Kapitel 6
Autor: Fu-Dragon

 

Peter schaute dem trauten Paar mit einem leicht ungeduldigen Gesichtsausdruck entgegen.

"Ihr wart aber lange weg", begrüßte er sie.

Kermit warf ihm einen Blick über den Rand seiner Sonnenbrille hinweg zu und verzog die Lippen zu seinem berühmten Haifischlächeln.

"Lange ist relativ. Es ist ja nicht gerade so, als hätten wir hier etwas anderes zu tun, als abzuwarten bis die Felsen trocken genug für eine Kletterpartie sind."

"Lange genug, wenn jemand dazu verdonnert ist, einsam und alleine hier zu warten und..."

Peter stoppte mitten im Satz. Seine Augen verengten sich, während er intensiv Kermit und Cara betrachtete. Da war eine ganze besonderer Glanz um die beiden herum. Cara strahlte als wolle sie der Sonne am Himmel Konkurrenz machen und selbst Kermit wirkte sehr glücklich und entspannt wie selten zuvor, obwohl das wegen der Sonnenbrille schwer zu beurteilen war. Die Hände hatten sie fest miteinander verflochten. Da draußen musste etwas geschehen sein und es war offensichtlich, dass es etwas Positives war. Peters Neugierde gewann die Oberhand.

"Also gut, bevor einer von euch einen dicken Hals bekommt vor Anstrengung, sich nicht mitzuteilen, stelle ich die Frage. Was gibt es Neues bei euch beiden?"

Die Beiden tauschten einen schnellen Blick aus. Kermit nickte fast unmerklich Cara zu und küsste bedeutungsvoll ihre Hand. Diese wandte ihren Blick von Kermit ab und grinste Peter an.

"Och, eigentlich nichts. Nur dass Kermit mir gerade einen Heiratsantrag gemacht hat und ich habe ihn angenommen", meinte sie in einem Tonfall, als würde sie über das Wetter sprechen.

Peters Gesicht war sehenswert. Vor lauter Überraschung fiel ihm die Kinnlade fast bis zum Boden herunter und er schnappte nach Luft. Kermit und Cara brachen in ein freudiges Lachen aus, sie freuten sich diebisch, dass der kleine 'Streich' gelungen war.

Nachdem sich Peter wieder gefangen hatte, breitete sich ein von Herzen kommender, freudiger Glanz auf seinem Gesicht aus. Mit einem Satz sprang er auf die Beine und eilte auf die Beiden zu. Ohne Kermits leises Grollen zu beachten, schloss er beide überschwänglich in die Arme.

"Meinen herzlichen Glückwunsch ihr Zwei. Ich wünsche euch aus ganzem Herzen viel Glück und dass all eure Träume in Erfüllung gehen und noch mehr. Da hast du dir ja einen netten Zeitpunkt ausgesucht, um endlich zu einer Entscheidung zu gelangen, Kermit. Wisst ihr denn schon wann, wie, wo und wer?", stieß er aufgeregt hervor.

Kermit befreite sich aus der Umarmung und hob die Hände. "Whoa, nun mach mal langsam, mein Freund. Wir haben uns doch eben erst verlobt und im Übrigen passte der Zeitpunkt perfekt."

Cara nickte zustimmend. Ihr Grinsen allerdings verriet Peter, dass sie schon genau wussten, wann alles stattfinden sollte. Schon konnte sie sich auch nicht mehr länger zurückhalten.

"Wir wollen nur eine kleine Feier im Kreis unserer engsten Freunde. Die Hochzeit soll stattfinden, sobald wie hier heraus sind und es sich einrichten lässt. Wir können es Beide nicht mehr erwarten."

"Ihr scheint ja alles schon ganz genau geregelt zu haben." Peter schaute zu Kermit. "Ich wette, du weißt auch schon genau, wer welche Rolle in der Zeremonie übernehmen soll."

Das war Kermits Stichwort. "Sicher. Peter, ich hätte gerne, dass du mein Trauzeuge wirst. Was sagst du dazu?"

Peter schlug seinem besten Freund herzhaft auf die Schulter. "Es ist mir eine Freude, nichts lieber als das", dann wandte er sich zu Cara. "Und wer ist deine Trauzeugin?"

Cara grinste breit. "Och, ich denke, ich werde Jody fragen, ihr beide würdet sicher auch ein hübsches Paar abgeben."

Peter beschloss auf diesen offensichtlichen Wink mit dem Zaunpfahl nicht einzugehen.
"Wisst ihr denn auch schon, wer euch trauen soll?"

Cara wandte sich an Caine, der geduldig neben ihnen stand und wartete, bis er an die Reihe kam, um dem glücklichen Paar zu gratulieren. Sie streckte ihm die Hände entgegen, die er ergriff und sie an sich zog. Er hauchte ihr einen Kuss aufs Haar.

"Würdest du uns die Ehre geben, uns zu trauen?"

Caine verbeugte sich leicht vor Cara und erwiderte, "Es ist mir eine große Ehre."

Der Shambhala Meister griff nach Kermits Hand und legte sie über Caras, seine eigene lag oben auf.

"Eine Freude vertreibt hundert Sorgen und ein Weg entsteht erst, indem man ihn geht. Es ist mir eine Freude zu sehen, dass sich euer Pfad zu einem einzigen vereinen wird. Geht ihn entlang mit offenem Herzen, Vertrauen und Achtung voreinander und Glück und Erleuchtung werden euch entgegen streben."

Cara und Kermit schauten sich in die Augen und zuckten hilflos die Schultern. Anscheinend war die Zeit vorüber, in der Caine sich in normalen Sätzen ausdrückte.

Peter rette die Situation indem er je einen Arm um Kermit und Cara legte und meinte: "So schön das jetzt auch ist, aber ich denke es wird langsam Zeit, dass wir darüber diskutieren, wie wir den Anstieg wagen. Ich für meinen Teil möchte nämlich endlich von hier wegkommen."

+++

Eine gute Weile später kehrte wieder Ruhe im Lager ein. Man war übereingekommen noch eine Stunde zu warten, um wirklich sicher zu sein, dass der Boden zumindest leidlich abgetrocknet war. Caine und Cara hatten sich in den Teil des Waldes begeben, der von der Lawine und der Flut am wenigsten beeinträchtigt war, um etwas zum Essen aufzutreiben.

Peter und Kermit hatten es sich auf einem der zahlreichen Felsen gemütlich gemacht und genossen die wärmenden Strahlen der Sonne auf ihren Gesichtern. Wie üblich hielt Peter die kameradschaftliche Stille nicht allzu lange aus.

"Die Beiden sind aber nun schon ziemlich lange fort, findest du nicht auch?"

Kermit warf seinem Freund einen undefinierbaren Blick zu.

"In Peter Caine Zeit vielleicht, ansonsten sind es gerade mal 20 Minuten."

"Hey, ich dache ja nur, dass du deine...uh...Verlobte vermissen könntest." Er schüttelte den Kopf. "Oh Mann, ich kann es noch immer kaum fassen. Der Frau deines Herzens inmitten einer vom Unwetter zerstörten Landschaft einen Heiratsantrag machen, das kann auch nur dir in den Sinn kommen."

Kermit zog beide Augenbrauen in die Höhe. "Warum?"

Peter rutschte unbehaglich auf dem Felsen hin und her. "Ich meine ja nur. Ziemlich ungewöhnlich ist das schon, oder findest du etwa nicht?"

Kermit zuckte nur mit den Schultern und gab keine Antwort, doch Peter war weit davon entfernt aufzugeben.

"Nun komm schon, Kermit, wir sind Freunde. Zumindest mir kannst du doch sagen, wie du auf die Idee gekommen bist, ausgerechnet hier und jetzt einen Antrag zu machen, wo du doch am Tag zuvor noch immer so unentschlossen warst."

"Ich sehe ihr habt miteinander geredet", lautete Kermits trockener Kommentar dazu. Dann seufzte er leise und richtete sich ein wenig auf, den Blick nach oben zum Himmel gerichtet.

"Eigentlich ist es ganz einfach, Peter. Manchmal erhält auch der Sturste und Unentschlossenste von uns ein Zeichen der Erleuchtung, das er nicht mehr ignorieren kann. Ich hab's zumindest verstanden und habe dementsprechend gehandelt."

Peter verdrehte die Augen. "Herrje, du klingst gerade wie mein Vater. Wie soll ich denn das jetzt verstehen?"

Auf Kermits Lippen zeigte sich der Ansatz eines Lächelns. "Mein lieber, unwissender Freund. Gerade dir sollte der Begriff Schicksal und Erleuchtung ein Begriff sein. Wie gesagt, es ist doch ganz einfach. Denke an das, was wir gestern Nacht durchgemacht und überstanden haben. War das nicht ein Wink des Schicksals, dass wir alles fast ohne einen Kratzer überlebt haben? Wie wahrscheinlich ist es, dass du in die Fluten stürzt und dir nichts dabei passiert? Wie wahrscheinlich ist es, dass wir alle uns auf diesem spiegelglatten Pfad halten konnten, bis die größte Gefahr vorüber war? Wie wahrscheinlich ist es, dass wir genügend Zeit hatten, den Pfad überhaupt zu erreichen? Wie wahrscheinlich ist es, dass sich die Flutwelle direkt zu unseren Füßen zerschlug? Denk mal darüber nach."

Peter sah seinen langjährigen Freund perplex an. Es sah Kermit gar nicht ähnlich solche Fragen zu stellen. Tatsache war, sie hatten wirklich mehr als Glück gehabt, eine Aneinanderverkettung von glücklichen Zufällen, die eigentlich keine Zufälle mehr sein konnten. Langsam dämmerte ihm, worauf der Ex-Söldner hinaus wollte.

"Du meinst, wir haben gestern vom Schicksal, oder wie immer man es nennen mag, alle eine zweite Chance erhalten, unser Leben zu überdenken und das zu ändern, was im Unklaren liegt, oder uns um das kümmern, was wir bis dahin aus Angst oder Ignoranz nicht in Angriff nehmen wollten?"

"Exakt, Peter. Übrigens würde dir ein Umdenken in einer ganz bestimmten Richtung auch nicht schaden."

"Wie meinst du das denn jetzt?"

"Jody", erwiderte Kermit einfach.

Peter hielt eine Sekunde die Luft an und fuhr sich dann in einer nervösen Geste durch die Haare.

"Nun mach mal langsam, Kumpel. Ich mag Jody, aber sie und ich sind nur Freunde und mehr nicht", protestierte er, doch selbst in seinen Ohren klang das mehr nach einer Ausrede.

Kermit lachte trocken auf. "Erzähl diesen Shit deiner Großmutter, aber nicht mir. Ich habe Augen im Kopf, mein Lieber."

"Herrgott noch mal, was soll denn das schon wieder heißen? Sie hat mir doch nur geholfen, die ersten Wochen nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus durchzustehen. Mehr war da nicht."

"Ah ja? Dann kam der Streit zwischen Jordan und Jody wohl aus heiterem Himmel und du bist vollkommen unschuldig daran, oder wie?"

Peter zuckte zusammen. Er hätte wissen müssen, dass Kermit, genau wie alle anderen, gut darüber informiert war, was da geschehen war, auch wenn er so ziemlich der Einzige war, der ihn nie darauf angesprochen hatte.

"Das ist doch Blödsinn! Ich ahne worauf du hinaus willst, Kermit, aber du irrst dich. Wir mögen uns nur und mehr ist da nicht."

Kermit seufzte tief auf, er konnte über so viel Ignoranz nur den Kopf schütteln.

"Ganz im Gegenteil, mein Freund. Jody ist deutlich anzumerken, dass sie in dich verliebt ist, bei dir ist es schon etwas schwerer zu erkennen. Aber wer dich so gut kennt, wie ich, Cara oder Caine, der hat schon längst bemerkt, dass auch deine Gefühle über Freundschaft hinaus gehen."

Kermit hob die Hand um Peter daran zu hindern etwas zu sagen und sprach einfach weiter.

"Sieh mal, ich weiß es ist nicht leicht, über seinen eigenen Schatten zu springen und ich sage ja auch nicht, dass du Jody gleich einen Heiratsantrag machen sollst. Aber du solltest ihr und dir zumindest eine Chance geben zu erforschen, wie viel Zuneigung tatsächlich vorhanden ist. In meinen Augen bist du wirklich ein Meister der Ignoranz. Du lässt dich nur mit Frauen ein, von denen du weißt, dass sie keine richtige Beziehung wollen, dabei sehnst doch gerade du dich nach jemandem, mit dem du dein Leben teilen kannst. Schmeiß deine Angst vor Zurückweisung nur einmal in deinem Leben über Board und erkenne das, was sich direkt vor deinen Augen abspielt. Manchmal ist das, was man sich am meisten wünscht sehr nah, man muss nicht immer in der Ferne suchen. Probier es Peter, gestehe dir deine Gefühle ein und du könntest sehr überrascht sein, was dabei heraus kommt. Du kannst dich nicht immer verschließen oder davon rennen, schon gar nicht vor deinen eigenen Gefühlen!"

Peter erbleichte, gleich darauf spürte er heiße Röte in seine Wangen steigen. Jedes einzelne von Kermits Worten hatte genau getroffen. In einer, für ihn ziemlich untypischen Rede, hatte Kermit exakt das dargelegt, was schon seit Wochen innerlich an ihm nagte und er war absolut nicht bereit, sich dem zu stellen. Nicht heute – und nicht jetzt. Was ihm am meisten erschreckte war, wie leicht es dem Ex-Söldner fiel, in sein Inneres zu schauen und tief Verborgenes ans Tageslicht zu zerren.

Beinahe verzweifelt suchte der junge Shaolin nach einer Gelegenheit dem Gespräch zu entkommen und verfluchte im Stillen seinen Hang, nicht den Mund halten zu können. Die Rettung nahte in Form einer Lichtreflexion. Er verengte die Augen zu Schlitzen, um besser sehen zu können, und erkannte schließlich, dass es sich um ein langes Stück Schnur handelte an dem noch der Hering hing.

Er sprang auf die Beine und deute in die Richtung. "Kermit, schau mal. Ich glaube, ich habe da was gefunden. Das können wir bei der Kletterpartie gut gebrauchen. Ich schau mal, ob ich da heran komme."

Kermit rappelte sich ebenfalls auf und eilte Peter hinterher, der zu dem Geröllhaufen dicht am Rande des Wassers lief. *Respekt Junge, diesmal hast du dich wirklich exzellent aus der Affäre gezogen.*

Misstrauisch beäugte Kermit die Ansammlung von Sand, Morast und kleineren und größeren Steinen. Obenauf trohnte ein umgestürzter Baum, der leicht zu schwanken schien.

"Peter, so gut es wäre, ein Seil oder etwas Ähnliches zu haben, aber dieser Haufen hier scheint mir nicht sehr stabil zu sein, noch dazu so dicht am Wasser. Man kann unmöglich erkennen, ob das, was sich unter Wasser befindet nicht womöglich unterhöhlt ist. Bleib hier, das Risiko ist zu groß."

Peter tat Kermits Einwand mit einer Handbewegung ab. "Unsinn, ich werde einfach vorsichtig sein, dann kann nichts passieren. Es sind ja höchstens zwei bis drei Meter."

Bevor Kermit es verhindern konnte, machte Peter schon den ersten Schritt auf die Geröllansammlung. Das Knirschen der Sandkörner und Kiesel unter seinen Füßen hallte beinahe unnatürlich laut in der angespannten Stille. Mit zu Fäusten geballten Händen und kerzengeradem Rücken beobachte Kermit sorgsam die Umgebung, um Peter im Notfall warnen zu können, der sich sehr behutsam einen Weg zu dem Seil bahnte.

Einige Minuten später erreichte Peter die Stelle. Er reckte sich und ertastete mit den Fingern den begehrten Gegenstand. Sorgsam darauf bedacht so gut wie keine Steine zu bewegen, befreite er das Seil aus dem Gemisch aus Sand und Geröll. Das letzte Stück hing irgendwo fest und Peter zog fester. Zuerst wollte es sich nicht bewegen, dann gab es doch nach. Ein Platschen ertönte, als sich ein Stein löste und ins Wasser spritzte. Peter zog den Kopf ein, wohl wissend, dass er nicht rechtzeitig weg kommen würde, würde es einen erneuten Erdrutsch geben. Angespannt hielt er die Luft an und lauschte. Alles blieb ruhig.

Schließlich wagte es Peter, sich wieder zu bewegen. Er schlang das Seil mitsamt dem Hering, den er durch die Tasche seiner Jeans bohrte, um sicher zu gehen, dass sich nichts löste, um seine Taille. So hatte er beide Hände zum klettern frei. Dann drehte er sich vorsichtig herum und trat den Rückzug an.

Kaum spürte er wieder festen Boden unter den Füßen, wandte er sich triumphierend Kermit zu.

"Siehst du, das war ein Kinderspiel."

Das Wort blieb in Peters Hals stecken, als er in Kermits vor Zorn lodernde Miene schaute.

"Bist du eigentlich von allen guten Geistern verlassen? Das war das dümmste, das du jemals getan hast. Musst du dein Schicksal immer auf diese Weise heraus fordern?", machte Kermit seinem Ärger Luft.

Peter strecke abwehrend eine Hand aus, mit der anderen versuchte er das Seil von seinem Körper zu lösen.

"Nun mach mal langsam Kermit, es ist ja nichts passiert."

"Aber hätte, und das ist der Punkt. Denkst du eigentlich auch nur eine Sekunde nach, wenn du so etwas Gefährliches wie das hier machst? Kein normaler Mensch mit gesundem Menschenverstand würde so ein unkalkulierbares Risiko eingehen. Keiner, außer dem sturköpfigen Peter Caine. Du scheinst wirklich einen Todeswunsch zu haben!"

Ein unheimliches Rumpeln hinter ihrem Rücken ließ beide auf dem Absatz herum fahren. Der Baum auf dem Geröllhaufen verlor nun endgültig das Gleichgewicht und kippte nach unten, Sand und Gestein mit sich reißend. Wie ein braunes Ungetüm rollte er direkt auf die beiden Menschen zu. Peter reagierte den Bruchteil einer Sekunde schneller als Kermit und gab ihm einen Stoß in den Rücken.

"Weg hier!"

Die Männer rannten um ihr Leben. Das Seil, das Peter unter Mühen aus dem Geröll gerettet hatte, wurde ihm nun zum Verhängnis. Ein Meterlanger Ausläufer der Baumkrone erwischte das Seilende, das auf dem Boden hinter Peter herschleifte. Innerhalb einer Sekunde verstrickte es sich in das Wirrwarr der Äste, die nun wie ein Gewinde fungierten.

Peter konnte nicht einmal schreien, als ein scharfer Ruck durch seinen Körper lief und er zu Boden geschleudert wurde. Mit unfassbarer Gewalt wurde er von dem sich dem Wasser nähernden Baum hinterher geschleift, als hätte er überhaupt kein Gewicht. Scharfe Steine rissen seine Kleidung auf und hinterließen blutige Kratzer auf seinem gesamten Körper. Sekunden später fand die wilde Fahrt ein Ende und es wurde ruhig.

Peter stöhnte, etwas eiskaltes, nasses umspülte seine Beine, die er nicht einen Millimeter bewegen konnte. Nicht ein Muskel befand sich in seinem Körper, der nicht höllisch schmerzte. Das restliche Seil hatte sich eng um seine Taille geschlungen. Es schnitt tief in seine Haut und behinderte seine Atmung. Er keuchte und spuckte Sand, vermischt mit Blut, aus. Wie durch Watte hindurch hörte er die besorgte Stimme seines Freundes.

"Peter, mein Gott Peter, kannst du mich hören?"

Er spürte die Hände seines Freundes, die sich über seinen Körper tasteten in dem Sinnlosen unterfangen, das Seil von seiner Taille zu lösen. Seltsamerweise beruhigte es ihn total. *Ich bin nicht allein.*

"CAINE, WIR BRAUCHEN HILFE!"

Die Lautstärke des von Kermit ausgerufenen Satzes brachte Peter endgültig aus dem benebelten Zustand zurück. Mühsam schaffte er es ein Auge zu öffnen und den Ex-Söldner anzuschauen.

"Hallo, bist du auch schon hier?"

Kermit verzog die Lippen bei Peters kläglichem Versuch zu scherzen. Die Stimme des jungen Mannes klang schleppend und verzerrt und sein Gesicht hatte eine unnatürlich blasse Farbe angenommen. Sein Pullover war vollkommen zerrissen und enthüllte einige heftig blutende Kratzer und Schnitte. Es war offensichtlich, dass der Junge starke Schmerzen hatte. Kermit erkannte erleichtert, dass das Blut an seinen Lippen davon stammte, dass er sich auf die Zunge gebissen hatte und nicht von einer inneren Verletzung, wie er zuerst dachte.

Dennoch sah die Situation alles andere als gut aus. Peters Beine waren unter Wasser von dem Gewirr von Ästen eingeklemmt. Es gab keine Chance, ihn da ohne Hilfe heraus zu bekommen. Genauso wenig war es möglich, ohne ein Messer das unnachgiebige Nylonseil um seine Taille zu zerschneiden. Er versuchte es aus der Baumkrone zu entfernen, doch es saß rettungslos fest.

Der Baumkrone selbst, die sich noch außerhalb des Wassers befand, schwankte gefährlich und konnte jeden Augenblick endgültig den Halt am schlammigen Ufer verlieren und das bedeutete, sie würde Peter unwillkürlich mit sich ziehen.

*Das kann auch nur dir passieren, zweimal an einem Tag zu ertrinken.*

Selten hatte sich Kermit so hilflos gefühlt wie in diesem Moment, wo er nur eines tun konnte: Bei Peter bleiben und zu hoffen, dass Caine ihn gehört hatte. Mit aller Macht klammerte er sich an die Hoffnung, dass es ihnen zu Dritt gelingen würde, Peter aus seiner lebensgefährlichen Lage zu befreien.

"Ja, ich war in der Gegend und ich dachte ich schau mal vorbei. Es scheint dein typisches Peter Caine Glück lässt dich auch diesmal nicht im Stich", gab Kermit zurück, sorgsam darauf bedacht, Peter nicht spüren zu lassen wie viel Sorgen er sich machte.

Eine Schmerzwelle raste durch Peters Körper und ließ ihn unkontrolliert zucken. Instinktiv tastete er nach Kermits Hand und drückte sie so fest, dass er ihm beinahe die Hand dabei brach.

"Oh Shit", presste er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor, nachdem er wieder einigermaßen zu Atem kam.

Kermit strich ihm hilflos eine blutige Haarssträhne aus dem Gesicht.

"Schon wieder vorbei, Peter. Komm Junge, halte durch. Wir werden dich hier schon heraus bringen."

Es war eine barmherzige Lüge. Von Caine war weit und breit nichts zu sehen und die Baumkrone neigte sich im Zeitlupentempo immer mehr nach oben, so dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis sie endgültig im Wasser versank und Peter mit sich ins Verderben zog.

"Du bist ein miserabler Lügner, Kermit", brachte Peter hervor und drückte seine Hand. "Aber ich bin froh, dass ich nicht alleine bin, wenn ich sterben muss."

Kermit lief es eiskalt den Rücken hinunter, grässliche Angst um seinen Freund erfasste ihn. Seine Stimme klang nicht mehr ganz so beherrscht, als er sagte: "Sprich nicht so, Peter. Du darfst nicht aufgeben, du musst kämpfen mit allem was du hast."

Eine weitere Schmerzwelle erfasste den jungen Shaolin. Sein gesamter Oberkörper hob sich in einem krampfartigen Anfall vom Boden. Er japste nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen, Blut lief ihm aus dem Mundwinkel. Nachdem es vorbei war, zitterte er am ganzen Leib. Seine Lippen nahmen eine leicht bläuliche Farbe an.

Kermit zerrte noch einmal mit aller Kraft an dem Seil um Peters Taille, das ihn langsam erstickte. Der Hering hatte sich unglücklicherweise so verklemmt, dass er ihn weder heraus ziehen, noch aufbiegen konnte. Er hörte erst auf, als der ehemalige Cop einen schmerzhaften Schrei ausstieß.

"Tut mir leid Peter", entschuldigte sich Kermit mit bebender Stimme und ergriff wieder Peters Hand, die sich mittlerweile erschreckend kalt anfühlte. Mit der anderen wischte er ihm sanft das Blut aus dem Mundwinkel.

"Sch…schon gut mein Freund", wisperte Peter. Völlig übergangslos fuhr er fort. "Kermit, d…du hattest recht. Man soll das Schicksal nicht zwei Mal hintereinander heraus fordern. D...das habe ich nun davon u...und du hattest auch recht m...mit allem, was du gesagt hast. I...ich bin v...vor meinen Gefühlen davongelaufen. I...ich..."

Kermits Finger auf seinen Lippen stoppte ihn. "Pscht Peter, nicht reden, spare deine Kräfte."

Peter drehte den Kopf zur Seite. Seine Augen bohrten sich tief in Kermits Seele. "N...nein Kermit, i...ich muss, letzte Chance. S...sag meinem V...Vater, dass ich ihn liebe u... und...J...Jo..."

Weiter kam er nicht. Ein grässliches Geräusch, das sich anhörte wie das Jaulen einer Katze, der man auf den Schwanz getreten war, ließ Kermit erstarren. Die Baumkrone kippte vollends hintenüber und versank in den See. Das Seil straffte sich. Peter stieß einen Schrei aus, als er Ruck ihn vorwärts katapultierte.

Der Ex-Söldner verkrallte die Hände in Peters Pullover. Mit purer Willenskraft versuchte er zu verhindern was geschah, doch es war zwecklos. Nach hartem Kampf hielt er nur den herausgerissenen, blutigen Stoff des Kleidungsstücks in den Händen. Das Letzte was Kermit von Peter sah, bevor das Wasser gnadenlos über ihm zusammenschlug, waren seine weit in Todesangst aufgerissenen Augen.

Halb stolpernd, halb kriechend eilte er der Spur hinterher, die Peters Körper auf dem Boden hinterlassen hatte. Es kümmerte ihn nicht, dass ein Zweig seine Wange und den Hals zerkratzte, als er in das kalte Wasser sprang.

Der Ex-Söldner fand Peter sofort. Es war ein grässlicher Anblick. Peter trieb höchstens drei Zentimeter unter der rettenden Wasseroberfläche, das Seil war straff gespannt. Seine Arme ruderten verzweifelt hin und her in dem Versuch nach oben zu gelangen. Um ihn herum färbte sich das Wasser langsam rot, hervorgerufen durch die vielen Schnittverletzungen.

Kermit überlegte nicht lange. Er holte tief Luft, tauchte unter und presste seinen Mund fest auf den von Peter, um lebensspendende Luft in seine Lungen zu pressen. All seine Versuche die paar Zentimeter den Kopf über die Wasseroberfläche zu bringen, schlugen fehl. In rhythmischem Abstand tauchte er unter, versorgte Peter mit der Atemluft und zerrte dann verzweifelt an dem Seil. Es gab keinen Millimeter nach. Tauchte er aus dem Wasser auf, schrie er immer nur einen Namen: "CAINE!"

Peter beobachtete fast teilnahmslos die fruchtlosen, beinah panisch wirkenden Versuche, seines besten Freundes. Das kalte Wasser machte ihn so unsagbar müde und jedes Mal, wenn Kermit seinen Mund auf den seinen presste, um ihn zu beatmen, schwappte auch ein Schwall Wasser in seinen Mund. Er konnte spüren, wie ihn die Kraft mehr und mehr verließ. Mit jedem Mal, wenn er Kermits Lippen spürte, merkte er, dass auch ein Teil in Kermit zerbrach.

Ergeben schloss Peter die Augen, er konnte einfach nicht weiter kämpfen, der Schmerz in der Lunge war zu groß, um ihn noch länger ertragen zu können - fast ebenso groß wie den, durch die wabernde Wasseroberfläche seltsam verzerrten, selbstquälerischen Gesichtsausdruck von Kermit zu beobachten und seine Verzweiflung und seinen Schmerz zu spüren.

*Tut mir leid, mein Freund, ich kann nicht mehr. Ich hoffe nur, du zerbrichst nicht daran, dass du mir nicht helfen konntest. Halt dich an Cara und ihrer Liebe zu dir fest, werdet glücklich miteinander, das ist alles, was ich mir noch wünsche. Ich liebe euch*, nahm er in Gedanken Abschied.

Das Letzte, was er noch wie durch einen dichten Nebel wahr nahm war, wie seine Seele sich vom Körper löste.

+++

Jody lag gemütlich auf ihrem Sofa und las. Eine Kerze brannte auf dem Tisch und tauchte das Zimmer in einen milden, warmen Schein. Die Decke, die sie um ihre Beine geschlungen hatte, rutschte herunter und sie griff danach. Ein paar Beine traten in ihr Blickfeld. Jody stieß einen erstickten Laut aus und richtete sich kerzengerade auf.

"Peter, hast du mich erschreckt! Wie bist du denn herein gekommen? Seid ihr doch schon früher zurück?"

*Seltsam, ich habe wohl zu lange gelesen, irgendwie sehe ich unscharf.*

"Jody, ich habe nicht viel Zeit, du musst genau zuhören", sprach Peter eindringlich.

Ein unbehagliches Gefühl breitete sich in ihrer Magengrube aus. Ihr Instinkt teilte ihr unmissverständlich mit, dass hier gerade etwas ganz gewaltig schief lief. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, als sie bemerkte, dass sie nicht undeutlich sah, sondern dass Peters Erscheinung so unklar war.

"Was geht hier vor?"

"Jody, sie sind auf dem Plateau von Smithams Rock. Die anderen brauchen Hilfe. Du musst dich beeilen."

"Peter? Was ist mit dir? Warum redest du von den anderen und nicht von dir?"

Trauer breitete sich in Peters Gesichtzügen aus.

"Für mich kommt jede Hilfe zu spät, aber die anderen, die kannst du noch retten. Smithams Rock, das Plateau, schick eine Rettungsmannschaft."

Jody schluchzte unterdrückt auf und streckte eine zitternde Hand nach der Gestalt aus, die ihr gegenüberstand. Ihre Finger trafen keine Masse, sie glitten direkt durch sie hindurch. Eisiger Schreck ließ sie mitten in der Bewegung erstarren.

Ein bedauernder Blick traf sie. "Es tut mir so leid, Jody. Ich war so ein Idiot. Erst jetzt ist mir bewusst geworden, wie viel du mir bedeutest. Schade, dass wir nicht mehr erforschen können, wie weit es uns gebracht hätte. Ich liebe dich."

Es waren die letzten Worte, die sie von ihm hörte, dann löste sich das Bild von Peter vor ihren Augen auf.

Jodys Erstarrung löste sich, sie brach weinend in die Knie. Peter hatte so eindringlich gesprochen, dass es keine Zweifel für sie gab, dass das, was sie eben erlebt hatte, real war. Eine eisige Hand griff nach ihrem Herzen. Peter? Tot? Nein, das durfte nicht sein. Mit zitternden Fingern griff sie nach dem Telefon und wählte die Nummer der Rettungswacht.

 

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