Anstelle einer Erwiderung lächelte Caine, erhob sich und traf unter Peters und Johns neugierigen Blicken letzte Vorbereitungen für die rituelle Beschwörung, die den Übergang ermöglichen würde. Er entzündete einige zusätzliche Kerzen, so dass sie einen schützenden Lichtkreis bildeten und warf einige Kräuter in eine kleine Feuerschale, wo sie mit einem leisen Zischen in Rauch aufgingen. Peter wusste, dass dies den Raum von negativen Energien reinigen würde. Was sie vorhatten, war, auch ohne störende Einflüsse von außen, gefährlich genug. Wieder zurück im Kreis, wies Caine den Inspektor an, die Bücher entsprechend der Zeichnung zu positionieren. Wie abgebildet, legte John sein Kreuz als Bindeglied zwischen die geöffneten Seiten, behielt aber die Kette weiterhin in der Hand. Ein schwaches Leuchten zeigte an, dass es auf die beiden gegensätzlichen Magien reagierte. "Nehmt meine Hände und berührt mit den Fingern eurer anderen Hand das Kreuz." Mit ruhiger, beinahe monotoner Stimme gab Caine seine Anweisungen. Bereitwillig befolgte Peter die Worte seines Vaters und ergriff dessen ausgestreckte Hand. Sofort spürte er die starke Energie, die von ihm ausging, und öffnete sich, damit sich ihre Chis vereinigen konnten. Als er mit der anderen Hand das Kreuz berührte, nahm er erstaunt die Wärme wahr, die es ausstrahlte. "Schließt die Augen und lasst das Bild der Drachenwelt vor eurem inneren Auge erstehen", führte der Priester sie weiter durch das Ritual. "Konzentriert euch auf dieses Bild und eure Aufgabe, dann wird sich das Portal öffnen." Peter fühlte sich plötzlich in seine Vision zurückversetzt. Deutlich sah er wieder den Tempel am Fuß des Vulkanes und die karge Landschaft außen herum. Das Bild schien von Sekunde zu Sekunde realer zu werden. Die Farben verstärkten sich und mit ihnen das Gefühl der Trostlosigkeit, das davon ausging. Plötzlich glaubte er den Geruch von Asche und Rauch wahrzunehmen. Unwillkürlich sog Peter die Luft ein. Trockene, staubige Hitze traf seinen Lungen unvorbereitet. Er kämpfte gegen den aufkommenden Hustenreiz, öffnete er die Augen und stellte fest, dass er sich bereits mitten in Sun Longs düsterem Reich befand. Wie gebannt betrachtete er den vor ihm in den schmutzig grauen Himmel ragenden, rauchenden Vulkankegel. In seinen Schatten schmiegte sich der Tempel des Drachenfürsten an die raue Bergflanke, gerade so, als suche er dort Schutz. Ein raues Räuspern ließ den Detective herumfahren. Sein Blick fiel auf John, der ebenfalls mit dem Staub in der Luft zu kämpfen hatte. Außerdem schien er von der Dimensionsreise noch etwas benommen. "Sind Sie okay, John?", erkundigte sich Peter, doch ein kurzes Nicken seines Gegenübers bewies ihm, dass seine Sorge unbegründet war. Gemeinsam machten sie sich auf, um zunächst den Tempel näher in Augenschein zu nehmen. Obwohl es hier am Fuß des Berges kaum Möglichkeiten für einen Hinterhalt gab, suchte Peter vorsichtshalber immer wieder die Umgebung ab. Immerhin mussten sie damit rechnen, dass Sun Long ihr Eindringen in seine Welt bemerkt hatte. Beinahe bedauerte er nun, seine Waffe nach der Meditation nicht wieder angelegt zu haben. Aber irgendwie hatte der Shaolin in ihm die Oberhand gewonnen und entschieden, dass es nicht richtig wäre, sie auf diese Reise mitzunehmen. *Du benötigst deine Waffe nicht, mein Sohn!*, erklangen prompt Caines ermunternde Worte in Peters Kopf. *Ich weiß, Paps. Es gibt immer einen anderen Weg!* Unwillkürlich strich er mit der Hand über das Amulett an seinem Hals und nahm dankbar die beruhigende Präsenz seines Vaters in sich auf. *** Unbehelligt gelangten sie nach kurzer Zeit bis an die Mauern des kleinen Gebäudekomplexes. John zog seine Waffe und schlich an der Mauer entlang zum hölzernen Tor, das einladend einen Spalt weit offen stand. Einen Augenblick später schlüpfte der Geiserjäger hindurch und verschwand aus Peters Blickfeld. Der Detective zögerte leicht. Mit jeder Faser seines Körpers spürte er die drohende Gefahr. Irgendwer oder irgend etwas erwartete sie dort drinnen. Er atmete einmal tief durch, dann folgte er dem Inspektor sehr vorsichtig und betrat den - leeren - Hof. Niemand war zu sehen, auch der Geisterjäger war verschwunden. Dennoch konnte Peter Johns Gegenwart deutlich spüren. War er bereits unbemerkt in eines der Gebäude vorausgegangen? Die einstöckigen Lehmbauten machten einen verwaisten Eindruck. Irritiert sah Peter sich suchend weiter auf dem Hof um. Beim Anblick des hölzernen Prangers und eines eisernen Käfigs, der gerade groß genug schien, einen Menschen in gebückter Haltung aufzunehmen, lief ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Plötzlich schob sich schemenhaft ein anderes Bild über die Realität: ...ein Mann - Suko! - eingesperrt in einen ebensolchen Käfig - verhöhnt von vor ihm stehenden Geisterkriegern - im Hintergrund brodelnde, glutrote Lava... Peter schüttelte die Vision ab. Zunächst musste er John wiederfinden. Er ging einen Schritt auf die nächstbeste Tür zu und wirbelte herum, als er plötzlich einen Luftzug verspürte. Instinktiv duckte er sich, was ihm vermutlich das Leben rettete. Nur um Haaresbreite sauste der Speer über ihn hinweg und blieb wippend im sandigen Boden stecken. Dem Detective blieb keine Zeit heraus zu finden, woher der Drachenkrieger mit einem Mal aufgetaucht war. Mit glutlodernden Augen, das Schwert hoch erhoben, stürmte die Horrorgestalt auf ihn zu. Peters gut gezielter Fußtritt traf den skelettierten Diener des Drachenfürsten mitten in die Brust und warf ihn mehrere Meter zurück. Doch er rappelte sich umgehend wieder auf und griff erneut an. Peters nächster Tritt traf das Schwert, das in hohem Bogen zur Seite flog. Angespornt durch seinen Erfolg drang der junge Cop mit weiteren Schlägen auf den Krieger ein, so dass dieser zurück wich. Dabei merkte er zu spät, in welche Richtung sie sich bewegten. Ob aus List oder purem Zufall, wusste Peter nicht zu sagen, plötzlich jedoch, stand die knöcherne Gestalt in unmittelbarer Nähe des aus dem Boden ragenden Speers. Die Gunst der Stunde nutzend, riss er die Waffe aus der Erde und zielte auf Peters Brust. Der Detective katapultierte sich zur Seite, rollte über die Schulter ab und entging so dem Stoß. Er griff sich nun seinerseits das noch immer am Boden liegende Schwert. Es gelang ihm den nächsten Angriff seines Gegners zu parieren. Dann holte er aus, um mit einem waagerechten Hieb den Speer zu zerschlagen. Der Geisterkrieger schien seine Absicht zu erahnen und drehte sich zur Seite. Das Schwert traf ihn unvermittelt am Halsansatz und trennte seinen Kopf vom Rumpf. Mit einem urschreiartigen Brüllen brach der Krieger zusammen und zerfiel noch im selben Moment zu Staub. Die Waffen und die Reste der ledernen Rüstung blieben als stumme Zeugen des Angriffs zurück. Erschrocken machte der Shaolin-Cop einen Satz zurück. Er starrte erst auf den vergehenden Dämonenkrieger zu seinen Füßen und dann auf das Schwert in seiner Hand. "Es gibt also auch noch andere Möglichkeiten mit diesen Kerlen fertig zu werden, außer Silberkugeln", stellte er grimmig fest. Mit einem selbstzufriedenen Grinsen, steckte er das Schwert in seinen Gürtel. Konnte gut sein, dass er es noch einmal benötigen würde. Peters Gedanken kehrten zu John zurück. Nach wie vor konnte er dessen Gegenwart spüren. Er öffnete seine Sinne und nahm deutlich die Verwirrung und Besorgnis des Inspektors wahr. Er konzentrierte sich darauf, die Position des Geisterjägers zu orten und plötzlich hatte er das Gefühl, als würde ein Schleier von seinen Augen genommen. Keine fünf Meter von ihm entfernt, mitten im gerade eben noch leeren Hof, stand John und sah sich suchend um. Ein erleichtertes Lächeln erschien auf dem Gesicht des Inspektors, als sein Blick an Peter hängen blieb. Die Beretta noch im Anschlag, deutete er auf die Überreste eines Dämonenkriegers unmittelbar vor ihm am Boden. Nun begriff Peter, was soeben mit ihnen geschehen war. Beim Eintritt durch das Tor mussten sie unter den Einfluss von Sun Longs dunkler Macht geraten sein. Seine schwarze Magie hatte ihre Augen und Ohren blockiert und ihnen beiden vorgegaukelt, sie seien auf sich alleine gestellt, was seinen Dienern die Möglichkeit gab, sie getrennt anzugreifen. Zum Glück war der Plan des Drachenfürsten nicht aufgegangen und John und Peter setzten ihre Suche unverletzt fort. Schnell hatten sie alle Gebäude des kleinen Tempels erkundet, ohne jedoch eine Spur von Suko zu finden. Allerdings entdeckten sie in der Nähe eines steinernen Altars ein Fresko, das in grellen Farben eine Opferzeremonie am Krater des Vulkanes darstellte. Das bedauernswerte Opfer stürzte mit panischem Gesichtsausdruck, aus einem eisernem Käfig mit geöffnetem Bodengitter, hinab in die brodelnde Lava des Kratersees. Es schien beinahe so, als wolle Sun Long ihnen in aller Deutlichkeit Sukos Schicksal und ihre eigene Ohnmacht vor Augen führen. Doch die beiden Polizisten waren nicht gewillt, die Hoffnung aufzugeben. Peter erzählte John von seiner neuerlichen Vision und sie beschlossen umgehend, dem Pfad Richtung Berggipfel zu folgen. Vielleicht ließ sich das Schlimmste noch verhindern. Sie hatten kaum den Tempelbezirk verlassen, da erschallte hinter ihnen ein höhnisches Gelächter, während ein rötliches, schattenhaftes Etwas sich in die Lüfte erhob und über dem Kraterrand verschwand.
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