Teil 5
Autor: Ratzenlady
 

Kapitel 5

Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch betrat Cat das Krankenhaus, in dem sie schon so oft gewesen war. Entweder als Patientin, oder aber als Besucherin für die, die sie liebte. Und jetzt war es wieder so weit.

Es schien wie ein Alptraum, der sich immer wiederholte und nie enden wollte, ein ständiges Déjà Vu, das man um nichts in der Welt wollte, das einem den Verstand raubte. Die bekannten Gerüche von Desinfektionsmitteln und Reinigern krochen in ihre Nase und ließen Übelkeit in ihrem Inneren aufkommen, traurige Gesichter im Wartebereich ließen ihr selbst Tränen in die Augen steigen.

Cat ging mit nicht ganz festen Schritten auf den Tresen zu, hinter dem eine kräftige Schwester mit sympathischem Gesicht saß. Gerne hätte sie sich an jemanden gelehnt, anstatt allein hier zu sein, aber sie konnte die Entscheidung von Kermit und Peter durchaus nachvollziehen. Schließlich wusste sie selbst nicht so genau, was sie hier wollte, außer einfach da zu sein; und Kermit hatte schließlich noch einen Job, um den er sich kümmern musste. Und wenn Peter ihm dabei helfen konnte…

Haley lag im Koma, ihr Zustand war kritisch; so hatte Kermit es gesagt. Sie konnte nicht mal sicher sein, dass man sie überhaupt ins Krankenzimmer lassen würde. Und wenn sie tatsächlich nur hier draußen sitzen und auf eine Veränderung warten konnte, dann würde sie das auch alleine schaffen.

"Entschuldigen sie", sagte sie leise zu der Schwester, die sie jetzt freundlich anlächelte.

"Ja?"

"Ich wollte zu Haley Walker", erklärte Cat und versuchte ein wenig zu lächeln. Die Schwester nickte nachdenklich und blickte dann an der jungen Frau vorbei.

"Da müssten sie sich an die beiden Herren dort hinten wenden, in den Anzügen", gab sie Auskunft und zeigte durch den Warteraum auf die beiden FBI-Wachhunde.

Cat bedankte sich und ging dann in die Richtung. Sie konnte sich der Frage nicht erwehren, warum die beiden hier am Kaffeeautomat und nicht vor der Tür standen. Aber sie beantwortete sie sich nicht, sicher gab es eine plausible Erklärung dafür. Wahrscheinlich wurde Haley nur grade geröntgt oder untersucht, versuchte sie die aufkommende Panik zu unterdrücken.

"Die Schwester sagte, ich solle mich an sie wenden", sagte Cat, als sie vor den beiden stand, "ich wollte Haley Walker besuchen."

"Ihren Ausweis bitte, Maam", entgegnete einer von ihnen sofort. Umgehend bekam er ihn gereicht, las den Namen und gab ihn wieder zurück.

"Verzeihen sie, aber wir müssen uns vergewissern", entschuldigte sich jetzt zunächst der andere für den Formalismus.

"Was ist denn nun mit Haley? Warum sind sie hier und nicht bei ihr?", fragte Cat jetzt offen und sah abwechselnd zwischen ihnen hin und her.

Auch die beiden Agents wechselten einen betroffenen Blick, als wollten sie stumm unter sich ausmachen, wer von ihnen die schlechten Nachrichten überbringen sollte.

"Es tut uns Leid, Mrs. Caine", fasste sich einer endlich ein Herz, "aber sie ist vor fünfzehn Minuten ihren Verletzungen erlegen. Mein Beileid."

Die letzten beiden Worte hörte die junge Frau schon nicht mehr. Völlig fassungslos starrte sie den Mann an und versuchte zu begreifen, was er ihr grade gesagt hatte.

"Aber das… das kann doch nicht… das muss… wie…", begann sie verwirrt zu stottern und wechselte nun wieder unruhig den Blick zwischen ihnen. Sie hatte das Gefühl, der Boden unter ihren Füßen würde weggerissen und sie fiele unendlich tief in das schwarze Loch, an dessen Abgrund sie schon mehr als einmal gestanden hatte.

"Ihre Verletzungen waren zu schwer", erklärte ein Agent mitfühlend und wechselte dann einen fast hilflosen Blick mit seinem Kollegen.

"Was ist mit Ryan? Er muss doch…", entfuhr es ihr auf einmal erschrocken. Die Vorstellung, was passierte, wenn er es mitgeteilt bekam, verdoppelte ihren Schmerz.

"Er wird grade von den Kollegen informiert. Können wir noch irgendetwas für sie tun? Ihnen ein Taxi rufen, vielleicht?", erkundigte sich der zweite Agent leise und blickte ihr auffordernd in ihre Augen, die voller Schrecken waren.

Sie brauchte ein paar Sekunden, bis sie schließlich den Kopf schüttelte und sich auf einen der Stühle sinken ließ, wo sie umgehend ihr Gesicht in ihren Händen begrub. Haley. Tot. Das war einfach unmöglich. Und doch…

Sie wusste nicht genau, wie lange sie sich ihren Gefühlen ergeben und einfach nur geweint und getrauert hatte, als sie sich wieder straffte und ihr Handy aus der Handtasche wühlte. Als sie es aber in der Hand hatte, fühlte sie sich unfähig Peter anzurufen und ihm zu erzählen, was passiert war. Sie konnte nicht mal sicher sein, überhaupt ein Wort herauszubekommen, bei dem Schrecken, der ihren Verstand verschleierte und sie der Ohnmacht nahe brachte.

* * *

Turn stand wütend vor Moon und starrte ihn entsetzt an.

"Lass mich es ihm sagen. Du putschst ihn doch nur auf", beharrte er inzwischen zum wiederholten Mal auf seiner Meinung.

"Es ist aber mein Job! Ich habe hier die Verantwortung."

"Du hast einen Scheiß! Es geht euch doch überhaupt nicht um Shooter, ihr wollt ihn nur benutzen", zischte er bösartig, "erst wollt ihr ihn raushalten, und jetzt wollt ihr, dass er eure Arbeit macht."

Moon verdrehte oberlehrerhaft die Augen und giftete zurück: "Komm schon! Das haben wir alle, das hat Shooter selbst doch schon oft genug gemacht! Du tust so, als wäre das ein Schwerverbrechen."

"Wir haben das gemacht, ja, mit unseren Feinden. Ich hätte nicht gedacht, dass wir das auch mit unseren eigenen Leuten machen! Und komm mir jetzt nicht damit, dass es hier um Politik geht", entgegnete Turn erzürnt und ging einen bedrohlichen Schritt auf Moon zu, auf dessen Nase ein weißes Pflaster prangerte und an den Schlag durch Ryan erinnerte.

"Er ist nicht mehr einer unserer Leute, das hat er selbst oft genug betont."

Turn ging noch einen Schritt auf ihn zu und holte aus, ohne aber einen Schlag auszuführen, drohend schwebte seine Faust in der Luft.

"Du bist ein Arschloch! Ich lass nicht zu, dass ihr Ryans Wut benutzt, um eure Ziele zu verfolgen. Er hat grade seine Frau verloren!", brummte er böse und drehte sich dann zum Gehen.

"Du kannst nichts machen, Turn. Die Angelegenheit ist schon mit dem Boss abgesprochen, und was jetzt kommt auch", sagte er in überheblichem, siegessicherem Ton und schnippte mit den Fingern.

Vier Männer kamen sofort herein und stellten sich neben Turn, der sie düster musterte. Es waren Agents vom Blauen Team, so genannte Blues, dessen Aufgabe beim Beschützen und Bewachen lag. Ausgezeichnete Nahkämpfer, und gegen vier von ihnen hatte er keine Chance, das war sofort klar.

"Ihr legt mich auf Eis?", fragte er nach, ohne sich rumzudrehen und Moon anzusehen, seine Stimme wirkte gepresst. Die Frage war überflüssig, aber es war die letzte Bestätigung einer Entscheidung, die er eben grade in seinem Inneren getroffen hatte.

"Wenn ich Bedenken haben muss, dass du die Sache gefährdest und mit Ryan sprichst; ja", antwortete Moon kalt und überließ seinen Partner dann den Männern, die dafür sorgen würden, dass er keine Möglichkeit haben würde, Kontakt mit der Außenwelt, -und vor allem mit Ryan-, aufzunehmen.

Nachdem die fünf dann den Raum verlassen hatten, zog Moon sein Handy und rief Shooter an, um ihm die Nachricht vom Tod seiner Frau zu übermitteln.

* * *

Ryan warf sein Handy auf den Beifahrersitz und fuhr sich unzufrieden über das Gesicht. Er hatte mit einem alten Bekannten von der CIA gesprochen, der ihm aber auch nicht hatte helfen können. Langsam verlor er jede Möglichkeit, herauszufinden, wo Cobra steckte oder wer ihn beauftragt hatte.

Seine Gedanken wanderten zu Haley, wie so oft in den letzten Stunden. Er hatte Angst um sie, Angst, dass sie den Kampf diesmal verlieren konnte. Es war nicht das erste Mal, dass sie angeschossen und schwer verletzt worden war, aber es war das erste Mal, dass seine FRAU lebensgefährlich verwundet war. Unfreiwillig musste er darüber nachdenken, was wäre, wenn sie es nicht schaffen würde, was aus Jo werden würde. Er war nicht sicher, ob er es allein schaffen können würde, Joanna als Vater zu geben, was Hal als Mutter geben konnte.

Zu gerne wäre er bei ihr geblieben und hätte ihre regungslose Hand gehalten, aber sein Zorn und sein Wunsch nach Rache hatten ihn förmlich aus dem Krankenhaus getrieben, auf der Jagd nach dem Killer und seinem Auftraggeber. So schmerzvoll es war, er hatte gehen MÜSSEN, getrieben von einer inneren Kraft, die auf nichts anderes als Vergeltung sann.

Seine Gedanken wurden vom Klingeln seines Handys in die Realität zurückgeholt, seine Hand griff danach und er las die Nummer im Display. Mit einem Grollen in der Kehle ging er ran und schaltete sich durch den üblichen Sicherungsmechanismus, ehe er Moon am anderen Ende hatte.

"Was willst du?", knurrte er in das Gerät und zerwühlte wieder seine Haare.

"Shooter… Ryan… ich muss… ich…", begann er betroffen, "… Haley hat's nicht geschafft."

Ganz langsam schloss Ryan die Augen und ließ einige Sekunde Schmerz und Trauer in seinem Herzen zu. Haleys Gesicht tauchte vor ihm auf, ihr Lachen, ihre Energie, ihre starken Augen, die jetzt für immer geschlossen sein sollten.

Mit einem Mal verschwand alles, was ihm in den letzten Jahren einen Sinn in seinem Leben gegeben hatte, alles was sein Leben lebenswert gemacht hatte. Jetzt war es weg; und alles was blieb war Leere, Hass und Wut.

Seine Lider öffneten sich wieder, aber jedwedes Gefühl war aus seinen blauen Augen verschwunden, sie waren kalt wie Eis und glühten gleichzeitig wie das Feuer der Hölle.

"Wer war das, Moon?", presste er jetzt mit todbringender Stimme zwischen seinen Zähnen hervor.

"Ryan, es tut mir Leid. Aber du weißt, dass ich dir das…"

"HÖR AUF DAMIT", feuerte der blonde Ex-Agent durch die Leitung, "und sag mir verdammt noch mal, wer Cobra beauftragt hat!"

"Ich versteh, dass du…"

"Ihr müsst doch mit Sicherheit inzwischen zumindest etwas vermuten, also sag es mir, oder ich brech' dir mehr als nur deine beschissene Nase!", drohte er kalt und absolut ernst gemeint.

Moon schluckte am anderen Ende und seufzte dann schwer.

"OK. Also gut. Wir gehen davon aus, dass es Harold Cannon war, aber das hast du nicht von mir", murmelte er schließlich leise.

Ryan antwortete nicht, sondern legte auf, warf das Handy wieder auf das Leder des Beifahrersitzes und startete den Motor. Dann donnerte er mit allem, was die Pferde unter der Haube hergaben, aus der Stadt, auf direktem Weg nach Kalifornien.

* * *

Kermit verließ mit Peter den Verhörraum und trottete zur Kaffeemaschine.

"Was meinst du?", fragte der Cop seinen Freund und erhoffte sich eine diesmal recht klare Antwort.

"Ich denke, dass sie die Wahrheit gesagt hat. Zumindest bei dem Teil, als sie den Hergang beschrieben hat, bin ich mir sicher; mit all meinen Sinnen."

Kermit nickte, das reichte ihm, um auch überzeugt zu sein, dass sie unschuldig war. Jetzt wollte er sich zunächst um etwas anders kümmern. "Hat Cat sich gemeldet?", fragte er leise, die Besorgnis war jetzt deutlich aus seiner Stimme herauszuhören.

Peter schaute auf sein Handy, das er für das Verhör lautlos gestellt hatte, und schüttelte dann mit dem Kopf, nebenbei schaltete er den Ton wieder an. Die beiden wechselten einen viel sagenden Blick und bedienten sich dann erst mal an dem schwarzen Gebräu.

"Was ist mit Ryan? Hast du was von ihm gehört?", erkundigte sich jetzt Peter, bekam aber auch nur ein Kopfschütteln zur Antwort.

"Nein, außerdem warst du doch die ganze Zeit hier bei mir. Der ist auf dem Kriegspfad, fürchte ich. Und ich möchte nicht in der Haut dessen stecken, der auf Haley geschossen hat", sagte Kermit müde und warf einen demonstrativen Blick auf die Uhr.

"Ich auch nicht. Aber ich hoffe, dass Ryan noch rechtzeitig die Notbremse zieht, sonst macht er mehr kaputt, als er retten kann", murmelte Peter und fuhr sich durch die Haare. Auch er kannte den Durst nach Rache, aber er hatte zumindest die Notbremse gefunden, wenn auch mit Cats Hilfe.

"Zum Glück hab ich jetzt Feierabend, der Tag war lang genug", sagte der Cop mit der Sonnenbrille abschließend, als Peters Handy klingelte.

Der junge Shaolin nahm ab. Er sprach nicht viele Worte, aber sie, -und seine Gesichtszüge-, reichten aus, um auch seinem Freund unmissverständlich klar zu machen, was Cat aus dem Krankenhaus zu berichten hatte. Stille legte sich über die beiden Männer, und sie konnten in diesen Sekunden nicht mehr tun, als einander mit besorgten Gesichtern voller Schrecken anzustarren und sich zu fragen, wie Ryan wohl auf diese Nachricht reagieren würde. Für sie beide stand fest, dass die zuvor angesprochene Notbremse spätestens jetzt weggefallen war.

*

Peter atmete zweimal tief durch, ehe er die Stille durchbrach. Er hatte kein großes Interesse daran, an etwas anders zu denken, als an Haleys Tod und automatisch damit verbundene Sorge um Cat, die allein im Krankenhaus saß und vermutlich kurz vorm Zusammenbruch stand, aber eine Empfindung, eine Art Vorahnung drängte sich ihm dennoch auf.

"Ich fahr jetzt erstmal ins Krankenhaus und hole Cat nach Hause, ehe sie mir zusammenklappt", fing er an und fuhr sich hektisch durch die Haare, "und du solltest dir trotz Feierabend Sorgen um deine Verdächtige machen. Ich hab ein ganz komisches Gefühl, dass man noch mal versuchen wird, sie zum Schweigen zu bringen. … So schwer es im Moment fällt."

Peter fuhr sich erneut durch seine braunen Haare und schaute ruhelos umher. Die Tatsache, dass Haley gestorben war, riss ein großes Loch in sein Herz. In den letzten Monaten hatte man viel Zeit miteinander verbracht, öfter zusammen gegessen oder sich einfach im Park am Spielplatz getroffen, damit Joanna auch ihren Spaß hatte. Jetzt war das alles Vergangenheit, zumindest in der Form, in der sie es bis heute betrieben hatten. Haley war tot, so schwer ihm dieses Eingeständnis fiel.

Aber es war nicht allein der Verlust einer lieben Freundin, die seinen Geist der Verzweiflung nahe brachte, sondern auch die zusätzliche, fast schon panische Sorge um seine Frau. Die Vorstellung, dass er ihr in dieser schlimmen Stunde nicht beigestanden hatte, fraß sich tief in seine Seele, und er hoffte, dass es ihm nicht übel nehmen würde, so viel Recht dazu sie auch hätte.

"Das hab ich mir auch schon überlegt. Mal sehen, was ich mit ihr mache. Kümmere du dich erstmal um Cat", unterbrach Kermit Peters Gedankengänge. Auch der Ex-Söldner trug schwer an Haleys Tod, die Nachricht hatte ihn wie ein Blitz getroffen, damit hatte er einfach nicht gerechnet. Natürlich hatte er überlegt, was sein sollte, wenn Haley tatsächlich starb, aber dennoch hatte er fest daran geglaubt, daran glauben wollen, dass sie ihre Verletzung überstehen würde, aus welchem Grund auch immer er diesem Irrglauben erlegen war.

Jetzt blieb nichts weiter als die Verzweiflung und die Sorge um Ryan, der mit Sicherheit total durchdrehen würde. Und ausgerechnet in dieser Gemütsverfassung musste er sich noch um die Sicherheit der jungen Halbchinesin kümmern, die auf dem Revier nicht mehr gewährleistet war.

Unterdessen griff Peter wortlos nach seiner Jacke, sah Kermit noch einmal intensiv, aber traurig in die Augen und ging mit schnellen Schritten zum Stealth, um seine Frau so schnell wie möglich in seine Arme schließen zu können und ihr Trost zu spenden.

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