Teil 13
Autor: Tigerauge

 

Kermit starrte Caine irritiert an. Die letzte Bemerkung des Priesters gefiel im gar nicht. Was war mit Peter geschehen? Und wo befand er sich jetzt? So viele Fragen - aber keine Antworten. Wie üblich schien Caine nicht gewillt, weitergehende Erklärungen abzugeben.

Der Detective zuckte resigniert mit den Schultern und beschränkte sich darauf, den Shaolin dabei zu beobachten, wie er den Schrein wieder in Ordnung brachte und sich dann um die umgeworfenen Utensilien in der Raummitte kümmerte. Caines Bewegungen wirkten lange nicht so sicher und fließend wie sonst. Auf seinem bleichen Gesicht spiegelten sich Sorge und Anspannung wieder. Eine Tatsache, die Kermit erstaunte und zugleich beunruhigte, verbarg Caine doch normalerweise seine Emotionen hinter einer weitgehend ausdruckslosen Maske.

Nachdem er die Kerzen wieder im Kreis aufgestellt und entzündet hatte, blätterte der Priester kurz in den beiden Bücher, bis er eine bestimmte Seite gefunden hatte. Dann positionierte er sie sorgfältig im Zentrum des Lichterkreises. Anschließend ließ er sich in Lotusposition vor den Büchern nieder und widmete sich zunächst einem kleinen Kupferkessel, aus dem alsbald eine kleine Stichflamme emporschoss.

Kermit entschied, dass es nun an der Zeit für ihn wäre, in den Arbeitsraum hinüber zu gehen, um Caine bei seiner geplanten Zeremonie nicht zu stören. Doch die Stimme des Priesters stoppte ihn, noch ehe er die Tür erreichte. Als er sich wieder umwandte und ihre Blicke sich trafen, las er tiefe Besorgnis in den dunklen Augen des älteren Mannes, geboren aus der Angst um seinen Sohn. Eine Angst, die Kermit, wie er sich nun eingestand, teilte, empfand er doch für den jüngeren Detective, wie für einen Bruder.

"Peter ist in Gefahr, nicht wahr?" Es war eher eine Feststellung, denn eine Frage.

Caine nickte. "Mein Sohn und seine Gefährten benötigen unsere Hilfe, um wieder Heim zu kehren."

Der Ex-Söldner nahm die Sonnenbrille ab und rieb sich die brennenden Augen. Die Richtung, die diese Unterredung einschlug, gefiel ihm ganz und gar nicht. Schnell setzte er die schützenden Gläser wieder auf.

"Was soll ich tun?", frage er nach kurzem Zögern, obwohl er bereits ahnte worauf das Ganze hinauslaufen würde.

Einer Geste des Priesters folgend, nahm er nun ebenfalls im Kreis der Kerzen Platz, wobei er sich alles andere als wohl fühlte. Die Teilnahme an einer mystischen Beschwörung, hatte definitiv nicht auf der Liste seiner für den heutigen Tag geplanten Aktivitäten gestanden.

'Peter Caine, dafür schuldest du mir was', dachte Kermit grimmig. Er blickte zum Fenster, wo bereits das erste Licht den bevorstehenden Sonnenaufgang ankündigte. Dann streckte er sich und nickte dem Priester zu, um ihm zu signalisieren, dass er bereit war - wofür auch immer.

Caine schenkte ihm ein zuversichtliches und dankbares Lächeln und reichte Kermit die Hand. "Vertrauen Sie mir. Ich bin bei Ihnen und werde Sie führen!"

Der Detective ergab sich in sein Schicksal, schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Person des Shambhala-Meisters. Er spürte eine angenehme Wärme, die ihn erfasste und schützend umhüllte. Erstaunt erkannte er, dass diese Ausstrahlung von Caine ausging. Gleichzeitig sah er, trotz seiner geschlossenen Augen, die Gestalt des Priesters vor sich stehen, der ihn mit einer Geste seiner Hand aufforderte, ihn zu begleiten.

Kermit überlegte noch, wie er es wohl anstellen sollte, Caine zu folgen, als er plötzlich das Gefühl hatte, frei im Raum zu schweben. Unwillkürlich blickte er nach unten und erkannte unter sich eine Art Glaskuppel, die sich über einen weiten, dunklen Saal wölbte, dessen Boden ein weiß leuchtendes Sonnensymbol zierte. Die hellen Strahlen zogen sich hin bis an die Wände und endeten an unzähligen Türen. In der Mitte der silbrigen Sonnenscheibe standen drei Personen und sahen sich unschlüssig um.

"Peter!", rief Kermit, doch sein Ruf blieb ohne Wirkung.

"Er kann uns weder sehen, noch hören", erklärte der Priester an seiner Seite. "Wer die Halle der Portale betreten hat, muss alleine entscheiden, auf welchem Weg er sie wieder verlassen will."

"Halle der Portale?", hakte Kermit verständnislos nach.

"Wir befinden uns hier in Shambhala und dieser Raum verbindet alle existierenden Realitäten miteinander", antwortete Caine.

Kermit beobachtete, interessiert und besorgt zugleich, die erregte Unterhaltung der drei Männer unter ihm. Obwohl er den Inhalt ihrer Worte nur erahnte - hören konnte er sie ebenso wenig, wie sie ihn -, bemerkte er schnell, dass sie nicht wussten, welchen Weg sie einschlagen sollten. Mit einem Mal kam ihm ein erschreckender Gedanke.

"Und was passiert, wenn sie die falsche Tür wählen?"

"Dann werden sie für immer zwischen den Dimensionen umherwandern."

***

Peter musterte jede einzelne der geöffneten Türen und versuchte durch die milchigen Nebelschwaden hindurch zu sehen, die dahinter waberten. So sehr er sich auch bemühte, er konnte keinen Hinweis darauf entdecken, welcher Ausgang in ihre Welt führte. Er schloss die Augen und öffnete seine Sinne. Vielleicht konnte er so den Weg erfühlen?

Keine Gute Idee, wie er gleich darauf erkannte. Ein Wirrwarr aus Farben, Formen, Gerüchen, Emotionen, und Gedankenfetzen überschwemmte ihn und drohte ihn mitzureißen. Der Shaolin-Cop fühlte sich wie ein Ertrinkender. Panisch klammerte er sich an einzelne Bildfragmente und versuchte die Flut der Eindrücke aus den Tiefen der Dimensionen zu kanalisieren. Erfolglos! Mit Mühe gelang es ihm schließlich wenigstens, seine Schilde wieder aufzubauen und zu verhindern, dass das Chaos vollends von seinem Kopf Besitz ergriff.

Als er schwer atmend die Augen wieder öffnete, fand er sich am Boden kniend wieder und spürte Johns und Sukos besorgten Blicke auf sich ruhen.

"Alles okay", versicherte er schnell. Doch das Schwindelgefühl, das ihn umfangen hielt, ebbte nur langsam ab. Erst mit Johns Hilfe kam er wieder auf die Beine. Entschuldigend sah er die beiden älteren Männer an und erklärte: "Ich habe versucht herauszufinden, welche der Türen uns nach Hause bringt. Aber meine Shaolin-Fähigkeiten reichten dafür wohl nicht aus." Er fuhr sich resignierend mit den Fingern durch das dunkle Haar.

***

Caine sah herab auf seinen Sohn. Verhaltene Freude durchflutete ihn. Peter lebte - und er hatte einen Weg gefunden, seine Gefährten und sich hierher nach Shambhala zu bringen. Doch noch befanden sie sich nicht in Sicherheit.

"Können Sie ihnen denn nicht helfen? Immerhin sind Sie doch ein Shambhala-Meister", schlug Kermit vor.

Caine schüttelte bedauernd den Kopf. Nur zu gerne hätte er Peter einen Tipp gegeben, ihm gezeigt, welchen Ausgang er wählen müsse. Aber ihm waren die Hände gebunden. Auch - und gerade - als Shambhala-Meister, musste er sich den Gesetzen dieser Dimension beugen. Kontakt aufzunehmen, würde erst möglich sein, wenn die Entscheidung getroffen war: die richtige Entscheidung.

***

Peter blickte sich zum wiederholten Mal um. 'Paps, ich könnte deine Hilfe brauchen', dachte er bei sich und seine Hand wanderte automatisch zu dem Medaillon um seinen Hals. Plötzlich glaubte er die Stimme seines Vaters zu hören. Eine Erinnerung drängte sich in sein Bewusstsein und nahm vor seinem inneren Auge Gestalt an:

Caine reicht ihm das Jadeamulett des Dalai Lama und sagt: "Dies wird euch helfen, den Weg zurück zu finden."

Sofort streifte Peter die Schnur, an der die grünliche Scheibe hing, über seinen Kopf und betrachtete das Kleinod andächtig. Konnte das die Lösung sein? War das Amulett der Katalysator, den er brauchte, um Ordnung in das Dimensionsgewirr zu bringen? Hoffnungsvoll erläuterte er den Anderen seine Idee.

"Dann wäre das Ding ja so etwas wie ein Dimensions-Kompass", stellte Suko grinsend fest.

"So in etwa", lachte Peter und nickte. Doch schnell wurde er wieder ernst. "Drückt uns die Daumen, denn ich habe das unbestimmte Gefühl, dies ist unser letzter Versuch."

Noch einmal schloss er die Augen und diesmal konzentrierte er sich dabei auf das Medaillon, welches von seiner ausgestreckten Linken bewegungslos herabhing. Langsam begann der Shaolin-Cop sich im Kreis zu drehen, wobei er sich vorstellte, jedes einzelne der Portale kurzzeitig zu fixieren.

Zunächst passierte nichts. Doch als er seine Drehung zur Hälfte vollendet hatte, begann die Steinscheibe unvermittelt nach vorne auszuschlagen. Peter konnte nicht sagen warum, aber plötzlich wusste er mit absoluter Sicherheit, dass er die richtige Tür gefunden hatte und entschied sich, seine Freunde durch genau dieses Portal zu führen. Im selben Moment erreichte ihn ein vertrautes Gefühl der Liebe und Geborgenheit.

*Paps?!*, fragte er ungläubig und erfreut zugleich.

*Ja, mein Sohn, ich bin hier*, vernahm er Caines nicht minder erleichterte Antwort.

"Peter, sieh doch!"

Johns aufgeregter Ruf unterbrach Peters gedankliche Wiedervereinigung mit seinem Vater. Er öffnete die Augen und musterte das vor ihm befindliche Tor. Der Pfad dorthin schien jetzt wesentlich heller zu leuchten, als die anderen im Raum. Die Nebelschwaden hinter dem Durchgang lichteten sich langsam. Die Umrisse zweier Gestalten zeichneten sich vor dem diffusen Hintergrund ab und formten sich schließlich zu zwei vertrauten Personen: Caine und... Kermit.

Kermit? Wie kam sein Freund und Polizeikollege hierher? Irritiert durch die Anwesenheit des Ex-Söldners entging Peter beinahe, dass sich der Hintergrund der Szene ebenfalls veränderte. Das diffuse Grau wich einem wässrigen Himmelblau, das jedoch bereits langsam von einem zarten Rosa überzogen wurde.

*Peter, ihr müsst euch beeilen, die Sonne geht auf!*, mahnte Caines Stimme.

"Die Tür, sie schließt sich!", rief John im selben Moment erschrocken.

 

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