Teil 14
Autor: Ratzenlady
 

Kapitel 14

Ryans Arm schnellte nach oben und die Knallgeräusche der beiden folgenden Schüsse ertönten fast gleichzeitig. Der blonde Cop spürte den heißen Schmerz in seiner linken Schulter, während seine Augen das große, blutige Loch in Harold Cannons Stirn erblickten. Der körperliche Schmerz verflog augenblicklich und tiefe Genugtuung erfüllte seine Seele.

("It's a song to say goodbye”)

Aber die Qual über Haleys Verlust blieb unverändert stark und zerreißend in seinem Herzen.

(Textstellen aus: "A Song to say goodbye”, Placebo)

*

Ryan kam nicht zum Verschnaufen. Kaum dass er tatsächlich realisiert hatte, dass seine Mission erfüllt war, donnerte ein weiterer Schuss über seinen Kopf. Hinter ihm ertönte ein Schrei und er fuhr herum, um die Quelle ausfindig zu machen.

Ein weiterer Bodyguard stürzte grade mit seinem Gewehr aus dem Fenster des ersten Stocks des Wohnhauses und schlug tot auf dem Rasen auf. Ryan musste zugeben, dass er die weiteren zwei Männer, -jetzt noch einen-, fast schon vergessen hatte. Aber viel mehr als der letzte Wachmann interessierte ihn, wer da schoss und ihm seinen Hintern rettete.

Natürlich wusste er es eigentlich. Wer könnte es auch sonst sein, wer sollte sonst wissen, wo er war und was er tat. Das war nicht das Überraschende, nein. Viel erhellender war die logische Gedankenkette, die sich rasend schnell daraus für ihn ergab.

Sie waren hier, die Special Force, seine alten Kollegen. Und wenn sie hier waren, dann bedeutete das, dass sie bereits den Auftrag hatten, Harold Cannon aus dem Weg zu räumen. Ryan war sich darüber klar gewesen, dass man seinen Hass benutzt hatte, um den Gouverneur los zu werden, aber er dachte dass es eben deshalb war, weil sie selbst nicht an ihn ran durften.

Aber jetzt änderte sich das. Sie sollten ihn töten. Und sie wollten, dass er das tat. Warum war klar: Wenn man jemanden benutzen kann, dann tut man das und hält seinen eigenen Kopf aus der Schlinge, falls es schief geht.

Der Ex-Agent kochte vor Wut. Die letzte Schlussfolgerung war die heftigste und ließ ihn rasen. Die Special Force verließ sich nämlich noch nie auf Zufälle. Dementsprechend unwahrscheinlich war es, dass Cannon zufällig den Anschlag auf Haley verübt hat und man sich dachte, dass das ja prima passte und Ryan jetzt die Drecksarbeit erledigen könne.

Nein, so lief das nicht. Und ihm wurde schlagartig klar, wie es gelaufen war.

Ryan hatte alle seine Information von Moon bekommen. Und was Moon –der Schattenmann- besonders gut konnte, war manipulieren. Und diesmal war er selbst auf ihn hereingefallen. So viel Arglist hatte er seinem früheren Partner gegen sich selbst nicht zugetraut.

Jetzt sah er den adrett gekleideten Agent über den Rasen auf ihn zukommen, flankiert von zwei Blacks, einer davon mit dem Scharfschützengewehr, mit dem der Typ am Fenster vermutlich niedergestreckt wurde. Moons Gesicht zierte ein erfolgreiches Grinsen.

"Etwas unkonventionell, aber durchaus zielführend", lachte Moon und wollte Ryan die Hand geben.

"Cannon hat Cobra nie getroffen, nicht wahr? Den 'echten' Cobra, meine ich", schoss Ryan aber sofort seine Schlussfolgerungen auf ihn los.

Moon lachte auf. "Das hat länger gedauert, als ich erwartet hätte, mein Lieber. Aber was soll's, der Auftrag ist erfüllt, Streit nutzt jetzt auch keinem mehr. Freuen wir uns lieber daran, die Welt von diesem Schleimbeutel befreit zu …"

Ryan holte kommentarlos aus und schlug Moon auf seine ohnehin schon gebrochene Nase. "Ich befreie die Welt gleich von dir, du mieses Drecksschwein!", donnerte er und holte zu einem weiteren Schlag aus, aber Moon konnte ausweichen.

"Beruhig dich! Du kennst die Regeln, so spielen wir nun mal", knurrte der Agent im Anzug mit verzogenem Gesicht.

"ABER NICHT MIT MIR! NICHT MIT UNSEREN EIGENEN LEUTEN!"

"So spielen wir mit jedem, der uns nutzen kann, und das weißt du verdammt genau!", beharrte Moon und wischte sich das Blut von der Oberlippe. "Außerdem hast du oft genug betont, dass du raus bist, auch wenn ich mich mit dieser Bemerkung wiederhole."

"Gib mir einen Grund dir nicht dein verdammtes Hirn wegzublasen", flüsterte Ryan drohend, aber sein Ex-Kollege zeigte sich wenig beeindruckt.

"Ich gebe dir zwei", sagte Moon und zeigte zu den Agents an seiner Seite, "eins, und zwei."

Ryan sah die beiden an. Den einen, oder besser die eine, mit dem Scharfschützengewehr, kannte er. Den anderen nicht. Er sah die hellblonde Frau einen Moment lang an, blickte ihr in die Augen, dann starrte er wieder zu Moon. "Eins", sagte er überzeugt.

Die blonde Schützin, -Codename Ice-, grinste mit einem Mundwinkel. Sie und Shooter hatten sich immer gut verstanden und sie deckte eher ihm als Moon den Rücken.

"Du hast ein verdammtes Scheiß-Glück, dass es nicht so ist, wie es aussah. Aber eins sag ich dir Moon: Wenn du mir noch einmal über den Weg läufst, dann wird das nicht so glücklich sein."

"Du kannst vielleicht anderen drohen, Shooter, aber mir nicht. Meine Kompetenzen sind wesentlich weitreichender als deine, und meine Möglichkeiten auch", drohte er leise.

Ryan trat an Moon heran und näherte sich dessen Ohr. "Aber was hilft dir deine Macht, wenn nur wir zwei uns Auge in Auge gegenüberstehen?", fragte er leise und bedrohlich, wohl wissend, dass er nahkampftechnisch weit überlegen war. Zumindest wenn er grade nicht angeschossen wurde. Seine Verletzungen pochten im Hintergrund, auch wenn der Streit mit Moon ihn zwischenzeitlich abgelenkt hatte, jetzt durchzogen Schmerzen seinen Körper.

Moon schwieg immer noch und sah Ryan finster an, dann über dessen Schulter. "Lass dich erstmal verarzten, damit du wenigstens ehrlich verlierst", sagte er provozierend mit einem Nicken in die Richtung hinter Ryans Rücken. Anschließend drehte er sich um und ging zu einem der schweren Geländewagen, mit denen die Mannschaft angerückt war und die mittlerweile auf dem Innenhof geparkt wurden. Der eine Agent folgte ihm, während Ice stehen blieb.

Ryan drehte sich um und sah eine alte Bekannte auf sich zukommen: Die Ärztin der Special Force. Sie war dunkelhäutig, mit schulterlangen schwarzen Locken und einer sportlichen Figur. "Mensch Shooter, muss ich dich denn immer noch zusammenflicken, obwohl du gar nicht mehr aktiv bist?", fragte sie mit einem leisen Lächeln.

"Sehr witzig, Med, aber ich habe keinen Bedarf!", sagte er bestimmt und wollte an ihr vorbei gehen.

"Oh doch, den hast du. Du kannst ja kaum laufen!", bemerkte Med das leichte Humpeln des Ex-Agents. "Außerdem blutest du wie ein abgestochenes Schwein."

"Lass dich verarzten, Shooter", riet jetzt auch Ice. "Ich bestell dir einen Heli-Jet, der dürfte hier sein, wenn ihr fertig seid. Und um deine Viper kümmere ich mich auch, die wartet dann in deiner Garage auf dich. Versprochen."

Ryan haderte. Er wollte so schnell wie möglich los, aber ein Privattransport per Hochgeschwindigkeitshubschrauber des FBI war vermutlich schneller, selbst wenn er sich vorher noch behandeln ließe. Außerdem taten die Verletzungen inzwischen ziemlich weh, besonders der Hundebiss in der Wade.

Schließlich ergab sich seinem Schicksal und folgte Med in einen Transporter, der ihr mobiles Behandlungszimmer darstellte und in dem er schon so einige Kugeln aus seinem Körper entfernt bekommen hatte.

* * *

"Also, was ist passiert", fragte Kermit, nachdem er sich Sun Ni gegenüber in den Sessel gesetzt hatte. Er wollte bewusst etwas Abstand zwischen sich und die Frau bringen, weil er Bedenken hatte, sonst von ihrer Nähe abgelenkt zu werden und aktuell ging es um den Job und den Mord an Nia Chao.

"Das ist eine lange Geschichte", murmelte Sun Ni und blickte in ihre Kaffeetasse.

"Wir haben die ganze Nacht Zeit."

Die junge Halbchinesin lächelte und nickte andeutungsweise. "Ja, richtig", sagte sie und sah ihn wieder an. "Vor etwa drei Monaten deutete Nia zum ersten Mal an, dass ihr Chef vielleicht in kriminelle Geschäfte verwickelt war. Sie hatte wohl zufällig ein Telefonat mitgehört, bei dem sehr geheimnisvoll von 'Ware' und 'Übergabe' geredet wurde. Ich weiß, das ist nicht viel, aber…"

"Schon gut. Der erste Eindruck ist ja meistens der Beste, und das Bauchgefühl spielt da immer eine große Rolle", unterbrach Kermit, um sie zu bestärken und sie nicht in ihrer Unsicherheit aufgehen zu lassen.

"Ja, wahrscheinlich. Das hat sich ja auch bewahrheitet", sagte sie wehmütig.

Kermit nickte. Er wusste nicht, was er sagen sollte, also schwieg er und ließ ihr die Zeit, die sie brauchte.

"Nia wusste nicht, was sie tun sollte. Sie mochte ihren Chef, er war immer höflich, fair und anständig zu ihr gewesen. Ich wollte sie dazu überreden, sich einen neuen Job zu suchen, aber das wollte sie nicht. Sie meinte, noch wisse sie ja gar nicht, ob da wirklich was dran sei. Auf der anderen Seite konnte sie aber auch nicht mit der Ungewissheit leben und hat… hat angefangen heimlich nachzuforschen."

"Und Zhao hat das rausbekommen", mutmaßte Kermit nachdenklich.

Sun Ni nickte und schluckte einen aufkommenden Schluchzer runter. "Davon gehe ich aus. Sie hatte ein paar 'Beweise' gesammelt und wollte ihn damit konfrontieren. Ich habe alles versucht, um sie davon abzuhalten, es ihr auszureden." Sie wurde leiser. "Aber sie wollte nicht hören."

"Sie ist zur Arbeit gegangen und wollte ihrem Chef sagen, dass sie weiß, dass er ein Verbrecher ist?", fragte Kermit völlig ungläubig. Es war ihm unbegreiflich, wie man sich selbst so in Gefahr bringen konnte.

Sun Ni nickte ansatzweise und schaute nachdenklich in ihre Kaffeetasse. "Ja, im Grunde… genau so. Ich habe versucht es ihr auszureden, ihr gesagt, dass das gefährlich ist! Aber sie… sie wollte einfach nicht auf mich hören! Sie meinte, sie wäre es ihm schuldig oder so ähnlich!", rief sie jetzt aus und konnte ihre Gefühle nicht mehr zurückhalten. Sie begann zu weinen und schlug eine Hand vors Gesicht. "Warum hab ich sie nur gehen lassen?"

Kermit konnte nicht anders, als sich neben sie auf die Couch zu setzen und sie in den Arm zu nehmen; auch wenn die Berührung ihn schon wieder von seiner Arbeit abzulenken drohte. Sie war völlig fertig und machte sich Vorwürfe, das merkte er sofort, und jetzt brauchte sie Trost und Unterstützung. "Ganz ruhig. Es ist nicht deine Schuld. Zhao hat das getan, und niemand sonst."

"Aber wenn ich…"

"Nein. Hör damit auf. Du kannst nichts dafür, was passiert ist", versuchte er sie zu beruhigen und ihre Schuldgefühle auszuräumen.

Sun Ni atmete tief durch und schwieg eine Weile. Erst als sie sich wieder gefasst genug fühlte, sprach sie weiter. "Sie ist dann zur Arbeit gefahren. Und ein paar Stunden später… ab da kennst du die Geschichte. Nur mit dem Unterschied, dass ich Hyuang gesehen habe, wie er mich überfallen hat. Aber dann hat er mich niedergeschlagen und alles wurde schwarz."

"Du hast ihn gesehen?"

"Ja, das habe ich. Aber nur ihn, Zhao selbst nicht. Aber ich bin sicher, dass er den Auftrag dazu gegeben hat!", betonte sie, als wüsste Kermit das nicht bereits. "Reicht das, um auch Zhao in den Knast zu bringen?", fragte sie zweifelnd.

"Kommt drauf an. Die Beweise, von denen du gesprochen hattest, die Nia gesammelt hat: Wo hat sie die aufbewahrt?", hakte der Cop jetzt an einer Ecke ein, die eventuell die ganze Sache wasserdicht machen konnte.

"Zu Hause, in einem sicheren Versteck, wie sie sagte. Aber genau weiß ich nicht, wo", musste Sun Ni resigniert zugeben. "Ich hatte sie danach gefragt, aber sie meinte, es wäre sicherer, wenn ich es nicht wüsste."

"Da hatte sie vermutlich nicht Unrecht. Aber wir müssen sie finden, um Zhao hinter Gitter zu bringen. Zusammen mit unseren Beweisen und deiner Aussage dürfte das dann dicke reichen. Also denk bitte nach, wo sie sie versteckt haben könnte, und dann fahren wir morgen früh gleich hin.

"Nein."

"WAS?", Kermit war völlig verblüfft von der Antwort.

"Wir müssen erst zu Peter. Bitte Kermit, ich hab so ein schlechtes Gewissen! Ich hätte ihn wahrscheinlich umbringen können… ich…"

"Schon gut. Wir fahren erst bei ihm vorbei, und dann zu eurem Haus. Einverstanden?"

"Einverstanden", sagte sie mit einem dankbaren Lächeln und schmiegte sich in den Arm des Ex-Söldners.

Kermit wurde schon wieder heiß und kalt. Wie konnte es nur sein, dass er so schnell so starke Gefühle für eine Frau entwickelte, wo er doch immer sehr bedacht war, sich selbst in dieser Beziehung zurückzunehmen? Aber Sun Ni war anders. Er konnte es nicht beschreiben, aber sie war einfach…

etwas Besonderes.

* * *

Zur gleichen Zeit schreckte eine junge Frau in ihrem Bett hoch und starrte mit großen Augen um sich. Sie wusste sofort, wo sie war und was man mit ihr angestellt hatte. Und sie war verdammt wütend darüber. Man hatte sie reingelegt, und das konnte sie nun mal gar nicht leiden.

Um sich zu vergewissern zog sie die Decke weg und blickte ihre Taille an, die völlig unversehrt war und keine Verletzung außer einer winzigen Punktion aufzeigte. Haley schäumte vor Zorn.

Schnell schwang sie ihre Beine aus dem Bett, schwankte aber erst einen Moment, ehe ihr Stand wieder sicher wurde. "Na wartet", knurrte sie in sich rein und schritt barfuss auf die Tür des abgedunkelten Krankenzimmers zu. Sie war abgeschlossen.

Auch hörte sie nichts außerhalb des Raumes, aber das war kein Wunder: Alle Räume waren hermetisch abgeriegelt gegen Geräusche. Sie war im Headquarter, das wusste sie jetzt sicher, obwohl sie es ohnehin vorher schon vermutet hatte.

Sie blickte sich um, aber es gab keinen Ausweg aus eigener Kraft. Keine Fenster und die Tür hatte von Innen kein Schloss, nur einen elektronischen Cardreader, der nicht zu manipulieren war; sie hatte selbst beim Entwickeln und Programmieren geholfen.

Bei näherer Betrachtung stellte sie auch fest, dass es keinen Tropf mehr im Raum gab. Das hieß wiederum, dass man sie bewusst hatte aufwachen lassen, das Narkosemittel abgesetzt und den Tropf entfernt. In ihrer Armbeuge befand sich auch ein kleines Pflaster, das sie jetzt abzog. Der Einstichstelle nach zu urteilen war es noch nicht lange her, dass man sie aus der künstlichen Bewusstlosigkeit zurückgeholt hatte.

Haley musste sich damit abfinden, dass sie selbst nichts an der Situation ändern konnte. Diese Räume waren dafür da, Leute 'verschwinden' zu lassen und wenn man es wollte, so würde auch nie wieder die Außenwelt etwas von Haley Walker sehen oder hören. Aber darum ging es nicht, schließlich hätte man sie dann gleich töten können. Nein, man wollte sie nur auf unbestimmte Zeit aus dem Weg schaffen, aber den Grund dafür musste sie noch herausfinden.

*

Etwa zwei Stunden später öffnete sich die Tür mit einem leisen Zischen. Haley sprang vom Rand des Bettes, auf dem sie gesessen hatte und blickte skeptisch auf das sich nun langsam bewegende Türblatt. "JO!", rief sie sofort aus, als sie ihre kleine Tochter auf dem Arm von Turn sah.

"Hallo Operations", sagte der Agent und reichte das kleine Mädchen sachte an seine Mutter weiter.

Haley antwortete ihm nicht, sondern schloss Joanna fest in ihre Arme und funkelte ihren Ex-Kollegen finster an. "Was soll das alles, Turn? Ihr betäubt mich, setzt mich hier fest, nehmt mir mein Kind weg? Sag mal, habt ihr sie eigentlich noch alle?!", zischte sie ihn an, während sie zeitgleich liebevoll ihr Kind wog. "Und wo ist Ryan?"

"Bleib ruhig, Hal. Ich weiß, wie du dich fühlst…"

"Was weißt du schon!", donnerte sie in gedämpfter Lautstärke, um Jo nicht zu erschrecken.

"Hey! Ich hatte von der ganzen Aktion keine Ahnung! Und als ich Schadensbegrenzung betreiben wollte, hat Moon mich kaltgestellt."

"Und das soll ich dir glauben?" Ihr Tonfall war kalt.

"Ich kann dich nicht dazu zwingen", entgegnete ihr Gegenüber leise.

"Du kannst mich nicht dazu zwingen", gab sie spöttisch die Worte wieder. Aber ehe sie noch eine Spitze nachsetzen konnte, wurde ihr Streitgespräch von Turns Telefon unterbrochen.

Der Agent las kurz die Nachricht, die er bekommen hatte und sein Gesicht verzog sich nachdenklich. "Leck mich", murmelte er schließlich leise und klappte das Telefon zu. "Ryan ist auf dem Weg hierher. Komm, wir gehen so lange an einen 'gemütlicheren' Ort", bot er seiner alten Kollegin freundschaftlich an und verschwieg, dass Moon ihn grade angewiesen hatte, Haley eigentlich solange an Ort und Stelle zu belassen.

"Einverstanden", sagte die junge Frau schließlich und sah ihn finster an. "Sag mal, wenn sie dich kaltgestellt haben, warum kannst du mich dann hier abholen?"

Turn verdrehte die Augen. "Weil ich vor etwa zwei Stunden 'aufgetaut' wurde. Die Sache ist gelaufen. Und wie gesagt, Ryan ist auf dem Weg hierher", teilte er ihr mit, öffnete mit seiner Karte die Tür und hielt sie Haley und Joanna auf.

Die Ex-Agentin trat wortlos auf den hellen Flur und sah sich kurz um. Sie war im dritten Stock, der sogenannten Krankenstation, für die, die medizinisch versorgt werden mussten und dennoch nicht aus den Augen gelassen werden sollten.

"Wohin?", fragte sie Turn in einem trotzigen Tonfall.

"Wohin du willst. Herrgott Hal, ich bin nicht dein Feind!", war es dem Agent jetzt auch genug.

Haley atmete tief durch. Natürlich hatte Turn sich nie falsch gegen sie verhalten, im Gegensatz zu Moon, aber dennoch blieb ein bitterer Beigeschmack bei der Sache. "Ich wäre für den blauen Salon", sagte sie schließlich und beschloss, erstmal abzuwarten, wie sich die Dinge weiter verhielten.

Der groß gewachsene Agent führte sie durch das Gebäude, das sie selbst wie ihre Westentasche kannte, und blieb schließlich im fünften Stock vor dem Eingang stehen. Die Salons waren Aufenthaltsräume, und um sie unterscheidbar zu machen, hatte man jeden in einer unterschiedlichen Farbe und mit einem anderen Stil eingerichtet und dementsprechend benannt. Es gab acht Stück, alle im fünften Stock, und jeder fasste etwa 10 Personen.

Haley betrat hinter Turn den Raum. "Erklärst du mir jetzt endlich, was hier eigentlich gelaufen ist? Ich tappe nicht gern im Dunkeln!", forderte sie mit fester Stimme und blickte danach auf ihre Tochter hinab, die selig in ihrem Arm eingeschlafen war.

"Vielleicht sollten wir auf Ryan warten, ich habe keine Ahnung, wie viel er mittlerweile von allein rausbekommen hat. Moon hat ihm mit Sicherheit nix gesagt."

"Wie lange willst du mich noch hinhalten? Verdammt, Turn, sag mir endlich was hier los ist!"

Schon wieder wurde ihr Gespräch von Turns Mobiltelefon unterbrochen. Er nahm das Gespräch an, hörte aufmerksam zu und legte mit den Worten auf, dass er sofort komme. "Der Heli-Jet landet gleich. Ich geh hoch und hole sie ab. Aber ich muss dich hier leider einsperren", sagte er bedrückt.

Haley schnaubte, ergab sich aber ihrem Schicksal. "Ja, ich weiß, die Vorschriften. Tu, was du nicht lassen kannst, ich lauf schon nicht weg", entgegnete sie zickig und lehnte sich auf dem Sofa zurück.

"Es tut mir wirklich leid", brummte Turn resignierend und verließ den Raum. Das leise Klicken der elektronischen Türverriegelung war deutlich zu hören.

* * *

"Hey Partner, wie geht's euch?", knisterte Kermits Stimme durch den Telefonhörer. Es war erst halb acht Uhr morgens, aber der junge Shaolin war schon eine ganze Weile wach. Er konnte nicht gut schlafen, nicht bei all dem, worüber er sich Gedanken machte.

"Hält sich in Grenzen", gab Peter offen zu, "Ryan hat gestern Abend bei Cat angerufen."

"Und? Was hat er gesagt?", hakte Kermit sofort nach, obwohl der Tonfall seines Freundes verriet, dass es keine guten Nachrichten gab.

"Er hat Cat gebeten, dass wir uns um Jo kümmern, wenn er… du weißt schon."

"Mhm. Er hat mir eine Email zu dem Thema geschrieben. Habt ihr noch mal was gehört? Es klang ganz so, als wäre das, was er vorhatte, heute Nacht gelaufen", hoffte der Ex-Söldner dennoch auf ein positives Zeichen.

"Nein, nichts. Allmählich befürchte ich wirklich…"

"Sprich es nicht mal aus, Pete! Bevor ich keinen Beweis dafür habe, glaube ich auch nicht dran!", betonte Kermit mit fester Stimme.

"Dein Wort in Cats Ohr. Sie ist fix und fertig deshalb."

"Kann ich mir vorstellen."

"Aber warum hast du eigentlich angerufen?", versuchte Peter jetzt das Thema zu wechseln. Er machte sich schon genug Sorgen um Ryan, er musste das nicht auch noch mit seinem Freund durchkauen.

"Ich wollte fragen, ob ich mit Sun Ni bei euch vorbeikommen kann? Sie will sich bei dir entschuldigen."

"Ist sie endlich zur Vernunft gekommen?", fragte Peter, halb hoffend, halb aber auch wieder eine Intrige vermutend.

"Ja, das ist sie. Sie hat mir heute Nacht alles erzählt. Aber das erklär ich dir nachher, wenn wir da sind, ok?"

Peter glaubte in Kermits Stimme einen merkwürdigen Tonfall zu hören, konnte ihn aber nicht recht zuordnen. "Ist gut. Aber ich weiß nicht, ob Cat ihr so leicht vergibt wie ich, sofern sie es ernst meint, zumindest."

"Das werden wir dann wohl raus finden müssen. Bis gleich", verabschiedete sich der Cop und legte auf.

Peter seufzte. Wahrscheinlich war Cat zu schwach, um wegen Sun Ni wirklich ernsthaft wütend zu werden, aber man konnte nie wissen. Er konnte nur hoffen, dass Sun Ni es diesmal ernst meinte und sie nicht alle täuschte. Aber er musste sich auf seinen Instinkt verlassen, der ihm die Wahrheit hoffentlich offenbaren würde.

*

Es hatte keine halbe Stunde gedauert, bis Peter bemerkte, wie der Besuch die Feuertreppe hoch und dann die offen stehende Haustür herein kam. Er hatte inzwischen Kaffee gekocht und die Küche ein wenig aufgeräumt, damit sie sich dann dort niederlassen konnten.

Den schmalen Verband hatte er am Morgen abgenommen, die Wunde blutete nicht mehr und konnte jetzt an der Luft heilen. Jetzt stand er im Flur, ein freundliches Lächeln auf den Lippen und wartete, bis die beiden vor ihm standen.

Während Kermit ihn unbefangen wie immer mit einem Handschlag begrüßte, stand Sun Ni beschämt und mit gesenktem Blick neben dem Cop. Peter glaubte ihr schlechtes Gewissen regelrecht spüren zu können, aber damit war er schon einmal auf die Nase gefallen. Also blieb er skeptisch und bot ihnen zunächst einmal mit einer Hand die Küche an, um sich dort zu setzen.

Langsam und zurückgezogen ließ sich die junge Halbchinesin auf einem der Küchenstühle nieder und nahm zaghaft den angebotenen Kaffee entgegen. Sie wusste einfach nicht, wie sie anfangen sollte, es tat ihr einfach alles so schrecklich leid, und sie hatte Angst, dass Peter ihr vielleicht, -oder wahrscheinlich-, nicht glauben würde.

"Also? Was kann ich für euch tun?", fragte der Shaolin schließlich, als wüsste er den Grund des Besuchs nicht.

"Ich glaube, das möchte sie dir sagen", sagte Kermit und legte Sun Ni aufmunternd eine Hand auf die Schulter.

Peter war irritiert. Die Berührung der beiden, obwohl er nicht daran beteiligt war, ließ einen kurzen Blitz durch seine Gedanken zucken. Und tatsächlich, wenn er sie so beobachtete und aufnahm, was sie aussendeten… nein, das konnte doch nicht… oder vielleicht doch?

Er schüttelte die Vorstellung ab, dazu würde er Kermit später noch ganz sicher befragen, aber er sollte sich jetzt nicht ablenken lassen. "Nun, Sun Ni, sie wollten mir etwas sagen?", fragte er an die Frau gewandt und blickte sie freundlich an.

"Ja, ich…", murmelte sie leise in ihre Kaffeetasse, fasste dann aber ihren Mut zusammen und sah dem Shaolin in die Augen, "ich muss mich entschuldigen! Es tut mir so leid! Ich war so dumm, ich wollte… ich weiß, dass das falsch war! Bitte, können sie mir verzeihen? Ich wollte sie nicht verletzen, ich wollte nur weg und… ich dachte…"

"Ganz langsam. Erstens: Ich habe mir schon so was gedacht, ich hatte nämlich nicht den Eindruck, dass sie aus böser Absicht handeln. Zweitens: Vergeben und vergessen. OK?", sagte Peter und musste fast schon schmunzeln, weil er ihren Ausbruch ein wenig übertrieben fand.

Sie sah ihn mit großen Augen an, als hätte sie nicht mit so schneller Annahme ihrer Entschuldigung gerechnet. "Ich…"

"Es ist wirklich gut. Keine Entschuldigungen mehr. Sie haben nur ihr Ziel vor Augen gesehen und auf dem Weg dorthin alles überrannt, was im Weg stand. Das ist nur menschlich, wenn einem etwas so Schlimmes widerfahren ist", versuchte Peter sie aufzubauen.

"Siehst… sehen sie, ich habe es doch gleich gesagt", sagte Kermit hastig zu Sun Ni, aber seine Verbesserung war Peter sofort aufgefallen. Die Männer tauschten einen schnellen Blick, und der Ex-Söldner ahnte sofort, dass auch sein Freund jetzt über die vergangene Nacht Bescheid wusste.

Peter wusste nicht, ob er grinsen oder nach Luft schnappen sollte. Das überraschte ihn dann doch, zumal Kermit mehr als genervt von der Dame war. Bis gestern. Und er konnte nur raten, was zwischen ihnen vorgefallen war, dass sie die Gefühle für den jeweils anderen bei den beiden so schnell geändert haben. Aber Kermit würde es ihm erzählen, wenn er es wollte; und wenn nicht, dann würde er es ohnehin nie erfahren. "Wie geht es jetzt weiter? In dem Fall, meine ich?", fragte er und warf seinem Freund einen schelmischen Blick zu, um sicher zu gehen, dass dieser die Doppeldeutigkeit durchaus verstand.

Kermit räusperte sich angefressen, ehe er in normalem Tonfall die Frage beantwortete. "Wir fahren jetzt gleich zum Tatort. Dort hat Nia Chao wohl Beweise gegen ihren Chef versteckt. Mit dem, was wir inzwischen haben, und Sun Nis Aussage reicht es hoffentlich, um ihn dingfest zu machen", erklärte der Cop so nüchtern wie möglich.

"Dann wünsch ich euch viel Erfolg."

"Den können wir brauchen", sagte Kermit und stürzte den letzten Rest seines Kaffees seine Kehle hinunter.

Sun Ni tat es ihm nach und erhob sich zeitgleich mit ihm vom Stuhl.

"Und Kermit?"

"Ja?"

"Melde dich, wenn du was hörst", bat Peter. Es war klar, was er meinte.

"Dito. Und grüß Cat."

"Mach ich", antwortete Peter und brachte die beiden zur Tür, wo sich Sun Ni, immer noch leicht geknickt, auch von ihm verabschiedete. Als er über das nachdachte, was er zwischen den beiden gespürt hatte, musste er trotz aller Sorge lächelnd den Kopf schütteln.

Kermit konnte einen doch immer wieder überraschen und genau das Gegenteil von dem tun, was man erwartete!


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