2. Teil
Autor: Fu-Dragon

 

Die Fahrt zu Kermits Wohnung verlief in eisigem Schweigen. Jenna wurde immer mulmiger zumute. Trotz der guten Heizung der Corvair war ihr eiskalt. Die Kälte, die sie spürte kam eindeutig von Kermit. Ihr kam in den Sinn, dass es wohl keine gute Idee gewesen war, ihm diesen Streich zu spielen und sie hoffte inständig, dass er sie das nicht büßen ließ.

Nachdem Kermit seine geliebte Corvair an ihrem Stammparkplatz abgestellt hatte, stieg er aus, nahm ihren Koffer aus dem Kofferraum und geleitete sie in sein abgesichertes Appartement, das für die nächsten zwei Wochen ihr Zuhause sein sollte. Im Flur ließ er ihren Koffer fallen. Jenna getraute sich nur eine kurzen Rundumblick, denn sie wollte Kermit auf keinen Fall weiter provozieren, geschweige denn ihn ansehen müssen. Dieser deutete mit einer Hand auf die zweite Tür von rechts.

"Da ist das Gästezimmer, packen sie ihren Koffer aus."

Selten war Jenna so froh gewesen, ein Zimmer verlassen zu können. Sie schnappte sich den Koffer und eilte in den Raum. Nachdem sie die Türe hinter sich geschlossen hatte, lehnte sie sich aufatmend gegen die Wand. Paul hatte nicht übertrieben, als er ihr bei ihrer Abreise aus England mitteilte, dass Kermit meist sehr einschüchternd wirkte, sie sich aber nicht davon beeindrucken lassen sollte. Hätte sie Paul nicht das Versprechen gegeben, bei Kermit zu bleiben, sie hätte längst die Flucht ergriffen. Die Bezeichnung einschüchternd traf Kermits Erscheinungsbild nur Teilweise, er wirkte absolut bedrohlich und höchst gefährlich auf sie, so dass ihr das erlebte Abenteuer in England beinahe harmlos dagegen vorkam.

Eins war ihr auf jeden Fall klar. Kermit war, genauso wie Paul, kein gewöhnlicher Mann. Eine düstere Aura umgab ihn und sie hatte zu ihrem Erstaunen keinerlei Informationen über ihn herausfinden können. Nachdem sie erfahren hatte, dass er, als Computerspezialist sein Geld verdiente, wusste sie weshalb. Allerdings machte er auf sie nicht den Eindruck, als würde er den gesamten Tag hinter dem Computer sitzen.

Müde massierte Jenna sich die Schläfen. Sie fragte sich, ob sie hier nicht vom Regen in die Traufe kam. Noch immer kam ihr alles Erlebte wie ein böser Traum vor. Sie konnte nicht fassen, dass sie sich nun plötzlich mitten in Sloanville in einer Wohnung eines fremden Mannes befand, der ihr Gänsehaut verursachte und von dem sie rein gar nichts wusste!

Jenna straffte sich. Es brachte ihr nichts, wenn sie sich so viele Gedanken machte. Sie musste einfach akzeptieren, dass sie jetzt hier war und versuchen, das Beste daraus zu machen. Ein Klopfen an der Tür ließ sie erschreckt zusammen fahren.

"Es wäre nett wenn sie sich aus ihrer Höhle wieder ins Wohnzimmer hinauswagen könnten. Wir haben einiges zu besprechen", ertönte eine sarkastische Stimme jenseits des Zugangs.

Jenna seufzte und wappnete sich innerlich gegen den Einfluss, den dieser Mann auf sie ausübte. Sie richtete sich gerade auf, rückte ihre grüne Sonnenbrille zurecht und machte sich auf den Weg ins Wohnzimmer.

Kermit saß auf dem Sofa, sein Jackett lag über dem Stuhl. Jenna starrte auf das Holster, in dem er seine Waffe, einen Desert Eagle, verstaut hatte und fröstelte. Ein Freund von Waffen war sie noch nie gewesen. So etwas hatte in ihrer ruhigen, heilen, leider total aus den Fugen geratenen Welt keinen Platz.

Zwei Kaffeetassen standen auf dem Tisch. Sie setzte sich leise seufzend auf den Platz an dem die zweite Tasse stand. Immer wieder schweifte ihr Blick zu der Waffe, ansonsten hielt sie den Kopf gesenkt, wohl wissend, dass Kermit sie mit Argusaugen beobachtete.

Das Schweigen wurde fast unerträglich. Sie spürte förmlich seinen brennenden Blick auf sich ruhen, doch sie konnte sich nicht überwinden aufzuschauen. Trotz ihrer Brille kam sie sich schutzlos vor. Sie wusste, gegen ihn hatte sie keine Chance. Er musste nur seine Waffe ziehen - wahrscheinlich brauchte er die nicht einmal - und schon war es mit ihr vorbei, was ihren Blick wieder zum besagten Objekt lenkte.

"Sie tun gerade so, als hätten sie noch nie eine Waffe aus der Nähe gesehen", kommentierte Kermit.

Jenna hüpfte in ihrem Sessel. "Sehr selten", gab sie nicht ganz ehrlich zu.

"Ach, habt ihr Cops in England keine Schießeisen?"

Erstaunt schaute sie nun doch auf. "Ich bin nicht bei der Polizei. Wie kommen sie denn darauf?"

Kermit nahm die Neuigkeit überrascht auf. Also hatte Paul ihm mit Absicht falsche Informationen gegeben. Das konnte nur bedeuten, dass hinter diesem Fall deutlich mehr steckte, als es den Anschein hatte. Ein leises, gegen Paul gerichtetes, Grollen konnte der Detective nicht zurück halten. Denn dieser ließ ihn wohl gerade allem Anschein nach ins offene Messer laufen. Stellte sich nur die Frage weshalb.

"Heraus mit der Sprache. Warum sind sie hier?", fragte er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete.

Jenna zog sich so weit als möglich in ihrem Sessel zurück. "Das weiß ich doch selber nicht", hauchte sie.

Kermit hob beschwichtigend die Hände und zwang sich ruhig zu bleiben. Die Frau machte auf ihn den Eindruck, als würde sie gleich vor Angst in Ohmacht fallen.

"Okay, also alles von vorne. Sämtliche Informationen, die ich erhalten habe, scheinen falsch zu sein. Erzählen sie mir wie sie Paul getroffen haben, damit wir Licht in dieses Dunkel bringen."

"Er stand an meinem Bett, als ich im Krankhaus aufgewacht bin", erwiderte sie einfach.

"Miss Carpenter, etwas muss dazu geführt haben, dass sie dort lagen. Ich habe keine Lust, ihnen alles aus der Nase zu ziehen. Erzählen sie schon!"

Jenna holte tief Luft und zog ein Kissen schutzbedürftig an ihren Körper. Noch einmal zogen all die Ereignisse der letzten Wochen an ihrem inneren Augen vorbei. Erneut spürte sie das Grauen. Mit tonloser Stimme begann sie schließlich zu erzählen:

"Ich werde von Firmen bezahlt, dass ich mich in ihr System hacke und so die Schwachstellen herausfinde und beseitige. Ich habe einen Auftrag von einer großen Firma in London erhalten und habe mich an die Arbeit gemacht. Dabei bin ich dann auf gewisse Unregelmäßigkeiten gestoßen, die mich irritiert haben. Es hat mich gewundert, dass manche Firmen E-Mails mit einem sehr komplizierten Code verschlüsselt hatten, und diese dann auch immer sofort an ein System außerhalb weitergeleitet wurden. Also habe ich mich daran gemacht, den Code zu knacken, was mir nach drei Tagen auch gelungen ist.

"Diese Nachrichten entpuppten sich als Pläne für den Sturz einer Regierung und ich merkte, dass das System der Firma nur für den Datentransfer benutzt wurde. Wie genau das ablief, habe ich bis heute noch nicht heraus gefunden. Ich tat das Erste was mir einfiel. Ich ging zur Polizei und teilte ihnen meine Entdeckung mit. Leider war es mir bis dahin noch nicht möglich gewesen, den Urheber der Mails zu ermitteln. Die Polizei bat mich daraufhin, weiter daran zu arbeiten, was ich auch tat.

"Zwei Wochen bin ich durch ein wahres Labyrinth von Computern und Datenströmen geirrt. Die Spur führte von einem Netzwerk zum anderen, so dass ich dachte den Verantwortlichen werde ich nie finden. Ich denke, das Glück stand auf meiner Seite, denn ich hatte endlich den Hostcomputer irgendwo in Costa Rica ausgemacht und bin dann auf einen Mann Namens Timothy Rogers gestoßen."

Kermit zuckte bei dem Namen zusammen. Der Name sagte ihm sehr viel. Rogers war ein Söldner, der so etwas wie ein Gewissen gar nicht kannte. Ein Menschenleben war Rogers rein gar nichts wert. Um das zu erreichen was er wollte, machte es ihm auch nichts aus, Kinder und Babys zu töten. Kermit war ihm damals, als er selbst noch Söldner gewesen war, mehrmals begegnet, doch es war ihm nie gelungen Rogers zu töten. Mit Grauen dachte er an diese Begegnungen zurück, besonders an die letzte, als Rogers mit einem kalten Grinsen auf dem Gesicht seinen eigenen Vater erschossen hatte.

Vor zwei Jahren hatte es geheißen Rogers wäre bei einer Operation im nahen Osten drauf gegangen und nun tauchte er plötzlich wieder auf. Kermit fühlte sich, als würden seine schlimmsten Albträume wahr werden. Es wunderte ihn absolut nicht mehr, dass Paul sich Jenna angenommen hatte und er, Kermit, sollte nun diesen Part übernehmen. Paul wusste, dass sie nirgendwo sicherer sein konnte als bei ihm. Mit einem beinahe unhörbaren Seufzer kehrte er zurück in die Gegenwart und hörte Jenna weiter aufmerksam zu.

"Nachdem ich wusste wer dahinter steckte, war es ein Kinderspiel für mich, den genauen Standort von Rogers heraus zu finden. Leider habe ich den Fehler gemacht und den Mann unterschätzt. Er muss wohl gemerkt haben, dass ihm jemand auf der Spur war, denn als sein Standort gestürmt wurde, war er weg. Ich habe dann zwar versucht seine Spur wieder auf zu nehmen, doch diesmal ließ mich das Glück im Stich. Irgendwo in Brasilien habe ich seine Spur verloren. Und ein paar Tage später explodierte eine Bombe in dem Polizeigebäude, in das ich zwischenzeitlich übergewechselt hatte."

Ihr Stimme brach. Kermit konnte förmlich spüren welche Qualen ihr diese Erinnerung brachte, zudem hielt sie das Kissen so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Gewaltsam zwang sie sich dazu weiter zu sprechen.

"Über hundert Menschen sind bei diesem Anschlag ums Leben gekommen, über hundert! Ich selbst bin im Krankenhaus wieder zu mir gekommen, wo ich Paul traf. Er nahm mich sozusagen unter seine Fittiche. Er überredete mich, nach Amerika zu fliegen, und den Job als Sicherheitsbeauftragte beim 101. Revier anzunehmen. Dabei musste ich ihm versprechen, bei ihnen zu bleiben, bis ich meinen Job antrete. Warum auch immer. Und so bin ich hier."

Kermit wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Ihm war klar, dass Jenna noch immer in größter Gefahr schwebte, ansonsten wäre sie nicht hier bei ihm.

"Es tut mir sehr leid, Miss Carpenter", erwiderte er hilflos.

Sie zuckte nur die Schultern und starrte blicklos vor sich hin, gefangen in der Erinnerung. Kermit erhob sich, für ihn wurde es allerhöchste Zeit, mit Paul Blaisdell Kontakt aufzunehmen. Irgendwie hatte er die Befürchtung, dass sie hier in der Wohnung auch nicht allzu sicher waren, nachdem er erfahren hatte, wer hinter dieser Sache stand. Genau in dem Moment klingelte das Telefon. Kermit hob ab.

"Griffin", bellte er in den Hörer.

"Und, alles erfahren, Griffin?", ertönte die Stimme Pauls am anderen Ende.

"Ja. Warum hast du nicht gleich gesagt was Sache ist?"

"Ich hielt es für besser. Es musste alles ganz normal aussehen. Noch ahnt keiner was. Allerdings solltest du schnellstens mit Jenna die Stadt verlassen. Rogers ist auf dem Weg hierher, wenn ich den Quellen glauben darf. Ein Leihwagen steht schon vor deiner Tür."

"Alles klar, Paul. Ich kümmere mich darum", erwiderte Kermit kurz und legte auf.

Mit ausdruckslosem Gesicht wandte er sich Jenna zu, die wie ein Häufchen Elend zusammen gekauert in dem Sessel lag.

"Ich fürchte, sie müssen ihren Koffer wieder packen, Miss Carpenter", meinte er so ruhig er konnte.

Jenna war inzwischen wieder soweit aus ihrer Erinnerung aufgetaucht, dass sie zwei und zwei zusammen zählen konnte. Die Wahrheit stand ihr glasklar vor Augen.

"Das am Telefon war Paul, ich habe seine Stimme erkannt. Ich bin nicht hier, um einen neuen Job anzutreten. Rogers ist immer noch hinter mir her, nicht wahr?"

Kermit nickte grimmig. "Ja. Und wir sollten schnellstens hier verschwinden. Beeilen sie sich bitte!"

"Wann ist dieser Alptraum nur vorüber?", wisperte sie mit einer Stimme, der man die Qual deutlich anhören konnte, bevor sie aufstand und packen ging.


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