7. Teil
Autor: Fu-Dragon

 

Epilog

Peter setzte sich auf die schmale Bank im Garten. Sein Blick glitt über die Stadt, die in der untergehenden Sonne einen unwirklichen Touch hatte. Er mochte die Aussicht, die er von hier hatte. Hier konnte er sitzen, die Seele baumeln lassen und nachdenken ohne, dass er allzu oft gestört wurde.

Vor allen Dingen war er froh, wieder Zuhause zu sein. Die Zeit im Krankenhaus hatte ihm nicht gefallen, ebenso wenig wie den Schwestern, die ihn betreuen mussten. Er konnte ihnen die offensichtliche Erleichterung nicht verübeln, als er endlich entlassen wurde.

Seine Gedanken schweiften zurück zu den vergangenen beiden Wochen. Freude erfüllte sein Herz und auch ein wenig Ärger. Freude darüber, dass sein Vater wieder hier war und Ärger, weil es ihnen nicht gelungen war, Shin Tao zu schnappen, der noch immer eine Gefahr darstellte. Peter konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Shin Tao von nun an Ruhe geben würde.
Rigoros schob er diesen Gedanken zur Seite, damit würde er sich beschäftigen, wenn es aktuell wurde und nicht früher.

Er dachte an seinen Vater. Unbewusst breitete sich ein Lächeln in seinen Gesichtszügen aus. Er war so unendlich froh, seinen Vater wieder zu sehen, konnte es kaum glauben ihn wieder hier zu haben.

Sie hatten stundenlange Gespräche geführt. Sein Vater hatte es geschafft, seine Bedenken zu zerstreuen, dass er erneut abreisen könnte. Sie waren überein gekommen, dass Caine hier wieder einziehen würde. Peter würde sich den zweiten Stock, der leer stand, zu einer Wohnung umbauen.

Er freute sich so sehr seinen Vater wieder um sich zu haben, aber er teilte auch die Trauer mit Caine, da seine Suche nach Laura erfolglos gewesen war. Im Moment war er unterwegs, um ein paar Einkäufe zu erledigen und Peter wartete ungeduldig darauf, dass er wieder zurück kehrte, damit er sich weiter mit ihm unterhalten konnte.

Peter hatte noch immer Probleme alles zu verstehen, was in dem Gebäude der Sing Wah geschehen war. Sein Vater half ihm dabei, Licht in das Dunkel zu bringen. Mit Kermit hatte er gar nicht darüber gesprochen. Er kannte den Freund gut genug, um zu wissen, dass ein Ex-Söldner wie er solche Sachen einfach zur Seite schob und nicht weiter darüber nachdachte. Im Verdrängen von Emotionen war Kermit wirklich ein Ass. Peter fragte sich oft, wie Kermit es schaffte ständig diese vollkommen ausdruckslose Miene zur Schau zu stellen. Ihm selbst war das noch nie gelungen.

Am meisten Sorgen allerdings machte er sich um Cara. Er hatte sie in den letzten zwei Wochen gerade ein einziges Mal gesehen und das war an dem Tag, an dem sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Zwei Tage nach den Ereignissen. Ihm schien es, als wäre sie ihm extra aus dem Weg gegangen. Sie hatte ihm nicht einmal in die Augen sehen können, als sie sich von ihm im Krankenhaus verabschiedet hatte und sie weigerte sich auch stur über das Geschehen zu reden. Dabei war er der Meinung gewesen es hätte sich ein besonderes Band, fast wie Bruder und Schwester, zwischen ihnen entwickelt. Scheinbar empfand nur er es so.

Er seufzte, als er an ihre letzte Begegnung zurückdachte: Ihr Aussehen hatte ihm gar nicht gefallen. Sie war leichenblass gewesen, so dass der Bluterguss an ihrer Wange, verursacht von Shin Taos Hand, richtig geleuchtet hatte. Als er sie einmal zufällig berührt hatte, hatte er ihr Zittern bemerkt. Sie war sofort von ihm weggerückt und auf die Füße gesprungen. Sie hatte sich schnell verabschiedet und war dann regelrecht aus dem Zimmer geflohen.

Peter hatte Kermit gefragt, ob er etwas von ihr gehört hatte. Doch dieser konnte ihm nur erzählen, dass sie sich nur zur Beerdigung und zur Testamentseröffnung in der Stadt gezeigt hatte und sich sonst in ihrem Haus einigelte. Sein Vater hatte ihn zurückgehalten, als er Cara besuchen wollte. Caine hatte ihn darum gebeten, ihr Zeit zu lassen und meinte sie würde von selber kommen, wenn sie bereit dazu war. Widerwillig hatte Peter zugestimmt. Er hoffte nur, dass sie sich nicht allzu lange Zeit damit ließ.

Ein leises Geräusch in der Eingangshalle ließ ihn den Kopf drehen. Er seufzte leise, wusste nicht ob er sich freuen sollte oder nicht. *Wenn man den Esel nennt*, dachte er und erhob sich. Lautlos überbrückte er die wenigen Meter und lehnte sich gegen den Türrahmen.

"Hallo Cara", sagte er leise.

Sie zuckte zusammen beim Klang seiner Stimme. "Hallo", gab sie genauso leise zurück und senkte den Kopf.

Er trat einen Schritt zurück. "Willst du weiterhin im Gang stehen, oder herein kommen?"

Wortlos drückte sie sich an ihm vorbei und nahm auf dem Sofa Platz. Angelegentlich schaute sie auf ihre Hände. Peter ging kurz in die Küche und kam mit zwei Tassen Tee zurück. Eine stellte er vor sie, bevor er neben ihr auf dem Sofa Platz nahm, sorgsam auf Abstand bedacht.

Die Stille zog sich hin, wurde immer unangenehmer. Peter konnte die bedrückende Atmosphäre nicht weiter aushalten. Geduld war noch nie seine Stärke gewesen und auch als Shaolin Priester hatte sich das noch nicht sehr geändert.

"Wie geht es dir?", erkundigte er sich.

"Danke gut. Und dir?", entgegnete sie.

"Mir auch. Ich bin vor drei Tagen endlich entlassen worden."

Stille.

*Seltsam*, dachte Peter *Wir haben uns so gut verstanden und soviel zusammen durchgemacht. Und nun sitzen wir wie Fremde nebeneinander.* Er beschloss geradewegs auf das Ziel zu zusteuern.

"Warum bist du hier, Cara?"

"Weil ich sehen wollte, wie es dir geht."

"Das hast du ja nun gesehen und warum noch?"

"Ich...", Cara stockte und schaute betreten zu Boden.

"Du willst über das, was geschehen ist reden, weil du es nicht verstehst."

Es war keine Frage, es war eine Feststellung. Sie nickte nur. Peter holte tief Luft, wie sollte er ihr etwas erklären, das er selber nicht ganz verstand?

"Dann frag mich", meinte er schließlich.

"Entsprang das Erlebte alles der Realität, oder habe ich mir das nur eingebildet?", brach es aus ihr hervor.

"Es war Real, leider...", Peter hielt einen Moment inne, bevor er weiter sprach. "Cara, ich weiß nicht, wie ich dir das alles erklären soll. Was zum großen Teil daran liegt, dass ich es nicht weiß. Am einfachsten für dich ist, wenn du die Tatsache akzeptierst, dass es nun mal Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die mit dem menschlichen Verstand nicht zu erfassen sind."

"Aber ich habe es doch mit eigenen Augen gesehen. Wie kann ein Mann vor meinen Augen verschwinden? Wie kann ich plötzlich deine Stimme in meinen Gedanken hören? Wie kann Jemand anderes in meine Gedanken eindringen? Wie kann ein einzelner Mensch soviel Macht haben? Wie kann ein Luftzug einen anderen Menschen von den Füßen reißen? Wie kann ein Buch glühen? Wie kann solch ein Abgrund entstehen? Warum gibt es Menschen, die anderen böses wollen? Ich verstehe das einfach nicht."

Peter seufzte leise. "Wie ich vorhin schon sagte, es ist einfacher alles zu akzeptieren. Um dir das zumindest Ansatzweise zu erklären, müsstest du zumindest einen kleinen Einblick in die Welt nehmen, in der mein Vater und ich leben.
Wie soll ich es nur sagen? Der menschliche Geist ist in der Lage, mit sehr viel Training Dinge zu vollbringen, die man nicht für möglich halten würde. Daher kann ich mit meinem Gedanken kommunizieren und ähnliches. Du könntest das mit genügend Training auch...und böse Mächte...tja, die gibt es leider übrall. Ohne das Böse, um es mal so auszudrücken, würde auch das Gute nicht existieren. Es liegt im Gleichgewicht der Dinge, dass es zu allem Gegensätze gibt. Ying und Yang. Schwarz und Weiß. Dick und Dünn. Groß und Klein und eben auch Gut und Böse."

Ein leises Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, als sie über seine Worte nachdachte. "Heißt das, du schlägst mir vor, bei dir Unterricht zu nehmen oder wie?"

Peter erwiderte das Lächeln. "Wenn du das willst, bin ich gerne bereit, dir in dieser Richtung weiter zu helfen."

"Das muss ich mir noch überlegen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich näher in die Materie eindringen will nach dem was ich da erlebt habe. Aber ich glaube ich weiß, was du mir sagen möchtest."

"Aber deine Fragen habe ich dir dennoch nicht beantworten können", erwiderte er ein wenig traurig, ihren letzten Satz überhörend.

En fast abwesender Blick traf ihn. "Doch Peter, ich glaube das hast du schon, so seltsam das auch klingen mag."

"Ach, habe ich das?" Er sah sie überrascht an.

"Ja, hast du. Du hast mir schlicht und einfach klar gemacht, dass es keinen Sinn macht über bestimmte Dinge nachzudenken, da man keine Antworten finden kann. Ich glaube, mir war das auch bewusst, aber ich habe es einfach von jemand anderem hören wollen."

Peter erwiderte nichts darauf. Er spürte, dass sie mit ihrer Ausführung noch nicht fertig war. Nach einer kurzen Pause fuhr sie auch sfort.

"Weißt du, ich hatte so viel Angst um dich und auch um mich um ehrlich zu sein, aber ich verstehe nun, wenn Menschen erzählen, dass sie in Stresssituationen über sich hinaus wachsen. Ich hätte nie gedacht, dass ich so reagieren würde, wie ich es getan habe", bekannte sie freimütig.

Peter ergriff ihre Hände und schaute ihr tief in die Augen. Zum ersten Mal seit ihrem Erlebnis kam diese Verbundenheit mit ihr wieder hoch.

"Man kann sehr viel, wenn man muss, Kleines. Du hast nur deine innere Kraft und Stärke genutzt, die schon immer in dir war."

Cara lächelte verlegen. "Na, dann bin ich nur froh, dass sie zum richtigen Zeitpunkt aus mir hervorgebrochen ist."

Einen Moment herrschte Stille zwischen ihnen, doch diesmal war sie nicht unangenehm.

"Und, weißt du schon, was du mit dem Buch vorhast?", wechselte Peter das Thema, da er spürte, dass sie nicht weiter über dieses Thema diskutieren wollte.

Cara schüttelte sich ein wenig. "Behalten will ich es auf keinen Fall. Ich denke, ich werde es dir geben. Da weiß ich es sicher und beschützt. Vorausgesetzt du willst es haben, verlangen kann ich es nicht."

Peters Augen wurden groß. "Du willst wirklich mir das Buch geben? Meinst du nicht, es wäre bei meinem Vater besser aufgehoben?"

"Nein, das denke ich nicht. Außerdem kenne ich deinen Vater noch nicht und ich will nicht, dass das Buch in falsche Hände gerät. Bedeutet das, du lehnst ab?"

Peter lächelte sie an. "Nein, das tue ich nicht, Kleines. Im Gegenteil. Ich fühle mich geehrt, dass du mir soviel Vertrauen entgegen bringst."

Cara stieß erleichtert die Luft aus. "Na, dann wäre zumindest das geklärt. Ich habe es gleich mitgebracht, dachte mir schon, dass du so entscheiden würdest."

Sie sprang auf die Füße. Peter schaute überrascht hoch. "Hey, wo willst du denn jetzt hin?"

"Das Buch holen, was denn sonst? Ich will es wirklich nicht länger als nötig in meinem Besitz lassen."

Darauf konnte Peter nichts erwidern. Kopfschüttelnd sah er zu, wie sie zur Türe heraus stürmte. Ihre Bewegungen wirkten schon wesentlich beschwingter, als bei ihrer Ankunft. Peter freute sich, dass sie doch zu einer Einigung mit sich gekommen war.

Wenige Minuten später kehrte sie mit Caine im Schlepptau zurück. Die beiden hatten sich an der Straße getroffen und Cara half ihm, die Tüten hoch zu tragen.

"Hallo Paps", begrüßte Peter seinen Vater.

"Hallo mein Sohn und nenn mich nicht..."

"Ja, ich weiß, nenn mich nicht Paps, Paps ähem... Vater."

Cara lauschte dem Wortwechsel amüsiert. Die Liebe und Zuneigung, die beide verband, war deutlich zu sehen. Sie selbst merkte, wie ihr Herz sich auch ein wenig mehr öffnete. Mit dem Buch in der Hand trat sie zu Peter und überreichte es ihm, inklusive dem Sonnenzeichen.

"Hier, das gehört ab heute dir."

"Danke." Peter nahm ihr das Buch ab und verstaute es vorsichtig in einer alten Truhe.

"Du bist sicher, dass du das Buch nicht doch behalten willst?", erkundigte er sich noch einmal.

"Ganz sicher. Wer weiß, was ich anstellen würde, wenn ich neugierig wäre und mir das Buch mal näher anschaue. Nein, nein, bei dir ist es wesentlich besser aufgehoben. Du kennst dich damit aus."

Zu ihrer Überraschung mischte sich Caine in die Unterhaltung ein.
"Das Buch von Shambhala wurde aber ihnen anvertraut, Cara. Derek Singer hat es ihnen geschickt. Nicht Peter, oder mir, oder Lo Si. Er wusste genau was er tat. Sie sollten sein Andenken ehren, das Buch behalten und lernen."

Sowohl Cara als auch Peter blickten Caine vollkommen perplex an.

"Du kanntest ihn?", brachte Peter schließlich heraus.

Sein Vater nickte nur.

"Aber warum hast du mir das nicht erzählt?"

"Du hast...nicht gefragt", erwiderte Caine in seiner typischen Manier inklusive eines Schulterzuckens.

Cara spürte, wie ihr die Farbe aus den Wangen wich. Sie meinte nicht mehr länger stehen zu können und setzte sich im Schneidersitz auf den Boden.

"Aber wie...woher?", stammelte sie.

Caine nahm neben Cara am Boden Platz in einer vollen Lotusposition. Peter tat es ihm gleich.

"Ich kannte Derek schon seit Jahren, er war ein guter Freund von mir", erwiderte Caine. Trauer kennzeichnete seine Züge.

Cara schüttelte verwirrt den Kopf. Sie konnte sich nicht erinnern, Caine jemals bei Mr. Singer gesehen zu haben.

"Würden sie mir mehr erzählen, Meister Caine, bitte. Wie haben sie sich kennen gelernt?", bat sie ihn.

Caine zuckte erneut mit der Schulter und schenkte ihr ein halbes Lächeln. "Es ist mir eine Ehre...Cara. Ich habe Derek vor Jahren auf meiner Wanderschaft kennen gelernt. Drei Diebe wollten sich meine Habseligkeiten aneignen und er half mir, die Leute in die Flucht zu schlagen. Das Schicksal wollte es, dass wir einen Teil des Weges gemeinsam gingen, bis er seinem Schicksal nachkommen musste. Erst kurz vor meiner Abreise nach Frankreich fand ich heraus, dass er ebenfalls in dieser Stadt lebte."

Cara zog die Augenbraue nach oben. Das erklärte, warum sie ihn nie bei Mr. Singer gesehen hatte. Caines Aussage war ziemlich dürftig. Sie wünschte sich mehr über ihren Mentor zu erfahren, aber sie wagte nicht noch mehr Fragen zu stellen. Dafür jagte ihr Caine viel zu sehr Respekt ein.

"Was war sein Schicksal Paps? Vor allen Dingen, wie konnte Mr. Singer wissen was passierte. Die Nachricht von ihm kam nicht von ungefähr. Mir kam es fast so vor, als ob er wüsste, dass er nicht mehr lange leben würde", mischte sich Peter ein.

"Peter, Derek war ein Shambhala Meister, so wie ich es auch bin. Seine Aufgabe hier war es, sein Wissen weiter zu geben. Er hat sich seinen Schützling heraus gesucht und das waren sie...Cara."

"Aber er hatte doch gar keine Brandmale. Nickie Elder hätte mir erzählt, wenn er ein Shaolin gewesen wäre", warf Peter scharfsinnig ein.

"Peter, du musst lernen besser zuzuhören", tadelte ihn Caine sanft. "Derek war kein Shaolin, er war ein Shambhala Meister. Man muss nicht unbedingt Shaolin sein, um zum Shambhala Meister aufzusteigen. Es gibt immer einen anderen Weg."

Cara starrte nachdenklich vor sich hin. Die Gedanken wirbelten so schnell durch ihren Kopf, dass sie sie gar nicht so schnell verarbeiten konnte. Schließlich meinte sie: "Das was sie hier sagen, kann nicht so ganz stimmen Caine, denn Mr. Singer hat mir nie etwas über die Shaolin, oder Shambhala, oder was auch immer beigebracht. Wir unterhielten uns immer nur über ganz alltägliche Probleme. Bis vor wenigen Wochen wusste ich noch nicht einmal, dass es das Wort Shambhala überhaupt gibt."

"Tatsächlich? Ist es der Mystizismus, der ein Leben beherrscht? Oder ist es nicht eher die Fähigkeit, ein Problem in seiner Gesamtheit zu betrachten und zu lösen. Mitgefühl zu haben und einen wachen Verstand?"

Cara dämmerte, was er meinte. Ja, Mr. Singer hatte ihr all das beigebracht. Er hatte sie aufgerichtet, als sie ihr eigenes Leben weggeworfen hatte. Er hatte sie aus ihrem Schneckenhaus hervor geholt und wenn sie ehrlich sich selbst gegenüber war, hatte er sie zu dem gemacht was sie heute war. Ein mitfühlender, fürsorglicher Mensch mit einem wachen Verstand und erneutem Lebensmut. Erst jetzt wurde ihr bewusst, was sie ihm eigentlich alles zu verdanken hatte.

Beschämt senkte sie den Kopf. "Tut mir leid", sagte sie leise. "Ich hätte das alles auch schon früher erkennen müssen."

Caine neigte ebenfalls den Kopf, dann umfasste er ihr Kinn und hob es an, so dass sie ihm in die Augen schauen musste.

"Sie müssen sich nicht entschuldigen. Er gibt ein Sprichwort das lautet: Oft sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Und außerdem, nach all dem, was sie in den letzten Wochen erlebt haben, ist es ihr gutes Recht durcheinander zu sein."

"Ja aber...ich weiß einfach nicht, was ich jetzt tun soll."

Caine lächelte leicht. "Das ist einfach. Sie tun das, was ihnen ihr Herz sagt."

Cara wirkte äußerst nachdenklich. Sie hielt es nicht länger aus, ruhig am Boden zu sitzen, sprang auf die Beine, und begann unruhig durch den ganzen Raum zu laufen. Peter konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Allzu oft hatte er in derselben Weise gehandelt. Eine leise Stimme in seinem Kopf sagte ihm, dass er hier nicht einschreiten sollte, auch wenn ihm das sehr schwer fiel.

Schließlich lehnte sie sich am Türrahmen an und starrte in den Garten, drehte ihnen den Rücken zu. Halb abwesend meinte sie: "Mr. Singer hat mich als seine Alleinerbin eingesetzt. Ich denke, sie haben recht, Caine. Er hätte sicher nicht gewollt, dass ich alles wegwerfe was ich bin und aufgebaut habe. Mir ist auch bewusst, dass ich das Meiste ihm zu verdanken habe. Also werde ich das Antiquariat in seinem Sinne weiterführen und lernen."

Eine Träne lief ihr die Wange hinunter, die sie gleich wegwischte. Sie drehte sich zu den beiden um, die noch immer am Boden saßen. Ein entschlossener Ausdruck lag in ihren Augen.

"Allerdings, dieses Buch werde ich auf keinen Fall an mich nehmen. Ich will es nicht haben."

Peter erhob sich, er konnte Cara gut verstehen. Spontan zog er sie an sich und umarmte sie.

"Ist ja gut. Ich mache dir einen Vorschlag. Ich werde das Buch von Shambhala bei mir behalten bzw. es für dich aufbewahren und wenn du dich eines Tages doch entschließen solltest, es haben zu wollen, dann kannst du es jederzeit bei mir abholen."

"Da kannst du sicher sein, dass das nie geschehen wird", murmelte sie an seiner Schulter.

Caine lächelte nur hintergründig.

Cara trat einen Schritt zurück, befreite sich so aus Peters Umarmung und schaute auf ihre Uhr.

"Ich muss jetzt gehen. Danke, dass ihr beide ein wenig Licht in die Dunkelheit gebracht habt."

Peter zog die Augenbraue hoch. Sie fing schon an zu reden wie sein Vater, obwohl sie ihn gerade mal ein paar Tage kannte.

"Okay, wir sehen uns dann, Kleines. Ach ja, wenn du Hilfe brauchst, ob es nun die Wiederöffnung des Antiquariats ist oder etwas anderes, dann musst du dich nur melden. Ich..." Er blickte zu seinem Vater, der zustimmend nickte. "Wir werden dir sehr gern behilflich sein."

Cara lächelte die beiden an. Caine hatte sich mittlerweile neben seinen Sohn gestellt und fügte noch hinzu: "Sie sind uns jederzeit in diesem Haus willkommen."

"Danke, ich werde daran denken, aber jetzt muss ich wirklich los."

Sie winkte den beiden kurz zu und verschwand wie der Blitz aus dem Raum. Vater und Sohn schauten sich nur an.

******************

Die Türglocke schellte. Cara warf einen Blick auf die Uhr. Schon fast Elf Uhr nachts, wer konnte das um diese Zeit noch sein? Seufzend erhob sie sich von der Couch und trottete, sich einmal kurz durch die Haare fahrend, zur Haustüre. Einen kurzen Moment fühlte sie Angst in sich aufsteigen, doch dann beruhigte sie sich. Verbrecher klingelten sicher nicht an der Haustüre.

Misstrauisch rief sie durch die geschlossene Türe: "Wer ist da?"

"Kermit", lautete die gedämpfte Antwort.

Cara riss die Türe auf. Sie hatte mit Kermit nach ihrer Zeugenaussage nur noch ein einziges Mal geredet und das war auf Mr. Singers Beerdigung gewesen, wo sie froh gewesen war, wenigstens einen ihr bekannten Menschen zur Seite zu haben. Seitdem hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Caine war zwar auch dort gewesen, aber zu diesem Zeitpunkt, hatte sie ihn noch als Fremden angesehen.

"Kermit, was bringt dich denn um diese Zeit hierher?", rief sie erstaunt. Ihr nächster Gedanke ließ sie zusammen zucken. "Oh Gott, bitte sag mir nicht, dass mit Peter oder Caine etwas geschehen ist."

Kermit hob beschwichtigend eine Hand in die Höhe. "Nein, nein, es ist nichts passiert. Ich wollte einfach nur mal bei dir vorbei schauen, sehen wie es dir geht", erwiderte er leichthin.

Cara betrachtete ihn genauer. Er machte auf sie einen eher unsicheren Eindruck und das war etwas, was sie von Kermit Griffin absolut nicht gewohnt war. Ihr Instinkt teilte ihr mit, dass er nicht nur gekommen war, um nach ihr zu sehen. Warum auch? Er hatte vor zwei Wochen auch nicht den Eindruck gemacht, als würde er sich große Sorgen um sie machen. Wie falsch sie damit lag, konnte sie nicht ahnen.

Abwartend verschränkte sie ihre Arme vor der Brust. Sie beschloss sofort aufs Ziel los zu gehen.

"Kermit, du hast doch etwas auf dem Herzen. Ich glaube dir nicht, dass du einfach so nach mir sehen wolltest."

Wenn Kermit überrascht war, wie schnell sie ihn durchschaute, so ließ es sich das nicht anmerken. *Du verlierst wohl deinen Biss, alter Junge*, dachte er.

"Stimmt, ich bin hier, weil ich deine Hilfe brauche", meinte er.

"Du brauchst meine Hilfe?"

Cara blieb der Mund vor Staunen offen. Kermit Griffin hatte ein Problem und er wandte sich an sie?

"Ja, ich habe da etwas gefunden und ich dachte...nun ja...du könntest mir bei der Lösung dieses Problems helfen."

Cara trat einen Schritt zurück, als ihr bewusst wurde, dass sie noch immer im Türrahmen lehnte.

"Komm erst mal herein, da lässt es sich besser reden."

Kermit folgte ihr mit einer mittelgroßen Schachtel in der Hand, die an der Seite und am Deckel kleine Löcher hatte. Er stellte die Schachtel auf den Tisch und setzte sich ihr gegenüber in den Sessel.

"Okay, also nun heraus mit der Sprache, wie kann ich dir helfen Kermit?", fragte sie ahnungslos.

"Um genau zu sein brauche ich keine Hilfe, sondern es", erwiderte er und deutete auf die Schachtel.

Cara schaute Kermit verständnislos an. "Es? Oh Bitte, nicht schon wieder so etwas mystisches."

"Mach doch einfach die Schachtel auf, dann weißt du es", schlug er vor.

Cara erhob sich leise seufzend und öffnete vorsichtig den Deckel, von Kermit aufmerksam beobachtet. Die Kinnlade fiel ihr zum zweiten Mal an diesem Abend herunter, als sie den Inhalt der Kiste betrachtete und ihn behutsam heraus nahm.

In ihren Händen lag eine winzige zitternde Katze, höchstens drei bis vier Monate alt. Offensichtlich war das Fellknäuel erst gerade von der Mutter entwöhnt worden. Am Kopf hatte sie einen kleinen schwarzen Fleck und ebenfalls an der Schwanzspitze, der Rest des Körpers war schneeweiß. Das Kätzchen hob den Kopf und schaute sie mit seinen blauen Augen an. Automatisch strich sie dem kleinen Bündel beruhigend über das Fell und ließ sich mit ihm auf das Sofa zurück sinken.

Urplötzlich traten ihr Tränen in die Augen. Die Erinnerungen an ihren geliebten Benny wogten über sie hinweg. Ihr gesamtes Sein befand sich im Widerstreit. Wollte sie überhaupt wieder eine Katze? Wollte sie wirklich wieder jemanden um sich herum haben, von dem sie wusste, dass er sie eines Tages wieder verlassen würde? Katzen wurden nun mal nicht Steinalt. Andererseits: Konnte sie dem Kätzchen wirklich ein Zuhause verwehren?

Die Entscheidung wurde ihr abgenommen. Das Kätzchen maunzte leise und stupste mit seiner winzigen Nase gegen ihre Hand. Es blickte sie an, als ob es sie trösten wollte. Trotz ihrer Tränen musste sie lachen. Genauso hatte sich auch Benny verhalten wenn sie traurig war. Sie spürte, wie eine Türe in ihrem Herzen aufging und das Kätzchen geradewegs hinein schritt. Freude überflutete ihr Herz, linderte die Trauer um ihren Benny, bis nichts mehr als schöne Erinnerungen von ihm übrig waren.

Halb lachend und halb weinend hob sie das Kätzchen hoch, um es näher zu betrachten.

"Na, dann sollte ich mir wohl einen Namen für dich überlegen, was?", meinte sie.

Das Kätzchen maunzte erneut und leckte ihr mit seiner leicht rauen rosa Zunge über die Nase, als wolle es ihr sagen, dass es verstanden hatte.

Cara lachte leise und stellte das Kätzchen auf den Boden, wo es sofort begann, tollpatschig seine neue Umgebung zu erkunden. Ganz in Gedanken versunken beobachtete sie das kleine Bündel Fell eine Weile. Sie sah, wie es versuchte auf die Gardinenstange zu klettern, dabei das Gleichgewicht verlor und auf den Boden purzelte. Das sah so komisch aus, dass sowohl Kermit als auch Cara hellauf lachen mussten.

"Nun habe ich auch deinen Namen. Ich werde dich Clumsy nennen, das passt zu dir."

Das Kätzchen blickte zu ihr herüber und miaute zustimmend. Erst jetzt erinnerte sich Cara daran, dass sie sich nicht alleine im Wohnzimmer befand. Ihre Aufmerksamkeit wandte sich wieder Kermit zu, der seine immer präsente Sonnenbrille abgenommen hatte und gerade dabei war, sich die Lachtränen aus den Augen zu wischen.

"Und wo ist sie dir zugelaufen?", fragte sie.

"Im Tierheim. Seine Mutter ist gestorben", antwortete Kermit ehrlich.

Cara starrte in seine Augen. Sie sah sie zum ersten Mal unverhüllt und wusste nun, warum er immer eine Sonnenbrille trug. Seine Augen waren genauso ausdrucksstark, wie die von Peter. Wärme und Zuneigung durchfluteten sie, wurden ihr durch Kermits Augen zurück geworfen.

Langsam dämmerte ihr, was dieser sonst ziemlich ruppige Kerl für sie getan hatte. Ihr wurde klar, dass er sich genauso um sie sorgte, wie Peter es tat, vielleicht sogar noch ein wenig mehr. Aber sie musste Gewissheit haben.

"Warum?", flüsterte sie. "Warum gehst du in ein Tierheim und besorgst mir ein Kätzchen?"

Kermit wand sich verlegen auf seinem Sessel. Es dauerte einen Moment, bevor er ihr mit wenigen Worten antwortete, die so viel mehr beinhalteten: "Ich wollte einfach nicht, dass du dich einsam fühlst, wenn ich...wenn wir...nicht bei dir sind."

Caras Gesicht leuchtete auf, als hätte jemand einen Schalter angeknipst.

"Kermit, ich weiß gar nicht was ich sagen soll. Von dir hätte ich so etwas am Allerwenigsten erwartet. Soll ich dir mal was sagen? Unter deiner harten Schale verbirgt sich ein Herz aus Gold."

Kermit grinste sie schief an. "Das lass mal lieber niemanden hören. Du weißt, ich habe einen Ruf als harter Kerl zu verlieren."

Cara hielt noch immer seinen Blick fest. Ihre Augen drückten das aus, was sie nicht sagen konnte. Dann nahm sie ihren gesamten Mut zusammen.

"Ich würde dich gerne umarmen, aber ich weiß nicht, ob dir das recht ist. Ich habe schon festgestellt, dass du nicht gerne angefasst wirst."

Kermit wandte den Blick von ihrem Gesicht ab und setzte mit einer schwungvollen Geste die Sonnenbrille wieder auf. Langsam breitete er die Arme aus und murmelte:

"Na dann komm her...Prinzessin."

Cara sprang wie der Blitz vom Sofa hoch und warf sich richtiggehend in seine Arme. Sie spürte wie er tief den Atem einzog und sich seine Arme fest und beschützend um sie schlossen.

"Freunde?", fragte sie an seine Schulter gelehnt.

"Freunde", bestätigte er.

Aus der anderen Seite des Zimmers ertönte ein zustimmendes Miauen.

*****************

Zur gleichen Zeit in Chinatown:

Peter saß im Schneidersitz auf dem Boden des Meditationsraums. Zahlreiche Kerzen zauberten berauschende Muster an die Wand. Er hielt die Augen geschlossen und meditierte, öffnete seinen Geist, ließ ihn frei treiben.

Eine Welle großer Verbundenheit und tiefster Freude schwappte über ihn hinweg. Er brauchte nicht lange, um die Quelle dieser reinen Freude zu entdecken. Ein breites Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

Das war nicht das Ende...nein...sie standen ganz am Anfang.

ENDE

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