Teil 17
Autor: Ratzenlady
 

Kapitel 17

Kermit lag den ganzen Tag zu Hause auf dem Sofa und starrte an die Decke. Nach zwei Whiskys am Vormittag, die er einfach brauchte, um seine Gefühle zu unterdrücken, war er auf Kaffee umgestiegen. Die halbvolle Kanne stand neben der froschgrünen Tasse auf dem Wohnzimmertisch und ihr Inhalt war längst kalt.

Der Ex-Söldner warf einen Blick auf die Uhr und war ziemlich dankbar dafür, seine trüben Gedanken jetzt mit der Begründung verwerfen zu können, dass er los müsse, wollte er Ryan nicht versetzen. Ryan und wen doch gleich?

"Bei uns", hallte es in seinem Kopf nach. Bei ihm und Jo? Alles andere war doch eigentlich nicht möglich, oder vielleicht doch? Haley war tot, das war doch eine unumstößliche Tatsache, sonst wäre sein Partner wohl kaum aufgebrochen um Rache zu nehmen. An wem eigentlich?

Kermit richtete sich mit einem Kopfschütteln auf und rieb sich die Augen. Es machte keinen Sinn zu überlegen, wer der schwarze Mann war. Entweder Ryan erzählte es, oder eben nicht. Der Cop glaubte nicht daran, auf anderem Wege zu erfahren, wer für Haleys Tod bezahlt hatte.

Aber Ryans gute Laune… Ob er sie nur vorgespielt hatte? Ein Meister im Vortäuschen war er, ohne Zweifel, aber das wäre schon fast herzlos gewesen. Und dennoch…

Diesmal lenkte er sich erfolgreich von den Gedanken über Ryan ab, indem er an Sun Ni dachte. Das hob seine Gefühlslage zwar nicht, aber es gab nicht so viele Fragen, die in seinem Kopf schwirrten.

Die Erinnerung an ihre gemeinsame Nacht flammte wieder auf. Ihre Berührung, ihre Nähe, dieser Blick. Der ganze Eindruck, der sofort tief in sein Herz gedrungen war und dort eine Wärme hinterließ, die nach Karen eigentlich hätte nie wieder dort existieren können.

Aber er hatte sie weggeschickt. Von sich gestoßen, wie jeden Menschen, der ihm nahe kam, der ihm etwas bedeutete, der ihm wichtig war. Er versuchte sich mit dem Gedanken zu beruhigen, dass sie doch nur eine Bettgeschichte gewesen war. Eine Nacht, Sex, dann trennen sich die Wege wieder, beruflich wie privat; so, wie es sein sollte.

Er wusste, dass er sich belog. Denn er bekam eine Gänsehaut, als er an ihren Duft, ihren Körper, ihre wunderschönen braunen Augen mit dem geheimnisvollen Blick darin dachte.

*

Kermit parkte die Corvair in der Einfahrt hinter dem Hummer und stellte sofort fest, dass die Viper nicht in der offenen Garage stand, vermutete aber, dass sie vielleicht bei Ryans mysteriöser Mission Schaden genommen hatte.

Ryans gute Laune…

Der Cop schüttelte die Gedanken aus dem Kopf. Es dauerte ja schließlich nicht lange, bis er hoffentlich endlich die ganze 'lange Geschichte' hören würde. So unbeschwert wie möglich ging er über die Pflastersteine und wusste genau, dass Ryan im Inneren bereits vom Sicherheitssystem mitgeteilt bekam, dass er da war.

Bevor er klingeln konnte öffnete sich schon die Haustür und Ryan begrüßte ihn mit einem Handschlag. "Hi Kermit. Komm rein."

"Danke", antwortete der Cop und ging vor seinem humpelnden Kollegen in das großzügige Wohnzimmer. Zu seiner Verwirrung hörte er aus der offenen Küche Geräusche und ging ein paar Schritte weiter, damit er um die Ecke sehen konnte.

Haley grinste Kermit an, als wäre nie etwas gewesen und schnippelte ohne hinzusehen weiter in rasender Geschwindigkeit Gemüse.

"Wie zur Hölle ist das möglich?", fragte der Ex-Söldner leise, mehr zu sich selbst.

Ryan schlug ihm von hinten auf die Schulter und ging an ihm vorbei zu seiner Frau, um den Tisch im angeschlossenen Esszimmer weiter zu decken.

Wie erstarrt schaute Kermit die junge Frau an, beobachtete wie sie fröhlich die verschiedenen Gemüsesorten klein häckselte und dabei schmunzelte. "Ihr habt da Spaß dran, mich zu schocken, oder?", fragte er schließlich irritiert.

"Lass mal überlegen – ja", grinste Haley und wischte das Messer mit einem Tuch ab, um es anschließend mit Leichtigkeit hochzuwerfen, auf dass es mit der Spitze in dem dicken Schneidebrett landete und stecken blieb. Die junge Frau mit dem sportlichen Pferdeschwanz kam jetzt um den wuchtigen Küchenblock herum, direkt auf den Söldner zu.

"Ich würde gerne verstehen, wie…", kam Kermit wieder auf seine Verblüffung zurück und wollte jetzt endlich Antworten. Vor lauter Verwirrung blieb ihm der Mund offen stehen.

"Das wirst Du noch", sagte Haley leise und schob mit ihrem Zeigefinger Kermits Kiefer wieder nach oben. Anschließend legte sie ihm kurz die Hand auf die Wange und sah ihm freundschaftlich in die Augen; ein stiller Dank für all das, was der Cop bereit war zu tun, wenn es nötig geworden wäre.

Ryan verfolgte die Szene, beschloss aber, nichts dazu zu sagen. Der Moment zwischen den beiden reichte, er musste nicht mehr mit Worten unterstützen, wie dankbar sie ihm, und auch den Caines, für alles waren. "Du wirst dich wohl noch gedulden müssen. Wir warten noch auf Cat und Peter, die wollen auch die ganze Geschichte hören", antwortete Ryan stattdessen und schaute demonstrativ auf die Uhr. "Sie werden wohl gleich kommen."

"Hoffentlich", brummte Kermit, dessen schlechte Laune jetzt zurückkehrte. Wenn er etwas wissen wollte, dann sofort. Geduld war einfach nicht seine Stärke.

Bevor einer der Walkers etwas antworten konnte klingelte das Telefon. Ryan guckte auf sein Handy und lächelte. "Da kommen sie doch", verkündete er und ging zur Haustür, um Peter und Cat hereinzulassen, die sich beide nicht nehmen ließen, Haley zur Begrüßung und gefühlten Wiederauferstehung in die Arme zu schließen.

"Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll", sagte Cat und hatte Tränen in den Augen.

"Du musst nichts sagen", meinte Hal und rührte in ihrer Pfanne, zu der sie mittlerweile zurückgekehrt war. "Erstmal solltest du essen, und dann wollt ihr vermutlich eher zuhören als selbst zu reden", lachte sie und trug den großen Wok auf den Esstisch.

Sie aßen nahezu schweigend. Den Gästen fiel nicht viel ein, was nicht mit den seltsamen Geschehnissen und Hiobsbotschaften der letzten Tage zu tun hatte. Und Ryan und Haley hatten doch eine kleine Freude daran, die drei auf die Folter zu spannen.

Erst nach dem Essen zogen sie sich ins Wohnzimmer zurück, machten es sich auf der großen Sitzlandschaft gemütlich und genossen den Kaffee, den Haley ihnen servierte. Cat lehnte sich an Peter auf einem Sofa, Kermit saß allein im Sessel und die Walkers saßen auf der anderen Seite auf dem längsten Teil der Garnitur.

"Kommt schon! Ich möchte das jetzt endlich kapieren", sagte Cat schließlich und nippte an ihrer Tasse.

"Alles klar", meinte Ryan und blickte seine Frau an, "du fängst an."

Gespannt starrten Peter, Cat und Kermit auf die junge Frau mit dem dunklen Pferdeschwanz, die auch erst einen Schluck des schwarzen Getränks zu sich nahm.

"Ok, auf geht's. Aber eigentlich ziemlich unspektakulär aus meiner Sicht."

"Hal!", forderte Cat sofort mit einem Lächeln.

Sie kicherte. "Ich saß hier am Wohnzimmertisch am Notebook und hatte unvorsichtigerweise die Terrassentür aufgelassen. Dann hörte ich ein Zischen, ganz klar ein Projektil aus einem Hochgeschwindigkeitsgewehr, und hatte auf einmal tierische Schmerzen in meiner rechten Seite. Ich kippte mit dem Stuhl um und dann wurde es dunkel." Haley zuckte die Schultern und blickte Ryan an.

Die anderen hörten geräuschlos zu und warteten gespannt auf Ryans Ausführungen.

"Kermit war ja dabei auf dem Revier, aber ich erzähl es besser noch mal vollständig."

"Ich bitte darum", meinte Peter sofort.

"Ich sitze also am Schreibtisch, als Moon reinkommt. Der Dreckssack war noch nie ein gutes Zeichen für jeden Ausgestiegenen. Wir gehen in Kermits Büro und er erzählt mir, dass ein Anschlag auf Hal verübt wurde und sie schwer verletzt im Krankenhaus liegt. Ich fahre also hin und gehe in ihr Zimmer. Sie liegt da, bewusstlos, blass", führt Ryan aus und fasst wie automatisch Haleys Hand.

"Naja, was soll ich sagen. Ich war mehr als wütend und bin ausgeklinkt. Ich wollte von Moon und Turn nichts anderes als wissen, wer das war. Aber sie wissen es nicht. Sagen sie zumindest. Ich bin erstmal abgetaucht, hab versucht rauszubekommen, wer das war. Und es dauerte auch nicht lange, bis Moon mir den entsprechenden Knochen hinwarf und mich auf die Fährte setzte, natürlich mit der freundschaftlichen Bitte, nichts zu unternehmen."

"Ich versteh nur Bahnhof", kommentierte Cat leise mir kraus gezogener Stirn.

"Keine Angst, kommt noch", beruhigte Haley und sah Ryan dann wieder. Während der wieder ansetzte, schenkte sie Kaffee nach.

"Ich plane also schon meinen Racheakt, als Moon mir auch noch mitteilt, dass Haley gestorben ist. Nicht abwegig, sie war schwer verletzt, ich habe sie sogar gesehen. Es war logisch, was er sagte. Und es war logisch, dass ich rot gesehen habe. Ich wollte nichts mehr, als den Mann tot sehen, der meine Frau umgebracht hat. Und wieder ging es ziemlich schnell, bis ich zufällig erfuhr, wer den Auftrag gegeben hatte."

"Ich jage also mit meinem Auto tausende Meilen über den Highway, um den Mann zu töten, der schuld an allem war." Ryan erzählte das mit einer Leichtigkeit, dass es schon fast beängstigend wurde.

"Angekommen pirsche ich mich durch den Garten an den Wachleuten vorbei und dringe in das Arbeitszimmer der Zielperson ein, die Waffen in der Hand, mit einem klaren Ziel. Aber er überrumpelt mich mit Hilfe seiner Leute, flieht in den Garten. Ich muss mich neben dem Kreuzfeuer noch mit einem Kampfhund rumschlagen, der mich natürlich ins Bein beißt, ehe ich ihn abschalte."

Sowohl Kermit als auch Peter wussten sofort, dass Ryans Geschichte an dieser Stelle ein paar Lücken enthielt. Wie viele Wachmänner gab es da? Und wie viele davon hatten überlebt? Und wer zur Hölle war eigentlich die besagte Zielperson?

"Ich folge schließlich der Zielperson in den Garten, er schießt auf mich, ich schieße zurück. Er trifft meine Schulter, ich seine Stirn. Ende der Geschichte."

"Wow, ganz langsam", intervenierte Kermit sofort. "Hier ist nichts zu Ende, ich verstehe immer noch nichts!"

"Ryan hat das Ende etwas vorgezogen", meinte Haley schließlich und schaltete sich in die Erzählung wieder ein. "Etwa zeitgleich wache ich völlig geschockt auf und fragte mich, wo ich bin. Aber da ich die Räume kannte, wusste ich ziemlich schnell, dass ich im Headquarter war, unserem Headquarter. Und bei näherer Betrachtung hatte ich keine Wunde in der Hüfte, sondern nur eine kleine Einstichstelle."

"Was?", hakte jetzt Cat noch mal irritiert nach.

"Ich war nicht verletzt, mich hat keine wirkliche Kugel getroffen, sondern nur ein Betäubungsprojektil."

"Die ganze Sache war inszeniert? Selbst der Anschlag?" Peter war völlig verblüfft. Soviel Kaltblütigkeit hätte er Ryans früheren Kollegen nicht zugetraut.

"Ja, mehr oder weniger. Aber nicht von vornherein", erläuterte Ryan weiter. "Bemerkt hab ich es erst, als –nachdem alles rum war– auf einmal der Einsatztrupp auftauchte und sofort anfing, alle Spuren zu beseitigen und die Tatsachen zu verdrehen, damit man das der Presse so verkaufen konnte, wie man es gerne hätte. Da war alles klar für mich."

"Mir ist immer noch nichts klar", klagte Cat leise.

"Ich erklär's euch. Da fehlen auch noch ein paar Hintergründe, die ihr nicht wissen könnt. Also: Die Zielperson…"

"Wer ist denn jetzt die Zielperson?", fragte Kermit grimmig, dem die Frage schon die ganze Zeit unter dem Nagel brannte.

"Das werde ich dir jetzt nicht sagen. Aber wenn du aufmerksam Zeitung liest, wird es nicht schwer", sagte Ryan mit einem Zwinkern, auch wenn der Ex-Söldner das wenig lustig fand.

"Die Zielperson hatte einen Sohn, der in ziemliche fiese Geschäfte verstrickt war. Der stand dummerweise mal auf unserer Abschussliste", gab Ryan unumwunden zu.

"Ich habe den Job damals ausgeführt", gab Haley zusätzlich noch zu.

"Er war sehr interessiert daran herauszufinden, wer das war, um Rache für den Verlust seines einzigen Sohnes zu nehmen. Und irgendwann war es soweit. Seine Beziehungen reichten dann so weit, dass er tatsächlich Haleys Namen erfuhr."

"Moon wurde damit beauftragt, die Zielperson auszuschalten, weil er eben zu viel wusste und seine Verbindungen mittlerweile zu weit reichten. Und weil Moon auch wusste, dass das Ziel Haleys Namen kannte und versuchte, einen Auftragskiller für den Job zu engagieren, sorgte er dafür, dass er auch einen bekam. Nicht den, den er wollte, aber davon wusste er nichts."

"Ich glaube so langsam blicke ich durch", sagte Peter und zog nachdenklich die Brauen zusammen. Kermit nickte ihm zu und auch Cat schien allmählich ihre Schlüsse ziehen zu können.

"Moon hat sich überlegt, dass er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen kann. Er kann durch diese Gegebenheiten verhindern, dass Hal tatsächlich stirbt, und gleichzeitig damit dafür sorgen, dass ich seinen Job mache. Was ihn in die komfortable Situation brachte, dass er aus der Schusslinie war, sollte es schief gehen. Und war es erfolgreich, hatte er seinen Job gut gemacht." Ryan breitete die Arme aus, jetzt war seine Story tatsächlich beendet.

"Das ist nicht dein Ernst, oder? Die haben dich eiskalt benutzt!", protestierte Cat empört.

"Jap. Deshalb bin ich auch ein bisschen ausgerastet und habe Moon seine angeknackste Nase noch mal gebrochen", erzählte Ryan und konnte sich ein böses Grinsen nicht verkneifen.

"Was war mit dem anderen? Turn? Er ist da einfach mitgelaufen, oder wie?", wollte Kermit wissen, um das letzte Fragezeichen auch noch auszuräumen.

"Nein, ist er nicht. Ich habe es erst gedacht, aber dem war nicht so. Moon hat ihn auf Eis gelegt, als er nicht mitspielen wollte."

Cat konnte es sich nicht mehr verkneifen. "Was ein Arschloch!", schimpfte sie und bekam einhellige Zustimmung dafür.

*

Der Abend wurde lang. Die fünf Menschen saßen zusammen, tranken Kaffee, redeten lange und viel. Nur Kermit zog sich nach und nach mehr zurück und wurde immer verschwiegener.

Als sich die Versammlung auflöste passte Peter den Moment so ab, dass er mit seinem Freund schon mal raus zum Wagen ging, während Cat sich noch verabschiedete, um ein paar Minuten mit ihm allein zu sein.

"Was ist los, Partner?", fragte Peter sofort, als sie die frische Nachtluft atmeten.

"Nichts", antwortete Kermit sofort grimmig.

"Komm schon. Du zerbrichst dir den Kopf über irgendwas. Hat das vielleicht irgendwas mit der hübschen Sun Ni zu tun?", fragte Peter sofort unumwunden und hob eine Braue.

"Was soll die Frage?", blaffte Kermit sofort und wurde zornig.

"Herrgott, Kermit! Meinst du, ich hätte nicht mitbekommen, was zwischen euch lief?"

"Das geht dich überhaupt nichts an! Verdammt, manchmal hasse ich es, dass du ein Shaolin bist! Mein Privatleben kann dir egal sein! Also hör gefälligst auf, meine Gedanken zu lesen!"

"Ich habe deine Gedanken nicht gelesen, Kermit. Aber es war deutlich zu spüren, dass da was zwischen euch war…"

"Halt die Klappe, Peter. Ich mein es ernst. Was auch immer du da gespürt hast, es ist auf jeden Fall nicht mehr da. Eine Bettgeschichte, wenn du es so genau wissen willst, mehr nicht", zischte Kermit und riss die Tür der Corvair auf.

"Und wem willst du das erzählen?", fragte der Shaolin ruhig, weil er genau wusste, dass Kermit einen wahren Wirbelsturm der Gefühle für Sun Ni empfunden hatte, als er die beiden zusammen sah.

"Dir! Damit du endlich Ruhe gibst!", donnerte er, stieg ein und ließ Peter in der Einfahrt stehen, während er den Motor hochdrehte und davon jagte.


Epilog

Cat stand bei offener Tür vor dem Badezimmerspiegel und schminkte sich, weil sie den Abend mit Ryan bei einem Konzert verbringen wollte. Haleys vermeintlicher Tod war inzwischen vier Wochen her und die Normalität wieder eingekehrt. Es war der erste Abend, den die beiden Freunde bei ihrer Lieblingsbeschäftigung verbringen würden.

"Hast du Kermit erreicht?", fragte sie ihren Mann leicht besorgt, der im Flur aufgetaucht war. Sie hatte mitbekommen, dass Peter immer wieder versucht hatte, bei dem Ex-Söldner anzurufen.

"Nein", murmelte er und seufzte schwer. Sein bester Freund war nicht mehr bei ihnen gewesen, seit dem Abend bei Ryan und Haley. Er ging nicht ans Telefon, war im Revier kurz angebunden, für Peter nicht zu sprechen und außerhalb der Dienstzeit sah und hörte man überhaupt nichts von Kermit Griffin.

"Was ist nur los mit ihm? Ich verstehe es immer noch nicht", meinte Cat und schüttelte kurz den Kopf.

Peter hatte seiner Frau nicht erzählt, was er zwischen Sun Ni und Kermit gespürt hatte, ihr nicht erzählt, worüber sie bei den Walkers sprachen. Das drang zu tief in die Privatsphäre ein, selbst wenn er es Cat erzählte, mit der er sonst alles teilte. Das Gefühls- und Sexleben des Ex-Söldners war aber wohl das wertvollste und intimste, was dieser hatte; und da Peter es mit seinen Sinnen aufgefangen hatte, ohne dass dieses Wissen mit ihm geteilt werden sollte, empfand er es als eine Art Schweigepflicht, es für sich zu behalten.

"Ich weiß es nicht. Aber er scheint sich zu Hause zu vergraben. Vielleicht fahre ich nachher mal hin", murmelte der Shaolin nachdenklich und verschwand im Durchgang zur Küche.

"Mach das. Ich hoffe nur, er lässt dich auch herein", rief Cat ihm hinterher und tuschte dann weiter ihre Wimpern.

"Ja, ich auch. Und wenn nicht, dann kommt Plan B zum Einsatz", rief Peter zurück, "dann erzähle ich Paul von seinem merkwürdigen Verhalten." Der Shaolin hatte auch seinem Pflegevater nichts von der Situation erzählt. Zum einen aus demselben Grund wie bei Cat, zum anderen aber auch, weil Paul und Annie erst vor wenigen Tagen aus einem zweiwöchigen Urlaub in der Waldhütte zurückgekehrt waren.

Cat konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, obwohl sie sich ernsthaft Sorgen machte. Kermit würde fluchen, aber auf der anderen Seite war nach Peter wohl Paul der einzige, der aus dem Cop herausbekommen würde, was ihn bedrückte.

*

Peter stand eine ganze Weile vor der verriegelten Wohnungstür, ohne zu klingeln. Auf einmal war er sich nicht mehr so sicher, ob es eine gute Idee war, Kermit zu nahe zu kommen, wenn er sich so zurückzog und abkapselte. Erfreut sein würde der Cop auf keinen Fall, und Peter würde sich ganz schön was anhören dürfen, davon war er überzeugt. Auf der anderen Seite konnte er aber auch nicht dabei zusehen, wie sich der Frosch in seinem Schneckenhaus verkroch.

Der Shaolin hatte an der Straße geparkt und bewusst einen Blick geworfen, ob Licht in der Wohnung brannte; sein Freund musste zu Hause sein. Er atmete tief durch, beruhigte sich und schlug dann kräftig mit den Fingerknöcheln gegen die Tür. Keine Reaktion. So sehr er sich bemühte zu lauschen, er hörte rein gar nichts hinter der massiven Holztür. Dann drückte er den Klingelknopf und hörte das Summen aus dem Inneren der Wohnung, aber sonst wieder nichts.

"Kermit!", rief er gegen die Tür und hämmerte erneut mit der Faust gegen das Holz, hörte die Sicherungskette an der Innenseite rasseln. Und diesmal glaubte er auch schwere, -verdammt wütende-, Schritte auf dem Teppich zu hören.

"Verschwinde, Peter!", knurrte der Ex-Söldner zornig aus dem Inneren der Wohnung, offenbar direkt auf der anderen Seite der Tür.

Peter glaubte einen angetrunkenen Unterton herauszufiltern, und das gefiel ihm gar nicht. Sein Freund hatte diesen und den nächsten Tag frei, das wusste er von Skalany, und offenbar nutzte er die Zeit, um seinen Kummer im Alkohol zu ersäufen. "Mensch, Kermit", flüsterte Peter zu sich selbst und seufzte. Dann donnerte er seine Faust erneut gegen das Türblatt. "Mach auf Kermit. Rede mit mir", bat er eindringlich.

"Weder das eine, noch das andere!"

"Verdammt, Partner! Ich gehe hier nicht weg, bis du mich rein lässt!", drohte Peter an.

"Na dann schlag meinetwegen Wurzeln da draußen", brummte Kermit und ging deutlich hörbar wieder in den Wohnraum.

Peter klopfte erneut. Wieder und wieder hämmerte er gegen das hölzerne Türblatt, aber er bekam keine Antworten mehr auf seine Ansprachen, egal was er auch sagte. Schließlich seufzte er schwer und überlegte, was er nun tun sollte. Kermit würde ihn so schnell nicht rein lassen, aber wenn er jetzt ging, dann wäre der ganze Versuch umsonst gewesen. ~Außerdem habe ich ihm gesagt, dass ich hier bleibe~. Schließlich sank er direkt mit dem Rücken an der Tür zu Boden, zog die Beine in den Schneidersitz, lehnte seinen Hinterkopf an und schloss die Augen.

Er konnte warten.

*

Es dauert kaum zehn Minuten, bis Peter eine leichte Vibration des Bodens durch vorsichtige, argwöhnische Schritte wahrnahm. Er sah Kermit vor sich, wie der durch den Türspion spähte und nachsah, ob sich sein Freund wirklich verzogen hatte. Ruhig blieb Peter sitzen, und tatsächlich, zur Sicherheit öffnete der Ex-Söldner die Tür und blickte hinaus, während der Shaolin sich aus dem Schneidersitz und erhob und jetzt direkt vor ihm stand.

"Danke", sagte Peter und machte einen deutlichen Schritt in das Innere der Wohnung.

Kermit presste ihm die flache Hand auf den Brustkorb. "Vergiss es. Wenn ich sage verschwinde, dann meine ich damit sicher nicht 'komm rein‘!"

"Und wenn ich sage, ich bleibe so lange hier, bis du mit mir redest, dann werde ich nicht verschwinden", konterte der jüngere und sah Kermit unbeeindruckt an. Die Zeiten, in denen er ihm Angst machen, oder zumindest Respekt einflößen konnte waren schon eine ganze Weile vorbei.

Kermit erhöhte den Druck und wollte Peter zu einem Schritt rückwärts zwingen, damit er die Tür wieder zuwerfen konnte, aber der Shaolin ließ sich nicht zurückdrängen, sondern stand wie ein Baum in dem Türrahmen.

Kermit schnaubte. "Du spielst mit deinem Leben, Peter", presste er durch die Zähne. Seine ganze Haltung war jetzt nicht nur angedroht, sondern tatsächlich aggressiv und angriffslustig.

"Mag sein. Aber besser das, als zuzusehen, wie du dir deines versaust."

"Warum? Weil ich zu Hause bin und einen Whisky trinke? Daran ist noch keiner gestorben."

"Nein, daran nicht. Aber an einem gebrochenem Herzen", sagte der Shaolin und setzte damit alles auf eine Karte.

Kermit wurde richtiggehend zornesrot im Gesicht. Seine Augen verschmälerten sich hinter der Brille, seine Zähne pressten aufeinander. "Was hast du grade gesagt?", zischte er leise, aber drohend.

"Du hast mich verstanden, Kermit." Peter blieb ruhig.

Der Ex-Söldner nahm die Hand von der Brust und legte sie kräftig an Peters Kragen, wo er fest zupackte und den Shaolin direkt an sein Gesicht zog. "WAS – HAST – DU – GRADE – GESAGT?"

Peter wurde es zu bunt, langsam wurde er wirklich wütend über Kermits Verhalten. Er griff nach der angreifenden Hand, setzte alle Kraft ein und verdrehte sie, um seinen Freund anschließend rückwärts in die Wohnung zu schieben. Sicherlich war auch dessen Alkoholkonsum ein Grund, warum es dem Shaolin so einfach gelang.

Kermit fing sich wieder und stierte Peter wütend an. "Das war ein Fehler, mein Lieber. Ein verdammt großer Fehler", bellte er und ging mit schweren Schritten und in Angriffshaltung auf seinen Freund zu.

"Verdammt Kermit, hör auf mit dem Mist!", sagte Peter und wehrte den herannahenden Cop mit der rechten Hand ab, packte ihn und schubste ihn schließlich aufs Sofa. "Bleib da sitzen! Es reicht! Dein egoistisches Gezeter ist ja nicht zum aushalten", donnerte Peter ihn jetzt selbst zornig an.

"EGOISTISCH?", hakte Kermit völlig verständnislos nach. "Sag mal, spinnst du eigentlich komplett?"

"Nein, aber ich nenne die Dinge beim Namen und versuche nicht, sie solange im Suff zu ertränken, bis sie vielleicht freiwillig verschwinden! Ist es denn so verdammt schwer zuzugeben, dass du dich in Sun Ni verliebt hast?"

Kermit erhob sich und stand wieder fast Nase an Nase mit seinem Freund. Wütend sah er ihm in die Augen, aber so langsam merkte er, dass er den Machtkampf mit dem Shaolin verlor, denn der ließ sich überhaupt nicht einschüchtern.

"Komm schon. Ich will mich weder mit dir streiten noch mit dir prügeln. Ich will einfach nur wissen, warum du sie einfach weggeschickt hast?", sagte Peter jetzt versöhnlich.

"Ich habe es dir schon gesagt", beharrte er immer noch, "es war eine Bettgeschichte. Mehr nicht."

"Und ich weiß, dass du lügst. Ich habe gefühlt, was zwischen euch war. Das war nicht nur eine Bettgeschichte, das ist viel mehr. Es war so wie zwischen Cat und mir: etwas Besonderes", sagte Peter und setzte sich in den Sessel.

Auch Kermit ließ sich aufs Sofa fallen und rieb sich die Augen. "Das ist alles nicht so einfach, Peter", brummte er schließlich leise, resignierend.

"Für mich klingt es aber so. Auch wenn ich es nicht verstehe, warum du sie hast gehen lassen."

"Verdammt Peter, du kennst mich doch! Mein Leben, meine Vergangenheit, das ist die pure Gefahr. Wer in meiner Nähe lebt, lebt gefährlich. Und…"

"Und du hast Angst, dass ihr dasselbe passieren könnte wie Karen", vervollständigte Peter einfühlend.

Kermit lehnte das Gesicht in die Hände und schwieg für eine Weile. Wollte er wirklich mit Peter über seine tiefsten Gefühle reden? "Mein Leben ist einfach nicht dazu bestimmt, dass ich mit einer Frau zusammenlebe. Ich bin dreimal geschieden, Karen ist tot. Allmählich sollte ich akzeptieren, dass ich ein Einzelgänger bin."

Peter schüttelte den Kopf. "Das bist du nicht. Aus welchem Grund hast du denn dreimal geheiratet? Warum bist du mit Karen zusammengezogen? Komm schon, Partner, Liebe ist nichts, wovor man fliehen kann. Und nichts, wofür man sich schämen müsste."

"Ich war zwei Tage mit ihr zusammen, davon habe ich sie die Hälfte gehasst. Es ist zu viel, da von Liebe zu reden", brummte der Ex-Söldner, nicht sicher, ob er die Wahrheit sagte. Aber es war der letzte Versuch, sich gegen seinen Freund zu wehren.

"Wenn du es nicht weißt, ich weiß es." Peter sah ihn offen an. "Da war etwas Spezielles zwischen euch, so wie es euch aus der Bahn geworfen hat. Du solltest das nicht einfach vorbeiziehen lassen, Kermit", riet er schließlich und sah den Cop lange an.

"Und wenn ihr was passiert?"

"Und wenn ihr was passiert, und du hattest nicht mal mehr eine gemeinsame Minute mit ihr?", stellte Peter die Gegenfrage.

Kermit dachte darüber nach. Die letzten vier Wochen hatte er an kaum etwas anders gedacht als an diese Frau. Sun Ni. Der Name hallte in seinem Kopf nach und ließ ihn dröhnen.

"Lass es dir durch den Kopf gehen", sagte Peter freundschaftlich und abschließend. Er legte seinem besten Freund kurz die Hand auf die Schulter und verließ die Wohnung.

* * *

Kermit bog mit der Corvair in die schmale Seitenstraße ein und verlangsamte sein Tempo. Sein Magen krampfte, sein Kopf dröhnte, seine Gedanken wollten einfach nicht klar werden. Vielleicht war es doch eine dämliche Idee, hierher zu kommen, schließlich war sein erster Instinkt gewesen, dass es besser für sie beide wäre, wenn es zu keiner Beziehung käme. Aber er wusste, dass er sich selbst belog, auch dank Peters Kopfwäsche.

Sein erster Instinkt war gewesen, dass diese Frau ihn umgehauen hatte, die Berührung ihres Körpers und der Blick in ihre Augen hatten ihn elektrisiert. Und er hatte sie die letzten Wochen einfach nicht aus dem Kopf bekommen, sein ganzes Verhalten in dieser Zeit war den Entzug ihrer Nähe zurückzuführen; auch wenn er das nie laut aussprechen würde!

Kermit bekam das kleine Haus in sein Blickfeld und stellte entsetzt fest, dass der Lastwagen einer Umzugsfirma dort stand und Kiste um Kiste aus der offenen Haustür getragen wurde. Sein Magen überschlug sich, ihm wurde übel, seine Gedanken rasten. Geschockt stellte er den Wagen auf dem Seitenstreifen ab und beobachtete die Geschehnisse, konnte Sun Ni aber nirgends sehen.

"Und wenn ihr was passiert, und du hattest nicht mal mehr eine gemeinsame Minute mit ihr?", hallten Peters Worte in seinem Kopf. Jetzt würde er es wohl erfahren müssen. Er war zu spät, hatte zu lange gewartet, die Chance war vertan. Spätestens jetzt begriff er, was sein Freund ihm hatte klar machen wollen, was ihn zum Nachdenken angeregt hatte, was der Ursprung seiner Fahrt hierher war.

Wie erstarrt beobachtete Kermit die Kistenträger, die alles aus dem Haus schafften und mehr oder minder sorgsam in den großen Laderaum des LKW stellten. Sie gingen rein, sie kamen raus, sie gingen wieder rein... aber es gab keine Spur von der zierlichen Halbchinesin. Vermutlich war sie schon vorgefahren, dorthin, wo auch immer sie jetzt hin zog. Und er würde nie wieder einen Blick auf sie werfen können, nie wieder in ihre dunklen Augen sehen, nie wieder darin ertrinken.

Der Cop hasste sich jetzt schon dafür, diese Chance für alle Zeit vertan zu haben. Natürlich könnte er aussteigen, könnte die Männer nach dem Ziel der Kartons und Möbel fragen, notfalls seine Marke zücken, um eine Information zu bekommen. Aber was sollte das bringen? Deutlicher konnte Sun Ni ihm nicht zeigen, dass sie kein Interesse (mehr?) an seiner Nähe hatte. Und er konnte das mehr als verstehen, nachdem er sie auf dem Revier so rüde zurückgewiesen hatte.

Aber die Neugier blieb. Vielleicht könnte er einfach hinfahren, sie aus der Ferne beobachten, ohne dass sie es merkte. Und dann würde er sie zumindest sehen, wenn er sie auch nicht berühren konnte, er würde sie sehen... Als er sich selbst beim Denken zuhörte, begriff er erst, wie sehr Peter doch Recht gehabt hatte. Er war verliebt, Hals über Kopf, bis in die Haarspitzen, mit jeder Faser seines Körpers. Ein Gefühl, das ihn so übermächtig heimsuchte, dass er nicht mehr klar denken konnte. Und er begriff: Er wollte nichts mehr auf dieser Welt, als Sun Ni im Arm zu halten, ihr nahe zu sein, sie zu spüren.

Umgehend zog er den Schlüssel ab und stieg aus seinem froschgrünen Gefährt, schnurstracks ging auf einen bulligen Kerl mit Latzhose und Arbeitshandschuhen zu. "Entschuldigung", machte er sich bemerkbar.

"Ja?", drehte sich der Möbelpacker zu ihm um und musterte ihn.

"Polizei", sagte Kermit, zeigte seine Marke und hoffte, der Knabe würde nicht nach seinem Namen fragen. "Ich möchte wissen, wo es denn für Miss Chao hin geht."

"Äh, was?"

"Wohin sie alle diese Kisten und Möbel bringen!" Kermit wurde ungeduldig.

"Ach so. Da muss ich erst mal auf dem Frachtauftrag nachsehen", murmelte der Mann und ging zum Führerhaus des Wagens.

Der Cop folgte ihm und tippte ungeduldig mit dem Fuß, bis sein Gesprächspartner in den Papieren endlich den Zielort fand. "Also?"

"Das geht alles nach Los Angeles."

"Und wo da?", hakte der Ex-Söldner sofort nach, allmählich dauerte ihm das alles zu lange hier.

"Das geht auch etwas freundlicher", beschwerte er sich halbherzig, schaute aber gleich wieder in den Unterlagen. "4783 Polk Avenue."

"Danke", brummte Kermit und ging zurück zur Corvair. Dabei blickte er auf die Fassade des Hauses und die Bilder tauchten vor seinem inneren Auge auf, wie er Sun Ni dort das erste Mal gesehen hatte, blutverschmiert, katatonisch. Dann schreiend, tobend, völlig außer sich. Gott, was war sie ihm auf die Nerven gegangen mit ihrer sturen Art.

Aber dabei blieb es nicht. Er sah sie vor sich, wie sie in seiner Wohnung stand, wie sie ihn an sich zog um ihn zu küssen, wie sie nackt in der Badezimmertür erstarrte und sich von ihm berühren ließ. Kermit erschauerte. Eine Gänsehaut bildete sich an seinem ganzen Körper und ließ ihn erzittern, als er an ihre Nähe dachte. Die Nähe, die er nie wieder spüren würde.

"Was willst du hier?", fragte hinter ihm plötzlich eine leise Stimme, die auch schon bald zu brechen drohte.

Kermit fuhr herum und sah direkt in ihre dunklen, mandelförmigen Augen. Sein Herz machte einen spürbaren Sprung, als er sie jetzt vor sich erblickte. "Ich…", mehr brachte er nicht hervor. Er war hierher gekommen, ihr mit ihr zu reden, aber jetzt fehlten ihm die Worte. Begriffe, Ausdrücke, die so selten über seine Lippen kamen, als hätte er verlernt zu sagen 'Ich wollte bei dir sein'.

"Wie du siehst ziehe ich grade aus. Wenn du mir also etwas sagen willst, dann solltest du es schnell tun", sagte sie tough.

Der Ex-Söldner wusste nicht, wie ihm geschah. Sie schien keinerlei Interesse an diesem Wiedersehen zu haben, stellte sich ihm schlagfertig entgegen. Was sollte er jetzt sagen? Es wäre reine Selbstzerstörung, ihr jetzt seine Gefühle zu gestehen, wenn klar war, dass sie anschließend die Stadt verließ. "Sun Ni, ich…"

"Du was? Warum bist du hier, Kermit? Möchtest du mir etwas sagen? Oder wolltest du nur sicher gehen, dass der Umzugslaster die Stadt auch ja verlässt?", fragte sie, ihr Körper bebte jetzt vor Anspannung.

"Nein, das wollte ich sicher nicht", sagte der Cop sofort.

"Und was wolltest du dann?" Ihre Augen begannen zu glitzern, Tränen versuchten sich ihren Weg zu bahnen.

Kermit fand einfach nicht die richtigen Worte. Er wollte es ihr so gerne sagen, aber kein Ton verließ seinen Mund.

"Alles klar. Leb wohl, Kermit", sagte sie schließlich, drehte sich auf dem Absatz um und ging über die Straße auf den LKW zu.

Kurz bevor er sich schon damit abfinden wollte, dass er sie für immer verlor, sprudelte der so unendlich wichtige Satz aus ihm heraus. "Bitte geh nicht!", rief er ihr nach und beobachtete den schmalen Körper, wie der im Moment erstarrte, sich aber nicht umdrehte.

"Bitte bleib bei mir", sagte er hinterher, selbst erstaunt über seine Gefühlsoffenheit. Aber er wusste, dass es jetzt hieß 'Ganz oder gar nicht'. Wenn er sie jetzt nicht mit allen Mitteln hielt, sähe er sie nie wieder.

Sun Ni drehte sich zu ihm herum, auf ihren Wangen funkelten Tränen. Fragend starrte sie ihn über die Straße hinweg an.

"Ich war ein Idiot", meinte Kermit, jetzt leiser. Er nahm die Brille ab, rieb sich die Augen und sah sie dann offen und ohne Schutzschild an. "Bitte!"

Die Halbchinesin kam jetzt wieder auf ihn zu, wenn auch sehr langsam. Sie suchte den Augenkontakt zu ihm, sah ihn an, suchte nach der Wahrheit in seinem Gesicht. Als sie vor ihm stand, musterte sie ihn noch immer.

"Ich weiß nicht, was es werden wird. Aber ich möchte es herausfinden", sagte Kermit mit erstickter Stimme und blickte in ihre dunklen, wunderschönen Augen.

Sun Ni zögerte, ihr Gesichtsausdruck war unklar. Erst nach wenigen, quälenden Sekunden lächelte sie schließlich. "Ich auch", war alles, was sie sagte, ehe sie ihn umarmte und in einem tiefen Kuss versank.

Der Ex-Söldner schloss seine starken Arme um die zierliche Figur und löste sich schließlich von ihren Lippen. "Bitte verzeih mir", flüsterte er an ihr Ohr.

"Du hast Recht", sagte sie erstickt und lächelte dann, "du bist ein Idiot. Aber besser man merkt das spät, als nie."

Sie küsste ihn erneut und schmiegte sich an ihn. Dann zog sie sich ein wenig von ihm weg, um in seine Augen sehen zu können, stumm trafen sich ihre Blicke. Anschließend drehte sie sich aus seiner Umarmung heraus und rief den Möbelpackern über die Straße zu: "Laden sie die Sachen wieder aus. Ich habe es mir anders überlegt. Ich bezahle es ihnen auch."

Kermit strahlte sie an, als sie ihr hübsches Gesicht wieder zu ihm drehte. Er hatte in Wirklichkeit keine Ahnung, was sich in seinem Inneren abgespielt haben musste, dass er diese Aktion durchgezogen, diese Worte gesagt hatte.

Aber er wusste genau: So glücklich wie in diesem Moment war er noch nie zuvor gewesen.

ENDE

 

Teil 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

zurück zum Autoren Index      zurück zum Story Index