Teil 7
Autor: Tigerauge

 

Peter verlangsamte seine Schritte. Nach einem forschen Marsch den Berg hinauf, erstaunlicherweise ohne weitere Zwischenfälle, näherten sie sich nun dem Kraterrand. Die Dämmerung hatte eingesetzt und er spürte, dass ihnen die Zeit davon lief. Die negative Atmosphäre, die ihm umgab, verdichtete sich von Minute zu Minute.

"Die Opferstätte muss hier ganz in der Nähe sein", bemerkte er mit gedämpfter Stimme.

John sah ihn an, nickte und deutete auf seine Brust. "Ja, mein Kreuz hat sich erwärmt. Es erkennt die dunkle Magie, die von dort ausgeht."

Die beiden Männer blieben stehen und beratschlagten ihr weiteres Vorgehen. In einiger Entfernung vor ihnen verschwand der Bergpfad in einem schmalen Felseinschnitt, vermutlich der Zugang in das Innere des Kraters. Schon auf den ersten Blick war klar, dies konnte nicht der Weg sein, den sie wählen würden, um hinein zu gelangen. Der schmale Durchlass bot zuviel Möglichkeit für einen Hinterhalt.

Skeptisch betrachtete Peter den felsigen Kraterrand. Zu beiden Seiten des Durchgangs wuchs der Bergkamm noch gute zwanzig Meter in die Höhe. Der mit losem Geröll übersäte Hang erhob sich steil und bot nur wenig Halt für eine Kletterpartie. Peter seufzte ergeben. Es schien dennoch der einzige Weg zu sein, um - hoffentlich - unbemerkt den Opferplatz zu erreichen. Ein Blick zu seinem Partner zeigte ihm, dass John dasselbe dachte.

"Wir sollten uns trennen. Einer links, der andere rechts vom Durchgang", schlug der Geisterjäger vor.

Peter nickte zustimmend. Das würde ihre Chancen erhöhen, falls man sie doch entdeckte. Außerdem wussten sie nicht, was sie dort im Krater erwarten und wie viel Gegner sie vorfinden würden.

Entschlossen nahm der junge Cop die letzte Etappe des Aufstiegs in Angriff. So schnell er konnte, ohne unnötige Geräusche zu verursachen, oder sich gar bei einem unbedachten Ausrutscher zu verletzen, erklomm Peter den Felsrand des Kraters, angetrieben von einer zunehmenden inneren Unruhe. Seine trainierten Sinne nahmen die dunkle Energie inzwischen so deutlich wahr, dass es ihm beinahe körperliche Schmerzen bereitete.

Auf dem Grad angekommen, fand er Deckung hinter einem großen Felsblock. Von hier aus konnte er einen Großteil des Kraters überblicken, dessen Zentrum ein Höllenschlund aus kochender Lava bildete. Seltsamerweise verspürte der Detective keinerlei Hitze aus der Tiefe aufsteigen, doch zerbrach er sich darüber im Moment nicht den Kopf. Es gab weitaus wichtigeres zu tun.

Das diffuse Licht der Abenddämmerung und das wabernde Glühen des flüssigen Gesteins, ließ gespenstische Schatten über die Felswände tanzen. Zischend und blubbernd zerplatzten aufsteigende Gasblasen und entließen faulig stinkende Dämpfe. Am Ufer befand sich ein Altarstein und daneben ein eiserner Käfig an einem Metallgestell.

All dies nahm Peter nur am Rande wahr, denn das Geschehen an der Opferstelle fesselte seine ganze Aufmerksamkeit. Fünf Drachenkrieger, davon einer von größerer Statur und mit prunkvoller Kleidung, umzingelten einen am Boden liegenden, offensichtlich verletzten und gefesselten Asiaten - eindeutig Suko.

Zwei der Krieger zogen den Chinesen hoch, der sich widerstandslos in den Käfig sperren ließ. Währenddessen erklomm ein anderer den Felsvorsprung, von wo aus der Hebemechanismus betätigt wurde. Peter starrte wie gebannt auf die Szenerie. Seine Vision wurde zur grausamen Realität. Der ächzenden Laut, mit dem sich die Kette in Bewegung setzte, jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Der Käfig hob vom Boden ab und erst jetzt schien Suko zu begreifen, was mit ihm geschah. Hecktisch versuchte er seinem Gefängnis zu entkommen, jedoch ohne Erfolg.

Peter bezwang das aufsteigende Gefühl von Panik, und konzentrierte sich darauf einen Weg zu finden, Suko zu helfen. Der Vorsprung, auf dem das Gestell stand, befand sich nicht weit von ihm entfernt. Mit etwas Glück konnte er sich unbemerkt anschleichen und den Geisterkrieger daran hindern, sein grausames Werk zu vollenden.

Vorsichtig kletterte der Detective die Innenwand des Kraterrandes herab und hinauf auf den Felsvorsprung. Schon glaubte er sich am Ziel und ein selbstzufriedenes Lächeln glitt über seine Züge. Nur noch wenige Meter trennten ihn von dem dämonischen Diener des Drachenfürsten. In diesem Moment vernahm er Sun Longs Befehl:

"Übergebt ihn dem Drachen!"

Starr vor Entsetzen sah er, wie sich das Bodengitter des Käfigs öffnete und Suko den Halt verlor.

***

John hockte sicher hinter einem Felsvorsprung. Es war ihm gelungen, unbeobachtet von dem am Eingang Wache haltenden Krieger, den Kraterboden zu erreichen. Der Felsvorsprung, an dem der Käfig - mit Suko darin - hing, befand sich auf der gegenüberliegenden Seite der Opferstätte. Um dorthin zu gelangen, würde er den Platz ohne Deckung überqueren müssen. Genau dort aber befanden sich, nahe des Altarsteins, zwei weitere Geisterkrieger und eine dritte dämonische Gestalt. Aussehen, Größe und die Aura des Bösen, die ihn umgab, ließen keinen Zweifel daran, dass es sich um Sun Long, den Drachenfürsten höchstpersönlich, handelte.

Der Geisterjäger warf nochmals einen Blick zu seinem chinesischen Freund hinüber. Der Käfig bewegte sich immer weiter dem Zentrum des kochenden Höllenschlundes entgegen. Suko kauerte bewegungslos in seinem Gefängnis. Er schien resigniert zu haben.

Wütend riss sich John von dem Anblick los. Mit einer energischen Handbewegung streifte er das Kreuz ab und schob es in die Jackentasche, wo er es leichter erreichen konnte. Ihm war klar, dass es für ihn nur einen Weg gab, das Schlimmste noch zu verhindern. Er musste sich dem Drachenfürsten stellen und ihn zwingen Suko freizugeben. Insgeheim hoffte er außerdem darauf, dass Peter die Situation nutzen, und das eiserne Gefängnis wieder zurück auf festen Boden bringen würde.

Die Beretta im Anschlag erhob sich der Geisterjäger und trat aus seiner Deckung heraus. In selben Moment vernahm er Sun Longs Befehl:

"Übergebt ihn dem Drachen!"

Starr vor Entsetzen sah er, wie sich das Bodengitter des Käfigs öffnete und Suko den Halt verlor.

***

Kermit schob sich vorsichtig durch die Tür und betrat den unbeleuchteten Korridor. Bei dem Gedanken zu dieser nachtschlafenden Zeit unaufgefordert in Caines Loft herum zu schleichen, fühlte er sich absolut nicht wohl. Andererseits quälte ihn seit geraumer Zeit ein unangenehmer Druck in der Magengegend. Und wenn er eines in seiner Zeit als Söldner gelernt hatte, dann war es, auf seine Eingebungen zu vertrauen.

Nachdem er gestern Mittag vergeblich versucht hatte, Peter ein paar Informationen über den britischen Yardbeamten zu besorgen, ließ ihn die Tatsache, dass sämtliche Akten im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Mannes derart stark gesichert waren, keine Ruhe mehr. Die halbe Nacht hatte er sich mit den verschiedensten Sicherheitsvorrichtungen herumgeschlagen, bis er endlich doch einen Zugang zu einigen Dokumenten fand. Und was er dort zu lesen bekommen hatte, gefiel ihm ganz und gar nicht. Wenn die Berichte der Wahrheit entsprachen - und dem Aufwand zufolge, der unternommen wurde, sie vor dem Zugriff Dritter zu schützen, musste es so sein -, dann konnte Peter völlig unvorbereitet ganz gewaltig in die Bredouille kommen.

Unmittelbar nach Durchsicht der Berichte, hatte Kermit versucht seinen Freund und Kollegen zu warnen. Über Autotelefon hatte er ihn nicht erreicht, aber auf dem Revier erfuhr er, dass Peter sich dort am frühen Abend in Begleitung des Briten zu einem Besuch bei seinem Vater abgemeldet hatte. Seinem Gefühl folgend, fuhr Kermit nach Chinatown und fand dort Peters Wagen vor Caines Wohnhaus. Obwohl alles ruhig schien, spürte er eine stetig wachsende Unruhe und beschloss, trotz der frühen Morgenstunde, hinauf zu gehen.

So stand er nun in Caines Korridor und horchte in das Halbdunkel. Kein Laut war zu hören - niemand zu sehen. Nur der flackernde Schein von Kerzen drang aus einem der angrenzenden Räume, soweit Kermit wusste, Caines Trainings- und Meditationsraum. Der Detective unterdrückte den Reflex, sich durch Rufen bemerkbar zu machen. Auf keinen Fall wollte er Vater und Sohn bei irgendeiner Zeremonie unterbrechen, zumal er sicher sein konnte, dass der Shambhala-Meister seine Anwesenheit längst bemerkt haben durfte.

Langsam bewegte sich der Ex-Söldner den Gang entlang auf die Türöffnung zu. Im Vorbeigehen warf er einen Blick in den leeren Arbeitsraum des Apothekers. Alles schien in Ordnung. Zwei weitere Schritte brachten ihn vor den Eingang, aus dem das Kerzenlicht auf den Gang fiel. Bei dem Bild, das sich ihm bot, kniff er unwillkürlich die Augen zu.

Der Priester, sein Sohn und ein blonder, großgewachsener Mann - eindeutig dieser Inspektor vom Yard - saßen, scheinbar in tiefer Trance, inmitten eines Kreises aus Kerzen. Vor ihnen lagen zwei aufgeschlagene Bücher. Eines davon erkannte der Detective als das Buch von Shambhala. Das allein war nicht wirklich ungewöhnlich. Die Tatsache allerdings, dass die Körper von Peter und Sinclair durchscheinend waren, er faktisch durch sie hindurch sehen konnte, ließ Kermit an seinem Verstand zweifeln.

'Griffin, du bist eindeutig übernächtigt', schalt er sich und schloss kurz die Augenlider, um dann einen erneuten Blick zu riskieren. Leider jedoch blieb die Szene vor seinen Augen unverändert. Die beiden Polizisten waren tatsächlich nicht mehr, als ein gespensterhaftes Abbild ihrer selbst. Bei genauerem Hinsehen schienen die feinstofflichen Körper in ständiger Bewegung. Mal verdichtete sie sich ihre Konsistenz, um sich gleich darauf beinahe gänzlich aufzulösen.

Ungläubig zog Kermit die Sonnenbrille von der Nase, rieb sich die Augen und schüttelte verwirrt den Kopf. Es gab mit Sicherheit eine Erklärung für dies alles. Andererseits wollte er es vielleicht auch gar nicht so genau wissen. Diese mystischen Dinge überließ er lieber Peter und seinem Vater. Er war der Ex-Söldner und Computer-Freak. Für ihn zählten Logik, Verstand und Instinkt. Und der befahl ihm, wachsam zu bleiben, zu beobachten und einfach abzuwarten.

Vorsichtig darauf bedacht, kein unnötiges Geräusch zu verursachen, das die Konzentration der drei Männer stören konnte, ließ Kermit sich neben der Tür nieder. Erst als er einen harten Druck unter seinem Bein spürte, bemerkte er, dass er sich auf Peters Jacke gesetzt hatte. Tastend schob er die Hand unter den Oberschenkel und holte den störenden Gegenstand zwischen den Falten des Kleidungsstückes heraus. Der flackernde Kerzenschein spiegelte sich auf Peters Beretta. Ohne weiter darüber nachzudenken, legte der Detective die Waffe in seinen Schoß und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Dreiergruppe vor ihm.

 

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