Suko baumelte noch immer über der tödlichen Glut, allerdings trennten ihn jetzt nur noch wenige Meter vom Ufer. Die Distanz schien nicht mehr unüberbrückbar. Mit einem gewagten Sprung konnte es ihm vielleicht gelingen, sich an Land zu retten. Er versetzte den Käfig in eine Schaukelbewegung. Mehrfach schwang er hin und zurück, immer weiter näherte er sich dem Rand des Sees. 'Nur noch ein wenig mehr Schwung', machte er sich Mut und widerstand dem Drang nach oben zu blicken. Das protestierende Knarren und Ächzen der Kette verhieß nichts Gutes. Wie lange würde sie dieser Aktion noch standhalten? "Scheint, es läuft nicht ganz so, wie du es dir vorgestellt hast, Geisterjäger!", kommentierte der Drachenfürst sarkastisch. Er schien sich mächtig über die Situation zu amüsieren. Sein boshafter Blick wanderte vom verzweifelt kämpfenden Suko hinauf zur reglosen Gestalt Peters und wieder zurück. "Du hast noch nicht gewonnen!", schrie John wütend, während er mit schnellen Schritten auf das Ufer zustrebte. Suko sah aus dem Augenwinkel, dass sich Sun Longs Aufmerksamkeit wieder seinem Freund zuwandte, der soeben das Zentrum des Opferplatzes erreichte. Getrennt alleine durch den steinernen Altar, standen sich der Geisterjäger und der Drachenfürst Auge in Auge gegenüber und taxierten sich schweigend. Der Inspektor zögerte nicht länger, schickte ein Stoßgebet zum Himmel, löste seine Hände von der eisernen Stange und flog dem rettenden Ufer entgegen. Im selben Moment barst die rostige Kette und mit einem lauten Klatschen landete der Käfig in der flüssigen, aufbrüllenden Glut. Langsam, aber unaufhaltsam, versank er in den Tiefen des Höllenschlundes. Schmatzend schloss sich die Lava über ihm. Suko erschauderte bei dem Gedanken, dass es ihm beinahe genauso ergangen wäre. Ein stechender Schmerz zuckte durch seinen Körper, als ihm bei der Landung das verletzte Bein den Dienst versagte. Unkontrolliert rollte er über den steinigen Boden und blieb schwer atmend unterhalb des Felsvorsprungs liegen. Das Geräusch der berstenden Kette und Sukos unterdrückter Schmerzensschrei rissen die Kontrahenten am Altarstein aus ihrer Starre. Sun Long erkannte, dass sein vermeintlich sicheres Opfer, nun doch dem Höllenschlund entkommen war. "So nicht!", schrie der Drachenfürst zornig. Das Höllenfeuer in seinen Augen loderte noch heller als zuvor. Entschlossen ging er auf den hilflosen Inspektor zu. "Dann werde ich das Opferritual eben persönlich vollenden", erklärte er herausfordernd. "Halt mich auf, Geisterjäger, wenn du kannst!" "Und ob ich das werde!" John hatte Sun Longs Spielchen entgültig satt. Mit der Beretta zielte er auf dessen knöcherne Fratze und zog den Stecher durch. Eine geweihte Silberkugel, da war er sicher, würde das Problem ein für alle Mal lösen. Das Projektil verließ die Waffe mit gewohnter Präzision, doch unmittelbar vor Erreichen des Zieles geschah es. Die Luft um den Drachenfürsten herum schien mit einem Mal zu flimmern. Die Kugel glühte auf und... verschwand. John traute seinen Augen nicht. Er schickte eine zweite Kugel hinterher, mit demselben Ergebnis. Alle Hoffnungen auf einen schnellen Sieg, zerplatzten wie eine Seifenblase. Natürlich stellten Silberkugeln kein Allheilmittel gegen höllische Kreaturen dar, das wusste er. Aber in diesem Fall war er sich so sicher gewesen. "Hast du wirklich geglaubt, du könntest mich mit einer Silberkugel vernichten, armseliger Wicht?" Sun Longs Stimme triefte vor Spott. Er sah John beinahe mitleidig an. Plötzlich, als habe er gerade einen genialen Einfall, erschien wieder dieses bösartige Grinsen auf seinem Skelettschädel. Er wandte sich von Suko ab und ohne einen weiteren Blick auf die beiden Polizisten, trat er an den Rand des Sees. Seine Zehenspitzen berührten beinahe das flüssige Gestein zu seinen Füßen. Eine zunächst kaum merkliche Veränderung schien in ihm vorzugehen. John beobachtete irritiert, wie der Drachenfürst kurz am Rande der Glut verharrte, dann aber zielstrebig hineinging. Unbegreiflicherweise verglühte er nicht augenblicklich. Im Gegenteil, er watete hindurch, als wäre es reines, klares Wasser. Fassungslos schüttelte der Geisterjäger den Kopf. Als die Lava ihm bis zu den Knien reichte, blieb Sung Long stehen, drehte sich zum Ufer zurück und rief: "Sieh her, Geisterjäger. Erkenne meine wahre Gestalt." Der Drachenfürst breitete die Arme aus und rief in einem uralten, unverständlichen Dialekt eine düstere Beschwörungsformel. Die dämonische Ausstrahlung, die von ihm ausging, verstärkte sich um ein Vielfaches. Das Böse schien den Krater zu erfüllen, legte sich wie ein Alb auf Johns Gemüt. Die Gestalt des Drachenfürsten streckte sich, während er die Energie der flüssigen Lava regelrecht in sich aufsog. Beginnend an den Beinen, bedeckte ihn bald ein rotes Leuchten, das weiter aufstieg über die Hüften bis hinauf zur Brust. Immer und immer wieder schrie Sun Long die schwarzmagischen Worte in den Nachthimmel. Und er wurde erhört. Plötzlich glühte das Abbild des roten Drachen auf und löste sich von seinem Harnisch. Rasch wuchs die Kreatur in die Höhe und zog wirbelnde Kreise um seinen Herren. Die Figur des Fürsten glühte schließlich in einem feurigen Rot, demselben, das auch den Drachen zierte. Mit einem Mal verblassten Sun Longs Konturen. Die Kriegergestalt löste sich auf, sein Geist vereinigte sich mit dem Drachen. Das höllische Geschöpf fuhr mit einem ohrenbetäubenden Kreischen in den Himmel hinauf, drehte dort einige wilde Pirouetten, um dann mit einem schrillen Schrei und in atemberaubender Geschwindigkeit wieder in den Krater hinab zu stoßen. Nur knapp fegte es über den Kopf des Geisterjägers hinweg, der sich blitzschnell zu Boden warf. *** "Das Tor!" Caines entsetzter Aufschrei riss Kermit aus seinen Gedanken. Den Bruchteil einer Sekunde später erfüllte ein greller Lichtblitz den Raum und blendete ihn. Durch seine zusammengekniffenen Augenlider sah er, dass der Priester wie eine Puppe durch die Luft und gegen die Wand geschleudert wurde. Die Energieentladung breitete sich wie eine Druckwelle im Raum aus und erfasste auch den Detective, noch ehe er einen klaren Gedanken fassen konnte. Eine unsichtbare Hand presste ihn gegen die Wand und raubte ihm kurzfristig den Atem. Bunte Schlieren tanzten vor seinen Augen. Nur Sekunden später war der Spuk vorbei und Kermit sog gierig die Luft in seine Lungen. Mit sich langsam klärenden Blick versuchte er die Lage zu sondieren, herauszufinden, was da gerade passiert war. Einige der Kerzen waren umgekippt und erloschen, der rituelle Kreis durchbrochen. Caine lag bewegungslos am Fuß der Wand. Von Peter und Sinclair fehlte jede Spur, nicht mal ein leichtes Flimmern in der Luft markierte die Stelle, an der ihre Konturen noch bis eben zu erkennen gewesen waren. Aber ein Anderer hatte ihren Platz eingenommen - oder besser ausgedrückt, etwas anderes: eine Kreatur, die direkt einem billigen Horrorfilm entsprungen zu sein schien. Ein zum Teil skelettierter, in Lederfetzen gehüllter, chinesischer Krieger sah sich desorientiert im Raum um. Offenbar fragte er sich - soweit er das überhaupt konnte -, wie er hierher gekommen war und was zu tun sei. Doch dann fiel sein glühender Blick auf den leblosen Priester und er verzog sein Knochengesicht zu einer bösartigen Fratze, die einzig und allein den Tod verhieß. Zielsicher steuerte er auf sein wehrloses Opfer zu, während er das Schwert aus der Scheide zog. Das Geräusch, das dabei entstand, jagte Kermit eine Gänsehaut über den Rücken. Ohne lange zu überlegen, umfasste er die Waffe in seinem Schoss, rappelte sich auf in eine kniende Position, visierte die Horrorgestalt an und feuerte. Die Kugel traf ihr Ziel, mit erstaunlichem Ergebnis. Der Dämonenkrieger erstarrte mitten in der Bewegung, sackte in sich zusammen und zerfiel noch im selben Moment zu Staub. Mit einem dumpfen Laut landete das herrenlose Schwert auf dem Boden neben den Überresten der Kreatur. Überrascht betrachtete Kermit die Waffe in seiner Hand: Peters Beretta! 'Wow, und ich habe geglaubt, meine Desert Eagle wäre was besonderes', dachte er innerlich grinsend. Gleich darauf kehrten seine Gedanken schlagartig zu Caine zurück und er eilte an die Seite des Priesters, der unverändert reglos am Boden lag. Tiefe Sorge um das Wohlergehen dieses Mannes, den er inzwischen als Freund betrachtete, erfasste ihn.
|
Teil1 Teil2 Teil3 Teil4 Teil5 Teil6 Teil7 Teil8 Teil9 Teil10 Teil11 Teil12 Teil13 Teil14
|