden konsterniert hinterher. So
ganz verstand er immer noch nicht, was hier eigentlich vor sich ging.
Andererseits bezweifelte er stark, ob er tatsächlich wissen wollte,
was hier passiert war. Obwohl er mittlerweile schon einige Jahre mit Peter
zusammen arbeitete und sie sich sehr nahe standen, waren ihm solcherlei
Vorgänge noch immer mehr als suspekt. Ausgerechnet ihm, einem Menschen,
der nur glaubte was er sah, musste das ständig passieren. Kermit
seufzte leise. Das gehörte wohl einfach dazu, wenn man mit einem
Caine befreundet war. Total vertieft, bemerkte Kermit nicht, dass Peter zurückgekehrt war. Er zuckte zusammen und fuhr kampfbereit herum, die Finger um das Handgelenk geschlungen, das auf seiner Schulter ruhte. "Whoa, nun mal langsam, ich bin es doch nur", ertönte Peters Stimme dicht an seinem Ohr. Kermit lockerte den Griff um Peters Handgelenk. "Mach das nie wieder, sonst breche ich dir den Arm!", drohte er. "Schon verstanden", entgegnete Peter und ließ sich auf das Sofa fallen. Kermit schloss den Laptop und wandte seine volle Aufmerksamkeit Peter zu. "Wo ist Cara?" "Sie schläft. Uhm.. ich fürchte, sie wird mir den Kopf abreißen, wenn sie wieder wach ist." Kermit deutete ein Lächeln an. "Dein Problem. Was hast du heraus gefunden?" "Dass wir in großen Schwierigkeiten stecken. Ich weiß jetzt wonach die Sing Wah suchen." "Und das wäre? Ich habe auch ein wenig nachgeforscht was die Buchtitel anbelangt, die du mir gegeben hast. Es handelt sich um alte Bücher mit Zaubersprüchen und Beschwörungsformeln. Liebeszauber, Geldzauber und so weiter. Allerdings kann ich mir beileibe nicht vorstellen, dass die Sing Wah hinter so etwas her sind!" "Sind sie auch nicht. Sie waren nur hinter einem einzigen Buch her und das haben sie nun leider auch", stellte Peter klar. "Und das wäre? Lass dir doch nicht immer alles aus der Nase ziehen", entgegnete Kermit ungeduldig. "Das Buch von Shambhala." Kermit schnappte nach Luft. "Das Buch von Shambhala? Das hat doch Lo Si. Peter, weißt du, was du da sagst?" "Das weiß ich sogar ganz genau", gab Peter todernst zurück. "Lo Si besitzt ein Buch von Shambhala, aber... " "Willst du damit andeuten, dass es mehrere gibt?", fragte Kermit dazwischen, der sich gar nicht wohl in seiner Haut fühlte. Er kannte Shambhala, zumindest andeutungsweise, auch wenn er noch nie dort gewesen war. Es wohl auch nie sein würde. Shambhala war ein mystischer Ort, eine andere Dimension erfüllt von reinem Licht und Frieden. Mit Hilfe des Buches von Shambhala konnten die Shaolin in diese Dimension gelangen und es befand sich, gut beschützt, im Besitz des Ehrwürdigen, auch genannt Lo Si. Sowohl Caine als auch Peter waren schon in diese Dimension gereist, als Caine den "Dunklen Krieger", welcher Shambhala bedroht hatte, besiegte und Shambhala somit davor bewahrte in die Dunkelheit gerissen zu werden. Daraufhin hatte Caine den Rang eines Shambhala Meisters erhalten und wurde von den Sing Wah, auf deren Seite der "Dunkle Krieger" stand, mehr denn je gefürchtet. Peter nickte bekräftigend. "Genau das will ich damit andeuten, Kermit. Als unser Tempel damals zerstört wurde, nahmen wir an, dass auch die Bücher dem Feuer zum Opfer gefallen sind. Mein Vater konnte eines der Bücher retten, bevor dieser Raum in Flammen aufging. Anscheinend haben wir uns geirrt und es gibt noch ein zweites Buch von Shambhala. Es befand sich in der Bücherkiste, die Cara ausgepackt hat und nun haben es die Sing Wah." "Aber warum musste der Besitzer des Antiquariats sterben? Dieser Überfall fand eindeutig nach der Durchsuchung von Caras Wohnung statt. Warum sollten die Sing Wah dieses Risiko auf sich nehmen, wenn sie schon haben, was sie wollten? Das ergibt keinen Sinn", fasste Kermit seine Gedanken zusammen. "Kermit, du darfst dir das nicht so vorstellen, als ob du das Buch einfach öffnen und nach Shambhala reisen kannst. Du brauchst zuerst den Schlüssel bzw. das Symbol, um es zu öffnen. Erst dann entfaltet es seine Kraft. Ich sah genau, dass das Buch verschlossen war. Nichts und Niemand kann dieses Buch öffnen. Es sei denn, man hat den richtigen Schlüssel." "Und den suchen sie", folgerte Kermit. "Genau. Es stellt sich nur die Frage, wo er sich befindet. Bete, dass wir den Schlüssel vor den Sing Wah finden, sonst..." "Sonst können wir die Welt, wie wir sie kennen, vergessen. Alles wird in Dunkelheit getaucht werden, wenn es den Sing Wah gelingt nach Shambhala zu dringen und die Mönche zu töten", schloss Kermit ruppig. Peter nickte nur. Kermit hatte genau erfasst worum es ging. Er seufzte leise. "Ich wünschte nur, mein Vater wäre hier." "Ich auch", kam es ungewohnt leise von Kermit zurück.
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