Kapitel 4
Autor: Fu-Dragon

 

Der Rest des Tages verlief ohne nennenswerte Ereignisse. Sie hatten den von Peter angeregten Ausflug in die nähere Umgebung unternommen und sich prächtig amüsiert. Im Schutz des Waldes hatten Peter, Kermit und Cara noch ein paar klärende Worte miteinander gesprochen. Nachdem Peter die beiden den ganzen Nachmittag beobachtet und mit eigenen Augen gesehen hatte, wie gut sie zusammen passten, gewöhnte er sich schnell daran seine "kleine Schwester" mit seinem besten Freund zu sehen.

Als er ihr im Wald, ungehört von allen anderen, ins Ohr geflüstert hatte: "Weißt du, wenn ich für dich einen Mann heraussuchen hätte müssen, dann wäre meine Wahl auch auf Kermit gefallen. Ich weiß, dass er sich gut um dich kümmern wird", hatte sich ihre Miene einen Moment verdunkelt, doch dann war sie ihm spontan um den Hals gefallen und hatte ihn fest an sich gedrückt und zurück geflüstert: "Und ich bin so froh, dass ich zwei so tolle Männer in meinem Leben habe."

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Die ungewohnte körperliche Bewegung in der frischen und dünnen Bergluft erschöpfte alle mit Ausnahme von Caine so, dass sie sich im Lager ziemlich früh am Abend verabschiedeten und sich in die Zelte zurückzogen.

Die Nachtruhe wurde jedoch schon nach wenigen Stunden von einem ungewohnt besorgt wirkendem Caine unterbrochen, der sie aus ihren Zelten holte.

Peter rieb sich über die Augen und erkundigte sich schlaftrunken: "Was ist denn los?"

"Wir müssen schnell hier weg. Ein Unwetter zieht auf. In den Bergen regnet es schon heftig."

Unwillkürlich wanderten die Augen zum Himmel, an dem sich tatsächlich dunkle, bedrohliche Wolken zusammen brauten.

Kermit zog die Schultern nach oben. "Na und? Ein Gewitter, ein wenig Regen, eventuell ein wenig Sturm, das ist alles. Wir warten einfach bis alles vorüber ist, deswegen müssen wir doch nicht gleich weg von hier. Es gibt hier genug Unterschlupfmöglichkeiten."

Eine erste Sturmböe fegte über das Plateau und ließ die Zeltbahnen flattern. Ein Hering löste sich aus der Verankerung und Caine konnte Kermit gerade noch zur Seite ziehen, bevor dieser von dem durch die Luft schnellenden dünnen Stahl getroffen werden konnte.

"Das ist nicht einfach nur ein Unwetter. Es wird eine wahre Sintflut geben. Wir müssen hier weg, bevor es kein Entrinnen gibt", beharrte Caine.

Kermit, der schon mehr als ein Unwetter in freier Wildbahn erlebt hatte, wunderte sich doch merklich über Caines Verhalten.

"Caine, was ist bloß mit dir los?" Er deutete zu einem Felsvorsprung, der an dem einen Ende das Felsplateaus lag. "Wenn wir es bis dorthin schaffen, dann kann uns der Sturm nichts anhaben, weil wir dort geschützt sind. Außerdem sind wir nicht aus Zucker, was heißt, wir werden von dem bisschen Regen auch nicht schmelzen."

In Caines Augen blitzte Verärgerung auf. "Kermit nichts gegen deine Erfahrung, aber mir scheint du hast die Gefahr noch nicht erkannt. Sieh dich hier um, dann wirst du wissen warum wir unbedingt von hier weg müssen."

In dem Moment erklang ein lauter Fluch seitens Peter. "Kermit, ich weiß was Paps meint. Wir sind hier von drei Seiten von Bergen eingeschlossen und die vierte Seite ist der See. Angenommen, es wird tatsächlich sintflutartige Regenfälle geben, dann wird das Wasser von den Bergen herunter schießen und sich hier sammeln. Dieses ganze Plateau wird sich mit Wasser füllen. Um es kurz zu machen, stehen wir hier wohl gerade inmitten einer riesigen Tasse, die, sofern mein Vater Recht behält, bald bis zum Rand gefüllt sein wird."

Eine Schrecksekunde lang bewegte sich keiner bei dieser Eröffnung, dann kam Leben in die Truppe. Gleichzeitig setzten sich alle in Bewegung und eilten zu dem Trampelpfad, der aus dem Plateau heraus führte.

Sie hatten gerade den Rand des Berges erreicht, als ein gewaltiger Blitz über den Himmel zuckte und die gesamte Umgebung in ein grelles Licht tauchte. Gleich darauf ertönte ein ohrenbetäubender Donnerschlag, der tausendfach von den Bergwänden zurück hallte und so heftig war, dass sich alle Vier die Ohren zuhalten mussten. Nicht einmal eine Sekunde später nachdem der Donner verhallt war, setzte der Regen ein. Zuerst waren es nur ein paar Tropfen, die auf die ausgetrocknete Erde klatschten, doch das änderte sich schnell. Nur wenige Minuten später wurde der Regen so heftig und dicht, dass man nicht einmal mehr einen Meter weit sehen konnte.

Innerhalb von Sekunden wurde das Vierergespann bis auf die Haut durchnässt. Immer wieder zuckten grelle Blitze über den tiefschwarzen Himmel gefolgt von Donner, der sich jedes Mal anhörte wie eine gewaltige Detonation. Zusammen mit dem von den Bergen zurückgeworfenen Echo, hatte es etwas nicht nur beängstigendes, sondern auch wirklich schmerzhaftes an sich. Zum Glück war wenigstens der Sturm nicht ganz so heftig, doch es reichte, um sie jeden Regentropfen wie kleine, spitze Nadeln auf der Haut spüren zu lassen.

Sich gegenseitig helfend, brachten sie die ersten Meter ihre Aufstiegs hinter sich. Während sich der schmale Trampelpfad unter ihren Füßen immer mehr in eine glitschige Masse aus Schlamm und Morast verwandelte, liefen bereits die ersten dünnen Rinnsale den Fels hinunter und sammelten sich im Plateau, da die Erde die Regenmassen nicht mehr aufnehmen konnte.

Peter rutschte auf dem glatten Boden aus und verlor das Gleichgewicht. Verzweifelt versuchte er Halt zu finden und es war nur Kermits reflexartiger Reaktion zu verdanken, dass er nicht kopfüber den Weg hinunter stürzte, den sie gekommen waren. Vor Anstrengung keuchend krallte Peter die Hände in den Schlamm und versuchte wieder auf die Beine zu kommen.

"Caine, es hat keinen Zweck. Bis nach oben schaffen wir es bei den Bedingungen nie. Wir müssen zurück", überschrie Kermit das Toben des Windes.

Caine, der die Gruppe anführte, schrie zurück: "Du hast recht, der Pfad wird nicht mehr lange halten."

Kermit wollte gar nicht darüber nachdenken, was diese Worte zu bedeuten hatten. Peter und Cara hatten die Unterhaltung ebenfalls mitbekommen, und drehten sich nun herum, vorsichtig den Abstieg beginnend.

Was noch am Tage zuvor der reinste Spaziergang gewesen war, wurde nun zu einem Kampf gegen die Schwerkraft und die rasenden Elemente. Peter schluckte schwer, als er den Blick nach unten richtete. Der Boden des Plateaus schien plötzlich Meilenweit weg zu sein und zu schwanken. Er hatte das Gefühl, in ein tiefes schwarzes Loch zu schauen.

Plötzlich lag ein unheimliches Zischen in der Luft, den Bruchteil einer Sekunde später schlug ein Blitz in eines der Zelte ein. Der Gaskocher, den Kermit mitgebracht hatte flog in die Luft und verwandelte das Zelt in eine grelle Lichtfackel. Im Kampf gegen den heftigen Regen loderten die hungrigen, grellroten Flammen in den dunklen Nachthimmel.

Eine starke Elektrizität lag in der Luft. Allen standen im wahrsten Sinne des Wortes die Haare zu Berge. Sie hatten das Gefühl, als würden tausende kleiner Finger gleichzeitig über ihren Körper streichen und versuchen in jede Pore einzudringen. Der Druck auf ihre Lungen war so heftig, dass sie kaum atmen konnten, die Augen tränten unablässig.

Völlig überraschend gab es eine zweite Explosion. Ein Rest der sich aufbäumenden Flammen hatte die Gasflasche erreicht, die Kermit hinter dem Zelt abgestellt hatte. Cara schrie vor Schreck auf und machte einen Sprung. Ihr Fuß glitt ins Leere. Ein zweiter, völlig verzweifelter Schrei folgte, als sie endgültig das Gleichgewicht verlor und den Berg hinunterrutschte wobei sie unablässig versuchte sich an irgendetwas festzuhalten, um ihren Sturz zu lindern.

"Nein!" rief Kermit aus.

Seine eigene Sicherheit außer Acht lassend, schlitterte er hinter ihr her. Peter und Caine folgten, nicht wenig langsamer, nach. Die Sorge trieb sie vorwärts.

Durch den dichten Regenschleier hindurch konnte Kermit nicht ausmachen, ob seine Freundin sich bewegte oder nicht. Die letzen Meter zu ihr rutschte er auf dem Hosenboden entlang, das ging eindeutig schneller. Ein weiterer Blitz erleuchtete die dunkle Nacht und warf einen bizarren Schatten der leblos daliegenden Cara an die Felswand. Er wirkte wie ein abstrakter Dämon, der im verborgenen nur darauf wartete blitzschnell und tödlich zuzuschlagen.

Endlich hatte Kermit sie erreicht. Seine Finger glitten über ihr nasses, klammes Gesicht. Sie hatte die Augen geschlossen. Schnell tastete er ihren Körper nach gebrochenen Knochen ab, sorgfältig darauf bedacht sie nicht zu bewegen. Er seufzte erleichtert auf, als er nichts finden konnte, was auf einen Knochenbruch hindeute. Vorsichtig rüttelte er sie an der Schulter.

"Cara, komm Prinzessin, wach auf."

Seine Worte schienen Erfolg zu haben. Sie stöhnte leise und schlug dann die Augen auf. Einen Moment lang schaute sie verwirrt um sich, dann kehrte die Erinnerung zurück. Schreckgeweitete Augen starrten zu Kermit hoch.

"Tut dir was weh, siehst du unklar?", erkundigte sich Kermit mit angehaltenem Atem und strich ihr in einer zärtlichen Geste eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht.

Cara verneinte es mit einem Kopfschütteln und rappelte sich mit Kermits Hilfe auf die Beine. Erst jetzt realisierte sie, wie viel Glück sie gehabt hatte, den unfreiwilligen Sturz so gut überstanden zu haben. Ihr Blick fiel auf die brennenden Zelte, wo die Flammen ihren letzten Kampf gegen den prasselnden Regen führten und schlussendlich doch verloren. Ein leises Schluchzen kam über ihre Lippen. Im nächsten Moment fühlte sie sich von Kermit in eine Umarmung gezogen.

"Gott sei Dank, oh Gott sei Dank", murmelte er immer wieder, während er ihren zitternden Körper fest an sich drückte. Das Unwetter war für ihn total vergessen, was zählte, war die Frau in seinen Armen und dass ihr nichts passiert war.

Mittlerweile hatten auch Caine und Peter den Abstieg geschafft. Beiden war die Erleichterung deutlich anzusehen, dass Cara nichts passiert war.

"Dein Schutzengel war dir mehr als wohlgesonnen", murmelte Peter, während er ihr einen Kuss aufs nasse Haar drückte.

Caine nutzte den nächsten Blitz, um einen skeptischen Blick zum See zu werfen. Der Wind hatte etwas nachgelassen, aber dennoch schütte es noch immer wie aus Kübeln. Was er sah, sandte ihm einen kalten Schauer über den Rücken. Der ruhige See hatte sich zu einem wahren Meer an Gischt und Wellen verwandelt. Ungebändigte Sturzbäche flossen von den Felswänden in das Wasser und peitschten es auf. Der sanfte Wasserfall, den sie so bewundert hatten, hatte sich in eine breite, dunkle, brüllende Masse verwandelt. Mit jeder Sekunde speiste er den See mit tausenden Litern Wasser. Selbst mit bloßem Auge und dem Regenschleier war zu erkennen, dass der See schon deutlich angestiegen und schon längst über das Ufer getreten war.

"Wir müssen weg", unterbrach er die Wiedervereinigung.

Seine Worte rissen die drei Freunde wieder in die Wirklichkeit zurück. Kermit legte den Arm um Cara und zog sie an sich, um sie wenigstens etwas vor dem peitschenden Regen zu schützen.

"Wohin jetzt?", erkundigte sich Peter.

"Im Wald ist es durch das Gewitter zu gefährlich, an der glatten Felswand durch die Sturzbäche auch. Ergo bleibt nur noch der Felsvorsprung, von dem ich vorhin schon gesprochen habe, der schützt uns zumindest vor dem Regen und einem plötzlichen Sturzbach. Ach ja und ein Gebet, dass der See nicht weiterhin so schnell ansteigt kann auch nicht Schaden", mischte sich Kermit ein.

"Ich führe. Ihr folgt und passt auf, dass ihr nicht stolpert in der Dunkelheit", gab Caine Anweisungen.

"Ich wünschte ich könnte im Dunklen auch so gut sehen wie du, Paps", murmelte Peter.

In der Tat erwies es sich schwerer als erwartet Caine zu folgen, der keinerlei Probleme hatte, sich zurecht zu finden. Die grellen Blitze, gefolgt von tiefster Schwärze, blendeten die Augen und machten alles nur noch schlimmer. Bald tappte der Rest der Gruppe wie blind umher. Sie hatten eine Kette gebildet, jeder hielt den anderen an der Hand, um zu verhindern, dass sich einer verirrte.

Der Boden, mittlerweile in einen lehmigen, matschigen Morast verwandelt, erschwerte das Fortkommen, ganz zu schweigen von den vielen kleinen mehr oder weniger breiten Rinnsale, die sich gebildet hatten. Mit jedem Schritt wurde es schwerer, den Fuß wieder aus dem Schlamm zu ziehen und weiter zu gehen. Einmal wurde Cara beim Durchqueren einer dieser gar nicht so harmlosen Rinnsale durch die Wucht des Wassers von den Füßen gerissen, doch zum Glück hatten die anderen sie fest an der Hand. Es war erschreckend, welch Kraft das sonst so harmlose Element Wasser entwickelte.

Alle seufzten erleichtert auf, als die den Felsvorsprung endlich erreichten und ließen sich an die Wand sinken. Es war eine Wohltat dem peitschenden Regen nicht länger ausgesetzt zu sein und auch dem Wind zumindest teilweise entkommen zu können, denn entgegen Kermits Annahme, waren sie hier nicht windgeschützt.

Peter befühlte vorsichtig sein Gesicht. Das stetige heftige Auftreffen der harten Wassertropfen auf seiner Haut, gaben ihm das Gefühl, als hätten sie die Haut von den Knochen abgeschmirgelt. Was natürlich nicht so war, wie er erleichtert feststellte.

"Dem Himmel sei dank, ich dachte schon, wir schaffen es nicht mehr bis hierher", machte Peter seinen Gefühlen Luft.

"Irgendwann müssen wir ja auch mal Glück haben, nachdem so viel Schief gelaufen ist", meinte Kermit.

Dem konnten die anderen nur zustimmen. Eine ganze Weile herrschte Ruhe. Nun, nachdem das Adrenalin langsam den Körper verließ, machte sich eine bleierne Müdigkeit in ihren Körpern breit. Sie zuckten nicht einmal mehr zusammen, wenn ein Donner besonders laut über sie hinweg grollte.

Es war merklich kühler geworden. Der Wind nahm wieder zu. Erbarmungslos fegte er durch den Vorsprung und durchdrang mit seiner Kälte mühelos die nasse Kleidung. Cara rückte instinktiv näher an die Männer heran, auf der Suche nach ein wenig Wärme.

Peter schlang fröstelnd die Arme um seinen Körper und nutzte einen Blitz aus, um sich umzuschauen.

"Sieht aus, als hätten wir das Schlimmste überstanden. Der Regen hat nachgelassen und das Plateau ist nicht bis zum Rand mit Wasser gefüllt", meinte er.

"Da bin ich anderer Meinung", widersprach Kermit. "In den Bergen lauern noch gewaltige Wassermassen, und die werden wir hier früher oder später abbekommen, je nachdem wie sie sich den Weg bahnen können."

Peter verzog das Gesicht. Die Aussicht behagte ihm ganz und gar nicht.

"Das Plateau ist ziemlich groß, so schlimm wird es schon nicht werden", machte er sich und den anderen Mut.

"Du hast keine Ahnung, Junge. Wenn du einmal eine richtige Flut erlebt hättest, dann würdest du anders reden. So ein Plateau kann sich innerhalb von Minuten mit Wasser füllen, wenn du Pech hast. Dem entkommst du nicht, selbst wenn du ein begnadeter Schwimmer bist, denn die durch die Wassermassen hervorgerufenen Strudel reißen dich unter Wasser, egal was du versuchst", unkte Kermit.

"Musst du denn unbedingt in schillernden Farben schildern, was uns eventuell passieren könnte?", meldete sich eine ziemlich verschüchterte Cara zu Wort.

Kermit biss sich auf die Lippen. Am liebsten hätte er sich selbst in den Hintern gebissen für seine unbedachten Worte. Er griff nach ihr und nahm sie fest in die Arme.

"Entschuldige, Prinzessin. Ich bin sicher, es wird hier nicht so schlimm werden", sagte er beruhigend, doch selbst in seinen Ohren klangen diese Worte hohl.

Cara schmiegte sich in seine Arme, froh darüber, dass er in der Dunkelheit ihre Tränen nicht sehen konnte. Die gesamte Situation jagte ihr eine Heidenangst ein. Es war nicht nur die Angst um ihr eigenes Leben, sondern auch um das der Männer.

Peters Stimme riss sie aus ihren düsteren Gedanken. "Hey Kermit, kannst du nicht versuchen, über dein Handy Hilfe zu rufen? Vielleicht haben wir noch mal Glück und du hast hier, trotz der umschließenden Berge, doch Empfang."

"Gerne Peter. Nur befindet bzw. befand sich das Handy leider im Zelt."

Peter fuhr sich frustriert durch die Haare. "Mist verdammter. Dann können wir nur abwarten und hoffen, dass dieser Regen endlich aufhört und wir nicht ersaufen müssen wie die Ratten."

Es waren die letzte Worte, die für lange Zeit gesprochen wurden. Instinktiv rückten die vier Personen enger zusammen und beschränkten sich darauf, das Toben der Elemente zu beobachten und heimlich zu beten.

Der bedrohliche Nachthimmel hellte ein wenig auf. Langsam aber stetig lösten sich die tiefschwarzen Wolken auf und machten dem Mondlicht Platz. Zwar verschwand es immer mal wieder hinter einer schnell vorbei ziehenden Wolke, aber das fahle Licht reichte, um zumindest schemenhaft erkennen zu können, was auf dem Plateau vor sich ging. Das nervtötende Blitzen und Donnern hörte auf und der Regen schwächte ab. Stattdessen nahm der Wind an Stärke zu.

Das kleine Grüppchen presste sich dichter an die kahle, kalte Felswand heran, während der Wind mit unbarmherzigen Klauen an den Kleidern zerrte und um ihre Ohren pfiff. Kermit gab den anderen ein Zeichen und sie kauerten sich auf den Boden, um dem Sturm so wenig Angriffsfläche als möglich zu bieten. Cara vergrub den Kopf zitternd und verängstigt an Kermits Schulter, während die Männer weiterhin beobachteten, was dort draußen vor sich ging. Sie alle wussten, die Gefahr war noch längst nicht vorüber.

Bäume, die Jahrhunderte lang im Schutze der Berge gewachsen waren, beugten sich fast bis zum Boden unter der Wucht des Sturmes. Schenkeldicke Äste wurden einfach abgerissen und schwirrten wie Spielzeug durch die Luft. Eine meterhohe Tanne konnte dem Angriff nicht mehr länger widerstehen und fiel mit einem Ächzen, das sich fast wie ein Stöhnen anhörte, einfach um. Einige Bäume standen im Weg und so blieb der Baum einfach mitten in der Luft hängen, ein vibrierendes, dunkles Mahnmal der Zerstörung.

Auch mit dem See ging der Wind nicht freundlich um. Er fuhr in das Gewässer hinein und peitschte das Wasser immer höher auf. Meterhohe Wellen schlugen ans Ufer und verschlangen gierig alles, was sie erreichen konnten. Der Platz, an dem sich die Zelte befunden hatten, war nicht mehr wiederzuerkennen. Das, was nach dem Feuer übrig geblieben war, war längst schon ein Opfer des entfesselten Wassers geworden. Es war kaum zu glauben wie es möglich war, dass in solch einem eigentlich ziemlich kleinen See so hohe Wellen entstehen konnten.

Peter beobachtete mit einem argwöhnischen Ausdruck in den Augen das schreckliche Schauspiel. Immer wieder irrte sein Blick zum See. Obwohl der Regen zwischenzeitlich ganz aufgehört hatte, schien das Wasser noch immer anzusteigen. Wie eine todbringende, dunkle Masse kroch es behäbig immer weiter auf die Stelle zu, wo sie Unterschlupf gesucht hatten.

"Wenn das so weitergeht, dann wird es nicht mehr lange dauern und wir werden mehr als nur nasse Füße bekommen", machte er seiner Befürchtung Luft, den Sturm überschreiend.

"Dann leg doch endlich den Schalter um", schrie Kermit zurück im fast verzweifelten Versuch, noch den Humor zu behalten.

Peter zuckte die Schultern, hob die Hand und tat so, als würde er einen großen Schalter umlegen. Nicht einmal 30 Sekunden später wurde es plötzlich still. Kein Sturm, kein Regen, kein Blitz und kein Donner mehr. Nur noch das Toben des Wasserfalls und all der kleineren und größeren Sturzbäche war noch zu vernehmen.

Peter schaute mehr als verblüfft drein. Irgendwie konnte er noch nicht ganz fassen, dass das Unwetter vorbei sein sollte.

"Nanu?"

"Ich wusste gar nicht, dass du als Shaolin auch schon zum Wettergott avanciert bist. Das hättest du auch schon früher tun können", kommentierte Kermit trocken.

Peter lächelte schräg und zuckte in typischer Caine Manier mit den Schultern.

"Du hättest mir nur sagen müssen, dass ich das kann." Er gab Cara einen zärtlichen Schubs. "Hey Kleines, du kannst aus deinem Versteck an Kermits Schulter wieder vorkommen, es ist vorbei."

Cara hob vorsichtig den Kopf. "Wirklich?"

"Ja, es scheint das Schlimmste haben wir überstanden. Wenn nun nur noch der Wasserspiegel aufhört anzusteigen, dann sind wir aus dem Schneider."

"Gott sei dank", erwiderte Cara aus tiefstem Herzen und noch immer vor Kälte am ganzen Leib zitternd.

Alle richteten sich wieder in eine stehende Position auf, um zumindest der Nässe am Boden ein wenig zu entkommen.

"Und, was machen wir jetzt? Warten wir noch ab, oder starten wir noch einen Versuch von hier weg zu kommen?", erkundigte sich Peter.

"Abwarten", meinte Caine und deutete zum noch immer ansteigenden Wasser. "Solange sich nicht auch die Lage in den Bergen beruhigt hat, können wir nicht riskieren aus dem Tal zu klettern. Man weiß nicht, wo plötzlich ein weiterer Sturzbach entsteht."

Auch wenn jedem Einzelnen danach war, das Plateau so schnell als möglich zu verlassen, wussten sie, dass Caine recht hatte. Wieder einmal beschränkten sie sich nur darauf, das Wasser zu beobachten und das bisschen Körperwärme miteinander zu teilen, das ihnen noch verblieben war. Die Kleidung fühlte sich kalt und klamm an ihren Körper an, und auch wenn die Temperatur seit der Beendigung des Unwetters ein paar Grad angestiegen war, war doch jedem Klar, dass die Kleider so schnell nicht trocknen würden.

Wie lange genau sie so dastanden und in das Halbdunkel starrten konnte keiner von ihnen genau sagen. Jedenfalls zeigte sich schon der erste fahle Sonnenstrahl am Horizont. Das Wasser war höchstens noch 10-15 Meter von ihnen entfernt, als es langsam begann zurück zu weichen. Auch das Tosen des Wasserfalls hatte etwas nachgelassen und einige der kleineren Sturzbäche waren schon wieder versiegt. Alle registrierten das mit Erleichterung.

Kermit straffte sich. "Ich denke, wir sollten jetzt einen Versuch wagen. Wer weiß, ob nicht noch ein zweites Gewitter im Anmarsch ist. Was meinst du dazu Caine?"

Caine nickte zustimmend. "Du hast recht. Hilfe von Außen werden wir keine bekommen und der Boden ist zu nass, um trocknen zu können. Dieser Augenblick ist genauso gut wie jeder andere, um die Aufgabe in Angriff zu nehmen."

Kermit schaute zum Himmel. "Es wird schon langsam Hell. Zumindest können wir dann wieder sehen wohin wir treten. Wenn wir ziemlich eng am Felsen entlang gehen, dürften wir eigentlich keine Probleme haben, den Trampelpfad zu erreichen."

Kermit hatte kaum ausgeredet als ein dumpfes Grollen den Berg erzittern ließ. Erstaunt tauschte er einen Blick mit den anderen aus und blieb dann auf Caine hängen.

"Was war denn das? Sag bloß nicht, dass wir uns hier auf vulkanischem Boden befinden."

Caine schüttelte den Kopf. "Nein, das war etwas anderes."

"Und was?"

"Ich bin mir nicht sicher."

Gleichzeitig traten alle unter dem schützenden Felsvorsprung hervor und suchten mit den Augen die Umgebung ab. Cara entdeckte die Ursache zuerst. Sie stieß ein kurzes Wimmern aus und deutete mit zitternden Fingern auf einen Punkt hoch oben am Berg. Der Schock verschlug ihr schlichtweg die Sprache.

"Guter Gott, eine Gerölllawine!", sprach Peter das aus, was sie nicht konnte.

Panik machte sich breit. Mit schreckgeweiteten Augen starrten sie auf das unglaubliche Schauspiel. Geröll, Steine, Bäume und Felsen so groß wie ein Auto, wälzten sich den Berg hinab. Zuerst nur langsam, doch je weiter hinab sie kamen, desto mehr nahm die Lawine and Größe, Lärm und Geschwindigkeit zu, alles mit sich reißend, was ihr im Weg lag. Eine beinahe kerzengerade ungefähr 50 Meter lange und 30 Meter breite kahle Fläche zeugte von der Zerstörungsgewalt der Lawine. Erneut erzitterte der gesamte Berg.

"Wir müssen sofort weg hier!", schrie Cara und wollte in wilder Panik davonlaufen. Kermits Arm um ihre Taille verhinderte ihre unbedachte Flucht. Sie strampelte in seinem Griff.

"Halt, bleib hier, falsche Richtung. Die Lawine wird uns nicht treffen, aber etwas anderes."

Drei Augenpaare folgten seinem Blick zum Wasser. Caine stellte sofort die Verbindung her. Kermit hatte Recht, die Lawine war weit genug entfernt, um ihnen nicht direkt gefährlich werden zu können. Aber wenn die Tonnen von Geröll direkt in das Plateau hinein donnerten, dann würde das den Wasserspiegel erneut ansteigen lassen und diesmal war es so sicher wie das Amen in der Kirche, dass die Flut sie auch erreichen würde. Es gab nur noch eine einzige Chance.

"Schnell, wir müssen zu dem Pfad und so weit hinauf klettern wie möglich, bevor die Lawine das Tal erreicht!"

 

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