Autor: Dreamy Girl
 

Gedankenverloren saß Peter am Fenster und blickte in die verregnete Nacht. Acht Monate waren vergangen seitdem er Shaolin Priester geworden war und sein Vater die Stadt verlassen hatte. Acht Monate, die für ihn nicht einfach gewesen waren.

Ein leichtes Frösteln ließ ihn erschauern. Dadurch, dass er die Male angenommen hatte, lebte er nun ein völlig anderes Leben als bisher. Es konnte nicht unterschiedlicher zu früher sein, und es fiel ihm schwer alles einfach zu vergessen, was ihm bisher wichtig erschien.

Sein Vater hatte ihm stets erklärt, dass er vieles aufgeben müsste, wenn er sich für ein Leben als Shaolin entscheiden sollte, aber die Wirklichkeit war doch härter als er erwartet hatte.

Damals, vor acht Monaten war alles so wahnsinnig schnell gegangen, dass keine Zeit zum überlegen geblieben war. Nicht, dass er es bereute für seinen Vater eingetreten zu sein, das stand außer Frage, nur war er sich nicht wirklich sicher, ob er sich sonst so früh schon für die Brandmale entschieden hätte.

Er holte tief Luft. Nun, das Schicksal hatte es eben so gewollt, jede andere Entscheidung seinerseits wäre unverzeihlich gewesen. Er spürte einen leichten Druck auf der Brust. Warum fühlte er sich mit all den Erkenntnissen nicht besser? Nein, als richtig glücklich und zufrieden konnte er sein jetziges Leben nicht beschreiben,wenn er es sich ehrlich eingestand. Aber das schien wohl sein Schicksal zu sein, oder nicht?

Alle Einwohner Chinatowns brachten ihm vollen Respekt entgegen. Ihm selbst bereitete es Freude, trotz seiner dürftigen Fähigkeiten als Apotheker, den Menschen zu helfen. Er versuchte sein Bestes, aber all die Dinge zu lernen die nötig waren um ein so guter Heiler zu werden wie Lo Si oder sein Vater, fiel ihm äußerst schwer.

Die ganze Zeit schon versuchte erseinem Vater nachzueifern wo er nur konnte, was ihm allerdings nicht wirklich gelang. Sein Dad ließ sich eben nicht so schnell ersetzen, wenn das überhaupt möglich sein konnte.

Peter blieb nun mal Peter und sein Vater war eben sein Vater und dieser befand sich nun mal auf einer Ebene die für ihn noch in weiter Ferne lag. Er verzog die Lippen zu einem wehmütigen Grinsen. Es wäre auch langweilig genauso wie sein Vater zu sein.

Wie hatte Lo Si mal so schön gesagt. "Ihr seid beide Eins und trotzdem ist jeder ein Anderer." Recht hatte er.

Ein Seufzer entrang sich seiner Brust und er sah sich um. Er lebte nun hier in der Wohnung seines Vaters. Das Meiste war so geblieben, wie Caine es damals verlassen hatte, nur zwei Räume hatte sich Peter mit einigen seiner Möbel aus der alten Wohnung eingerichtet. Natürlich konnte er seine jetzige Wohnsituation keineswegs mit seinem früheren Zuhause vergleichen, doch als Shaolin gehörte wohl eine kärglichere Umgebung zur Berufsausschreibung. Leider fehlte ihm schlichtweg das Geld für eine bessere Unterkunft, da er noch immer keine passende Anstellung gefunden hatte.

Er war sich dessen bewusst gewesen, als er seinen Dienst quittierte und nun durch das fehlende Einkommen auf einigen gewohnten Luxus verzichten musste. Er verzog leicht das Gesicht. Er hatte durch seine Entscheidung Freunde verloren, das schmerzte ihn, aber er konnte es nicht ändern.

Sein geliebter Stealth fehlte ihm auch sehr, denn er konnte den Unterhalt für ein Auto nicht aufbringen, auch wenn Annie ihm schon oft angeboten hatte, ihm zu helfen. Nur konnte und wollte er das großzügige Angebot nicht annehmen. Also lebte er nun hier in dieser bescheiden eingerichteten Wohnung und erledigte alle nötigen Wege zu Fuß, genau wie sein Vater es immer tat.

Wenigstens fühlte er hier die Nähe seines Vaters. Er meinte fast seine Präsenz zu spüren, und das machte ihn glücklich. Mit Ausnahme der zwei Räume, hatte er peinlichst genau darauf geachtet, in den anderen Räumen nichts zu verändern. Peter lächelte und stellte sich vor, wie sein Vater reagieren würde, wenn er auch den Rest der Wohnung nach seinem eigenen Geschmack einrichten würde.

Der junge Mann schüttelte den Kopf. Nein, dies war das Zuhause seines Vaters, und wenn er zurückkäme, sollte er es so vorfinden, wie er es verlassen hatte.

Peter seufzte erneut. So vieles hatte sich verändert. Nachdenklich betrachtete er seine Male. Er fühlte sich einfach nicht so wie erhofft. Die innere Zerrissenheit bedrückte ihn. Er vermisste seinen Vater, dessen moralische Unterstützung er jetzt dringend gebraucht hätte. Wenigstens konnte der Ehrwürdige ihm gelegentlich unter die Arme greifen.

Lo Si, auch ihn hatte Peter schon lange nicht mehr gesehen. Der Alte hatte ihm wenige Tage nach der Abreise seines Vaters gestanden, dass er der alte Ping Hai aus dem Tempel sei. Ping Hai, der Name hinterließ längst nicht mehr den bitteren Geschmack in ihm, wie noch vor einigen Monaten.

Immerhin war er jetzt ebenfalls ein Shaolin und Shaolin konnten vergeben, oder? Sein Vater hatte es ja offensichtlich auch gekonnt. Es waren bittere Worte gefallen. Worte, die Peter kurze Zeit später wirklich bereute. Selbstverständlich hatte er sich bei dem alten Mann dafür entschuldigt und Lo Si verzieh ihm, wie es sich schließlich für einen guten Shaolin gehörte.

Aber die Kluft blieb bestehen und Peters Verdacht, dass Lo Si ihn vielleicht nicht ganz uneigennützig zu den Brandmalen gedrängt hatte, verstärkte sich immer mehr Widerstrebend, sich jedoch Peters Wunsch schließlich beugend, hatte Lo Si zugestimmt dessen erste Schritte als Shaolinpriester, ohne die Hilfe des alten Meisters schaffen zu wollen.

Schon bald hatte sich Peter darüber geärgert, leichtfertig die Hilfe des Ehrwürdigen abgeschlagen zu haben. Er musste sich eingestehen, dass ihn einige Dinge hoffnungslos überforderten und so hatte er Lo Si doch noch um Hilfe gebeten.

Er musste seinen eigenen Weg finden, nur brauchte dies einfach noch etwas mehr Zeit. Wenn wenigstens sein Vater da wäre, doch dieser befand sich immer noch auf der Suche nach seiner Frau und Peters Mutter.

Der junge Shaolin versuchte die trüben Gedanken abzuschütteln. Auch wenn es ihm nicht leicht fiel, denn er fühlte sich oft sehr einsam und allein gelassen. Außerdem vermisste er schmerzlich seine Freunde vom Revier. Plötzlich schreckte er auf.
"Was war das?" grübelte er.

"Buaahh,buahh."

Es hörte sich an, wie das Weinen eines Babys. Das Geräusch wurde lauter und tatsächlich; es war das Weinen eines Babys. Wo kam es nur her? Peter blickte sich um und lief vor die Tür. Er konnte nichts außergewöhnliches entdecken, aber das Weinen ertönte noch immer.

Schulterzuckend ging er wieder in seine Wohnung, als ein leiser Luftzug durch den Raum wehte, alle Kerzen plötzlich erloschen und schlagartig das Weinen verstummte.

Peter blieb wie angewurzelt stehen und lauschte. Sein Herz pochte und ein nervöses Kribbeln machte sich in seiner Magengegend breit. Unvermittelt spürte er die Gegenwart eines Anderen, doch ehe er reagieren konnte wurde er von einer unsichtbaren Kraft mit einer gewaltigen Wucht gegen die Wand geschleudert. Völlig benommen rappelte er sich auf.

"Was zum Henker...",versuchte er zu sagen, da erhielt er den nächsten Stoß.

"Argh, verdammt."

Es gab kaum eine Stelle am Körper die nicht durch den Aufprall schmerzte und er fragte sich kurz, ob es sich wohl so anfühlte, wenn man von einer Dampfwalze überrollt wurde. Dann sah er eine Gestalt an der Türe stehen.

"Caine, junger Caine", erklang es höhnisch. "Wir haben uns lange nicht gesehen."

"Wer ist da?", fragte Peter irritiert und blinzelte in die Dunkelheit.

Schwach erinnerte er sich an den Moment vor einigen Monaten, als sein Vater ihm gezeigt hatte, wie man in der Dunkelheit sehen konnte. Er hatte alles verdunkelt und verlangte von Peter durch den Raum zu schreiten und sein inneres Auge zu benutzen.

Es war nicht einfach gewesen und hatte ihn einige blaue Flecken gekostet, weil er natürlich gegen alle möglichen Gegenstände gelaufen war, die im Weg standen. Aber sein Vater hatte nicht locker gelassen und letztendlich war es ihm auch gelungen. Leider fehlte ihm im Moment die nötige Konzentration, um es ein weiteres Mal zu schaffen. Er war froh seinen verschwommenen Blick wenigstens so weit klären zu können, um die Umrisse im Dunkeln zu erkennen.

"Du erkennst mich nicht? Warte ich komme zu dir", sagte die Stimme und die Gestalt trat näher.

Peter sah angespannt auf. "Wer sind sie?", fragte er erneut und überlegte fieberhaft wen er da vor sich hatte.

Wie von Geisterhand flackerten einige der Kerzen wieder auf und verbreiteten ein gedämpftes Licht. Peter verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und ärgerte sich, dass er sich noch immer kaum bewegen konnte.

Ein kahler Mann von normaler Statur baute sich bedrohlich vor ihm auf. Der Schein einer Kerze huschte über das Gesicht des Aggressors und enthüllte ein böses Funkeln in seinen Augen.

"Erkennst du mich nicht?" erkundigte sich der Fremde, begleitet von einem teuflischen Lachen, das im gesamten Raum wiederhallte.

Peter blinzelte erneut um genauer sehen zu können, irgendetwas kam ihm bekannt vor.

"Sieh her, ich bin es Selentine", gab sich der Unbekannte zu erkennen.

Peters riss überrascht die Augen auf.

"Selentine?"

Erleichtert darüber, dass er nicht mehr allzu verschwommen sah, betrachtete er die Gestalt vor sich genauer und tatsächlich, es war Selentine.

"Wo sind denn deine Haare geblieben? Soll ich dir einen Lolli geben? Dann würdest du Kojak ernsthaft Konkurrenz machen", scherzte der junge Shaolin.

Als Antwort erhielt er augenblicklich einen heftigen Stoß gegen die Brust, der ihm die Luft nahm.

"Wow", stöhnte er, "was war das?"

Wie vorhin hatte er weder eine Bewegung gesehen, noch eine menschliche Berührung gespürt.

"Ich war nur eine Weile, nun ja, verhindert. Dank dir und deinem Vater. Ich habe mein Aussehen etwas verändert, es macht so vieles leichter. Aber glaube mir, im Innern bin ich immer noch ich selbst", zischte Selentine.

"Vielleicht hättest du daran nicht sparen sollen? Hat Tartarus heute Tag der offenen Tür? Oder wollte man dich selbst dort nicht mehr?", flachste Peter.

Rumms, ein weiterer Stoß streckte ihn zu Boden.

"Nicht so frech, junger Caine. Nur weil du nun ein Shaolin bist, heißt das nicht, dass du so respektlos mit mir reden kannst. Ich erlaube niemandem diesen Ton", grollte Selentine.

Peter fühlte einen überwältigenden Drang, Selentine mitten ins Gesicht zu springen, doch leider verweigerte ihm der Rest seines Körpers seinen Dienst. Seine Knochen schmerzten einfach zu sehr, als dass er sich schnell würde bewegen können. *Woher hat er nur diese Kraft?* fragte er sich.

"Deine Lebensgeschichte mag ja sehr interessant sein, aber mir ist sie egal. Also sag mir einfach nur was du willst", knirschte Peter.

"Dich", antwortete Selentine.

"Mich? Was für ein Mist ist diesmal deinem kranken Hirn entsprungen?", rief Peter wütend.

Der ehemalige Detective konnte sich keinen Reim darauf machen. Was hatte das zu bedeuten? Selentine wurde damals von ihm und seinem Vater besiegt. Bei ihrer letzten Begegnung hatte der Verrückte versucht, Shambhala zu zerstören, indem er Caine und Captain Simms in die Vergangenheit entführte und sie als Druckmittel gegen ihn einsetzte. Damit wollte er ihn und Kermit dazu bringen, einen magischen Kristall aus Regierungseigentum zu stehlen, den der abtrünnige Shaolin für seine Pläne benötigte. Gemeinsam mit Caine war es ihnen allerdings gelungen Selentine und seine Leute zurück nach Tartarus zu verbannen und Peter hatte gehofft, nie wieder etwas von ihm zu hören.

Selentines Worte holten Peter schnell wieder in die Gegenwart zurück.

"Du wirst es erfahren, junger Caine, wenn die Zeit reif ist."

Mit diesen Worten verschwand Selentine wieder von der Bildfläche. Peter stieß einen deftigen Fluch aus und rappelte sich mühsam auf die Beine.

"Warte, was soll das, was willst du von mir? Sag schon!", rief er aus und suchte den gesamten Raum mit Blicken ab, aber er war schon wieder alleine.

Peter hielt sich die schmerzenden Rippen und humpelte ans Fenster. Zu seinem Ärger konnte er Selentine nirgends entdecken. Er schien sich in Luft aufgelöst zu haben.

*Seltsam, was sollte das?*, fragte sich der junge Shaolin stirnrunzelnd. Er schloss seine Augen und versuchte sich zu beruhigen, um die Schmerzen zu kontrollieren, so wie sein Vater es ihm beigebracht hatte.

"Ich muss lernen, endlich meinen Mund zu halten. Paps hat das immer kritisiert. Selbst jetzt als Shaolin habe ich es noch nicht verstanden."

Peter schleppte sich in das angrenzende Schlafzimmer, zog sein Hemd aus und betrachtete seinen Oberkörper. Er hatte sich, so wie es aussah, nur einige blaue Flecken zugezogen, aber Peter war nun gewarnt, dass der einstige Shaolin über weitaus größere Fähigkeiten verfügte als früher. Seine kleine Demonstration ließ Böses ahnen.

"Tja, Peter Caine, das wäre deinem Paps sicher nicht passiert", murmelte er ironisch und setzte sich erschöpft auf sein Bett.

Er brauchte seine Kräfte und hoffte, dass sie ausreichen würden. Dennoch fühlte er eine tiefe Unruhe, weil er in seinem Inneren schon längst wusste, dass Selentine keine leeren Drohungen aussprach.

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