Prolog Kermit steuerte die Corvair zurück zum Revier. Neben ihm saß Jody, die immer noch einen hochroten Kopf nach dem Gerichtstermin vor einer Stunde hatte. "Ich kann es einfach nicht glauben. Was denkt sich dieser Anwalt bloß?", zeterte sie zum wiederholten Mal. Kermit grinste nur belustigt, er sah die Sache nicht so eng, schließlich war der Vergewaltiger rechtskräftig verurteilt worden. "Jetzt beruhig dich endlich. Ist doch alles gut gegangen", versuchte er sie zu beschwichtigen, aber seine Kollegin sah das anders. "Kann ja sein. Aber es regt mich einfach auf, dass der Kerl versucht hat, meine Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen", knurrte sie. Der Ex-Söldner grinste, auch wenn er selbst an ihrer Stelle vermutlich ebenso angefressen gewesen wäre, aber das wollte er jetzt nicht zeigen. "Aber die Geschworenen haben ihm nicht geglaubt und der Richter hat ihn dafür gerügt. Was will man mehr?", meinte er in locker-leichtem Tonfall und hoffte, dass sie endlich aufhörte sich zu beschweren. Sie murmelte nur etwas Unverständliches und schwieg dann grimmig. Aber bevor die beiden Cops in ihren Gedanken versinken konnten, meldete sich das Funkgerät zu Wort. "Zentrale an alle Einsatzkräfte. Wir haben einen 187, 3592 Forsyth Avenue. Verfügbare Einheiten bitte melden." Kermit zog sofort das Sprechgerät ab und meldete sich, das Haus befand sich buchstäblich um die Ecke von ihrer aktuellen Position. Noch während er sprach riss er die Corvair herum und bog in die nächste Seitenstraße, Jody klammerte sich am Armaturenbrett fest. Wie zu erwarten gewesen war, trafen sie als erste am Einsatzort ein. Das Haus war eines von vielen gleich aussehenden Reihenhäusern, tief in der chinesischen Gemeinde, wo sich ein Cop in der Regel nicht hinverirrte, wenn er keinen Grund dafür hatte. Die Umgebung wirkte ruhig, kaum ein Mensch befand sich auf der schmalen Straße, die Vorhänge des Hauses waren geschlossen, kein Geräusch drang heraus. Kermit und Jody zogen ihre Pistolen und gingen langsam und umsichtig auf die Haustür zu. Der Ex-Söldner drehte sich noch mal herum und sah die Straße entlang. In den Häusern ringsum wackelten die Gardinen, das konnte er deutlich sehen. Und dennoch wusste er, dass niemand etwas gesehen oder gehört hatte, wenn man danach fragen würde. So war das hier, tief im Herzen Chinatowns, einer kleinen Welt, in die niemand von außen Zutritt bekam. Jody horchte an der Tür, konnte aber kein Geräusch vernehmen und bedeutete dies ihrem Partner mit einem Kopfschütteln. Kermit nickte und schlug dann kraftvoll mit der Faust gegen die Tür, begleitet von seiner Identifikation als Polizist. Er selbst hielt diese Aktionen für sinnlos, weil sie etwaige Verbrecher vorwarnten, aber es war leider nötig, sonst würde die Verhaftung für ungültig erklärt werden können. Danach fragten windige Anwälte als erstes. Es gab immer noch keine Reaktion hinter der weiß lackierten Holztür, auch von der Rückseite des Hauses drang kein Ton zu ihnen. Es war totenstill in der Gasse. Jody wiederholte das Klopfen und Rufen, bekam aber selbige Stille zur Antwort. "Geh zur Seite", meinte Kermit schließlich und warf sich gegen die Tür, wobei er mit Wucht das Schloss aus dem Rahmen drückte. Es gab einen Knall, als das Holz zersplitterte, dann kehrte sofort wieder Ruhe ein. Mit vorgehaltenen Waffen bahnten sie sich jetzt durch den schmalen Flur ihren Weg in das Innere des Hauses, direkt auf den Durchgang am anderen Ende zu, an dessen Rahmen deutlich Blutspuren zu erkennen waren. Sie drückten sich an die Wände, um einander kreuzweise sichern zu können, und schlichen geräuschlos in der Stille ihrer Umgebung vorwärts. Sie standen auf gleicher Höhe, und langsam eröffnete sich vor Jodys Augen eine am Boden liegende Person, über und über mit Blut bedeckt. Bevor sie aber ihren Partner darauf aufmerksam machen konnte, richtete der seine Desert Eagle energisch nach vorne. "Waffe fallenlassen!", donnerte er durch den Raum, so dass es in Jodys Ohren dröhnte. Sie wechselte die Seite und stellte sich neben Kermit, auch ihre Pistole jetzt auf die Frau gerichtet, die an der Küchenzeile hockte. "Runter mit dem Messer!", fügte sie hinzu und verharrte zunächst. Sie konnte lange schwarze Haare sehen, die das Gesicht verdeckten, ein ehemals weißes T-Shirt, das viele Blutspritzer aufwies, und in den Händen hielt die Frau ein großes Gemüsemesser. Da sie nicht reagierte wuchs in der Polizistin der Verdacht, dass sie vielleicht auch verletzt oder tot war. Auf der anderen Seite hielt sie das Messer fest umklammert, mit der Spitze nach oben; das sah nicht wirklich nach Bewusstlosigkeit aus. "Lady, legen sie das Messer weg!", wiederholte Kermit seine Aufforderung und schob sich langsam durch den Durchgang in die Küche. Jody folgte ihm, aber noch immer gab es keine Reaktion. Kermit drehte sich kurz zu der am Boden liegenden Gestalt und bedeutete seiner Kollegin dann mit einem Kopfnicken, dass sie sich darum kümmern sollte. Rückwärts ging sie darauf zu und hockte sich neben den Körper, der auch eindeutig einer Frau gehörte. Ihre Finger glitten zum Hals, schmierten dabei zwangsläufig durch das Blut, das buchstäblich überall war, und ertasteten nichts. "Sie ist tot", meinte sie und richtete sich auf, um sich wieder neben Kermit zu stellen und ihn zu sichern, als dieser jetzt auf die Frau mit dem Messer zuging. Noch immer gab es keine Reaktion von der Gestalt an dem Küchenschrank. "Lady, lassen sie das verdammte Messer fallen!", forderte Kermit ein weiteres Mal auf und trat einen Schritt auf sie zu. Urplötzlich sprang die Frau auf und fuchtelte wild mit dem Messer in Kermits Richtung. Der Cop sprang zurück. Jody legte genau an und war kurz davor abzudrücken, als der Ex-Söldner mit geübten Handgriffen nach dem Handgelenk der Angreiferin schnappte, sie entwaffnete und ihr die Arme auf den Rücken drehte. Während sie die Handschellen angelegt bekam zeterte sie permanent auf Chinesisch, keifte und schrie, was die beiden Cops allerdings nicht beeindruckte. Just in diesem Moment kamen zwei Streifenpolizisten mit gezogenen Revolvern herein, erkannten die Situation und steckten sie wieder weg. "Ich sehe, sie haben die Sache unter Kontrolle", meinte einer von ihnen und betrachtete den Tatort und die Frau eingehend, "scheint ja ein klarer Fall zu sein." Kermit sah zu ihm rüber und brummte böse. "Das werden wir sehen, wenn er abgeschlossen ist! Rufen sie die Spurensicherung und einen Leichenwagen, Officer. Dann bringen sie die Dame aufs 101. Revier. Wir warten hier auf die Kollegen", befahl Kermit und schob die kreischende Frau in die Arme des Uniformierten. "Wir werden einen Übersetzer brauchen, fürchte ich, allein schon, um ihre Rechte vorlesen zu lassen", kommentierte Jody, nachdem sie mit Kermit wieder allein am Tatort war, abgesehen von der Leiche. "Mhm", war alles, was ihm über die Lippen kam, während er eingehend die Szenerie begutachtete. "Spricht Ryan eigentlich auch Chinesisch? Er ist doch so ein Sprachtalent, soweit ich das mitbekommen habe", führte Jody weiter aus, als ob sie gar nicht gemerkt hätte, dass ihr Kollege grade mal wieder einen seiner weniger gesprächigen Momente hatte. "Keine Ahnung", brummte der Ex-Söldner und hockte sich neben die Leiche der Frau um ihre Wunden zu untersuchen; jedenfalls soweit man sie unter dem ganzen Blut eindeutig ausmachen konnte. Das große Messer musste mehrfach mit viel Kraft und Wut in den schmalen Körper gerammt worden sein, das war deutlich erkennbar. Kermit stand wieder auf und sah noch einmal über all das Blut in dieser Küche. "Lass uns draußen warten, dann kann ich schon mal Meldung an Broderick machen, dass er gleich eine kreischende Chinesin geliefert bekommt", meinte der Cop mit den Gläsern schließlich und bewegte sich zum Ausgang. "Gute Idee. Bevor mein Hotdog von heute Mittag es sich noch anders überlegt", kommentierte Jody und folgte ihm direkt an die frische Luft, wo sie sich ans Funkgerät hängten und dann auf den Leichenwagen und die Spurensicherung warteten. * * * Peter saß auf einer dünnen Bambusmatte und meditierte. Er konnte selbst nicht sagen worüber, er ließ einfach seinen Geist fliegen und entspannte dabei total. Es gab nichts bestimmtes, was er wahrnahm, es war vielmehr ein absolutes Abschalten; Hand in Hand mit dem Gleichgewicht des Universums fand er das seine und dabei noch Ruhe und Gelassenheit. Seit den Erkenntnissen der Prüfung, und seit Cat wieder vollständig gesund war, hatte ihr Leben eine positive Wendung genommen. In seinen Augen erschienen die schlechten Dinge viel unwichtiger, die Guten dafür umso bedeutsamer. Es war tatsächlich eine nächste Stufe gewesen, die er erreicht hatte, und jetzt konnte er auch mehr und mehr die Sichtweisen seines Vaters verstehen. Für ihn hatte es unendlich oft nach Gleichgültigkeit geklungen, nach Desinteresse, wenn Caine ihn aufgefordert hatte, der Natur seinen Lauf zu lassen. Aber nun sah er das ähnlich, konnte nachfühlen, warum sein Vater gesagt hatte, was er gesagt hatte. Die Welt war einfacher und klarer als zuvor. Und das Leben einfach schön. Am erstaunlichsten aber daran war, dass er und Cat trotz dieser Stufe des Shaolin-Seins keine Probleme in ihrer Ehe und ihrer Kommunikation hatten. Mittlerweile war sie mit ihrer Quirligkeit ein Gegenpol zu ihm, und trotzdem hatte sie Verständnis und Respekt für seine Ansichten und Aussagen. Es gab keinen Streit darüber. Peter lächelte, während er seinen Geist fliegen ließ, aus dem Fenster heraus, über die Stadt, das Land, den Kontinent und die Welt. Selten hatte er sich so frei gefühlt, wie er seinen Geist grade wandeln ließ. Es fühlte sich großartig an, unbeschwert, einfach unbeschreiblich schön.
Kermit und Jody fuhren auf direktem Weg zum Revier und betraten ihre Arbeitsstätte wie immer durch die große Flügeltür. Broderick stand am Empfang und füllte Formulare aus. "Hallo Sergeant. Ist mein Päckchen angekommen?", fragte er sofort als der Beamte aufsah. "Gut verschnürt und äußerst lautstark hier eingetroffen. Zwei Kolleginnen kümmern sich um sie, damit sie sich waschen und umziehen kann. Die Beweissicherung ist schon durch", erklärte er sofort fachmännisch und wandte sich ebenso schnell wieder seinem Papierkram zu. Kermit nickte zufrieden und ging in das Großraumbüro. Alles in ihm schrie nach einer Tasse heißem Kaffee, um diesem Tag vielleicht doch noch ein gutes Ende geben zu können. "Wo ist Walker?", fragte er in die Runde, während er sich einen Becher vom Regal nahm und einschenkte. "Er ist mit Skalany unterwegs, die beiden kümmern sich um die Geldtransporter-Sache", gab T.J. Auskunft und sah Kermit dann abwartend an. Es war deutlich, dass ihn auch brennend interessierte, warum der frühere Söldner nach ihm fragte, schließlich hatte Ryan auch eine Art geheimnisvollen Ruf wie der Ex-Söldner erlangt. Der aber zog stattdessen sein Telefon aus der Tasche und wählte die Nummer seines zeitweiligen Partners. "Walker", meldete der sich sofort am anderen Ende der Leitung. "Das ging schnell, hast du den Anruf vorausgesehen?", fragte Kermit verblüfft, schließlich hatte nur einmal kurz geklingelt. "Nein, ich hab grade mit Haley telefoniert und in dieser Sekunde aufgelegt. Was kann ich für dich tun?" "Sag mal, sprichst du Chinesisch?", kam der Cop mit er Brille direkt auf den Punkt. "Nein, überhaupt nicht. Mit Japanisch könnte ich dienen, aber bevor du jetzt irgendwas sagst: Die beiden Sprachen sind sich nur halb so ähnlich, sie wie sich anhören", machte Ryan sofort deutlich, dass er seinem Freund nicht helfen konnte. "OK, trotzdem danke. Ich werd Peter anrufen, vielleicht hat er ja Zeit." "Was ist denn los?" "Wir brauchen nur einen Dolmetscher für eine Verdächtige in einem Mordfall. Alles halb so wild, sieht ziemlich eindeutig aus", erklärte er und ging gleichzeitig mit seiner Tasse in sein Büro. "Die vermeintlich eindeutigen sind die Schlimmsten", sagte der blonde Cop mit einem wissenden Schmunzeln, "aber das weißt du ja. Viel Erfolg." "Euch auch", verabschiedete sich Kermit und legte auf. Ryan hatte Recht, er sollte an sich halten, die Frau nicht vorschnell zu verurteilen. Auch wenn ihm nicht wirklich einfallen wollte, wie sich der Sachverhalt anders erklären sollte. Auf der anderen Seite; wenn sie die Mörderin war, warum war sie dann nicht weggelaufen, als er und Jody geklopft hatten? Kermit schüttelte den Kopf, es war sinnlos ihn sich jetzt darüber zu zerbrechen. Diese Fragen konnte er der Frau stellen, aber dazu brauchte er zunächst einen Übersetzer. Schnell drückte er die Kurzwahltaste für Peters Hausanschluss und horchte auf das Rufzeichen, bis sich endlich jemand meldete. "Caine", hörte er Cats müde Stimme am anderen Ende. "Hallo Kleines. Geht's dir gut?", erkundigte er sich schnell, sie klang irgendwie merkwürdig. "Was? Ja, alles bestens. Ich bin nur anscheinend auf dem Sofa eingepennt und grade wach geworden", murmelte sie immer noch ziemlich schläfrig und gähnte dann auch herzhaft. Kermit musste grinsen. "Dann bin ich ja unbesorgt. War's wieder spät gestern?" "Mhm." "Dann sei dir der Schlaf gegönnt. Sag mal, ist Peter greifbar? Ich bräuchte ihn hier", meinte Kermit und hörte, wie sie einen skeptischen Laut von sich gab. "Was ist denn?", hakte sie misstrauisch nach. Kermit und Peter hatten sich schon eindeutig zu oft gemeinschaftlich in irgendwelche brenzlige Situation befördert. "Ich brauch ihn nur als Übersetzer, keine Angst. Ich geb' ihn dir unbeschadet zurück", konterte Kermit sofort grinsend und vernahm, wie sie aufatmete. "Dann ist ja gut. Ich geh mal nachsehen, er wollte meditieren", teilte Cat mit und der Cop wartete geduldig, bis sie ihren Weg durch den Flur beschritten hatte. "Peter? … Peter? … Kermit für dich", hörte er und hatte dann auf einmal den Shaolin am Apparat. "Hi Partner! Was gibt's?" "Ich bräuchte mal einen Übersetzer hier auf dem Revier. Hast du zufällig Zeit?", kam der Ex-Söldner sofort zur Sache. "Klar. Worum geht's denn?", gab Peter umgehend zurück. "Mord. Eine Chinesin. Oder Halbchinesin, keine Ahnung. Hab sie nur ganz kurz gesehen, als sie mich aufschlitzen wollte." "Äh… WAS?", polterte der Shaolin überrascht los, als er Kermits Ausführungen hörte. "Schon gut, nichts passiert. Ich hab sie entwaffnet, in Handschellen gelegt und einem Streifenbeamten in die Hand gedrückt. Sie hat die ganze Zeit auf Chinesisch herum geschrieen, deshalb gehe ich davon aus, dass sie unsere Sprache nicht spricht", erläuterte der Polizist die näheren Umstände. "Wo habt ihr sie denn hochgenommen?", wollte es Peter jetzt ganz genau wissen, um sich auf seinen Job einstellen zu können. "Forsyth Avenue. Tiefstes Chinatown." "Das kannst du wohl sagen. Da fühl ich mich sogar wie ein Fremder. Also gut, ich bin in ein paar Minuten bei dir. Bis gleich", beendete Peter schließlich das Telefonat und legte auf. * * * Peter ging nach einer kurzen Begrüßung direkt an Broderick vorbei und hob die Hand für Kermit, der grade mit Jody die Personalien der Verdächtigen klärte. "Hey ihr beiden", meinte er ruhig, als er sich neben sie stellte, "was habt ihr denn da?" "Die persönlichen Sachen unserer Mörderin", meinte Jody lapidar und bekam dafür gleich zwei skeptische Blicke zugeworfen. "Nicht so hastig, die Verurteilung sollten wir den Geschworenen überlassen", mahnte Kermit sofort an, obwohl er denselben Fehler auch schon gemacht hatte. Peter nickte zustimmend. "Komm schon, Kermit. Du hast gesehen, was ich gesehen habe. Die Sache ist klar." Peter musste sich in dem Moment arg auf die Zunge beißen, um nicht irgendeinen belehrenden Shaolin-Spruch vom Stapel zu lassen, die ihm mittlerweile ebenso schnell durch die Lippen rutschten wie einst seinem Vater. "Kann ja sein. Trotzdem…", ließ Kermit den Rest offen und wandte sich dann mit dem Führerschein der Frau in der Hand zu seinem Freund. "Ihr Name ist Sun Ni Chao. Halbchinesin. Zweiunddreißig Jahre alt, nicht verheiratet, keine Kinder. Sie lebte in der Wohnung zusammen mit dem Opfer, Nia Chao, es waren Cousinen", erläuterte Kermit jetzt die Sache für den hinzugekommenen Shaolin. "Haben die Nachbarn was gesehen oder gehört? Beziehungsweise überhaupt was gesagt?", horchte Peter weiter nach. Es gab doch noch den Cop in ihm, irgendwo ganz tief drin, dem die Routine der Fragestellungen noch nicht abhanden gekommen war. "Bisher nicht, die Kollegen sind noch vor Ort. Aber du kennst das ja hier. Die liebe Sun Ni wird grade hochgebracht, wollen wir sie uns erstmal ansehen?", meinte Kermit schließlich und kippte den Kopf in die Richtung der Verhörräume. Peter und Jody nickten und folgen ihm zunächst in den Nachbarraum mit der einseitig gespiegelten Glasscheibe. Sie konnten grade beobachten, wie die Frau von einer Beamtin hereingeführt wurde, die sie am Oberarm festhielt und auf den Stuhl setzen wollte. Eigenwillig versuchte die Verdächtige die Schulter und den Arm ihrer mit Handschellen gefesselten Hände zu entziehen und blickte wütend rüber. Kaum dass die Polizistin wieder durch die Tür verschwunden war, starrte sie gegen die Glasscheibe, so als wüsste sie genau, dass die drei dahinter standen. Ihre Augen funkelten wütend, ihr Blick war hart und stur. Die langen, schwarzen Haare waren ordentlich nach hinten gekämmt, so dass man jetzt problemlos ihr durchaus hübsches Gesicht sehen konnte. "Das ist eure kaltblütige Killerin?", fragte Peter jetzt doch ziemlich verblüfft. Kermit beobachtete ihn genau von der Seite. "Kannst du mir was anderes erzählen?", kam die sofortige Gegenfrage. Peter schüttelte den Kopf. "Nein. Ich weiß genauso viel wie ihr, Partner. Ich bin nur zum Übersetzen hier", wehrte der Shaolin ab. Kermit wusste, dass er seit seiner Prüfung vorsichtiger mit seinen Sinneswahrnehmungen umging und sie nicht mehr so klar erfassen und wiedergeben konnte. Irgendetwas hatte sich seitdem verändert. Zum einen war Peter noch ruhiger und ausgeglichener geworden, aber zum anderen auch noch kryptischer und er hielt sich mit Aussagen wesentlich mehr zurück. Kurz: Er wurde seinem Vater immer ähnlicher. "Aber denken darfst du dabei auch noch", meinte Kermit mit einem Grinsen zum Abschluss und führte die beiden zu ihrer Verdächtigen in den Raum. Kaum hatten sie das Zimmer betreten, wurde sofort wieder auf Chinesisch auf sie eingemeckert und gezetert, sodass der Cop umgehend die Augen hinter der Brille verdrehte. "Was sagt sie?", fragte er brummend. "Das willst du lieber nicht wörtlich wissen, es ist nicht besonders freundlich", erklärte Peter, den die Fülle an Schimpfwörtern im Vokabular der Frau schon fast die Schamesröte ins Gesicht trieb. Endlos prasselten die Salven an Beschimpfungen auf sie ein und die drei Personen hatten Mühe, sie zu übertönen. "Sag ihr, sie soll den Mund halten!", wies Kermit inzwischen wirklich ärgerlich an. Peter redete sofort auf sie ein, hatte aber keinen Erfolg. Sie zeterte und meckerte und ließ die beiden Cops völlig verständnislos stehen. Auch das Gesicht des Shaolins wurde langsam leicht genervt, er schwieg und gab seine Versuche auf, sie zum Aufhören zu bewegen. Urplötzlich fuhr er sie dann ziemlich laut an, woraufhin sie vor Schreck tatsächlich verstummte und wütend zwischen ihnen hin und her starrte. "Ein reizendes Geschöpf. Frag sie, ob sie weiß, warum sie hier ist", meinte Kermit und sofort schoss Peter mit den Worten auf Chinesisch heraus. Geduldig warteten die Polizisten, bis Peter wieder in ihrer Sprache mit ihnen redete. "Sie sagt, sie hat niemanden umgebracht", meinte er mit völlig neutralem Tonfall. Als sie plötzlich wieder anfing zu zetern, übersetzte er simultan, weil eine Erklärung in seinen Worten zuviel Zeit beanspruchen würde. "Das ist Polizeibrutalität. Diskriminierung. Ich habe niemanden getötet. Ich bin unschuldig. Ich will sofort nach Hause. Das ist Freiheitsberaubung. Eine Unverschämtheit. Ich habe meine Cousine verloren. Ich will nach Hause. Lassen sie mich sofort gehen. Ich habe nichts verbrochen." Kermit wurde es zu bunt. Noch während sie sich beschwerte und bevor Peter weiter sprechen konnte schlug er heftig mit der flachen Hand auf den Tisch und lehnte sich zu ihr rüber. "Hören sie Lady! Sie halten jetzt die Klappe, oder ich vergesse mich!", donnerte er ihr entgegen. Sie funkelte ihn böse an, ihr Blick hatte etwas überaus starkes, und schielte dann trotzig zu Peter. Der übersetzte in einer etwas freundlicheren Formulierung und ließ die offene Drohung dabei weg. "Wenn ich ihnen das glauben soll, müssen sie schon mit uns zusammen arbeiten. Erzählen sie uns, was genau passiert ist", meinte Kermit jetzt mit etwas versöhnlicheren Worten. Peter übersetzte. "Ich habe nichts getan", war die Antwort auf die Aufforderung, und langsam wurden sie alle ziemlich ärgerlich über ihr stures Verhalten. "Dann können wir ihnen auch nicht helfen", schloss Jody schnippisch ab und wandte sich der Tür zu. Kermit folgte ihr auf dem Fuß, er hatte die gleiche Reaktion vorgehabt; Peter ging hinterher, schließlich war er in diesem Moment nur Schatten der Polizei. Gerne hätte er es noch etwas länger versucht, an die Frau heran zu kommen, aber so blieb ihm nichts als zu folgen und sich im Türrahmen noch einmal herum zu drehen, um ihr in die Augen zu sehen. Irgendetwas Besonderes hatte sie, das er noch nicht deuten konnte, einzig ihre enorme Willensstärke nahm er überdeutlich wahr, sie schien aber auch gleichzeitig alles andere zu überdecken. Oder auch nicht alles. Da war noch etwas, das ihm ziemlich schnell klar geworden war, von dem er aber noch nicht wusste, ob er es an seine Freunde weitergeben wollte oder nicht. Auch wenn er wiederum dafür auch keinen wirklichen Grund wusste. Kurzum: Seine Intuition bestimmte sein Handeln und der alte Cop in ihm wollte gerne an diesem Fall ermitteln statt nur zu übersetzen. "Das hat sich ja gelohnt", murrte Jody, als sie wieder an der Kaffeemaschine ankamen und sich bedienten, "was meint ihr?" "Sie ist verdammt stur. Sie muss doch wissen, dass der Tatort danach aussah, dass sie die Mörderin ist. Wenn sie uns also vom Gegenteil überzeugen will, sollte sie mit uns zusammen arbeiten. Es ist doch dumm…", weiter kam Kermit nicht, weil Peter ihn sofort unterbrach. "Das ist sie sicher nicht. Sie ist clever. Vielleicht sogar cleverer als wir. Aber ich kann dir nicht sagen, was sie bezwecken will", meinte der Shaolin nachdenklich. "Glaubst du, sie ist eine Mörderin?", fragte der Ex-Söldner jetzt direkt, in der Hoffnung, dass Peter vielleicht mittlerweile eine Wahrnehmung zu diesem Thema hatte. "Als Mensch würde ich sagen: Nein. Aus reiner Intuition. Als Shaolin müsste ich sagen: Keine Ahnung." Kermit nickte, er hatte das befürchtet. Von seinem Gespür her ging es ihm ähnlich wie Peter, und es wäre schön gewesen, wenn der ihm anhand seines besonderen Gefühls für Situationen und Menschen eine Richtung hätte geben können, in die die Wahrheit ging. "Na gut. Was machen wir jetzt?", fragte Jody Kermit mit hochgezogenen Augenbrauen. "Was wohl? Wir finden raus, was passiert ist", grinste der kurz und wandte sich dann an Peter, "danke für deine Hilfe, Partner. Ich weiß, du würdest gern weiter helfen, -und ich halt dich auch gerne auf dem Laufenden-, aber Monahan mag es nicht, wenn du deine Berater- bzw. Übersetzerfunktion überschreitest." "Ich weiß", entgegnete Peter mit einem resignierenden Schulterzucken, Kermit hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Er hätte gerne weiter an dem Fall gearbeitet, aber er hatte sich schon einmal von dem Captain des Reviers seine Befugnisse erläutern lassen müssen, das brauchte er kein weiteres Mal. "Wenn ihr sie noch mal verhören wollt, gebt mir Bescheid. Und ansonsten, wie du sagtest, halt mich auf dem Laufenden", fügte der Shaolin jetzt an und hielt sich damit im Rennen, alles weitere zu erfahren, was sich in diesem Mord noch ergab. Sie verabschiedeten sich voneinander und Peter verließ das Revier; mit dem unbestimmten Gefühl im Bauch, dass er mit der Sache bald noch mehr zu tun haben würde, als nur von Kermit unterrichtet zu werden. * * * Haley Walker saß an ihrem Laptop und chattete mit einer Kollegin vom FBI, natürlich über eine sichere Verbindung und das Netzwerk ihrer geheimen Abteilung. Joanna lag oben in ihrem Kinderzimmer und hielt ihren Mittagsschlaf. Ihr Leben hier hatte sich normalisiert und es gab keine besonderen Bedrohungen mehr für sie, Ryan und Jo. Ein Teil der Menschen, die sie ins Herz geschlossen hatte, wusste um ihre Vergangenheit, der andere hatte die Geschichten akzeptiert, die man ihnen zu ihrer eigenen Sicherheit erzählt hatte. Ihren Alltag verbrachte sie zu einem Teil damit, sich über die Umstände und Situation ihrer alten Arbeitsstätte zu informieren und auszutauschen. Da sie nicht im Streit gegangen war, und es auch nicht provoziert hatte wie ihr Mann, hatte sie kein Problem damit, an Informationen zu kommen und den Kontakt aufrecht zu erhalten. Also saß sie wieder an ihrem Computer und ließ ihre Fingerspitzen über die Tasten fliegen, ein Lächeln auf den Lippen über die Storys, die ihr nun berichtet wurden. Es war alles beim Alten in der Special Force, und es war nichts Schlimmes passiert. Das gehörte leider auch dazu; es konnte immer sein, dass man sie vom Tod eines ehemaligen Kollegen unterrichtete, aber eine solche Nachricht war ihnen schon lange nicht mehr zugetragen worden. Haley amüsierte sich grade über eine Anekdote über ihren Chef, als sie ein pfeifendes Geräusch durch die offene Terrassentür vernahm. Einen geringen Sekundenbruchteil später fühlte sie den brennenden, stechenden Schmerz in ihrer Seite und wusste sofort, was sie gehört hatte. Dann fiel sie seitlich mit dem Stuhl um und verlor das Bewusstsein.
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