Kapitel 8 Peter tauchte erst am Morgen aus der Meditation auf. Das erste, was er bemerkte, war die Sonne in seinem Gesicht. Das zweite war das Geräusch von nackten Füßen, die sich langsam über den Fußboden bewegten. Er öffnete die Augen und drehte den Kopf, um Cat anzusehen, die mit einer lockeren Jogginghose und einem weitem T-Shirt bekleidet auf ihn zukam. Er setzte schon dazu an, aufzustehen, aber in dem Moment ließ sich die junge Frau neben ihm nieder, zog die Beine an und kuschelte sich wortlos an seine Brust. Peter legte den Arm um ihre Schultern und gab ihr einen Kuss auf den hellen Haaransatz, der sich wenige Millimeter zwischen dem Schwarz und ihrer Kopfhaut abzeichnete. "Hast du gut geschlafen?", fragte er leise. "Geht so", murmelte sie zur Erwiderung und vergrub sich noch tiefer in seiner Umarmung. Sie wollte nicht darüber reden, wie sie sich fühlte, dafür fehlte ihr einfach die Kraft. Sie wollte einfach nur hier neben Peter sitzen und stumm darüber nachdenken, dass Haley tot war und Ryan vermutlich nie wieder zurückkommen würde. Der Shaolin spürte, was seine Frau jetzt brauchte und verstärkte den Druck seines Armes etwas. Seinen Kopf legte er an ihren und schaute aus dem Glas der Balkontür in den Himmel über Sloanville. Auch wenn er die ganze Nacht schon Ruhe in der Meditation gefunden hatte, so war es ihm doch recht, jetzt nicht viel reden zu müssen. Zwar wurde der Wunsch nach Stille einträchtig zwischen ihnen erfüllt, allerdings hielt die Geräuschlosigkeit dennoch nicht lange an, weil sich Besuch ankündigte. Sie hörten Schritte auf der Treppe, dann im Flur. Peter seufzte schwer, gab Cat noch einen gefühlvollen Kuss auf die Wange und stand dann auf, um nachzusehen, wer sie störte. Noch bevor er den Flur erreichte erschien Kermit vor ihm, und Sun Ni Chao in seinem festen Griff um ihren Oberarm. Kermit sah in Peters Gesicht, dass er offensichtlich den falschen Zeitpunkt erwischt hatte, zudem saß Cat zusammengekauert auf dem Boden und schlang ihre Arme und die Beine. Die Mundwinkel des Cops verzogen sich etwas verlegen, ehe er zu erklären begann, warum er hier war. "Tut mir leid, wenn ich euch störe, aber ich muss dich um einen Gefallen bitten", begann er und konnte beobachten, wie Cat sich langsam erhob und mit traurigem Gesicht auch zu ihnen kam. "Hallo Kermit", murmelte sie leise und warf einen unsicheren Blick in Sun Nis Richtung. "Was für ein Gefallen?", hakte Peter wieder ein und kam auf den Grund des unerwarteten Besuchs zurück. "Ich weiß, es ist viel verlangt, aber kannst du ein paar Stunden unsere Freundin im Auge behalten", er warf der Halbchinesin einen vielsagenden Blick zu, "sie hat einen starken Freiheitsdrang." Peter zog die Brauen zusammen und starrte ihn skeptisch und fragend an. "Kermit, bitte, komm' zur Sache und red' nicht drum rum." "Sie wollte mich mit meiner Waffe erschießen." Peter hob die Brauen, auch Cat sah ihn verwundert an, während Sun Ni beleidigt das Gesicht abwandte. "Ich will sie nicht auf dem Revier lassen, brauch für meine Ermittlung aber BEIDE Hände", erklärte sich Kermit weiter, "und sie ist eben erfinderisch. Da passt man eine Sekunde nicht auf, und schwupp, will sie einen umlegen." "Ich wollte sie nicht erschießen, verdammt!", protestierte Sun Ni lautstark, streng beobachtet von dem Ehepaar Caine. "Ach nein, richtig. Sie wollten die Pistole nur für mich aufbewahren, nehme ich an", blaffte Kermit ironisch und fing sich dafür einen brennenden Blick ein. "Hör zu, Partner. An sich würde ich das ja machen, aber", setzte Peter an warf einen Seitenblick zu Cat. "Schon gut, Honey", unterbrach die junge Frau, "aber ich werd' mich verkrümeln." Peter sah sie skeptisch an. "Nein, wenn du aus der Wohnung fliehst, hat das doch auch keinen Sinn, das muss doch nicht…" "Ist ok. Ich werde Annie und Paul besuchen fahren, denke ich. Vielleicht können sie mich etwas aufheitern", sagte sie, gab ihm einen dünnen Kuss und verschwand dann schon durch die Tür, um sich etwas anderes anzuziehen. "Ich hoffe, das ist die Sache wert", sagte Peter mit nachdenklicher und auch leicht ärgerlicher Stimme und sah seinen Freund ernst an. Kermit nickte; es tat ihm Leid, dass er Cat aus dem Haus getrieben hatte. Aber er hoffte inständig, dass sich der Aufwand lohnte und er neue Hinweise auf die wahren Mörder finden würde. Peter merkte das schlechte Gewissen in sich aufsteigen. Er hatte Cat schon nicht im Krankenhaus beigestanden, weil er seinem ehemaligen Kollegen einen Gefallen getan hatte, er wollte denselben Fehler nicht schon wieder machen. Seine Stirn zog sich in Falten, dann ging er wortlos, nur einen Blick zu Kermit werfend, an den beiden Menschen vorbei und folgte seiner Frau ins Schlafzimmer. Cat stand mit dem Rücken zur Tür und schlüpfte grade in eine Jeans, als Peter den Raum betrat. "Süße, hör zu, vergiss es einfach. Ich pass nicht auf sie auf", sagte er etwas unsicher und wartete darauf, dass Cat sich zu ihm umdrehte und antwortete. "Oh Honey, du hast es immer noch nicht verstanden", murmelte sie und drehte sich dann mit einem verhaltenen Lächeln zu ihm um. "Ich gehe nicht, weil du auf die Frau aufpasst." "Aber du hast schon so viel allein durchstehen müssen, ich will nicht…" "Ich will aber. Natürlich tröstet es mich, wenn du hier bist und mich in den Arm nimmst. Aber das ändert leider nichts an der Situation. Hal ist tot. Und ich werde mich früher oder später damit auseinandersetzen und das realisieren müssen." "Und grade dabei möchte ich dir doch helfen", versuchte Peter klarzumachen, was ihn bewegte. "Ich weiß, Honey. Und es gibt Momente, und die wird es auch weiter geben, wo ich das brauchen werde. Aber nicht in diesem. Ich hatte ohnehin überlegt, mal raus zu kommen. Und wenn du woanders helfen kannst, wenn du mir eh grade nicht helfen kannst, dann solltest du das auch tun. … Wenn du das willst, natürlich." Sie sah ihn mit ihren blauen Augen an und kam auf ihn zu. Peter legte ihr die Hände auf die Wangen und sah sie offen an. Er konnte sehen und spüren, dass sie ihre Worte absolut ernst meinte. Sie trug ihm nicht nach, dass er im Krankenhaus nicht da gewesen war. Sie trug ihm nicht nach, wenn er jetzt Kermit half. Das war klar erkennbar. "So schwer es fällt, wir sollten uns auf die Lebenden konzentrieren. Nichts was wir tun könnten, würde Haley wieder lebendig machen. Also ist es doch besser, Kermit dabei zu helfen, einen Mörder zu finden", führte die junge Frau weiter aus. "Womit hab ich dich bloß verdient", murmelte Peter ergriffen und nahm sie dann fest in die Arme. Cats Sichtweise war richtig, das wusste er, aber es fiel einfach schwer, es einzusehen. Schließlich war sie seine Frau, und ihr Wohlergehen war ihm wichtiger als alles andere auf dieser Welt. * Es dauerte einige Minuten, bis Peter wieder in den Meditationsraum kam, wo Kermit und Sun Ni noch genauso standen, wie zuvor. Der Ex-Söldner hielt sie nach wie vor am Oberarm fest und guckte grimmig. "Peter…", setzte der Cop an, kam aber nicht weiter. "Schon gut, Partner. Vergiss es. Ich kümmere mich um unseren Schützling. Und hier gibt es auch keine Waffen, mit denen sie mich bedrohen könnte", sagte der Shaolin jetzt mit Überzeugung in seiner Stimme. Kermit nickte nur. Er hätte gerne noch etwas gesagt, etwas Versöhnliches wegen der Situation, in die er Cat gebracht hatte, aber er wollte es auf keinen Fall vor der vermeintlichen Mörderin tun. Außerdem wusste er, dass Peter seinen Blick und die Gedanken dahinter auch ohne Worte verstand. Der junge Mann nickte nur und wünschte dem älteren viel Erfolg bei den Ermittlungen. Kaum dass Kermit Sun Ni losgelassen hatte, verschränkte die Halbchinesin ihre Arme demonstrativ vor der Brust und schaute grimmig in die andere Richtung. Sie sah nicht, wie der Ex-Söldner die Augen hinter der Brille verdrehte und Peter schmunzeln musste. Kurz nachdem Peter und Sun Ni allein waren kam Cat aus dem Schlafzimmer und zog sich Schuhe und Jacke im Flur an. Der junge Mann warf seinem Schützling einen Seitenblick zu und trat dann hinaus zu seiner Frau. "Süße, ich kann sie jederzeit zu Kermit aufs Revier zurückbringen!", betonte Peter nochmals, dass sie ihm wesentlich wichtiger war, als sein Gefallen dem früheren Kollegen gegenüber. Cat lächelte ihn milde an und legte die Hände um seine Hüften. "Ich weiß, Honey, ich weiß. Aber ich muss jetzt erstmal raus, die Frau hin oder her", sagte sie leise und gab ihm einen dünnen Kuss. Dann nickte sie ihm zu, nahm den Autoschlüssel vom Haken und verschwand durch die Haustür. Peter sah ihr nach, wirklich gut fühlte sich das nach wie vor nicht an. Er beschloss seine Pflegeeltern anzurufen, um sie vorzuwarnen. Denn bei näherem Nachdenken wurde ihm klar, dass Paul und Annie noch gar nicht wussten, was seit gestern alles passiert war. Er warf noch einen Blick auf Sun Ni, sie stand regungslos wie er sie verlassen hatte, und ging rüber ins Wohnzimmer, um das Telefon zu holen. Seine Konzentration richtete er dabei auf die junge Frau, damit er rechtzeitig merkte, falls sie abhauen wollte. Zu seiner persönlichen Überraschung versuchte sie nichts dergleichen. Was auch immer Kermit mit ihr gemacht hatte, es schien Nachwirkungen zu zeigen. Er konnte eine leichte Unsicherheit spüren, von Sturheit überspielt. Er blieb im Flur stehen, damit sie nicht jedes Wort mitbekam, schließlich ging es sie nichts an, und ließ das Telefon den Hausanschluss seines Elternhauses wählen. "Blaisdell", meldete sich Paul nach zweimaligem Klingeln. "Ich bin's", murmelte Peter in den Hörer. "Hallo Junge, wie geht's dir?" "Frag nicht", entgegnete der Shaolin mit einem Seufzer. Er wusste, dass Paul jetzt nachfragen würde, aber schließlich wollte er ihm ohnehin von allem berichten. "Was ist passiert?", hakte der Ex-Captain sofort nach. Die Anspannung in seiner Stimme war jetzt deutlich zu hören. "Lange Geschichte. Cat ist auf dem Weg zu euch, sie wollte mal rauskommen. Es geht ihr, milde gesagt, beschissen." "Jetzt red nicht um den heißen Brei!", mahnte Paul und horchte dann geduldig, bis Peter sich erklärte. "Haley ist bei einem Attentat umgekommen." Ein scharfes Lufteinziehen am anderen Ende der Leitung. "Cat ist schwer getroffen. Ryan ist abgetaucht und wird an dem Killer Rache nehmen, sobald er ihn gefunden hat. Und Kermit und ich müssen uns nebenbei noch mit einer störrischen Verdächtigen rumschlagen, der man einen Mord anhängen will, wie es aussieht." Peter seufzte ein weiteres Mal und fuhr sich durch die Haare. "Oh verdammter Mist!", war die erste Reaktion des älteren Mannes. "Warum könnt ihr die Frau nicht einfach in Schutzhaft nehmen?", fragte er anschließend nach, um vielleicht an dieser Stelle etwas Entlastung zu schaffen. "Naja, zum einen ist sie in erster Linie noch Mordverdächtige. Dass man ihr was anhängen will, ist reine Überzeugung von mir und Kermit. Und in der Zelle auf dem Revier hat man schon versucht, sie auszuschalten. Darüber hinaus hat sie gestern schon versucht, Kermit zu überrumpeln und abzuhauen, was allerdings schief gelaufen ist." "Na super. Kann ich euch irgendwie helfen?", fragte Paul nach, es war doch ein ganzer Batzen, was er da erfuhr. "Danke, aber im Moment wär' ich schon glücklich, wenn ich mir um Cat keine schlimmen Sorgen machen müsste. Kümmert ihr euch ein bisschen um sie? Sie ist ziemlich fertig, versucht aber die starke Frau zu sein", murmelte Peter und merkte wieder das schlechte Gewissen seiner Frau gegenüber an sich nagen. "Das ist doch selbstverständlich. Wann ist sie denn losgefahren? Ich muss deine Mutter ja auch noch einweihen. Oh man…" "Vor ein paar Minuten. Ihr habt also noch einen Moment Zeit." "Ist gut. Melde dich, wenn es was Neues gibt oder ich helfen kann!", forderte Paul in väterlichem Tonfall. "Klar, mach ich. Und Dad?" "Ja?" "Danke!" "Ist doch selbstverständlich, mein Junge. Pass auf dich auf!" "Mach ich. Und grüß Mom. Bye", verabschiedete er sich und legte auf. Ein weiteres Mal wanderten seine Finger durch die braunen Haare, ehe er sich herumdrehte und in den Meditationsraum zu Sun Ni ging. Auch wenn er noch nicht wusste, was genau er jetzt mit der Frau anfangen sollte. * * * Kermit betrat das Revier und ging mit großen Schritten durch das Großraumbüro in sein kleines, um endlich an den Hintergrund der ganzen Sun Ni-Mordgeschichte zu kommen. Er fuhr den Rechner hoch, rieb sich die Augen und ging dann zur Kaffeemaschine, um endlich mal auf Touren zu kommen. Anschließend wollte er sich mit dem Opfer beschäftigen, vielleicht stieß der Computer ja auf etwas, womit er weiterkam. "Wo ist die Verdächtige?", fragte Monahan plötzlich hinter ihm. Kermit zog die Luft scharf ein, fasste sich und drehte ihm das Gesicht zu. "Nicht hier, wie sie sehen können, Captain. Denn das letzte Mal, als sie hier war, wäre sie fast gestorben", brummte der Ex-Söldner und starrte seinen Vorgesetzten an. "Soll das witzig sein, Detective? Ist es nicht. Also, wo ist sie?", hakte Monahan umgehend nach, diesmal in härterem Tonfall. "In Sicherheit", gab sich Kermit noch nicht geschlagen. Er wusste genau, dass er seinen Boss auf diese Art und Weise zum kochen brachte, aber das machte ihm nicht wirklich was aus. "Detective Griffin!" "WAS?", donnerte Kermit ihm entgegen. "Wir haben keine Ahnung, woher die Killer wussten, dass sie hier ist! Wir haben gezeigt, dass man hier einfach reinspazieren und jemanden umlegen kann! Also habe ich sie woanders untergebracht!" Zwar glaubte der Söldner selbst nicht, was er da zwischen den Zeilen aussagte, aber er brauchte eine Begründung für seinen Chef. Monahan schnaubte. So vor seinen Mitarbeitern angefahren zu werden schmeckte ihm überhaupt nicht. Aber er konnte Kermit nicht absprechen, dass er womöglich Recht hatte. "Captain", versuchte der Ex-Söldner jetzt etwas versöhnlicher, "bitte verstehen sie mich nicht falsch. Aber ich denke, dass sie dort, wo sie ist, sicherer ist." Monahans Gesichtszüge entspannten sich etwas, aber er wusste noch nicht, wie er seine Autorität behalten und dennoch seinem Detective Recht geben konnte. "Also gut, Griffin. Ich muss ihnen zustimmen. Aber die Art und Weise, mit der sie ihre Entscheidung vorgetragen haben…" "Ja, ich weiß, Captain. Es tut mir leid, ich hab mich im Ton vergriffen", entschuldigte sich Kermit aufrichtig, um die Situation zu entschärfen und sich seinem Job widmen zu können. Der Captain nickte schließlich und zog sich in sein Büro zurück. Er wirkte noch immer unzufrieden, gab sich aber offenbar zunächst geschlagen. Kermit seufzte, griff nach seinem Kaffee und verschwand an seinen Schreibtisch, dicht gefolgt von Jody, denn schließlich war es auch ihr Fall. "Und? Wo ist sie?", fragte die blonde Polizistin und lehnte sich in den Türrahmen. "Was denkst du wohl?", brummte Kermit und startete nebenbei die Programme, die er gleich benutzen wollte, um nachzuforschen. Jody grinste einseitig. "Peter", war sie sich nun klar und schüttelte den Kopf. "Wer auch sonst?!", fügte sie hinzu und schaute ihrem Partner weiter über die Schulter. Kermit spürte den Blick in seinem Rücken und er gefiel ihm mit jeder Sekunde weniger. Zu viel lastete auf seiner Seele, als dass er sich jetzt auch noch mit den Kollegen rumschlagen wollte. Ein leiser, grollender Laut entwich seiner Kehle und er hoffte, dass Jody ihn hören und den Wink mit dem Zaunpfahl verstehen würde. Auch sie knurrte kurz. "Vergiss nicht, dass das UNSER Fall ist, Kermit!", betonte sie noch mal, ehe sie sich rumdrehte und von dannen zog. "Jaja, ist recht", flüsterte der Ex-Söldner zu sich selbst und warf die Tür mit einer Hand zu. Er wusste, dass er unfair zu seiner Partnerin war, aber schließlich wusste sie nicht, was sich gestern zugetragen hatte, was alles seine Gedanken belastete. Der düstere Cop nahm einen großen Schluck Kaffee, schüttelte kurz die Sorgen aus seinen Überlegungen und begann dann, seine Finger über die Tasten fliegen zu lassen.
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