Teil 8
Autor: Tigerauge

 

Suko spürte den Adrenalinstoß in seinem Körper, als der Boden unter seinen Füßen plötzlich nachgab. Instinktiv schnellten seine gebundenen Hände nach vorne. In einem verzweifelten Versuch sich vor dem Sturz zu bewahren, umklammerte er eine der senkrechten Stangen des Käfigs. Vergeblich! Das Gewicht seines Körpers zog ihn unaufhaltsam in die Tiefe, der brodelnden Glut entgegen.

Ein schmerzhafter Ruck schoss durch seine Schultergelenke. Jäh stoppte die rasante Abwärtsbewegung, als seine Hände an der untersten Querstange endlich Halt fanden. Irrationalerweise fühlte er tatsächlich eine gewisse Erleichterung, obwohl er natürlich sehr genau wusste, dass dieses nur einen kurzen Aufschub bedeutete. Hilflos baumelte er nun über dem Höllenschlund. Seine durch Hitze und Anstrengung schweißnassen Handflächen drohten vom Metall abzugleiten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis seine Kräfte nachließen und er schließlich doch in der kochenden Lava endete.

Sukos Aktion versetzte den Käfig in wilde Schwingungen, die er nun mühsam versuchte auszugleichen. Sehnsüchtig glitt sein Blick hinüber zum unerreichbar fernen Ufer. Der flackernde Schein der glühenden Lava tauchte die unwirkliche Szenerie am Opferplatz in ein gespenstisches Licht. Drei dämonischen Kreaturen starrten unverwandt zu ihm herüber und weideten sich offensichtlich an seinem Kampf.

"Du kannst dich nicht ewig festhalten", feixte der Drachenfürst mit einem breiten Grinsen.

Der Inspektor gab ihm Recht, aber aufgeben würde er trotzdem nicht. Er setzte zu einer passenden Erwiderung an, doch eine andere Stimme antwortete statt seiner.

"Ewig sicher nicht, aber möglicherweise lange genug!"

Erst jetzt entdeckte Suko die hochgewachsene Gestalt im Hintergrund. John! Sein Freund und Partner hatte ihn gefunden! Diese Erkenntnis gab dem Chinesen neue Kraft. Im Bewusstsein der nahen Rettung, schloss er seinen Griff um die eiserne Stange noch fester.

"Gib ihn frei, Sun Long!" Johns Stimme hallte durch den Krater.

***

Peter blickte auf den Opferplatz herab. Der dämonische Kriegsherr drehte sich gefährlich langsam um und starrte den blonden Oberinspektor an. "Wer bist du, Mensch, dass du glaubst mir befehlen zu können?", fauchte er verächtlich.

"Ich bin John Sinclair, Geisterjäger und erklärter Feind aller Dämonen", entgegnete John selbstbewusst.

'Gut so, John', dachte Peter, 'lenk du die Kerle ab, ich hole deinen Freund ans Ufer zurück.' Mit immenser Erleichterung hatte er zuvor beobachtet, wie es Suko gelungen war, sich an den Gitterstäben festzuhalten und den tödlichen Sturz abzufangen. So bot sich ihm nun wieder die Möglichkeit einzugreifen. Und dieses Mal wollte er sich diese Chance nicht entgehen lassen.

Vom Opferplatz schallte Sun Longs irres Lachen herauf. "Nun, Geisterjäger, es scheint du bist gerade rechtzeitig gekommen, um deinem Freund beim Sterben zuzusehen."

"Nicht, wenn ich es verhindern kann!", entgegnete der Oberinspektor und ging einen Schritt auf den Schwarzblütler zu.

Peter nahm Johns Worte als Startsignal für seine Rettungsaktion. Katzengleich setzte er sich in Bewegung und ehe der Drachenkrieger an der Winde reagieren konnte, griff der junge Cop an. Mit beiden Beinen voraus flog er auf die Horrorgestalt zu, die durch die Wucht des Aufpralls zurückgeschleudert wurde. Mit wedelnden Armen stürzte sie rückwärts über die Kante des Felsvorsprungs hinab in die brodelnde Lava, wo sie in einem Funkenregen verglühte.

Peter landete sicher auf seinen Beinen und wandte sich sofort dem Mechanismus zu, der den Käfig in der Schwebe hielt. Mit beiden Händen ergriff er die Winde und versuchte den galgenartigen Ausleger des Gestells einzufahren. Vergeblich. Der Hebelarm rührte sich nicht von der Stelle. Hektisch suchte Peter nach einer Arretierung oder ähnlichem, was die Vorrichtung blockieren könnte. Er fand nichts dergleichen. Es gab nur eine Erklärung. Dieser Geisterkrieger musste über größere Kräfte verfügen, als ein Mensch, immerhin hatte er die Vorrichtung mühelos bedient.

*Nutze meine Energie, mein Sohn. Wir sind durch das Amulett verbunden*, erreichte ihn die Antwort seines Vaters.

Peter nickte unbewusst, schloss die Augen und öffnete sich dem Chi des Shambhala-Meisters. Er spürte den anwachsenden Energiefluss, bündelte ihn und lenkte ihn in seine Hände. Dann umfasste er erneut den Kurbelarm und... diesmal bewegte er sich. Ein Ruck ging durch den Gitterkäfig. Er bewegte sich zunächst langsam, dann immer schneller, mitsamt dem daran hängenden Inspektor, auf das rettende Land zu.

***

John lächelte, als er das ächzende Geräusch der sich in Bewegung setzenden Kette vernahm, doch echte Erleichterung wollte sich nicht einstellen. Die Nerven zum Zerreißen gespannt, wartete er auf eine Reaktion des Drachenfürsten. Sicherlich würde der sich sein Opfer nicht so leicht wieder abnehmen lassen. Seltsamerweise aber schienen ihn Peters Aktion und der Tod seines Dieners nicht im Geringsten zu beunruhigen.

"Das wird eurem Freund auch nicht helfen. Im Gegenteil, ihr beide werdet sein Schicksal teilen", erklärte Sun Long spöttisch. Mit einem hinterlistigen Grinsen erwiderte er den Blick des Geisterjägers. Das rote Höllenfeuer in seinen toten Augenhöhlen flackerte auf und verwandelte sich in einen hypnotisierenden Flammentanz.

John starrte wie gebannt auf die Fratze des Dämons, unfähig sich zu rühren, oder gar sich abzuwenden. Eine fremde Macht drang auf ihn ein, drohte seinen Willen auszuschalten. Schon senkte sich seine Waffenhand, ohne dass er es verhindern konnte. Je mehr er sich gegen den dämonischen Einfluss stemmte, desto stärker wurde dieser. Nebelartige Schlieren durchzogen sein Bewusstsein und erlaubten es ihm nicht, einen klaren Gedanken zu fassen.

Dennoch, da existierte etwas, das sich gegen die Übernahme auflehnte - tief in seinem Unterbewusstsein - ein einziger Begriff: das Kreuz. John klammerte sich an diesen letzten Fetzen seiner schwindenden Identität und irgendwie gelang es ihm, die freie Hand in seine Jackentasche zu schieben. Kaum berührte er sein Kreuz, spürte er eine angenehme Wärme durch seinen Körper fließen. Ein helles Licht hüllte ihn ein und augenblicklich verschwand der Einfluss des Drachenfürsten. Das Kreuz hatte den Bann gebrochen.

Sun Long stieß einen wütenden Schrei aus und gab seinen Dienern einen Wink. "Ergreift sie!"

Die zwei Dämonenkrieger, die bis zu diesem Moment abwartend neben ihrem Herren gestanden hatten, zogen ihre Schwerter aus der Scheide und stürmten los.

Wieder Herr seiner Sinne und Gliedmaßen, fackelte John nicht lange. Er machte kurzen Prozess. Zweimal bellte die Beretta auf, die Schüsse hallten von den Felswänden zurück. Beide Silberkugel trafen zielgenau und stoppten die untoten Kreaturen mitten in der Bewegung. An Ort und Stelle brachen sie zusammen und zerfielen zu Asche. John nickte selbstgefällig. So einfach ging das.

Ohne den vergehenden Kriegern weitere Beachtung zu schenken, wandte John sich wieder deren Meister zu. Er hielt ihm die Beretta entgegen. "Nun, großer Drachenfürst, hast du gesehen, was mit deinen knöchernen Spießgesellen passiert ist? Dasselbe wird auch dir widerfahren", prophezeite er selbstbewusst.

Der Dämon zeigte sich vollkommen unbeeindruckt. Er verzog seine Fratze zu einem hämischen Grinsen und deutete nach oben. "Sieh hinauf, Geisterjäger. Du magst meinen Dienern widerstanden haben, aber wird es deinem Freund auch gelingen?"

Johns Blick folgte dem Fingerzeig. Er erkannte mit Schrecken, dass er den dritten Krieger völlig vergessen hatte. Dieser hatte seinen Wachposten am Kratereingang aufgegeben, war auf den Felsvorsprung geklettert und befand sich nun nur noch wenige Schritte von Peter entfernt.

"Peter! Vorsicht!", schrie der Geisterjäger. Wie gebannt beobachtete er die Szene. Er hoffte inständig, dass sein amerikanischer Kollege rechtzeitig reagieren würde.

***

Peter spürte die unmittelbare Nähe des Geisterkriegers, auch ohne die Warnung seines Partners. Eigentlich hätte er sich umdrehen und sich dem Angreifer stellen müssen. Ein Blick auf den See hinaus überzeugte ihn, stattdessen noch schneller an der Winde zu drehen. Suko befand sich noch immer nicht in Sicherheit. Für Peters Geschmack eindeutig zu langsam, bewegte sich der Käfig auf das rettende Ufer zu.

Viel zu bald kam der erwartete Angriff und stoppte ihn jäh in seinen Bemühungen. Zwei bleiche Knochenarme legten sich schraubstockartig um seinen Brustkorb. Er wurde nach hinten gerissen, seine Hände lösten sich von der Kurbel. Die stählerne Umklammerung presste ihm die Luft aus den Lungen, und machte es ihm zudem unmöglich die Arme zu bewegen. Im Nacken spürte der junge Cop den eisig-fauligen Atem des dämonischen Kriegers. Nach Sauerstoff ringend wand er sich hin und her. Dass ihm dabei das Amulett des Dalai Lama aus dem Hemd rutschte, bemerkte er erst, als es mit einem klickenden Geräusch gegen die Skeletthand seines Peinigers schlug.

Augenblicklich blitzte ein grelles Licht auf. Das Aufeinadertreffen der dunklen Magie des Drachenfürsten und der vereinigten Kräfte der beiden Shaolin bewirkte eine explosionsartige Energieentladung. Der Geisterkrieger stieß einen wilden Schrei aus. Plötzlich verschwand die stählerne Klammer um Peters Brustkorb und er wurde nach vorne geschleudert. Aus weiter Ferne glaubte er noch Caines entsetzten Schrei "Das Tor!" zu hören, dann umfing ihn eine tiefe Schwärze.

***

Caine fühlte die drohende Gefahr ebenfalls, doch auch ihn traf die überaus heftige Reaktion der beiden gegensätzlichen Energien unvorbereitet. "Das Tor!", stieß er entsetzt hervor. Durch die Vereinigung ihrer Chis, stand das Portal zwischen den Dimensionen plötzlich einladend weit offen. Unverzüglich löste der Shambhala-Meister die Verbindung zu seinem Sohn. Doch zu spät. Die dunkle Magie fand den Weg in die reale Welt. Der Angriff traf Caine mit voller Wucht und katapultierte ihn quer durch den Raum gegen die Wand, wo er reglos liegen blieb.

***

Geblendet von dem grellen Lichtblitz schloss John Sinclair die Augen. Als er sie wieder öffnete, war der Drachenkrieger verschwunden und Peter lag bewegungslos auf dem Felsvorsprung. Der Geisterjäger fühlte einen dicken Kloß in seiner Kehle. Er hatte keine Ahnung was dort oben gerade passiert war, aber er fürchtete um das Leben des sympathischen Cops. Hilflosigkeit durchflutete ihn und er schluckte trocken. Im Moment konnte er nichts für ihn tun.

Und wie stand es um Suko? Johns Blick glitt zurück zum Kratersee und offenbarte ihm, dass sich auch der Inspektor noch nicht in Sicherheit befand.

 

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