Kapitel 4 Ryan saß auf dem Fahrersitz seiner Viper und tippte eifrig auf den Touchscreen seines Bordcomputers, um den Ortungschip abzuschalten. Dann zog er das neue Handy, baugleich mit seinem alten, aus der Hosentasche und klappte es auf. Sofort öffnete sich ein Fenster auf dem kleinen Display. //nicht zu orten. The great Houdini// Dankbar klappte er es wieder zu und legte es auf das Armaturenbrett, jetzt war es nicht mehr nötig, dass er es entsorgte, um unterzutauchen. Bei jedem anderen Namen unter der Nachricht wäre er stutzig geworden, aber so war er es nicht. Diesen Namen hatte er Turn mal aufgrund dessen überragender Verwandlungsfähigkeit unter vier Augen verpasst, davon wusste kein anderer. Und Turn vertraute er zu hundert Prozent, ganz im Gegensatz zu Moon oder gar dem Boss. Diese Zeiten waren lange vorbei. Noch während er sich an den Moment erinnerte, klingelte das Handy schon und vibrierte unruhig auf dem ledernen Bezug der Armatur. Da es nicht zu lokalisieren war, ging er ran und meldete sich beim Sicherheitssystem des FBI mit seinem Codenamen. "Ich bin's", begrüßte ihn Turns leise Stimme. "Was gibt's?", fragte Ryan knapp und blickte nachdenklich aus der Frontscheibe, während er zuhörte. "Wir glauben zu wissen, wer es war." "Wer?", schoss Ryan sofort heraus und richtete sich automatisch angespannt in seinem Sitz auf. "Cobra." Der blonde Cop schloss die Augen und öffnete sie wieder verärgert. "Ich hab's befürchtet", knurrte er ins Handy, "und ihr habt natürlich keine Ahnung, wo er steckt, oder?" "Hatten wir das jemals? Er ist der Beste", meinte Turn, seine Stimme hatte einen mitfühlenden, freundschaftlichen Unterton, mit dem er Ryan wieder aufbauen wollte. "Hör zu Shooter, auch wenn's makaber klingt, aber da hat jemand eine Menge Geld investiert, um Haley zu töten. Und wir wissen nicht, wer es war und ob du vielleicht auch noch auf seiner Liste stehst", führte der Agent weiter aus. "Wisst ihr überhaupt irgendwas?", schnaubte Ryan und fing sich sofort wieder. "Sorry. Ich weiß nur grade nicht wirklich, wo ich ansetzen soll. Hat das FBI schon irgendeine Vermutung? Ich meine, es muss doch auffallen, wenn irgendein hohes Tier der Unterwelt mal eben fünf Millionen für einen Auftragskiller ausgibt." Turn seufzte hörbar am anderen Ende der Verbindung. Er konnte Ryans Zorn und Unzufriedenheit durchaus verstehen, und er versuchte ihn inoffiziell mit Informationen zu versorgen. Aber aktuell stand die Special Force noch am Anfang und hatte keine Vermutung, abgesehen von der Zuordnung des angeheuerten Killers. "Ich sag dir Bescheid, sobald ich mehr weiß. Die Finanzlage der möglichen Hintermänner wird grade überprüft. Das braucht seine Zeit, die durchforsten per Hand. Bleib cool und halt dich bedeckt. Ich ruf dich wieder an", meinte Turn schließlich. "OK, danke. Bis dann", verabschiedete sich Ryan und klappte das Telefon zu. Sein kalter Blick ging irgendwo ins Nichts hinter der Windschutzscheibe seiner Viper, seine dunklen Gedanken zu seiner Frau und dem Mistkerl, der ihr das angetan hatte. * * * Kraftvoll schob Kermit die Tür zum Verhörraum auf und trat mit Peter hinter sich hinein. Die Frau funkelte sie sofort böse an und blickte zwischen ihnen hin und her, ihre ganze Haltung gab wieder, dass sie selbst nach dem Mordanschlag kein Interesse daran hatte, mit der Polizei zusammen zu arbeiten. Der Cop setzte sich ihr gegenüber, während der Shaolin sich in der Ecke positionierte und sich dadurch deutlich sichtbar auf seine Funktion als Dolmetscher beschränkte. Sie ließen sich nicht anmerken, dass sie gedanklich nur halb bei der Sache waren. "Kannten sie den Mann, der sie angegriffen hat?", fragte Kermit und nickte seinem Freund zu, der sofort übersetzte. Sie schüttelte nur trotzig mit dem Kopf und starrte den Cop vor sich angriffslustig an. Der wiederum musste seinen aufkommenden Ärger erstmal hinunterschlucken, die Unvernunft der Frau trieb ihn schon wieder zur Weisglut. "Wollen sie eigentlich unbedingt umgebracht werden?", donnerte er und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Peter übersetzte wieder, aber seine Augen verengten sich jetzt zu Sehschlitzen, so langsam bekam er ein Gefühl dafür, was genau in diesem Fall, oder vielmehr an der Frau, nicht stimmte. "Ich habe nichts getan!", feuerte sie Peter wieder trotzig entgegen, der sie jetzt für einen Moment fixierte, ehe er sich an Kermit wendete. "Sie sagt, es tut ihr Leid, sie wollte das nicht." Nicht nur Peter, sondern auch Kermit bemerkte den entrüsteten Gesichtsausdruck der Frau im Augenwinkel. Sofort keimte eine Vermutung in dem Cop auf, die er aber noch nicht laut aussprach, erst würde er Peters Plan folgen, der sich ihm in Gedanken jetzt offenbarte. "Will sie gestehen?", fragte der Ex-Söldner, als würde er glauben, was der Shaolin ihm zuvor übersetzt hatte. Der plapperte jetzt wieder eifrig auf Chinesisch los. "Ich habe doch gar nicht getan!", wütete sie erneut und sah Peter scharf und brennend an. "Sie meint, du sollst ihr ein Blatt Papier geben, dann unterschreibt sie", erfand er mit locker-leichtem Tonfall und erreichte damit sein Ziel. Die junge Frau sprang auf und fing in lupenreinem Englisch an, auf die beiden Männer einzubrüllen: "Das ist gelogen! Ich habe nichts getan! Ich habe sie nicht umgebracht! Er lügt!" Peter und Kermit grinsten sich kurz zu und nickten, dann drehte sich der Cop wieder der Verdächtigen zu, während Peter, -jetzt eigentlich ohne Funktion-, wieder zu seinem Platz in der Ecke ging und sich aufs Zuhören beschränkte. "Warum haben sie uns vorgemacht, sie sprächen nur Chinesisch?", fragte Kermit so freundlich wie möglich, schließlich konnte er es nicht ausstehen, wenn man ihn hinters Licht führte. "Sie haben mich nie gefragt", entgegnete sie schnippisch und grinste arrogant. "Hören sie auf mit der Scheiße!", brüllte er sie an, sodass sie ziemlich erschrak, und lehnte sich über den Tisch auf sie zu, "Sie haben sich übersetzen lassen und immer brav gewartet, bis die Worte bei ihnen angekommen waren. Also hören sie auf mit dem Mist, dafür habe ich nämlich grade überhaupt keine Zeit!" "Ich hab sie nicht darum gebeten, ihre Zeit mit mir zu verbringen." Kermit musste jetzt schwer schnauben, um nicht auszurasten. Ein tiefer, grollender Laut kam durch seine Lippen, während er sich langsam setzte und sie durch die Brille fixierte. "Wir versuchen, ihr Leben zu retten, Lady! Sie wären vor wenigen Stunden fast erschossen worden! Man will ihnen nach eigener Aussage offensichtlich einen Mord anhängen. Erzählen sie mir nicht, dass sie das alles kalt lässt und sagen sie mir, warum sie uns etwas vorgemacht haben!", befahl Kermit in scharfem Ton. Der Gesichtsausdruck der hübschen Halbchinesin wurde etwas freundlicher, sie schien zumindest über seine Worte ernsthaft nachzudenken. Anstatt dem Polizisten allerdings zu antworten, drehte sie sich zu Peter. "Woher wussten sie, dass ich Englisch spreche?" "Ich hatte so ein Gefühl", antwortete er und zuckte die Schultern. "Ein Gefühl?", hakte sie sofort nach und schien jetzt ernsthaft interessiert an dem Thema. "Ja. Ein Gefühl. Ähnlich dem Gefühl, dass sie zornig sind und auf Rache an dem Menschen sinnen, der ihre Cousine auf dem Gewissen hat", teilte er weiter bereitwillig mit und beobachtete, wie ihre Augen ihn skeptisch musterten. "Das ist ganz schön viel für 'ein Gefühl', meinen sie nicht?", fragte sie jetzt und schaute ihn durch ihre dunklen Augen von oben bis unten an. "Er ist ein Shaolin-Priester. Ich denke, das ist ihnen ein Begriff. Bevor wir hier noch stundenlang Rätsel-Raten spielen", murrte Kermit und rieb sich die Augen, "sprechen sie jetzt mit uns oder nicht?" "Was wollen sie denn von mir hören? Ich habe nichts getan", sagte sie genervt und verschränkte die Arme vor der Brust, dann wanderte ihr Blick wieder zu Peter. "Ein Shaolin-Priester? Sie sehen nicht wie einer aus." "Das wissen sie so genau? Wie viele haben sie denn schon getroffen?", stellte Peter die Gegenfrage und hob eine Braue. "Keinen, aber ich dachte immer, dass Shaolin rasierte Köpfe haben und orangefarbene Kutten tragen", entgegnete sie keck und musterte ihn erneut von oben bis unten. Sowohl Kermit als auch Peter fiel auf, dass sie jetzt zunehmend auftaute, auch wenn sie immer noch nicht wussten, warum sie das Schauspiel aufgeführt hatte. Und während Peter weiter mit ihr Frage-Antwort spielte, wurde Kermit zunehmend ungeduldig. "Es reicht langsam", brummte der Cop mit der Brille und sah beide maßregelnd an, dann stützte er sich auf seine Ellenbogen auf dem Tisch und widmete seine ganze Aufmerksamkeit der Halbchinesin, die ihn jetzt mit großen Augen ansah. "Wenn die Sache rum ist und wir es geschafft haben, sie zu entlasten, -sollten sie denn wirklich unschuldig sein-, könnt ihr beide euch gerne in ein kleines Café in Chinatown setzen und bei einer Tasse Tee über die ganze Shaolin-Kiste reden. Aber jetzt will ich verdammt noch mal wissen, was eigentlich passiert ist!", knurrte er weiter und sah die Frau dann mit hochgezogenen Brauen auffordernd an. "Ich weiß es nicht", murmelte sie nach einem Moment recht leise und senkte ihre Augen. Kermit wechselte einen verdutzten Blick mit Peter und lehnte sich dann noch ein Stück nach vorne. "Sie wissen es nicht?", wiederholte er ihre Aussage. "Richtig, ich weiß es nicht! Sind sie jetzt zufrieden?", keifte sie auf einmal laut und breitete die Arme in einer stürmischen Geste aus. Ihr Blick wirkte jetzt selbst verwirrt und ihre Augen huschten unsicher hin und her. "Was genau meinen sie damit? Ich meine, sie saßen da mit einem Messer…" "Das weiß ich selbst! Aber ich weiß nicht, was vorher war! Das war der Moment, in dem ich aufgewacht bin. Ich saß da, hatte ein Messer in der Hand, war voller Blut, meine Cousine war tot und zwei Menschen mit Pistolen standen vor mir. Ich dachte, sie wären die Killer!", versuchte sie zu erklären, was sich aus ihrer Sicht zugetragen hatte. "Na klasse. Erinnern sie sich noch, was vorher war, bevor sie eingeschlafen oder ohnmächtig geworden sind?", hakte der Cop weiter nach und rieb sich kurz die Augen. Dass es kompliziert werden würde, war von vornherein klar gewesen, aber jetzt überkam ihn die Befürchtung, dass er von der Frau keinen Ansatzpunkt bekommen würde. Peter hinter ihm hörte aufmerksam zu, für ihn gab es keinen Zweifel, dass sie Frau die Wahrheit sprach, und diesmal bestätigten ihm das auch seine Shaolin-Sinne. Nichts, was vor Gericht oder dem Staatsanwalt beweisen konnte, aber dennoch eine Tatsache in seinen Augen, von der er auch nicht mehr abweichen würde. "Nur verschwommen", begann Sun Ni die gestellte Frage zu beantworten, "ich glaube es gab ein lautes Geräusch, einen Knall oder etwas Ähnliches, dann ist alles schwarz geworden." "Das ist nicht grade viel", murrte Kermit und fuhr sich über sein Gesicht. Er schien zu überlegen, mit welchen Fragen er vielleicht doch noch etwas mehr herausbekam, um vielleicht einen Ansatzpunkt zu bekommen. "Was für ein Knall war das? Wie von einem Schuss?", fragte er schließlich. "Nein. Kein Schuss. Mehr wie… ich weiß auch nicht… ein Schlag oder so was. Ich hab keine Ahnung. Ich hab mich tierisch erschreckt. Und dann war ich weg." "Ein Schlag? Wie wenn die Tür aufgebrochen wird?", hakte er unablässig nach und verschwieg ihr dabei, dass die Haustür noch intakt gewesen war, als sie eintrafen. "Nein, ich glaube nicht. Nicht aufgebrochen. Aber vielleicht aufgeworfen. Ich stand mit dem Rücken zur Tür in meinem Schlafzimmer, vielleicht als jemand rein gekommen ist… ich weiß es einfach nicht", stammelte sie verzweifelt und gleichzeitig zornig darüber. Kermit erinnerte sich an den Tatort und daran, dass alle Türen im Inneren des Hauses offen gestanden hatten. Diese Theorie war also durchaus möglich, allerdings würde er das vor Ort noch mal überprüfen. Wenn man mit solcher Wucht eine Tür aufmachte, dann gab es in der Regel Spuren davon in der Wand, oder was auch immer auf Höhe des Türgriffes war. Auf der anderen Seite konnten sich solche Kerben auch über die Jahre einschleifen. Er hatte also immer noch keinen fixen Haken, an dem er ansetzen konnte. "Also gut. Das wäre möglich", gab er seine Gedanken jetzt laut wieder, "ich werde das überprüfen. Aber jetzt habe ich noch eine Frage, auf die sie mir eine Antwort schulden." "Was?" "Warum haben sie dieses verdammte Affentheater aufgeführt? Was haben sie sich davon erhofft?" "Das waren zwei Fragen", konterte sie zunächst und beobachtete, wie der Ex-Söldner die Lippen genervt zusammenpresste, "aber ich will mal nicht so sein." "Sehr großzügig", brummte Kermit jetzt im tiefsten und bösartigsten Ton, der ihm zur Verfügung stand. Er konnte erkennen, dass es aber Wirkung zeigte. "Entschuldigung, aber ich konnte nicht anders. Es ist einfach: Wenn ich nichts sagen kann, kann ich auch nichts Falsches sagen. Ich hab ja selbst keine Ahnung, was passiert ist. Was soll ich ihnen denn dann erzählen? Ich konnte doch nicht davon ausgehen, dass sie mir helfen und mich nicht einfach einbuchten wollen", erklärte sie mit zunehmend versöhnlicherem Tonfall. Kermit nickte, das reichte ihm für heute. Zunächst würde er den Autopsiebericht und die Erkenntnisse der Spurensicherung abwarten, ehe er die Frau weiter befragte. Vielleicht hatte er ja dann etwas in der Hand, womit er weiter auf die Suche nach der Wahrheit gehen konnte, einen Hinweis, anhand dessen er Sun Ni ihm helfen konnte.
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