Kapitel 5
Autor: Fu-Dragon

 

Das Grollen der Lawine wurde immer lauter und bedrohlicher. Die Wucht der gewaltigen Gesteinsmassen, die sich zu einem einzigen, großen Knäuel zusammengeschlossen hatten, ließen den Boden des Plateaus ein ums andere Mal erbeben. Keiner der vier Personen, die um ihr Leben rannten, nahm sich die Zeit über die Schulter zu blicken, um zu schauen, wie viel des Berges schon erobert worden war.

Das Fortkommen in dem nach wie vor morastigen Boden war nur einen Bruchteil leichter als vor einigen Stunden. Das einzig Positive war, dass zumindest die vielen Rinnsale zum erliegen gekommen waren, so dass sie nicht mehr darauf achten mussten, nicht vom dahinfließenden Wasser mitgerissen zu werden. Das Wissen nur diese einzige Chance zu haben, war ein zusätzlicher Ansporn und sie schafften es tatsächlich, wenn auch fast am Ende ihrer Kräfte, zum lebensrettenden Trampelpfad zu gelangen bevor die Lawine ihr Ziel erreichte.

Caine betrat als Erster den Pfad, er packte Cara fest am Arm und zog sie hinter sich her, da sie einfach nicht mehr die Kraftreserven aufbringen konnte, um alleine den Anstieg zu beginnen. Kermit folgte dichtauf und schob von hinten. Den Schluss bildete Peter, der wiederum Kermit half so schnell als möglich vorwärts zu kommen. Immer wieder rutschten sie auf dem glitschigen Boden aus und landeten auf Händen oder Knien. Dennoch war keiner zum Aufgeben bereit, der pure Überlebenswille trieb sie vorwärts und ließ sie über ihre körperlichen Fähigkeiten hinaus wachsen. Es glich einem kleinen Wunder, dass keiner von ihnen das Gleichgewicht verlor und den Pfad hinunter stürzte.

Sie hatten die ersten Meter bereits hinter sich gebracht, als das Donnern und Tosen in ihrem Rücken zu einem wahren Crescendo heranwuchs. Die Luft um sie herum schien plötzlich zu vibrieren und zu flimmern aufgrund der ernormen Druckwelle. Ein Ruck durchzog das gesamte Plateau, als wolle es in zwei Hälften zerbrechen.

"Haltet euch an allem fest, was ihr finden könnt, es ist so weit", schrie Kermit den anderen zu. Weiterklettern machte keinen Sinn mehr.

Die anderen kamen seiner Anweisung sofort nach. Sie drückten sich keuchend so eng wie möglich an den kalten Stein und verkrallten die vor Anstrengung zitternden Hände in Wurzeln, Pflanzen oder Felsen, je nachdem was sie erreichen konnten. Längst war die Kälte, die sie bis vor wenigern Minuten noch spürten einer Hitze gewichen, die sie innerlich zu verbrennen drohte. Schweiß lief in Strömen über ihre Gesichter, er brannte in den Augen, doch Niemand wagte auch nur eine Hand zu lösen, um ihn abzuwischen.

Von Neugier getrieben, blickte Peter zum See. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. *Lieber Gott, lass uns das heil überstehen*, schickte er ein stummes Stoßgebet zum Himmel.

Deutlich konnte er die Schneise zwischen den Bäumen erkennen, wo sich die Lawine ihren Weg schon gebahnt hatte. Teile das Gerölls waren liegen geblieben und türmten sich zu hohen Wällen auf, doch das dahinter folgende Gestein überrollte mit seiner Wucht das soeben entstandene Hindernis und wälzte sich unhaltbar weiter auf den See zu. Peter bildete sich ein, das erste Aufschlagen der Steine und Bäume in den See hören zu können. Ein gewaltiger Felsblock rollte heran. Eine meterhohe Wasserfontäne entstand, als er in den See krachte.

Tonnen über Tonnen Gestein, Geröll und Holz setzten ihre erbarmungslose Zerstörung fort. Das Wasser hatte keine andere Wahl als sich einen anderen Weg zu suchen. Weitere, riesengroße Felsblöcke kippten in den See. Es schien, als würde sich das nasse Element im Todeskampf wild aufbäumen. Eine einzige, riesige Welle entstand, die aussah wie ein Leib von Tausenden von dunklen Schattenkriegern. Dann brach der Widerstand und die mehrere Meter hohe Welle fegte mit einem Tosen durch das Plateau.

Da, wo die Lawine die Natur verschont hatte, erledigte nun eine riesige, dunkle, feuchte Masse auf der Suche nach Freiheit den Rest. Bäume wurden mitsamt den Wurzeln aus dem Erdreich gerissen, als würden sie gerade mal ein paar Kilo wiegen. Einige der Stämme ritten wie ein Surfbord auf der Welle dahin, bis auch sie ihren Kampf aufgaben und in den Fluten versanken. Die Riesenwelle schlug gegen die massive Felswand und änderte ihre Richtung. Mit Entsetzen erkannte Peter, dass das todbringende Nass nun direkt auf sie zutoste. Durch den Aufprall mit der Felswand hatte sie zwar etwas an Kraft verloren, aber es konnte noch immer reichen, um sie in den Tod zu ziehen. Man konnte nur hoffen, dass sich die Flut durch die etlichen Meter, die sie noch von den ums Überleben kämpfenden Menschen trennte, weiterhin abschwächen würde.

"Sie ist gleich da", schrie Peter ohne sich dessen bewusst zu sein, dass alle anderen ebenfalls mit Grauen beobachtet hatten, was sich hier abspielte. Ein Schrei mischte sich in seine Beobachtung, aber er wusste nicht, wer ihn ausgestoßen hatte.

Dann hatte es sie erreicht. Mit ungeheurer Wucht prallte die erste Welle gegen den Berg und ließ ihn erneut erzittern. Sie zerschlug sich und breitete sich in ungeheurer Geschwindigkeit aus. Gurgelndes tosendes, wie schwarze Tinte wirkendes, Wasser streckte die kalten Finger nach den entsetzten Freunden aus. Ein Baumstamm krachte nur einen knappen Meter neben Peter gegen die Felswand und zersplitterte, als wäre er ein Glas, das auf den Boden geworfen wurde. Wie durch ein Wunder wurde niemand von den wie Geschosse wirkenden Splittern ernsthaft verletzt und die Erleichterung war noch größer, als ein Teil des Baumes einfach in einem Spalt der Felswand hängen bleib und wie ein Speer in die Luft ragte.

Der Ausläufer einer weiteren Welle schwappte hoch genug, um Peters Füße zu erreichen, doch bevor er das Gleichgewicht verlieren konnte, ging es schon zurück. Peter stieß erleichtert die Luft aus. Das war mehr als knapp gewesen, doch die nächste Welle konnte treffen. Noch war die Gefahr nicht vorüber.

Peter löste mit Gewalt den Blick von dem gurgelnden Wassergrab und schaute zu der Lawine. Erleichtert erkannte er, dass sie fast zum Stillstand gekommen war. Nur noch vereinzelt fielen letzte Brocken in den ehemaligen See, der als solches nicht mehr zu erkennen war. Fast bis zum letzten Tropfen hatten die abertausend Tonnen Gestein das Nass verdrängt, das noch immer wirbelnd über das Plateau schoss und sich andere Wege suchte.

Bange Minuten des Wartens vergingen, bis sie realisierten, dass sie es in letzter Sekunde doch geschafft hatten hoch genug zu klettern, um von der gewaltigen Flutwelle nicht erfasst zu werden. Fast taub von all dem Lärm und mit brennenden Augen beobachteten sie, wie sich auch das Wasser langsam beruhigte und sich im Schneckentempo Wege suchte, wo es Platz zum absickern fand. Mit viel Glück würde sich der Wassersiegel in ein paar Minuten soweit gesenkt haben, dass sie es wagen konnten, wieder herunter zu klettern. Nach oben in die Freiheit zu klettern wäre bei der derzeitigen Verfassung ihrer Körper der reinste Wahnsinn. Keiner von ihnen hatte noch die Kraftreserven, um eine solche Anstrengung auf sich zu nehmen.

So wie sich die Gewissheit verdichtete fürs Erste außer Gefahr zu sein, wich auch das Adrenalin aus dem Leib. Deutlich spürte Cara jeden einzelnen überanstrengten Muskel in ihrem Körper. Ihre Knie begannen zu zittern, sie bekam einen Wadenkrampf. Ihr rechtes Bein glitt aus und sie verlor vor Angst wimmernd den Halt. Verzweifelt kämpfte sie um das Gleichgewicht, aber das krampfende Bein wollte nicht gehorchen. Die Wurzel, an der sie sich bis jetzt noch festgehalten hatte, löste sich aus dem Felsen.

Caine fasste reaktionsschnell zu, doch er erwischte nur einen Teil von Caras Pullover, nicht genug um sie zurück zu ziehen. Gleichzeitig versuchte Kermit von unten her das Unvermeidliche zu verhindern. Er löste seine Hand vom Felsen und schlang sie um Caras Bein, um es auf den Boden zurück zu stellen. In letzter Sekunde schaffte er es, es zu fassen und ihm einen sicheren Halt zu geben. Bei der plötzlichen Bewegung rutschte er ebenfalls weg, den Bruchteil einer Sekunde schwebte er zwischen Himmel und Erde.

Peter, der das Dilemma bemerkte, stemmte sich von unten mit aller verbliebener Kraft gegen Kermits Beine, um ihn zurück an die Felswand zu drücken. Er schaffte es gerade noch Kermit ins Gleichgewicht zurück zu bringen, bevor dieser endgültig den Halt verlor. Zu seinem Entsetzen jedoch begann sich plötzlich der Boden unter seinen Füßen zu bewegen. Er hatte dem zusätzlichen Druck nicht standhalten können und der vom Regen aufgeweichte Dreck stürzte in die Tiefe, gefolgt von Peter.

"Nein!"

Der gellende Schrei hallte durch die Nacht, doch es war zu spät. Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen mussten Caine, Kermit und Cara zusehen, wie Peter in die Tiefe stürzte und die Wassermassen über seinem Kopf zusammenschlugen.

Nicht einmal eine Sekunde später löste sich ein Schatten über Cara. Caine folgte seinem Sohn und sprang ihm einfach nach.

"NEIN!"

Erneut hallte der Schrei durch die Morgendämmerung, diesmal ausgestoßen von Cara, die ganz den Anschein machte, als wolle sie Vater und Sohn hinterher springen.

"Cara! Bleib stehen wo du bist, Caine weiß genau, was er tut", durchdrang Kermits halb flehend, halb befehlend klingende Stimme die Panik in ihrem Gehirn.

Sie blieb stehen wo sie war, drückte ihr Gesicht in den harten Fels und begann hemmungslos zu schluchzen. Kermit hingegen schaffte es, sich halb herum zu drehen und starrte krampfhaft auf die trübe, aufgewühlte Wasseroberfläche, in der Hoffnung etwas von den beiden Caines zu entdecken. Er merkte nicht, dass sein Blick von eigenen Tränen getrübt war.

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Das Auftreffen auf der harten Wasseroberfläche war ein Schock für den jungen Shaolin. Mit gierigen Fingern griff das Nass nach ihm und zog ihn unbarmherzig in die Tiefe. Sein Mund öffnete sich zu einem Schrei, der vom eindringenden schlammigen Wasser im Keim erstickt wurde. Noch nicht ganz begreifend, was passiert war, versuchte er die bittere Brühe auszuspucken, was nur damit endete, dass das Wasser nun auch in seine Nase drang. Durch den Sauerstoffentzug fingen seine Lungen an zu brennen. Verzweifelt versuchte er sich wieder an die Wasseroberfläche zu bringen, doch etwas hielt ihn fest.

In Panik riss er die Augen auf und versuchte in den breiigen, undurchdringlichen Fluten zu erkennen, worum es sich handelte. Er strampelte verzweifelt, doch das Etwas, das seinen Fuß umklammert hielt, zog sich nur noch fester zu. Er tastete hektisch mit den Fingern das betroffene Bein hinab und entdeckte etwas, das sich wie eine Schnur anfühlte.

Mittlerweile tanzten dunkle Punkte vor seinen Augen. Die unterbrochene Luftzufuhr zu seinem Gehirn und der Schockzustand verhinderten, dass er einen klaren Gedanken fassen konnte. Erneut öffnete er in einem reinen Reflex den Mund und erntete statt frischer Luft schmutziges Wasser. Langsam wurden seine Bewegungen schwächer, hilflos wie ein Gefangener Fisch zappelte er an der Leine.

*Was für eine Art zu sterben. Bitte nicht so, das kann nicht das Ende sein*, war das Einzige woran er noch denken konnte. Er spürte wie er immer schwächer und schwächer wurde. Das Dröhnen in seinem Kopf nahm zu und die unwirtliche Umgebung verschwamm immer mehr vor seinen Augen.

Plötzlich schwamm ein großer Schatten auf ihn zu. Peter bemerkte es nur am Rande.
*Haie?*
Starke Hände griffen nach ihm.
*Kein Hai, ein Mensch.*

Es gab einen scharfen Ruck und er war frei. Ein Arm schloss sich fest um seinen Oberkörper, es ging aufwärts. Wenige Sekunden später befand sich sein Kopf über der Wasseroberfläche. Die körpereigenen Reflexe übernahmen und er schnappte nach Luft. Noch immer Wasser im Mund, verschluckte er sich heftig. Sein gesamter Körper erbebte unter der Heftigkeit des Hustenanfalls. Er spuckte Wasser und versuchte gleichzeitig verzweifelt Luft in seine Lungen zu pumpen. Der Kampf um die bitter benötigte Atemluft dauerte eine ganze Weile, aber dann siegte doch der Überlebenswille. Seine Atmung stabilisierte sich.

Benommen drehte Peter schließlich den Kopf und blickte direkt in das besorgt wirkende Gesicht Kwai Chang Caines.

"Vater."

"Ruhig Peter, nicht reden. Ich bringe dich hier heraus."

Peter war viel zu erschöpft um dem zu wiedersprechen. Vollkommen bewegungslos lag er in den Armen seines Vaters, der mit kräftigen Bewegungen in Richtung des rettenden Ufers schwamm. Er spürte wie er hochgehoben wurde und kuschelte sich wie ein kleines, schutzbedürftiges Kind an die Brust seines Retters. Wenig später wurde er vorsichtig auf den kalten, nassen Boden gelegt, fest überzeugt davon, noch nie etwas Schöneres unter seinem Körper gespürt zu haben.
*Endlich schlafen.*

Caine drehte seinen Sohn auf die Seite. Die wächserne Blässe im Gesicht seines einzigen Kindes und das pfeifende Geräusch wenn er Luft holte, bereitete ihm große Sorgen. Im Licht der aufgehenden Sonne bemerkte er, dass sich die Augen des jungen Mannes schlossen. Caine schlug ihm leicht auf die Wange.

"Nein Peter, nicht einschlafen. Du musst wach bleiben, hörst du?"

Peter öffnete einen kurzen Augenblick die Augen, murmelte etwas Unverständliches und dann fielen ihm die Lider wieder zu.

Caine packte seinen Sohn hart an der Schulter und rüttelte ihn.

"Aufwachen, Peter. Sofort!"

Aufgeschreckt durch den groben Ton und die unsanfte Behandlung, schoss Peters Oberkörper in die Höhe. Im nächsten Moment übergab er sich. Schmutzig braunes Wasser und Magensäure entluden sich in heftigen Zügen. Tränen traten ihm in die Augen, er würgte und sein gesamter Körper krampfte sich zu einem Knäuel zusammen. Schließlich hörte auch das auf. Keuchend blieb er liegen, die Augen diesmal geöffnet.

"Oh Gott ist mir schlecht", wimmerte er.

Caine strich seinem Sohn beruhigend über die Haare und zog ihn dann in seine Arme. "Es wird bald besser werden mein Sohn", sagte er in einem Tonfall, der all seine Emotionen enthielt.

Mehr Worte waren auch nicht nötig, Peter konnte trotz seines geschwächten Zustands so deutlich wie nie spüren, was sein Vater in dem Moment empfand. Mit einem leisen Seufzen entspannte er sich und ließ sich in der Wärme und der Geborgenheit der väterlichen Umarmung treiben. Caine vergrub den Kopf in die nassen Haare seines Sohnes, so konnte dieser nicht die Tränen der Erleichterung sehen, die dem Shambhala Meister über die Wange liefen.

Das Geräusch von rennenden Beinen riss Beide aus dem in Gedanken geführten Zwiegespräch. Keiner von beiden hatte bemerkt, wie viel Zeit in der Zwischenzeit vergangen war. Es war schon hell geworden.

Eine zierliche Gestalt landete zu seinen Füßen. "Peter, mein Gott Peter, geht es dir gut?"

Der junge Shaolin schaffte es, ein halbes Lächeln zustande zu bringen und streckte die Hand nach ihr aus.

"Aber ja, mir ist noch ein wenig schwummrig, aber sonst fühle ich mich gut. Allerdings könnte es auch etwas wärmer sein."

Cara lachte und weinte gleichzeitig. Sie ergriff seine Hand und drückte sie an die Wange.

"Ich bin so froh, dass du lebst. Als du in das Wasser fielst, da dachte ich..." Weiter kam sie nicht, ein dicker Kloß in ihrer Kehle verhinderte jedes weitere Wort.

Stumm zog Peter Cara zu sich her und schlang den Arm um ihren zitternden Körper. Caine löste sich von seinem Sohn und erhob sich. Schuldbewusst sah er zu Kermit.

"Es tut mir leid, Kermit. Die Sorge um meinen Sohn ließ mich vergessen, in welcher Gefahr ihr euch noch befandet."

Kermit warf Caine sein berühmtes Haifischgrinsen zu und schob die Sonnenbrille, die auf wundersame Weise noch immer auf seiner Nasenspitze trohnte, zurecht.

"Kein Problem, wir sind auch so heil wieder unten angelangt."

Mit einem Kopfnicken bedeutete er Caine ihm zu folgen. Er trat ein paar Meter von Cara und Peter weg, die in ein leises Zwiegespräch vertieft waren und wandte sich dann mit gedämpfter Stimme an Caine.

"Wie geht es Peter?"

"Es scheint alles gut überstanden zu haben."

"Scheint?"

Caine hob die Achseln an. "Er hat eine leichte Unterkühlung und kämpft noch mit den Nachwirkungen des Schocks. Einen Großteil des Wassers hat er erbrochen, aber es ist möglich, dass sich noch etwas davon in seiner Lunge befindet. Allerdings ist seine Atmung mittlerweile wieder kräftig und regelmäßig, so dass ich annehme, dass er auch in der Richtung Glück hatte."

Kermit stieß erleichtert den Atem aus. Caine war zwar kein Arzt, aber wenn er als Shambhala Meister keine unmittelbar körperliche Gefahr für seinen Sprössling spürte, dann konnte man sich darauf verlassen.

"Der Junge hat wohl mehr als einen Schutzengel gehabt. Es erleichtert mich sehr zu hören, dass keine unmittelbare Gefahr besteht, denn ich befürchte so schnell kommen wir hier nicht heraus." Er deute in Richtung des Trampelpfades bzw. dem, was davon noch übrig geblieben war.

In der Dunkelheit der Nacht hatten sie es nicht sehen können, aber im grellen Sonnenlicht offenbarte sich nun das gesamte Ausmaß der Zerstörung. Ungefähr bis zum oberen Drittel war der Pfad noch einigermaßen in Ordnung, aber die letzten Meter die über den Rand führten, waren von dem heftigen Regenguss einfach weggewaschen worden, so dass dort nur noch der blanke Felsen zu sehen war. Man konnte es drehen und wenden wie man wollte, aber um eine Kletterpartie kam man nicht herum und das bedeutete auch, dass sie warten mussten bis die Felsen abgetrocknet waren, es sei denn man hatte einen Hang zum Selbstmord.

Caine stellte sofort die Verbindung her. "Ich denke, es wird uns allen gut tun, uns ein paar Stunden nach diesen Strapazen auszuruhen."

Kermit warf einen beunruhigten Blick zum Himmel. "Und was, wenn wieder ein Unwetter aufzieht?"

Caine verbeugte sich halb. "Es wird kein weiteres geben", sagte er so selbstverständlich, dass Kermit es ihm sofort abnahm.

"Gut, dann gehen wir mal wieder zu unseren beiden Hübschen zurück und teilen ihnen schonend mit, dass wir noch ein paar Stunden in dieser wunderbaren Gegend verbringen werden."

Bei Cara und Peter angekommen, kniete sich Kermit neben Peter und schlug ihm freundschaftlich auf die Schultern.

"Hey Partner, du hast uns ja einen gehörigen Schrecken eingejagt. Dir war's wohl zu langweilig, untätig in den Felsen herum zu hängen."

Peter grinste seinen besten Freund schräg an. "Gehört alles zum Unterhaltungsprogramm, Partner. Ihr sollt ja auch was zu erzählen haben, wenn ihr wieder nach Hause kommt."

Kermit neigte den Kopf zur Seite und tat so, als würde er nachdenken. "Hm, ich fürchte für eine Oskarnominierung wird es aber leider nicht reichen."

Peter verzog das Gesicht. "Ach wie schade. Und ich dachte ich könnte dich endlich mal im Smoking bewundern."

"Eher gefriert die Hölle zu."

Caras Lachen durchbrach das freundschaftliche Geplänkel. "Hach wie schön, dass alles wieder beim Alten ist", sprach sie das aus, was alle anderen auch fühlten.

+++

Kermit war es gelungen eine Zeltplane aus dem Wasser zu fischen, das deutlich zurückgegangen war und so saßen sie nun auf der Plane gegen den Felsen gelehnt, dösten vor sich hin oder unterhielten sich leise und ließen sich im Schein der strahlenden Sonne ihre Kleidung trocknen.

Kermits Brustkorb hob sich in einem tiefen Atemzug. Sein Blick fiel auf Cara, die mit geschlossenen Augen an seiner Schulter lehnte, das Gesicht der Sonne zugewandt. Je länger er in dieses schöne Gesicht schaute, desto deutlicher wurde ihm bewusst, wie knapp sie in der Nacht dem Tode entkommen waren. Bei dem Gedanken an ein Leben ohne sie, spürte er einen schmerzhaften Stich und eine tiefe Leere in seinem Herzen.

Das Gespräch, das sie einen Tag zuvor gehabt hatten lief wie ein Film vor seinem inneren Auge ab. Er hatte ihr deutlich angemerkt, wie wenig es ihr zugesagt hatte, dass er sich zu keinem endgültigen Entschluss hatte durchringen können. Weitere Ereignisse drängten aus seiner Erinnerung hoch. Die tiefe Zufriedenheit, die er spürte, als er sie zum ersten Mal in den Armen hielt, nachdem er ihr Clumsy geschenkt hatte. Ihr erster Kuss, das freudige Aufblitzen in ihren Augen wann immer sie ihn sah, die Lebensfreude, die sie ausstrahlte, ihre unerschütterliche Loyalität gegenüber ihren Freunden, ihr Durchsetzungsvermögen, die Tapferkeit im Angesicht von ausweglosen Situationen und noch vieles mehr.

"Und, hast du mich nun genug angestarrt? Pass auf, dass du nicht zu schielen anfängst", riss ihn Caras amüsierte Stimme aus seinen Gedanken.

*Nein, Prinzessin, ich werde davon niemals genug bekommen.*

Er grinste, plötzlich erschien ihm alles so leicht, während er in die blauen Augen starrte in denen deutlich die Liebe, die sie ihm entgegen brachte, zu lesen war.

"Hast du Lust, einen kleinen Spaziergang zu machen?" erkundigte er sich ohne auf ihre Bemerkung einzugehen.

"Warum nicht? Ein bisschen Bewegung kann nicht schaden, um die steifen Muskeln wieder auf Trab zu bringen. Wir haben heute ja noch einiges vor."

"Oh yeah."

Kermit stand auf und zog sie mit hoch. Er drückte ihr einen zärtlichen Kuss auf den Mund, bevor er ihre Hand nahm und sie zu einer Felsgruppe geleitete, wo sie außer Sicht- und Hörweite von Caine und Peter waren. Dort blieb er stehen.

Cara ließ den Blick über die zerstörte Landschaft gleiten.

"Ich kann gar nicht glauben, dass dies dasselbe Plateau ist, das wir vor zwei Tagen betreten haben und so wunderschön war. Jetzt ist nicht mehr davon übrig geblieben als eine Ansammlung von Steinen, Baumstämmen und jeder Menge Dreck."

Kermit seufzte. "Das kannst du laut sagen. Es zeigt deutlich, dass man die Natur niemals unterschätzen sollte."

Kermit ergriff ihre Hände. Cara schaute erstaunt zu ihm auf.

"Kermit, was ist mit dir, du zitterst ja. Ist dir immer noch kalt?"

Der Ex-Söldner schüttelte den Kopf.

"Was ist dann? Ist dir nicht gut? Hast du dich am Ende doch verletzt und uns aus deinem 'Heldenkomplex' heraus nichts gesagt?", erkundigte sich Cara mit einem besorgten Unterton in der Stimme.

*Wie ein Held fühle ich mich wahrlich nicht.* Er holte tief Luft um sich Mut zu machen. *Herrgott, ich habe schon so viele Dinge getan, erlebt und überstanden, warum fällt mir das nun bloß so schwer?*

"Nichts von all dem. Prinzessin. Ich bin zu einer Entscheidung gelangt."

Caras Mund klappte zu. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Instinktiv wusste sie, worauf sich dieser Satz bezog. *Toller Zeitpunkt um Schluss zu machen, Griffin.*

"Besser du setzt dich hin, Prinzessin, bevor du mir noch umfällst", meinte Kermit und führte eine wie paralysiert wirkende Cara zum Felsen. Dort half er ihr galant, sich zu setzen. Dann kniete er sich vor sie und ergriff erneut ihre Hand.

"Prinzessin, ich weiß, das hier ist wahrscheinlich weder der passende Ort noch der richtige Zeitpunkt, aber ich muss es dir trotzdem sagen. Ich kann und will dich einfach nicht länger im Unklaren lassen."

Er stoppte, um einen Kuss auf ihre bebende Handfläche zu drücken. Dann nahm er seine Sonnenbrille ab und steckte sie in die Tasche seines Hemdes. Tief blickte er in ihre Augen.

"Was wir gestern erlebt haben, hat mir deutlich vor Augen geführt, wie schnell alles wieder vorbei sein kann. Wenn es mir eines gezeigt hat, dann, dass man das Glück mit beiden Händen fassen soll wenn es auftaucht und man nicht lange hin- und her überlegen soll, bis es womöglich zu spät ist.

"Ich hatte gestern grässliche Angst. Nicht Angst um mich, sondern um dich. Als du in der Felswand in Gefahr warst hinunter zu stürzen, das waren die schlimmsten Sekunden in meinem Leben und glaube mir, ich habe schon furchtbare Dinge erlebt. Der Gedanke, dich womöglich für immer zu verlieren, bevor es überhaupt richtig angefangen hat, ist so schrecklich, dass ich ihn nicht einmal zu Ende denken kann.

"Ab dem Moment, als du in meinen Armen lagst, um dich für Clumsy zu bedanken, war ich dir verfallen. Aber meine Paranoia und mein Dickkopf standen mir im Weg. Ich wollte mir gegenüber nicht zugeben, dass ich mehr für dich empfand als nur Freundschaft. Doch so oft ich dich von mir zu stoßen versucht habe, du bist zu mir zurückgekehrt wie ein Bumerang. Du gehst mir unter die Haut, noch keiner hat es geschafft so meine Verteidigung zu durchbrechen, wie du es getan hast. Du bist alles, was ich mir von einer Frau je erträumt habe und noch mehr. Cara, willst du meine Frau werden?"

Caras Mund klappte auf und zu. Ungläubiges Staunen machte sich in ihren Gesichtszügen breit. Vieles hatte sie erwartet, aber ganz sicher nicht das und schon gar nicht in dieser Situation. Vollkommen in Schock erstarrt saß sie auf dem Felsen und brachte nur ein Wort hervor.

"Was?"

Ein erstes leichtes Lächeln legte sich auf Kermits Lippen. Er küsste galant ihre Hand.

"Cara Stephanie Thompson, willst du..."

Weiter kam er nicht. Ein triumphierender Schrei durchbrach den warmen Sommertag. Ein zierlicher Körper, aus der Erstarrung erwacht, flog in seine Arme.

"Ja, ja, ja. Ich will."

Kermit lachte befreit. Ein Lachen, das tief aus dem Herzen kam und wohl noch kaum einer von ihm jemals gehört hatte. Durch den Aufprall verlor er das Gleichgewicht und plumpste mit Cara auf den nassen Boden, doch beide merkten es nicht. Sie waren viel zu sehr damit beschäftigt, sich mit kleinen Küsschen zu überschütten und dann mit einem leidenschaftlichen, feurigen Kuss ihre Verlobung zu besiegeln.

Erst als sie keine Luft mehr bekamen, lösten sie die Lippen voneinander. Caras Augen strahlten vor Glück wie zwei Sterne am Himmel. Kermit hob die Hand und zeichnete zärtlich mit dem Finger ihre Lippen nach.

"Tut mir leid, dass ich dir keinen standesrechtlichen Antrag machen konnte, Prinzessin, aber ich konnte und wollte einfach nicht mehr länger warten. Du hast etwas Besseres verdient, Kerzenschein, rote Rosen, Champagner, romantische Musik. Ich habe noch nicht einmal einen Verlobungsring für dich."

Cara lachte leise und küsste seine Fingerspitze. "Nun hör schon auf damit, dir darüber den Kopf zu zerbrechen. Das mit dem Ring kannst du jederzeit nachholen und ansonsten hätte ich mir keinen schöneren Zeitpunkt vorstellen können."

Ihr Blick versank in dem seinen. All ihre Gefühle waren deutlich in ihren Augen zu lesen.

"Ich liebe dich", flüsterte sie.

Kermits Antwort bestand aus einem weiteren leidenschaftlichen Kuss.

 

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