Teil 10
Autor: Ratzenlady
 

Kapitel 10

"Peter?", rief Kermit besorgt mit vorgehaltener Waffe, als er die offen stehende Tür zu Peters und Cats Wohnung durchschritt. Allein diese Tatsache hatte ihn bewogen, seine Desert Eagle zu ziehen, denn es kam ihm verdammt spanisch vor.

Jody war direkt hinter ihm, auch sie hatte ihren Revolver aus dem Holster geholt. "Peter?", wiederholte sie, erhielt aber wie ihr Partner zuvor keine Antwort.

Langsam gingen sie durch den Flur und streckten ihre Pistolen in jede Türöffnung, aber immer starrte sie nur gähnende Leere an. Die letzte Tür an der Seite war die Küche, danach gab es nur noch das Bad vor Kopf des Flures.

Der Ex-Söldner drehte sich in den Durchgang und streckte seine Waffe in Richtung Küchentisch, als er seinen Freund am Boden liegen sah. Sofort steckte er die Eagle weg und kniete sich neben den Shaolin, während Jody geistesgegenwärtig nach ihrem Handy angelte und über die Zentrale einen Krankenwagen anforderte.

Kermit begutachtete die Situation, während seine Finger am Hals des jungen Mannes nach der Schlagader tasteten. Peter war bewusstlos, aus einer Wunde am Hinterkopf sickerte Blut, daneben lag die große weiße Porzellanplatte. Es war klar zu erkennen, was hier passiert war; Sun Ni hatte ihn überrumpelt, niedergeschlagen, und war dann geflohen.

"Und?", fragte Jody nervös, als Kermit nichts sagte.

"Sein Puls ist da, kräftig", gab der Cop bekannt und seufzte erleichtert. Peter schien nicht gefährlich verletzt zu sein, vermutlich nur eine Platzwunde und eine mittelschwere Gehirnerschütterung. Aber er würde es sicherlich überleben, und das war für den früheren Söldner das Wichtigste.

Jody verschwand kurz aus dem Türrahmen und kam dann mit mürrischem Gesichtsausdruck zurück. "Sie ist weg", brummte sie unzufrieden. "Wie geht es ihm?"

"Nicht anders als vor zehn Sekunden", fuhr Kermit sie an; härter, als er eigentlich wollte. "Sorry, war nicht so gemeint. Aber wie gesagt: Er wird es überstehen und die nächsten Tage nur übelst Kopfschmerzen haben."

"Hast ja Recht", antwortete sie und fuhr sich durch ihre Locken. Auch wenn sie heute keine Liebe im leidenschaftlichen Sinne mehr für ihn empfand, sondern vielmehr eine tiefe Freundschaft, ging es ihr sehr nah, ihn so verletzt und hilflos daliegen zu sehen.

In der Ferne waren jetzt die Sirenen des Krankenwagens zu hören. Kaum dass die beiden Cops ihre Blicke in Richtung des Signaltones gedreht hatte, holte ein leises Stöhnen sie wieder zurück zu Peter.

"Autsch", murmelte der junge Shaolin mit verzogenem Gesicht und versuchte sich aufzurichten, aber Kermit drückte ihn mit sanfter Gewalt auf den Boden.

"Bleib lieben Partner, du bist verletzt", mahnte der ehemalige Söldner.

"Halb so wild", versuchte Peter erneut zu beschwichtigen und aufzustehen, aber sein Freund ließ das nicht zu.

"Er hat Recht, bleib liegen", schaltete sich auch Jody ein, warf ihrem früheren Schwarm einen tadelnden Blick zu und verließ dann den Türrahmen in Richtung Haustür, um die eintreffenden Rettungskräfte einzuweisen.

Peter ergab sich schließlich seinem Schicksal, legte den Kopf wieder auf den Boden und rollte die Augen. "OK, ihr habt gewonnen", flüsterte er leise. Tatsächlich brummte ihm ziemlich der Schädel, aber das wollte er nur ungern zugeben und wechselte deshalb das Thema. "Sun Ni ist weg, was?"

"Natürlich. Ich gehe doch richtig in der Annahme, dass sie das war, oder?", knurrte Kermit grimmig. Er hatte nicht wirklich erwartet, dass sich der Shaolin von der jungen Frau überrumpeln lassen würde.

"Mhm. Sie hat mich überlistet. Ich hatte gedacht, dass ich einen Zugang zu ihr gefunden hatte. Aber offenbar… au", stöhnte Peter und schloss kurz die Lider.

"Hey Partner, alles klar?", schoss Kermit sofort heraus und warf einen suchenden Blick über die Schulter. Wo blieb der Notarzt?

"Jaja, mir ist nur kurz schwarz vor Augen geworden", antwortete Peter wenig überzeugend. Tatsächlich freute auch er sich jetzt über die Schritte, die er im Flur hörte, auch wenn die Aussicht auf einen Krankenhausaufenthalt wenig berauschend war. "Habt ihr Cat angerufen?", fragte er Kermit noch, als dieser von einem Sanitäter beiseite geschoben wurde.

"Noch nicht. Aber das mache ich gleich."

Der junge Shaolin nickte nur. Natürlich würde sich seine geliebte Frau wieder höllische Sorgen machen, aber so schlimm war es doch eigentlich gar nicht. Allerdings, kaum dass er diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, wurde es wieder schwarz um ihn und sein Geist rutschte in die Bewusstlosigkeit.

Kermit und Jody mussten tatenlos zusehen, wie Peter abdriftete und die Sanitäter und der Notarzt seine Wunde provisorisch versorgten, eine Halskrause anlegten und ihn auf die Trage hievten.

"Keine Sorge, kurzzeitige Bewusstlosigkeit ist ganz normal bei einer Kopfverletzung", teilte einer der Männer mit, während sie die Bahre auf die Rollen hoben und durch den Flur schoben, "wir fahren ins County General."

Die Cops nickten nur. Dann zog Kermit sein Handy aus der Tasche, blickte es einen Moment skeptisch an und steckte es dann wieder ein.

"Was war das jetzt?", fragte Jody, die fest damit gerechnet hatte, dass ihr Partner jetzt Cat anrufen würde.

"Tu mir einen Gefallen und hol Cat ab. Ich will nicht, dass sie Auto fährt, sie wird furchtbar aufgewühlt sein", sagte Kermit schließlich und erhielt ein zustimmendes Nicken zur Antwort, "ich setzte dich am Revier bei deinem Auto ab."

"Und du?", hakte sie nach, während sich die beiden zur Corvair bewegten.

"Ich gebe die Fahndung raus und fahre zu unserem Freund Zhao. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er der Mörder ist, oder zumindest der Auftraggeber. Aber Sun Ni wird dort auftauchen, davon bin ich überzeugt."

"Sie hat einen Vorsprung", teilte Jody ihre Bedenken mit.

"Deshalb müssen wir uns beeilen!", reagierte der Ex-Söldner, als sie in den Wagen stiegen. Dann startete er den Motor und brauste mit quietschenden Reifen aus dem Innenhof.

* * *

Cat stellte ihre Kaffeetasse auf dem Tablett ab, auf dem sie die drei Becher vor einer Stunde hinaus in den Garten getragen hatte. Sie saß zusammen mit Paul und Annie auf dem Rasen und starrte die meiste Zeit Löcher in den blauen Himmel.

"Geht's dir jetzt etwas besser, Liebes?", fragte Annie und legte ihr zielsicher die Hand auf dem Arm.

"Ich glaube schon. Weiß nicht so genau", murmelte sie ergriff die ausgestreckte Hand dankend. "Ich kann es einfach nicht fassen. Ich weiß es, aber ich… ich will es einfach nicht glauben. Ausgerechnet Haley!", rief sie auf einmal aus und seufzte schwer. "Ich meine… ich weiß auch nicht", gab sie schließlich auf.

"Ich weiß, was du meinst", sagte Paul mit beruhigender Stimme und lehnte sich mit seiner Tasse im Stuhl zurück. "Es ist genauso wie bei Ryan: Man gewinnt irgendwann den Eindruck, dass ihnen nichts und niemand irgendetwas anhaben kann. Umso größer der Schock, wenn genau das doch passiert."

Cat nickte nur stumm, Paul hatte es auf den Punkt gebracht. Ihr stiegen Tränen in die Augen. "Du hast Recht. Wir wussten ja alle, dass die drei gefährlich leben. Aber…"

"Schhhh", beruhigte Annie, die genau merkte, wie Cat wieder von ihren Gefühlen übermannt wurde. Den Tag über hatte die junge Frau im Haushalt geholfen und sich abgelenkt, aber als sie jetzt zum Abschluss mit einem Kaffee zur Ruhe kommen wollten, kamen die Gedanken zurück.

"Ich danke euch zwei", meinte Cat schließlich nach einem Moment.

"Erstens weißt du, dass wir selbstverständlich für dich da sind, und zweitens wissen wir das doch", entgegnete Paul sofort und schmunzelte, "schließlich hast du uns das heute schon zehnmal gesagt."

Die junge Frau konnte sich kein Lächeln abgewinnen. "Wirklich? Hab ich gar nicht…", weiter kam sie nicht, weil die Türklingel sie unterbrach.

Paul rollte skeptisch die Augen und erhob sich, um zu öffnen.

"Ich weiß, dass es schlimm ist Kind, aber vielleicht tröstet es dich zu hören, dass die Zeit auch diese Wunde heilen wird", versuchte Annie Cat zu beruhigen, "es wird alles wieder gut."

"Ähm", unterbrach Jody verlegen die Unterhaltung. Sie hatte Annies letzten Satz gehört und musste jetzt leider sagen, dass nicht alles gut war.

Cat sah sie besorgt an. Dass die blonde Polizistin hier auftauchte, war mit Sicherheit kein gutes Zeichen. "Was ist passiert?"

Jodys Gedanken rasten. Sie hatte sich auf dem Weg schon überlegt, wie sie am Besten anfing, um Cat so wenig Sorgen wie möglich zu bereiten. Aber ihre Reaktion hatte schon wieder alles über den Haufen geworfen. Was sollte sie zuerst sagen? Dass Peter verletzt war? Dass es nicht lebensgefährlich war? Dass Sun Ni Peter angegriffen hatte?

"Jody?", fragte jetzt auch Annie nach, was es zu berichten gab. Die blinde Frau hatte deutlich die gedrückte Stimmung wahrgenommen und spürte, wie sich Sorge um ihren Sohn auch in ihr ausbreitete.

"Hört zu, es ist halb so wild, wie es sich vielleicht anhört", begann der Detective jetzt langsam und wurde das Gefühl nicht los, dass sie doch falsch angefangen hatte. Aber jetzt war es ohnehin zu spät. "Peter ist im Krankenhaus, aber…", weiter kam sie nicht.

"WAS?", entfuhr es Cat kreischend laut. Sie wollte aufspringen, aber Annie hielt sie am Arm fest.

"Lass sie erst ausreden", redete Peters Pflegemutter auf ihre Schwiegertochter ein.

"Wie gesagt, es ist halb so schlimm. Er hat eine Platzwunde am Kopf, aber sonst ist alles in Ordnung, ehrlich", versicherte Jody und betete, dass sie Recht hatte. Der Arzt hatte zwar gesagt, dass die Bewusstlosigkeit normal sei, aber sie machte sich dennoch Sorgen, dass es vielleicht schlimmer war. Doch diesen Umstand verschwieg sie jetzt lieber. Sie musste darauf hoffen, dass der Shaolin wieder halbwegs fit war, wenn sie und Cat im Krankenhaus ankamen.

Cat atmete tief durch, aber wirklich beruhigt war sie nicht. "Ich fahre zu ihm", sagte sie bestimmt und stand jetzt ohne Gegenwehr durch Annie auf.

"Ich fahr dich, deshalb bin ich hier", meinte Jody. Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, urplötzlich finster von der jungen Frau angestiert zu werden.

"Ich kann fahren, danke!", zischte sie fast schon bösartig.

"Cat, ich… Kermit… ich meine…"

"Ja, klar. Das hätte ich mir auch denken können! Richte Kermit aus, dass ich erwachsen bin, verdammt!", fuhr Peters Ehefrau sie an und ging in großen Schritten über den Rasen. "Danke ihr zwei, aber ich muss jetzt los", brummte sie, ihren Zorn unterdrückend, und schob sich an Paul und Jody vorbei.

Jody wollte hinterher, aber Paul hielt sie am Oberarm fest. "Lass sie, es hat keinen Zweck. Sie ist einfach mit den Nerven fertig", sagte der Ex-Captain und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Kaum hatten die Worte seinen Mund verlassen, war ihm klar, dass Jody nicht wusste, warum seine Schwiegertochter so fertig war.

"Das hab ich gemerkt", seufzte die blonde Polizistin und ging zu Pauls Glück nicht näher darauf ein, was Cat so bewegte.

"Du solltest ihr hinterherfahren. Das ist vermutlich das einzige, was wir tun können", schaltete sich Annie ein, die jetzt über den Rasen zu ihnen kam.

Jody nickte nur, drehte sich um und verschwand durch die Haustür.

Annie legte Paul den Hand auf den Arm und reckte ihr Gesicht in die Richtung des seinen. "Das war verdammt knapp, mein Lieber", mahnte sie ihren Mann mit einem halb lächelnden, aber auch besorgten Gesicht.

"Mhm, ich scheine im Alter unvorsichtig zu werden", brummte Paul gedankenverloren und dachte an die ganze Geschichte, die aktuell auf sie alle hereinprasselte und zu eskalieren drohte. "Meinst du Peter geht es gut?"

"Bestimmt. Er hat schließlich einen ziemlichen Dickschädel", schmunzelte Annie und schob sich in Pauls Umarmung. Mehr, als das Beste zu hoffen, konnte sie aktuell nicht tun.

* * *

Es war dunkelste Nacht, als er durch den dichten Wald auf das kleine Haus zu schlich. Seine Füße machten im Schnee kaum ein Geräusch, weniger als ein Hase oder Reh verursachen würde. Seinen Weg sah er in blassem Grün durch das Nachtsichtgerät, die Fenster des Hauses waren schon zu erkennen.

"Status?", hörte er die Stimme von Operations durch das Headset.

"Turn. Noch fünfzig Fuß", erklang sofort die Antwort seines Kollegen.

"Spin. Noch fünfzig Fuß."

"Shooter. Noch fünfzig Fuß", gab Ryan als letzter seine Auskunft an die Überwachung.

"Roger. Weiter nach Plan", kam prompt die Antwort.

Also schlich sich der muskulöse Special Agent weiter durch den Wald, bis er an die Grenze der Bepflanzung kam. Ein Blick nach links und rechts zeigte ihm, dass seine Flügelmänner ebenfalls an ihrer Startposition angekommen waren und auf das Zeichen warteten.

"OK, Jungs, ihr kennt den Plan. Drei… Zwei… Eins… GO!", flüsterte Ryan in sein Mikrofon und sprintete vorwärts, seine Kollegen taten es ihm nach. Sie stürmten auf das kleine Haus zu und eröffneten das Feuer auf den Wachposten, der wie erwartet auf der Veranda stand.

Sie hatten das Vorgehen tausendmal durchgesprochen, ihre Positionen festgelegt, den Plan ausgearbeitet. Aber jetzt änderten sich die Möglichkeiten und Shooter verließ seinen festgelegten Weg, um an der Hintertür, -von der sie bis dahin nichts wussten-, ins Haus zu gelangen.

"Ich gehe hintenrum", rief er sogleich ins Mikro.

Haley intervenierte. "Verdammt Shooter, auf Position!", donnerte sie in seinem Ohrstöpsel, aber der Agent wusste es besser. Glaubte er zumindest.

Beim nächsten Schuss drehte er erschrocken den Kopf und sah Spin, wie es ihn zu Boden riss. Zeitgleich riss er sein Gewehr hoch und erschoss den Schützen am Fenster des ersten Stocks.

"Spin?", hakte Operations umgehend nach.

"Er ist tot", erwiderte Turn sofort, "und jetzt lasst uns diese Mistkerle kaltmachen!"

Shooter und Turn stürmten das Haus, im selben Moment traten sie Vorder- und Hintertür ein und eröffneten das Feuer auf die im Haus verbliebenen vier Gangster, die nicht den Hauch einer Chance hatten.

Als sie die Gewehre runter nahmen kam Turn zu seinem Teamchef rüber und schlug ihn ohne Vorwarnung mit der Faust ins Gesicht. "Was zur Hölle hast du dir dabei gedacht?", fuhr er ihn zornig an.

Ryan steckte den Hieb ein, ohne selbst einen zurückzugeben. "Was soll ich mir gedacht haben? Hinten war alles frei!", rechtfertigte er sich hitzig.

Ehe sie ihre Diskussion fortsetzen konnten hörten sie den Transporter kommen, den Motor abschalten und die Fahrertür zuschlagen. Wenige Sekunden später kam Haley zu ihnen herein. Auch sie holte aus und schlug Ryan ist Gesicht.

"Verdammt, Shooter!", presste sie zwischen den Zähnen hervor und stierte ihn wütend an.

"Hinten war frei und Spin sollte die oberen Fenster im Auge behalten!"

"Aber dein Abweichen vom Plan hat ihn abgelenkt!", beharrte Operations weiter auf ihrer Sicht der Dinge.

"Wenn er sich davon ablenken lässt, dann hat er es nicht anders verdient!", donnerte Ryan zurück und fing sich dafür gleich den nächsten Fausthieb.

Haley funkelte ihn finster an, ihr Kiefer trat an den Seiten hervor, ihre Augen glühten.

*

Er wachte schweißgebadet auf. Das war wohl die dunkelste Stunde seiner Karriere, und die Erinnerung an Haleys Blick ließ ihn frösteln. Sie hatte ihn so voller Wut, Verachtung und Hass angesehen, dass es ihm noch heute im Nachhinein das Herz brach.

Er versuchte die Bilder aus dem Kopf zu kriegen, wollte sich nicht so an sie erinnern, aber Hal's eisiger Blick blieb vor seinem inneren Auge bestehen, als steter Vorwurf an ihn, stetes Zeichen der Abneigung. Damals hatte er verdammten Mist gebaut. Und diesmal wieder.

Wütend auf sich selbst griff er nach der halbvollen Flasche Whiskey und zerschmetterte sie an der Tür, dann verbarg er das Gesicht in seinen Händen und ergab sich seinen Gefühlen.

"Es tut mir so leid, Baby, oh Gott, es tut mir so leid!", wimmerte er leise in seine Handflächen, als es plötzlich fest an der Tür hämmerte. Ein grollender Laut entwich seiner Kehle, während er sich auf dem Bett straffte.

Zu gern hätte er nicht geöffnet, aber er hatte den groben Fehler begangen, lautstark das Glas zu verschlagen. Er erhob sich, seine Ruhe zurückerkämpfend, und ging langsam zur Tür. Wer auch immer dort stand, er würde es verdammt bereuen ihn gestört zu haben!

Ryan atmete noch mal tief durch und zog dann die Tür auf. "Ja?", brummte er und sah einem jungen Highway Trooper ins Gesicht.

"Sir, ich habe ein Geräusch gehört. Ist jemand bei ihnen?", fragte der Beamte und blickte aufmerksam ins Zimmerinnere, eine Hand demonstrativ auf dem Griff seines Revolvers.

"Nein, ich bin allein", gab der Ex-Agent knapp Auskunft.

Der Trooper sah die Scherben auf dem Teppich und blickte Ryan dann skeptisch in die Augen. "Ein bisschen viel getrunken?", hakte er nach.

"Was geht sie das an?", blaffte Ryan.

Der junge Mann zog die Augenbrauen hoch, überlegte kurz, und fuhr dann fort. "Gehört ihnen der Sportwagen hier?", fragte er mit einem Wink in Richtung der Viper.

"Würde er sonst vor meinem Zimmer stehen?!", konterte Ryan zähneknirschend. Seine Geduld war langsam aber sich zu ende.

"Wir haben Meldungen bekommen, dass eine gelbe Viper mit überholter Geschwindigkeit auf dem Highway unterwegs ist. Mit Lichtsignalen. Können sie sich ausweisen?"

Der blonde Cop brummte etwas Unverständliches und griff dann an seine hintere Hosentasche.

"Halt!", reif der Trooper sofort und zog seine Waffe. "Ganz langsam."

Ryan musste tief durchatmen, um dem Typen nicht einfach seinen Revolver abzunehmen und die Nase zu zertrümmern. Aber das wäre wenig förderlich. Also bewegte er seine Hand in Zeitlupe zu seiner Gesäßtasche und zog mit zwei Fingern das lederne Etui hervor, in dem sich ein 'normaler' FBI-Ausweis befand, den er für den Fall der Fälle dabei hatte.

"Hier, bitte sehr. Und jetzt verschwinden sie, verdammt noch mal!", fuhr er den jungen Mann bei der Übergabe des Ausweises an.

"Agent Walker. Warum haben sie das nicht gleich gesagt", versuchte der Beamte jetzt etwas versöhnlicher, aber Ryan fuhr ihm in die Parade.

"Weil sie mir mit ihren bescheuerten Fragen keine Möglichkeit gelassen haben! Also ziehen sie verdammt noch mal Leine!", zischte er, nahm den Ausweis zurück und schlug dann die Tür zu, ohne eine Antwort abzuwarten. Tatsächlich kam auch keine mehr, der Trooper zog von dannen.

Ryan fuhr sich durchs Gesicht und sah dann auf die Uhr. Es war halb fünf, er hatte eigentlich erst in einer halben Stunde aufstehen wollen. Wenigstens hatte dieser Streifenbulle seine Konzentration wieder auf den Plan gerufen und von dem düsteren Traum und den schmerzhaften Erinnerungen abgelenkt.

Der Ex-Agent ging in das mäßig saubere Badezimmer des schmierigen Motelzimmers und warf sich eine Hand voll Wasser ins Gesicht. Danach griff er seine Jacke und ging in den Imbiss, der zu dem Etablissement gehörte, um einen Happen zu essen und seinen Körper auf volle Einsatzbereitschaft zu trimmen.

Um fünf stieg er in die Viper und fuhr los.

Drei Stunden später würde er sein Ziel erreicht haben.

* * *

Kermit stellte die Corvair in Sichtweite von Zhaos Firma ab. Bisher war alles ruhig, Sun Ni war noch nicht hier. Aber sie würde kommen, da war er sich sicher. Dennoch verwunderte es ihn nicht, dass sie noch nicht angekommen war. Schließlich würde sie sich vermutlich noch eine Waffe besorgen und auf die Dunkelheit warten. Jedenfalls würde er das so tun.

Der Cop griff nach seinem Notebook auf der Rückbank und klappte es auf dem Schoß auf. Er hatte die Firma gut im Blick und würde merken, wenn Sun Ni auftauchte, bis dahin konnte er sich auch den Dingen widmen, die ihm sonst noch unter den Nägeln brannten: Ryan und sein Verbleib.

Ungeduldig wartete er, bis das System hochgefahren war und schaltete dann diverse Suchprogramme auf. Als erstes wollte er das Verzeichnis aller polizeilichen Meldungen nach einer Spur durchforsten. Er ließ seine Finger in schnellen Anschlägen über die Tasten wandern und schlug schließlich fester als nötig die Enter-Taste an. Jetzt konnte er nur noch warten, was der PC ausspuckte.

Kermit dachte einen Moment unentschlossen nach, dann beugte er sich schließlich zum Handschuhfach und holte ein Päckchen Zigaretten hervor. Er öffnete das Fenster und zündete sich einen Glimmstängel an, dessen Dunst er tief inhalierte.

In tiefen Zügen atmete er den Rauch ein und stieß ihn wieder aus, stetig die Sanduhr seines Computers beobachtend. Kaum zwei Minuten nach dem Beginn der Suche öffnete sich schließlich ein Fenster und zeigte eine handvoll Meldungen des Tages an, quer über das ganze Land verteilt.

Aber eine Meldung fiel ihm sofort ins Auge, eine gelbe Viper fuhr mit polizeilichen Signalen und überhöhter Geschwindigkeit über den Highway in Nevada. Kermit setzte sofort einen Doppelklick auf die Meldung, um mehr Informationen zu bekommen, aber urplötzlich fror das Bild ein und nichts passierte mehr. Dann poppte eine Fehlermeldung auf, aber ehe der Ex-Söldner sie lesen konnte, fuhr das komplette Betriebssystem runter und der Bildschirm grinste nur noch hämisch schwarz.

"Verdammte Scheiße!", fluchte Kermit und schlug gegen das Lenkrad. Dann drückte er den PC wieder an und musste sich stark in Geduld üben, um immer wieder auf den Rechner zu warten und dieselben Eingaben zu machen, die er zuvor schon getätigt hatte.

Diesmal kamen ihm die zwei Minuten wie eine Ewigkeit vor, bis seine Suchergebnisse auftauchten. Doch zu seinem Erstaunen war die Meldung von der Viper verschwunden. "Diese verdammten Penner vom FBI!", knurrte er ins Wageninnere und donnerte den Decken auf die Tastatur. Anschließend war er das Notebook wieder auf den Rücksitz, Ryans ehemalige Kollegen hatten ihn ausgebremst und handlungsunfähig gemacht.

Kermit starrte in den Sonnenuntergang. Sein Magen krampfte. Und er hatte noch nichts von Peter gehört, oder Jody, oder Cat. Dazu hatte das FBI ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen, er konnte nicht mehr herausfinden wo Ryan war und wo er hinwollte, wen er als Mörder von Haley im Auge hatte.

Nevada. Wo wollte Ryan hin? Der Radius war einfach zu groß, als dass Kermit eingrenzen konnte, wo das Ziel sein konnte. Es war hoffnungslos.

Sein Blick glitt auf die erhellten Fenster des Firmengebäudes. Zhao und Hyuang waren deutlich an ihren Schreibtischen erkennbar. Vor der Tür stand ein Mann von der Statur eines Kleiderschranks, der ziemlich erfolglos versuchte, eine große Waffe unter seinem Jackett zu verbergen. Ein zweiter trat grade zu ihm, sprach kurz und ging dann weiter an der Hauswand entlang. Die beiden waren offenbar die Wachposten, die unliebsamen Besuch fernhalten sollten. Und von dem fehlte nach wie vor noch jede Spur.

Kermit steckte sich eine weitere Zigarette an und paffte den Qualm aus dem offenen Fenster in die dunkler werdende Abendluft. Würde er hier noch länger sitzen müssen, würde er durchdrehen, da war er sich sicher. Untätigkeit war noch nie seine Stärke gewesen, aber unter dem aktuellen Druck war es noch schwerer für ihn, einfach zu warten um diese wild gewordene Furie wieder einzufangen, die Peter niedergeschlagen hatte, bevor Zhao sie in die Finger bekam oder einer seiner Wachhunde sie abknallte.

Zorn kochte in ihm hoch. Zorn auf Sun Ni, auf die Situation, auf die Menschen, die Haley auf dem Gewissen hatten. Er ballte die Fäuste und schlug gegen das Armaturenbrett; grade als er einen schmalen Schatten an der Hauswand entlang schleichen sah.

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