Teil 11
Autor: Tigerauge

 

John hörte Peters Fluch und sah aus dem Augenwinkel, wie dieser sich zu Boden warf. Er selbst unterdrückte den Impuls, es ihm gleichzutun. Stattdessen beschrieb er in schneller, routinierter Bewegung mit dem Griff der Peitsche einen Kreis über dem Boden, so dass die Riemen herausfielen und die Waffe einsatzbereit war. Keine Sekunde zu früh. Die Kreatur hatte ihn erreicht.

Die messerscharfen Krallen verfehlten den Geisterjäger nur um Zentimeter. Im letzten Moment tauchte John zur Seite weg, hob gleichzeitig die Peitsche und schlug zu. Der schrille Schmerzensschrei des Drachen aber bewies, dass die Riemen ihr Ziel getroffen hatten. Sinclair wirbelte herum und beobachtete die züngelnden Flammenspuren, die sich über die rechte Schwinge zogen, eben dort, wo die Riemen der Peitsche sie berührt hatten. Das grünliche Feuer breiteten sich über den gesamten Flügel aus und der Flug des Ungeheuers geriet ins Taumeln. Nur mit Mühe gelang ihm die Landung am Kraterboden, ehe die Schwinge ihren Dienst versagte. Die verkohlten Reste rieselten als schwarzer Ascheregen herab.

"Ha! Du bist also doch nicht unverwundbar, Drachenfürst!", stellte John zufrieden fest.

"Wie ist das möglich?", fragte Peter, der sich soeben wieder erhob und die Peitsche ehrfürchtig betrachtete.

John hob die Waffe an und hielt sie Peter entgegen. Die drei grünlich flimmernden und flirrenden Riemen schwangen leicht hin und her, wie die Tentakel einer Hydra auf der Suche nach Beute. Es schien beinahe als hätten sie ein Eigenleben. Peters Hand näherte sich vorsichtig den Riemen, doch deren zuckende Bewegungen ließen ihn innehalten.

"Keine Angst, sie ist für Menschen nicht gefährlich", beschwichtigte der Geisterjäger. "Ihre Magie wirkt nur zerstörerisch auf schwarzblütige Wesen, denn die Riemen wurden aus der Haut eines Dämons gefertigt. Eine äußerst effektive Waffe gegen solch' höllische Geschöpfe", erklärte er weiter, wobei er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Drachen richtete.

Das magische Feuer sollte inzwischen sein Werk fortgesetzt und auf den Rumpf übergegriffen haben, doch zu Johns Enttäuschung blieb die vernichtende Kraft der Peitsche auf den Flügel beschränkt. Die grünlichen Flammen erloschen wirkungslos am Flügelansatz.

Ärgerlich unterdrückte der Geisterjäger einen Fluch. Er hatte die Macht des Dämons erneut unterschätzt. Sun Long war noch lange nicht besiegt. Das stellte dieser Sekunden später unter Beweis. Mit einem wütenden Kreischen hob das Ungeheuer seinen gewaltigen Schädel gen Himmel und sandte einen meterhohen Feuerstrahl zum Firmament.

Ohne seinen Blick von dem Drachen abzuwenden, drückte John Peter die Dämonenpeitsche in die Hand. "Nimm sie! Und wenn du nahe genug an ihn heran kommst, zieh ihm damit eins über", zischte er. Dann entfernte er sich langsam von Peter.

Sie mussten die Bestie von zwei Seiten angehen, dann hatten sie vielleicht eine Chance, ihm endgültig den Garaus zu machen. Der junge Cop hatte offensichtlich verstanden, denn er reagierte sofort und bewegte sich in die entgegengesetzte Richtung.

Herausfordernd schritt der Geisterjäger offen auf den Drachen zu, während Peter sich die Deckung einiger großer Felsbrocken zu nutze machte und sich ihm von der anderen Seite näherte. Die glühenden Augen des Untieres wanderten von einem Cop zum anderen. Es schien zu überlegen, welchen seiner Widersacher es zuerst angreifen sollte, wer der gefährlichere Gegner, oder aber die leichtere Beute, sei.

John hoffte, dass Sun Long sich auf ihn als seinen Hauptgegner konzentrieren würde. Mit einer schnellen Bewegung zog er den Silbernen Bumerang aus dem Gürtel und hielt ihn locker in der Hand. Das Metall fühlte sich angenehm warm an. Zuversicht stieg in ihm auf. Diese mächtige, weißmagische Waffe, entstanden aus dem Buch der grausamen Träume, hatte ihm einst geholfen, einen seiner stärksten Feinde, den Schwarzen Tod, zu besiegen. Er hoffte inständig, dass auch Sun Long ihrer Magie unterliegen würde.

Ein dumpfes Grollen kündigte den nächsten Angriff der Kreatur an. Erneut sandte sie ihren Flammenstrahl aus. Doch nicht John war das Ziel. Scheinbar in Zeitlupe näherte sich die Feuerlanze dem Shaolin-Cop. Im letzten Moment warf der sich nach vorne und tauchte unter der feurigen Glut hindurch. An der Stelle, wo er gerade noch gestanden hatte, glühte der Boden hellrot auf und verwandelte sich in brodelnde Gesteinsschmelze.

Peter rollte sich ab und kam wieder auf die Beine. Triumphierend fletschte der Drache die Zähne. Auch wenn der Feuerstoß den jungen Mann verfehlt hatte, die Rolle vorwärts hatte ihn nur kurzzeitig gerettet. Nun stand er deckungslos nur noch wenige Meter vor den krallenbewährten Pranken der Bestie.

John spürte, wie ihm die Angst um seinen jungen Partner die Kehle zuschnürte. Der hielt zwar die Peitsche einsatzbereit in Händen, aber die alleine konnte den Dämon, wie sich zuvor herausgestellt hatte, nicht stoppen. Zudem wurde Peter durch seine Verletzung behindert, die erneut aufgebrochen war und blutete.

Die Bestie legte den Kopf schief und blitzte ihr Opfer aus glühenden Augen hämisch an. Unvermittelt riss sie das Maul auf und setzte zum Sprung an. Die Hinterbeine streckten sich und der gigantische Körper schnellte nach vorne, geradewegs auf Peter zu.

Dem Geisterjäger wurde klar, dass er umgehend handeln musste, wollte er das Schlimmste verhindern. Den Bumerang fest in der Hand, holte er weit aus und visierte den Kopf der Kreatur an. Mit einer kraftvollen Handbewegung schickte er die silberne Banane auf die Reise und sandte gleichzeitig ein Stoßgebet zum Himmel.

***

Wie gebannt starrte Peter auf die gigantische Form des Ungeheuers, unsicher wie er reagieren sollte. Als die Bestie mit einem irren Triumphschrei förmlich auf ihn zu flog, wich er automatisch zurück. Doch im selben Moment wurde ihm in aller Deutlichkeit bewusst, dass er diesmal keine Chance hatte zu entkommen. Selbst wenn er nicht unter dem gigantischen Körper begraben würde, die zentimeterlangen Krallen würden ihn in keinem Fall verfehlen. Sun Long würde schließlich doch noch sein Opfer bekommen.

Der Detective schluckte schwer und schloss seine Finger fest um den Griff der Peitsche. 'Ich werde nicht kampflos sterben', schwor er sich grimmig und hob die Hand, bereit zuzuschlagen, sollte er noch einmal Gelegenheit dazu bekommen. Innerlich wappnete er sich für das Schlimmste.

Plötzlich tauchte ein silberner Blitz in Peters Blickfeld auf. Ein glänzender Gegenstand flog auf den Drachen zu und traf ihn im Genick unmittelbar hinter dem Kopfansatz. Wie von Geisterhand umrundete das silberne Ding den gesamten Hals und hinterließ eine leuchtende Spur. Abrupt endete die Vorwärtsbewegung des Ungeheuers. Die Erde dröhnte, als es wie ein Stein zu Boden stürzte. Unter schrillen Schmerzenslauten wand es sich zwischen den herumliegenden Felsbrocken. Entlang der Fährte, die der Bumerang um den Hals der Kreatur gezogen hatte, züngelten weiße Flammen auf. Gierig fraßen sie sich durch die Schuppenhaut hindurch und unerbittlich immer tiefer in die Muskulatur hinein.

Fasziniert und ungläubig zugleich beobachtete Peter den Todeskampf der Bestie. In wilden Zuckungen peitschte der dornenbewährte Schwanz hin und her, wobei er einzelne lose Gesteinsbrocken durch die Luft katapultierte. Unkontrolliert öffneten und schlossen sich die Klauen in einem letzten vergeblichen Versuch, seiner Gegner habhaft zu werden.

Schließlich vollendete das magische Feuer sein zerstörerisches Werk und durchtrennte den Hals endgültig. Kaum hatte sich der Schädel vom Rumpf gelöste, erlahmten die Bewegungen der Kreatur. Als habe jemand die Luft herausgelassen, fiel der Körper des Drachen in sich zusammen und verging in einem Meer aus kleinen weißen Flammen. Eine Windböe erfasste die Asche, wirbelte sie auf und trug sie auf den Lavasee hinaus, wo sie in einem Funkenschauer verglühte.

Nur der Kopf des Ungetüms starrte noch unversehrt mit anklagendem Blick zu Peter herüber. Ein letztes Mal leuchteten die dämonischen Augen rot auf, dann verlosch das Glühen endgültig. Auf der schuppigen Haut bildeten sich Blasen. Der Schädel löste sich nun ebenfalls auf, ja er zerfloss regelrecht. Zurück blieb eine siedende Lavapfütze. Letztendlich fand die zähflüssige Masse ihren Weg durch die zahlreichen Risse im Kraterboden und versickerte im Gestein. Die dunkle Energie, derer sich Sun Long bedient hatte, kehrte in die Tiefen der Hölle zurück. Es war vorbei! Der Drachenfürst existierte nicht mehr.

"Wir haben es geschafft!"

Wie aus weiter Ferne drangen die Worte an Peters Ohr. Erst als er das Gewicht von Johns Hand auf seiner Schulter spürte, bemerkte er, dass dieser neben ihm stand. Der Shaolin-Cop nickte. Mehr als ein tonloses "Wow!", brachte er zunächst nicht zustande. Nur langsam löste sich die Anspannung und er konnte wieder klar denken. Erleichterung überschwemmte ihn und mit einem zufriedenen Lächeln blickte er noch einmal auf die kläglichen Überreste des Dämons. Ja, sie hatten es tatsächlich geschafft!

"Ich könnte ein wenig Hilfe gebrauchen!"

Sukos Stimme brachte den jungen Detective endgültig zurück in die Realität. Zusammen mit John eilte er hinüber zu dem Felsvorsprung, an die Seite des verletzten Chinesen, wo Sinclair sich sofort daran machte, seinem Freund die Fesseln zu lösen.

"Ihr habt euch reichlich viel Zeit gelassen", begrüßte Suko die beiden grinsend, während er sich die malträtierten Handgelenke rieb.

"Nun, wir wollten dir nicht den Spaß verderben", entgegnete John scherzhaft. Dennoch hörte Peter deutlich die Freude über Sukos Rettung, die in der Stimme des Geisterjägers mitschwang. Auch der Blick, den die beiden Männer tauschten, sagte mehr als Worte. Ihre Freundschaft hatte sich erneut bewährt.

John beendete das stumme Zwiegespräch, indem er Suko seine Waffen zurückgab. Dann stellte er ihm Peter vor und während er das verletzte Bein seines Freundes untersuchte, berichtete er stichwortartig von den Ereignissen seit dessen Verschwinden und wie es ihnen gelungen war, ihm zu folgen.

Wenig später zierte ein notdürftiger Verband Sukos Wade. John reichte ihm einen der herumliegenden Speere. Indem er sich auf die provisorische Krücke stütze, gelang es dem Inspektor aufzustehen und ein paar Schritte zu humpeln. Zufrieden mit seinem Werk wandte John sich Peter zu, um sich auch dessen Wunde anzusehen.

Der junge Cop stand ein paar Schritte abseits, die Hand am Amulett seines Vaters. Er schien tief in Gedanken versunken. Die Knöchel seiner Finger leuchteten weiß, so fest umklammerte er den Talisman. Schweißperlen standen auf seiner Stirn.

John erschrak. Etwas stimmte nicht mit dem jungen Mann. "Was ist los, Peter?", fragte er besorgt und trat einen Schritt auf ihn zu. Das ungute Gefühl bestätigte sich, als der junge Mann, den Kopf hob und ihn mit glasigen Augen ansah. Tiefe Verzweiflung spiegelte sich in diesem Blick.

"Ich habe die Verbindung zu meinem Vater verloren", erklärte er mit belegter Stimme.

Es dauerte einen Augenblick, bis John die ganze Tragweite von Peters Worten bewusst wurde. Caine war ihre Rückfahrkarte nach Hause. Ohne die Hilfe des Shambhala-Meisters konnten sie nicht in ihre eigene Welt zurückkehren. Das Tor würde sich schließen und sie blieben Gefangene dieser düsteren, menschenleeren Dimension - für immer!

 

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