Kapitel 10
Autor: Fu-Dragon

 

Cara erwachte mitten in der Nacht. Schlaftrunken tastete sie nach Kermit, doch der Platz neben ihr war leer. Mit einem Ruck kam sie zu sich und schaute sich suchend im Schlafzimmer um. Von ihrem Mann fehlte jede Spur. Unwillkürlich sprang sie aus dem Bett, warf sich ihren Morgenmantel über und begab sich auf die Suche nach ihrem Partner.

Sie fand ihn im Wohnzimmer. Er stand an der Fensterfront und starrte auf das Meer hinaus. Seine Schultern wirkten seltsam eingesunken, alles in allem machte er keinen fröhlichen Eindruck. Besorgnis überfiel die junge Frau. Auf leisen Sohlen trat sie zu ihm und schlang von hinten ihre Arme um seine Taille.

Der Cop wirbelte mit der Schnelligkeit einer Klapperschlange herum und fasste sie grob an den Schultern. Eine Sekunde später ließ er sie sofort los und trat zur Seite. Über sich selbst entsetzt, fuhr er sich mit beiden Händen über sein Gesicht.

"Tut mir leid, ich habe dich nicht kommen gehört. Ich dachte, du wärst ein Angreifer", entschuldigte er sich. "Habe ich dich verletzt?"

"Nein, hast du nicht. Du hast mir oft genug gesagt, dass ich mich nicht an dich heranschleichen soll. Ich bin also selbst schuld."

Da er keine Sonnenbrille trug, konnte Cara deutlich den Schmerz erkennen, der in seinen Augen lag. Sie lächelte ihn an, wollte ihm damit mitteilten, dass sie nicht böse auf ihn sei, denn sie bezog den Blick auf sich.

"Ich bin aufgewacht und habe dich vermisst. Ich machte mir einfach Sorgen, ob es dir gut geht", fühlte sie sich gezwungen anzufügen.

Abrupt drehte sich Kermit wieder herum und nahm seine ursprüngliche Position wieder ein.

"Es geht mir gut. Geh wieder ins Bett, Prinzessin", sprach er gegen das Glas.

Cara legte zögernd ihre Hand auf seine Schultern. Sofort verhärteten sich seine Muskeln und dies sagte der jungen Frau mehr als deutlich, dass es ihrem Ehemann im Moment alles andere als gut ging.

"Was ist los?", erkundigte sie sich leise.

Zu ihrer Erleichterung schüttelte er ihre Hand nicht ab, aber er machte auch keine Anstalten, sich zu ihr umzudrehen.

"Es ist nichts", erwiderte Kermit.

"Liebling, ich merke doch, dass du etwas hast. Langsam machst du mir Angst, so kenne ich dich gar nicht. Du weißt doch, dass du mit mir über alles reden kannst, oder etwa nicht?"

Ein furchtbarer Verdacht keimte in ihr auf. Da keine Antwort kam, fuhr sie beunruhigt fort: "Falls…wenn es wegen unserer Ehe ist. Ich…ich meine, falls du es dir doch anders überlegt hast und doch nicht mit mir zusammen sein willst, dann…"

Weiter kam die junge Frau nicht. Erneut wirbelte Kermit herum und schaute sie entsetzt an. "Cara, wie kannst du so etwas nur sagen? Ich liebe dich und daran wird nichts und niemand etwas ändern können. Du bist das Beste, das mir je passiert ist!", rief er aus.

"Wenn es das nicht ist, was ist es dann? Du bist gerade vollkommen verändert und es verletzt mich, dass du anscheinend nicht mit mir über das reden kannst, was dich bedrückt." Nur mit Mühe unterdrückte sie ein Schluchzen. "Geht es um irgend so eine Geheimsache, von der du mir nichts erzählen darfst?"

Kermit rieb sich über die Augen. "Nein, ich kann schon darüber reden." Er stockte.

Mit großen Augen beobachtete Cara den inneren Kampf, den ihr Ehemann wohl gerade führte. In schneller Reihenfolge zeichneten sich die verschiedensten Emotionen in seinem Gesicht ab. Ohne seine Brille wirkte alles um einiges intensiver. Trauer, Wut, Angst, das alles konnte sie erkennen.

Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis Kermit ihre Hand ergriff und sie zum Sofa führte. Er deute ihr an, sich zu setzen und nahm neben ihr Platz. Allerdings ließ er so viel Abstand zwischen ihnen, dass er sie nicht berührte.

Caras Augen glitzerten hell in dem einfallenden Mondlicht. Der ehemalige Söldner konnte deutlich ihre Besorgnis und Verletzlichkeit erkennen. Eine einzelne Träne, die sich ihren Weg bahnte, gab den Ausschlag.

Flüchtig berührte er ihre Hand. Dann griff er nach seiner Brille, seinem Panzer vor der Welt. Nachdenklich betrachtete er das Plastikgestell und drehte es zwischen seinen Fingern hin und her. Schließlich kam er zu dem Entschluss, wenn er ihr sich schon offenbarte, dann sollte seine Prinzessin auch sehen können, was in ihm vorging und legte sie zurück auf den Tisch.

"Du erinnerst dich sicher an das Gespräch, das wir im japanischen Garten geführt haben", begann er.

Cara nickte nur und rückte ein winziges Stückchen an ihn heran. "Ja, ich fragte dich, warum du dich so für Elroy einsetzt und du wolltest mir keine Antwort darauf geben."

"Genau. Moment noch."

Der ehemalige Söldner erhob sich und ging zur Hausbar. Er öffnete sie und zog die angebrochene Flasche Whisky heraus. Er hielt sie in Caras Richtung.

"Willst du auch?"

"Nein, Danke. Das ist mir zu stark."

Er zuckte nur die Schultern und schenkte sich sein Glas halbvoll, einige Eiswürfel landeten auch noch darin. Während er sich einschenkte, überlegte er fieberhaft, wie er das Gespräch führen sollte und wappnete sich innerlich gegen die Qual, die die Unterhaltung ohne Zweifel mit sich bringen würde. Ziemlich langsam steuerte er auf die Couch zu und setzte sich umständlich.

"Ich hatte einen Bruder", begann er unvermittelt.

"Du hast was?", entfuhr es Cara erstaunt. "Du hast ihn mir gegenüber nie erwähnt. Ich kenne nur deine Mutter, deine Schwester und ihre drei Kinder."

"Hatte, die Betonung liegt auf hatte. Er ist tot." Als Cara etwas sagen wollte, hob er die Hand. "Prinzessin, tu mir den Gefallen und unterbrich mich nicht, es fällt mir auch so schwer genug, darüber zu reden."

Mitleidig sah sie ihn an und nickte zustimmend. Sie griff nach einem Kissen und zog es auf ihren Schoß, ihre Aufmerksamkeit voll und ganz auf ihn gerichtet.

"Sein Name war David. David Jeremiah Griffin. Er starb am 13. Mai 1987." Kermit hielt inne, um sich zu sammeln. Anfangs stockend, dann immer flüssiger begann er zu erzählen. "David war der Jüngste von uns dreien. Ich bin neun Jahre älter als er. Er war ein Nachzügler, meine Mutter war schon in der Menopause. Umso überraschender war es für sie, als es hieß, sie ist schwanger. Sie sah es als Geschenk Gottes an und war ganz aus dem Häuschen. Ich muss sagen, als uns Mom mitteilte, sie erwartet noch ein Kind, war ich sehr eifersüchtig, denn alles drehte sich nur noch um den Zuwachs. Doch dann, als David geboren wurde und ich ihn zum ersten Mal sah, waren alle negativen Gefühle wie weggeblasen. Ich verfiel dem kleinen Kerl sofort."

Kermit musste lächeln, als er an jenen, ganz besonderen Moment dachte. Gleich darauf wurde er wieder ernst.

"David wurde von uns allen verwöhnt und verhätschelt. Er und ich waren unzertrennlich. Ich brachte ihm all die kleinen Dinge bei, die Jungs eben so tun und wir hatten immer unseren Spaß. Kurzum waren wir eine große, glückliche Familie, auch wenn unser Dad immer mal wieder für Wochen oder Tage von der Bildfläche verschwand. Damals wussten wir nicht, dass er ein Söldner war. Und dann, dann änderte sich alles. Mein Vater wurde, wie so viele andere auch, einberufen und nach Vietnam geschickt. Als er nach einer Kriegsverletzung zu uns zurückkehrte, hatte er sich total verändert. Er trank viel und es rutschte ihm immer öfter die Hand aus. Ich versuchte so gut es ging, meine jüngeren Geschwister zu schützen und bekam so den Großteil seiner Attacken ab. Das war die Zeit, wo wir froh waren, wenn er zu einer seiner Missionen aufbrach."

"Oh Gott, ist das furchtbar. Es tut mir so leid", flüsterte Cara. Ihre Augen schimmerten feucht. Sie streckte die Finger nach ihm aus, zog sie aber gleich zurück, als er abwehrend den Kopf schüttelte.

Kermit schluckte hart an dem Kloß, der sich in seiner Kehle bildete. Er musste sich räuspern, bevor er fort fahren konnte. "Eines Tages, ganz genau eine Woche nach meinem 17. Geburtstag, klingelte es an unserer Türe. Paul Blaisdell stand dort."

"Peters Vater, DER Paul Blaisdell?", rief Cara erstaunt aus.

Kermit nickte. "Genau der. Er teilte uns mit, dass mein Vater in Ausübung seiner Pflicht erschossen worden ist. Erst da erfuhr ich, was er beruflich gemacht hatte. Ich war stinksauer, hätte das nie vermutet. Immerhin lebten wir damals in einem kleinen Dorf, hatten ein kleines Häuschen mit einem Gartenzaun drum herum. Gerade so, wie man sich die ländliche Idylle vorstellte und dann stellte sich so etwas heraus." Mühsam unterdrückte er den aufwallenden Zorn.

"Paul blieb ein paar Tage bei uns, er fing uns quasi auf. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mich fragte, warum unser Vater nicht so liebevoll und einfühlsam hatte sein können wie Paul."

Kermit fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und trank einen großen Schluck vom Whisky. Die Erinnerung nahm ihn mehr mit, als er sich zugestehen wollte, trotzdem erzählte er weiter, froh dass Cara sich an seine Bitte hielt und keine Fragen stellte.

"Als Paul uns verließ, ging es steil bergab. Meine Mutter war nie das, was man als selbstständig bezeichnen konnte. Sie war mit uns drei Kindern vollkommen überfordert und wir landeten schließlich bei einer Tante in der Großstadt. Sie war eine sehr strenge Frau und ich musste zusehen, wie meine Geschwister von Tag zu Tag trauriger wurden. Sie verloren ihr fröhliches Lächeln und in mir wuchs immer mehr die Wut auf Gott und die Welt.

"Als der Älteste versuchte ich alles menschenmögliche, Marilyn und David dort heraus zu holen. Ich schuftete von morgens bis abends, um genug Geld anzusparen, damit ich an meinem 18. Geburtstag dort ausziehen und meine Geschwister mit mir nehmen konnte. Ich hatte schon den Antrag auf Sorgerecht gestellt, da machte ich einen der größten Fehler meines Lebens. Ich wurde Zeuge, wie ein Typ seine Freundin verprügelt und ich griff ein. Es entbrannte eine Schlägerei und ich nahm das zum Anlass meinen gesamten Groll heraus zu lassen, alles bekam der Kerl ab. Es endete damit, dass ich den Widerling beinahe totgeschlagen hätte, hätten mich nicht zwei Polizisten in letzter Sekunde zurück gehalten, die das Mädchen gerufen hatte."

Wiederum nippte Kermit von dem bernsteinfarbenen Getränk. Er vermied es, seine Frau anzusehen, denn er wollte nicht die Abscheu in ihren Augen lesen was für ein furchtbarer Kerl er gewesen war.

"Es kam wie es kommen musste, ich landete im Knast. Unsere Tante flippte vollkommen aus. Sie war der festen Überzeugung, ich stünde mit dem Teufel im Bunde und weigerte sich, mich weiterhin bei ihr wohnen zu lassen. Sie ließ kein gutes Haar an mir. Bei der Polizei sagte sie aus, ich hätte schon immer gewalttätige Tendenzen gehabt."

Kermit lachte humorlos. "Wäre Paul nicht gewesen, ich würde wohl noch immer im Knast versauern. Ihm war es zu verdanken, dass ich keine Jugendstrafe bekam. Wie er es machte, das weiß ich bis heute nicht. Der Knackpunkt bei der Sache war allerdings, dass ich die Stadt verlassen musste und meine Geschwister nur zum Abschied wieder sehen durfte. Sämtliche Chancen auf das Sorgerecht habe ich mir dadurch versiebt, das habe ich mir bis heute nicht verziehen. Besonders David nahm das alles gar nicht gut auf. Er hieß mich alles mögliche, seine letzten Worte an mich lauteten: 'Ich hasse dich'.

Kermits Stimme brach. "Entschuldige mich einen Moment", würgte er hervor. Dann sprang er auf und eilte ins Badezimmer. Die Wucht der Emotionen ließ den ehemaligen Söldner in die Knie sinken. Er lehnte seine erhitzte Wange gegen die kühlenden Kacheln und kämpfte darum, seinen fliehenden Atem unter Kontrolle zu bringen.

Mehrere Minuten vergingen, bevor er sich wieder im Griff hatte. Ächzend erhob er sich, ließ kaltes Wasser in das Waschbecken einlaufen und benetzte sich damit das Gesicht. Mit geschlossenen Augen stand er da und machte sich selbst Mut. *Du hast es soweit geschafft, den Rest bringst du auch noch hin.* Bevor er es sich anders überlegen konnte, drehte er sich auf dem Absatz um und kehrte zu Cara zurück.

Sie saß noch genauso da, wie er sie verlassen hatte und schaute ihm entgegen. Einzig ihre Finger hatte sie jetzt in das Kissen verkrallt. Er versuchte in ihren Augen zu lesen, doch zum ersten Mal in seinem Leben konnte er nicht erkennen, was in ihr vorging. Immerhin war sie nicht geflüchtet, das gab ihm Hoffnung, dass sie ihn nicht allzu sehr verabscheute.

"Geht es wieder?"

Die gewisperte Frage riss Kermit aus den Gedanken. Er nickte und fuhr dann fort. "Ich musste also die Stadt verlassen mit der Auflage, nicht mehr wieder zu kommen. Wie du dir vorstellen kannst, schürte das meine Wut nur noch. Ich beschloss, in die Fußstapfen meines Vaters zu treten. Es war mir zu dem Zeitpunkt vollkommen egal, ob ich lebte, oder sterben würde. Da kam mir so ein Leben auf der Schattenseite nur recht.

"Erneut stand Paul Blaisdell plötzlich vor mir. Als er merkte, dass er mich nicht von meinem Vorhaben abbringen konnte, nahm er mich unter seine Fittiche und brachte mir alles bei, was man bei einem Einsatz wissen musste. Nur dank Paul überlebte ich die ersten Monate. Er brachte mich dazu, meinen Hass auf alles und jeden heraus zu lassen und mein Denken schwenkte langsam um. Jung wie ich war, lockte mich dann neben dem Nervenkitzel auch das Geld, aus diesem Grund behielt ich den Beruf. Ich schickte alles, was ich entbehren konnte Marilyn, damit diese wenigstens an ihrem 18. Geburtstag dieses schreckliche Haus meiner Tante mit David verlassen konnte, was auch gelang. Marilyn zog in eine andere Stadt und so konnte ich beide auch wieder besuchen."

Der Detective lachte rau, es klang alles andere als fröhlich. "Ich hätte wissen müssen, dass David und ich aus dem gleichen Holz geschnitzt sind. Unser erstes Treffen nach meinem 'Hinauswurf' verlief nicht gerade gut. Er machte mir schwerste Vorwürfe und verhielt sich absolut unversöhnlich mir gegenüber. Es brauchte beinahe anderthalb Jahre, bis wir wieder einigermaßen normal miteinander umgehen konnten.

"Es schien sich alles zum Besseren zu wenden, ich versuchte so oft wie möglich bei Marilyn und David zu sein und hatte das Gefühl, wir wachsen wieder mehr zusammen. Dann kam der Schock. Ich kam von einer Mission zurück, da lag ein Brief von Marilyn in meinem Postfach. Sie bat mich inständig zu kommen, denn David würde sich immer unmöglicher benehmen und bräuchte eine starke Hand, die ihn wieder auf den Weg bringt."

Kermit rieb sich nachdenklich über das stoppelige Kinn und schluckte trocken. "Ich ließ alles stehen und liegen und fuhr sofort zu ihr. Was mich erwartete, war der blanke Horror. David hatte sich ein paar ziemlich miesen Typen angeschlossen und zog mit ihnen durch die Gegend. Sein Wesen war vollkommen verändert, Marilyn kam nicht mehr zu ihm durch – ich auch nicht. Da stellte sich heraus, dass David Heroinabhängig war. Ich entdeckte sein Fixerbesteck, als ich sein Zimmer durchsuchte, als er wieder mal auf Sauftour war."

Der ehemalige Söldner verkrampfte die Finger in seinem Schoß, als er bemerkte, wie sehr sie zitterten. "Ich machte kurzen Prozess. Ich rief Paul an und er sagte mir zu, dass ich seine Blockhütte benutzen konnte. Nachdem ich mich über Heroinsucht, den Entzug und alles weitere schlau gemacht hatte, entführte ich David einfach zu der Hütte und zwang ihn zu einem kalten Entzug. Die Einzelheiten darüber erspare ich dir, es war einfach nur grausam."

Kermit griff nach dem Glas und leerte den Rest in einem Zug. "Vier Wochen später kehrte ich mit einem geläuterten David zu Marilyn zurück. Ich sagte alle Missionen ab und blieb ein halbes Jahr bei den beiden, denn ich wollte sicher gehen, dass David nicht rückfällig wird. Dann rief leider wieder der Ernst des Lebens, aber ich ging in dem guten Gefühl, dass sich David nun auf dem richtigen Weg befand. Niemand war wohl stolzer als ich, als er mich ein paar Monate später anrief und mir freudig verkündete, dass er die Aufnahmeprüfung für die Polizeiakademie geschafft hatte."

Kermits Herz zerriss es fast, nun kam der traurige Teil. Er musste sich dazu zwingen, weiter zu reden. "David war ein guter Polizist. Den Instinkt hat er wohl von unserem Vater geerbt, oder auch von mir, jedenfalls kletterte er ziemlich schnell die Karriereleiter hinauf. Ich war nicht sonderlich erbaut davon, als David ins Drogendezernat wechselte, auch wenn ich seine Gründe dafür nachvollziehen konnte. Er wollte einfach den Jugendlichen helfen, damit sie nicht dasselbe mitmachen mussten wie er. Eines Tages klingelte es an meiner Türe und David stand da. Er eröffnete mir, dass er soeben seinen ersten Undercoverauftrag erhalten hatte und wollte sich Tipps von mir holen. Er sollte einen Drogenring unter der Leitung von Douglas Larson unterwandern.

"Schon als er mir das erzählte, verspürte ich ein ungutes Gefühl im Magen. Ich forschte nach, wer dieser Larson war und was ich las, gefiel mir absolut nicht. Der Typ hatte kein Gewissen und brachte alle um die Ecke, die ihm im Weg standen. Ich bat David, den Auftrag sausen zu lassen, doch er schlug all meine Bedenken in den Wind. Ich konnte ihn nicht umstimmen. Leider war es so, dass ich am nächsten Tag für einen wichtigen Spezialauftrag das Land verlassen musste und das konnte ich nicht aufschieben, denn es standen viele Menschenleben auf dem Spiel. Ansonsten wäre ich David gefolgt und hätte ihn überwacht…Hätte ich es nur getan."

Kermits Stimme bebte. Wiederholt fuhr er sich durch die Haare. Es kostete ihn seine gesamte, restliche Kraft auch das letzte Kapitel auszuführen.

"Auf dem Rückflug von meiner Mission erreichte mich die Nachricht, dass David umgebracht worden ist. Ich musste nach Florida, um ihn zu identifizieren. Zum Glück war Paul bei mir, er arrangierte alles Wichtige, denn ich fühlte mich nicht imstande, es selbst zu tun. Ich werde nie vergessen wie David auf dieser Bahre lag, so leblos und kalt. Diesem Tier, Douglas Larson, hat es eine unheimliche Freude bereitet, David zu foltern. Irgendwie hat er heraus bekommen, dass David Drogensüchtig gewesen ist. Dieses Schwein ging hin und pumpte David voll Heroin. Dann hat er zugesehen, wie er elendig verreckte und ihn in einer Seitengasse wie ein Stück Abfall beseitigt. David erstickte an seinem eigenen Erbrochenen."

Schluchzer erfüllten den Raum. Es dauerte eine Weile, bis Kermit registrierte, dass er es nicht war, der diese Töne verursachte. Mühsam hob er den Kopf und schaute zu seiner Frau. Sie saß da, ein Sturzbach von Tränen ergoss sich über ihre Wangen. Was er nicht konnte, tat sie für sie beide. Er fühlte sich nur noch leer und ausgelaugt.

"Oh Gott, das ist so furchtbar. Kermit, es tut mir so leid. Ich…ich."

Ihr fehlten die Worte, doch die waren auch nicht nötig. Ihr Blick sagte alles, was sie empfand. Ohne sich dessen bewusst zu werden, griff Kermit nach seiner Frau und zog sie an sich. Wie ein Ertrinkender klammerte er sich an sie und vergrub das Gesicht in ihren Haaren. Ihre Wärme und Nähe tat ihm gut, er spürte ihre Trauer um den unbekannten Menschen so deutlich, dass sie sich mit der seinen vermischte. Was er all die Jahre nicht so richtig getan hatte, geschah nun – er ließ los. All die aufgestauten Gefühle, die Trauer, der Zorn, die Sehnsucht, der Verlust entluden sich in einer Kaskade von heilenden Tränen.

Wie lange sie so da saßen, eng aneinander geschmiegt, den Schmerz verarbeitend, konnte Kermit nicht sagen. Nur langsam und zögernd lösten sie sich voneinander. Cara zog ein paar Tücher aus einer Box vom Tisch und reichte einige an Kermit weiter. Zeitgleich putzten sie sich die Nasen.

Cara unterbrach die darauf folgende Stille. "Gott, ich hoffe von ganzem Herzen, dass sie diesen Unmensch irgendwann schnappen und ihn seiner gerechten Strafe zurühren."

Ein grimmiger Ausdruck überzog Kermits Gesicht. "Der Typ sitzt schon hinter Gittern, ich habe ihn vor einiger Zeit in Florida geschnappt."

"Was? Und er lebt noch?", stieß Cara hervor.

"Ja, aber es war nicht mein Verdienst, sondern Davids."

"Wie meinst du das?"

"Ob du es glaubst oder nicht…ich hatte den Typ direkt vor mir, zielte mit meiner Waffe auf ihn und wollte ihn töten. Er kniete auf dem Boden und bettelte mich an, ihn nicht zu erschießen. Ich hatte den Finger schon am Abzug, da hörte ich plötzlich Davids Stimme. Er flüsterte mir zu, dass ich mich nicht unglücklich machen soll. Immerhin wäre es glatter Mord gewesen und ich wäre statt seiner im Gefängnis gelandet. Weiterhin sagte er mir, dass ihm jetzt gut geht und dass er mich liebt. Er flehte mich an, quasi als seinen letzten Wunsch, dass ich sein Leben verschone. Das habe ich dann auch getan."

"Wow", war alles, was Cara hervor brachte.

"Ja, das dachte ich auch." Kermits Lippen verzogen sich zu einem teuflischen Grinsen. "Larson wird im Gefängnis verrotten bis zu seinem Lebensende und ich habe dafür gesorgt, dass er Zeit seines erbärmlichen Lebens daran denken wird, weshalb er dort gelandet ist."

"Uh, will ich wissen, was du getan hast?", erkundigte sich Cara.

"Nein, das willst du nicht. Einer der Wärter im Gefängnis war Davids bester Freund, den Rest kannst du dir vorstellen."

"Lieber nicht, sonst bekomme ich noch Alpträume", meinte die junge Frau ehrlich. Sie musterte ihren Mann von oben bis unten. "Wie geht es dir jetzt?"

Kermit verzog die Lippen zu etwas, das ein Lächeln andeuten sollte. "Haben wir nicht dasselbe Frage- und Antwortspiel erst vor ein paar Nächten hinter uns gebracht, nur mit getauschten Rollen?"

Cara zuckte nur die Schultern und schaute ihn auffordernd an.

"Also gut, es geht mir besser. Der Schmerz selbst wird nie ganz vergehen, da mache ich mir keine Illusionen und ich vermisse David noch immer unglaublich, aber ich weiß nun mit wem ich über alles reden kann, wenn mich die Erinnerung überwältigt." Dankbar ergriff er Caras Rechte und hauchte einen Kuss auf ihr Handgelenk.

Ihr schönes Gesicht umwölkte sich. "Kermit, es tut mir so leid, dass ich dich quasi dazu getrieben habe, dich mir zu offenbaren. Hätte ich geahnt, weshalb du im japanischen Garten so reagiert hast, hätte ich meinen vorlauten Mund gehalten."

"Du musst dir keine Vorwürfe machen. Zugegeben, heute Mittag war ich sauer, aber jetzt bin ich froh, dass du mich soweit gebracht hast. Mir war gar nicht klar, was ich alles zurück gehalten habe. Du hattest Recht mit dem, was du vor ein paar Tagen zu mir sagtest. Es wurde wirklich Zeit, dass du mehr über mich erfährst. Ich fürchtete nur, nachdem du alles weißt, wirst du dich von mir abwenden."

Cara schüttelte wild ihre blonde Mähne. "Herrgott noch mal, was geht nur in deinem Kopf vor? Wenn ich mich recht entsinne lautete unser Eheversprechen unter anderem: in guten wie in schlechten Tagen. Ich habe es dir schon einmal gesagt und ich teile es dir noch einmal mit, wenn es sein muss auch jeden Tag, bis du es endlich kapierst: Ich bin keine Schönwetterehefrau, ich bin auch für dich da, wenn es dir nicht gut geht. Ich will alles mit dir teilen, das Positive und auch das Negative. Denn ich liebe dich!"

"Und deswegen liebe ich dich umso mehr. Du ahnst gar nicht, was es für mich bedeutet, dass du so unerschütterlich zu mir stehst und an mich glaubst."

"Würde ich das nicht tun, hätte ich dich nicht geheiratet.", erwiderte sie einfach, dann beugte sie sich vor und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen.

Als sie sich von ihm löste, glitzerte es erneut verdächtig feucht in ihren Augen.

"Nicht mehr weinen", bat Kermit. "Wir sehen jetzt schon aus wie Zombies mit unseren roten Augen."

Sie schenkte ihm ein nicht ganz echtes Lächeln. "Ich werde es versuchen, aber ich kann mir nicht helfen, ich muss einfach gerade immer wieder an David denken. Ich hätte ihn so gerne kennen gelernt, er muss ein wunderbarer Mensch gewesen sein."

"Oh ja, das war er", erwiderte Kermit sehnsuchtsvoll, gleichzeitig unterdrückte er ein Gähnen.

Unvermittelt erhob er sich und reichte seiner Frau die Hand. "Wie wäre es, wenn wir im Bett weiter reden? Ich bin so dermaßen erledigt nach meinem Geständnis, dass mir langsam aber sicher die Augen zufallen." Tief blickte er in ihre Augen. "Ich brauche dich jetzt ganz nah bei mir, Prinzessin."

"Gute Idee, mir geht es auch nicht anders."

Die junge Ehefrau ließ sich von ihm hochziehen. Eng aneinander geschmiegt schlenderten sie ins Schlafzimmer. Sie trennten sich kurz, um ins Bett zu steigen, dort rollte Cara sofort auf Kermits Seite und kuschelte sich eng an ihn. Sie redeten noch eine kleine Weile, spendeten sich gegenseitig Trost, dann wurde es ruhiger. Sie hielten sich gegenseitig fest, als wollten sie sich nie wieder los lassen und schliefen so schließlich ein.

**********

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Cara wieder erwachte. Das regelmäßige Heben und Senken von Kermits Brust unter ihr Wange machte ihr deutlich, dass er noch im Traumland verweilte. Selbst im Schlaf hielt er sie so fest umfangen, dass sie sich kaum bewegen konnte. Behutsam, um ihn nicht zu wecken, ergriff die junge Frau einen seiner Arme und schob ihn etwas nach unten, was ihr mehr Bewegungsfreiheit brachte.

Vorsichtig hob sie ihren Kopf und musterte ihren Ehemann eingehend. Eine steile Falte hatte sich auf seiner Stirn gebildet und sie fühlte sich in Versuchung, das sichtbare Zeichen der Tortur der vergangenen Nacht einfach wegzuküssen. Ansonsten wirkte er relativ friedlich, beinahe verletzlich.

Während sie ihn so betrachtete, spürte Cara etwas ähnliches wie Stolz in sich aufsteigen. Das Wort traf es nicht genau, doch sie konnte keine andere Umschreibung dafür finden. Sie wusste, wie viel Mut und Überwindung es ihn gekostet hatte, sich ihr gegenüber zu öffnen. Kermit war ein Mann, der seine Gefühle und Emotionen anderen gegenüber stets unter Verschluss hielt. Selbst bei ihr hatte es eine ganze Weile gedauert, bis er langsam aufgetaut war. Jedes Mal, wenn er ihr zuflüsterte, dass er sie liebte oder sie küsste, fühlte sie sich, als hätte sie ein ganz besonderes Geschenk bekommen. Er offenbarte ihr eine Seite an sich, die andere nie zu Gesicht bekamen, das stellte sie immer wieder fest. Dies war einer der Gründe, weshalb sie ihn so abgöttisch liebte. Irgendwie hatte sie auch das Gefühl, als wären gestern die letzten Schranken zwischen ihnen gefallen.

Sie spürte, wie ihre Augen schon wieder feucht wurden, als sie daran dachte, was Kermit in seiner Jugend, und auch hinterher, alles mitgemacht haben musste. Nachdem sie das nun wusste, konnte sie sehr viel besser nachvollziehen, warum er sich meist so misstrauisch verhielt und er lange brauchte, bis er jemanden an sich heran lies. Er war von den Menschen, denen er am meisten vertraute furchtbar enttäuscht worden. Auch wenn er es nicht direkt gesagt hatte, war diese Botschaft gestern deutlich herüber gekommen, besonders im Part über seinen Vater. Sie konnte sich nicht im Entferntesten vorstellen, wie sich das angefühlt haben musste. Er musste unter einem furchtbaren Druck gestanden haben, das stand für sie fest. Wie jemand all das ertragen konnte war ihr schleierhaft. Sie war sicher, sie wäre über so etwas zerbrochen.

"Gefällt dir, was du siehst?", fragte eine vom Schlaf raue Stimme.

Cara zuckte zusammen. Schnell fasste sie sich und zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen.

"Oh ja, sehr sogar. Guten Morgen, Schatz."

"Guten Morgen, Prinzessin. Gut geschlafen?"

"Wie ein Stein", gab sie zu. "Und du?"

"Ebenfalls." Er strich sanft über ihren Rücken, was sie erschauern ließ. "Und wie geht es dir heute?"

Cara bewegte probehalber ein Bein und verzog gleich darauf das Gesicht. "Uh, abgesehen von einem ausgewachsenen Muskelkater geht es mir gut. Die Frage geht direkt an dich zurück, wie geht es dir?"

"Weitaus besser als gestern. Es mag sich seltsam anhören, aber ich fühle mich sehr erleichtert, dass du diesen Teil meines Lebens nun auch kennst."

"Das hört sich überhaupt nicht seltsam an. Du trägst so viel Ballast mit dir herum, ich wünschte, du könntest mir wirklich alles über dich erzählen. Ich bin sicher, da gibt es noch vieles mehr – unter anderem auch Dinge, die ich nie erfahren werde."

Kermit seufzte zustimmend. "Ich kann dir da nicht widersprechen. Ich habe viel erlebt und durchgemacht. Manche Dinge kann ich dir vielleicht irgendwann mitteilen, anderes wiederum ist klassifiziert und ich darf darüber nicht sprechen."

Traurigkeit überschattete Caras hübsches Antlitz. "Ich würde dir so gerne bei all deinen Problemen beistehen, aber ich weiß, dass ich das nicht kann. Ich…"

Ein Finger legte sich auf ihre Lippen. "Nein, Prinzessin, mach dich bitte nicht verrückt mit all den Dingen, die nicht in deiner Hand liegen. Was geschehen ist, ist geschehen und vieles in der Vergangenheit lässt man besser ruhen. Ich möchte nicht, dass solch trübe Gedanken unsere Flitterwochen beeinträchtigen. Wenn wir wieder Zuhause sind, können wir uns gerne über das Thema weiter unterhalten, aber für jetzt schlage ich vor, dass wir uns wieder den schönen Dingen des Lebens zuwenden. Einverstanden?"

Cara biss Kermit leicht in den Finger, bis dieser ihn zurückzog. Ihre Blicke versanken ineinander, ihrer forschend und suchend, seiner ruhig und gefasst. Kermit teilte ihr wortlos mit, dass er seine Worte ernst meinte und nicht vorhatte, sie mit nichtssagenden Phrasen abzuspeisen. Sie glaubte ihm und musste ihm Recht geben. Flitterwochen waren nicht dazu da, um sich mit unangenehmen Dingen herum zu schlagen. Zwei Nächte, zählte man den Überfall mit, reichten da vollauf.

Zufrieden lehnte sie ihren Kopf gegen seine Schulter. "Okay, einverstanden. Was machen wir heute?"

Kermits Brustkorb vibrierte vor unterdrücktem Lachen. "Das nenne ich mal einen gekonnten Themawechsel. Was hältst du von einem ausgiebigen Brunch im Bett und einer anschließenden, ganz speziellen Griffin Massage, die deine wunden Muskeln im nu lockern wird?"

"Damit bin ich sofort einverstanden. Es lohnt sich, einen Shaolin zu kennen, der einem so etwas beibringen kann, nicht wahr?"

Kermit bleckte die weißen Zähne. "Erwischt", bekannte er freimütig.

"Und was machen wir hinterher?"

"Dann schauen wir einfach, was der Tag so bringt und genießen unsere letzten knapp 80 Stunden hier, wie immer wir es wollen. Na, wie hört sich das an?"

"Himmlisch, einfach nur himmlisch", seufzte Cara selig.


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