Kapitel 9 Skalany drückte ihr linkes Bein gegen Kermits. Zunächst konnte er diese Geste nicht deuten, dann fühlte er, was sie ihm damit sagen wollte. Deutlich spürte er die harte Ausbuchtung an ihrem Stiefel, unter der Hose. Sie trug eine Zweitwaffe, die sie vermutlich aufgrund des Einsatzes am Morgen angesteckt und noch nicht wieder abgenommen haben. Starr blickte sie nach vorne, sie schien sich zu konzentrieren, aber noch wusste der frühere Söldner nicht, was sie bezweckte. Dann sah er im Augenwinkel langsam die Farbe aus ihrem Gesicht weichen, sie sorgte offensichtlich dafür, gezielt blass zu werden. Leise stöhnte sie auf. "Entschuldigung", machte sie sich gespielt schwach bemerkbar. Einer der Bewaffneten richtete sofort aggressiv seine Pistole auf sie. Sie flatterte mit den Lidern. "Detective Skalany! So zart besaitet?", spottete Woods und grinste breit. "Darf ich mich setzen?", murmelte sie. Sie knickte kurz ihre Knie ein, Kermit fing sie reflexartig auf, auch wenn er wusste, dass der Anfall nur gespielt war. Aber verdammt gut, wie er selbst befand. "Aber natürlich", säuselte der Ex-Cop, "aber vielleicht sollten sie mal über einen Berufwechsel nachdenken." Skalany ließ sich auf ihren Hintern fallen, stützte die Ellenbogen auf die Knie und verdeckte ihr Gesicht mit den Händen. Jetzt würde sie schnell genug bei ihrer Waffe sein können, sollte die Situation es erlauben. Kermit stellte seine rechte Hacke unbemerkt auf die Sitzbank. Sollte er tatsächlich die Möglichkeit bekommen, zum Sprung anzusetzen, wollte er bereit sein. Die Desert Eagle, die Spencer, Woods und ihre drei Komplizen ihm abgenommen hatten, lag zusammen mit den anderen Waffen auf dem Tisch des Staatsanwalts, direkt vor ihm. Nur die Absperrung von Zuschauerraum und Verhandlungsparkett und etwa zwei Meter freier Raum lagen zwischen ihm und seiner geliebten Pistole. Die Deadline rückte immer näher, und von Peter fehlte jede Spur. Kermit wusste allerdings, dass er bei freien Straßen schon allein fünfzehn bis zwanzig Minuten brauchte, bei mehr Verkehr dauerte es entsprechend länger. Wenn er zu Hause war. Aber Woods würde sich auf das Argument nicht einlassen, ihm ging es nicht darum, tatsächlich fair zu sein, sondern nur sie alle zu töten und Rache für seine Zeit im Gefängnis zu nehmen. Sein Blick wanderte zur Uhr, sie hatten noch acht Minuten. *Komm schon, Peter*, beschwor er seinen Freund in Gedanken, aber es geschah nichts. Der Sekundenzeiger wanderte unbarmherzig weiter im Kreis, aber sie würden sich nicht kampflos ihrem Schicksal ergeben. Nach vier weiteren Minuten ergebnislosen Wartens setzte Alex Woods sich plötzlich in Bewegung. Er stellte sich mittig in den Verhandlungsbereich und öffnete seine Arme weit, wobei sein Blick allerdings an Kermit hing, der ihn hart erwiderte. "Mir scheint, ihrem Freund liegt nicht viel an ihrem Leben", sagte er süffisant lachend, er hatte sich inzwischen in seine diabolische Freude über seine Rache so hineingesteigert, dass man sie deutlich im Raum spüren konnte. Kermit warf hinter der Brille einen Seitenblick zu Skalany, die ihren Arm schon locker herunterhängen ließ; sie war bereit und sich absolut bewusst, dass jetzt vermutlich der Moment gekommen war, sollte Peter nicht auf wundersame Weise doch noch rechtzeitig kommen. *Eine rote Ampel zu viel, und er schafft es nicht*, schoss es dem ehemaligen Söldner durch den Kopf. Sie waren auf sich gestellt, aber die Anzahl der Gegner ließ ihnen eine Siegchance offen. Über die Brille suchte er jetzt den Kontakt zu Karen, er versuchte ihr nur durch den Blick deutlich zu machen, was gleich passieren würde. Lange starrten sie sich gegenseitig in die Augen, Kermit schwang seine Pupillen kurz zur Desert Eagle und wieder zurück, sie nickte angedeutet. Es war alles klar. Woods sah bedeutungsvoll auf seine Armbanduhr und lud dann seine Waffe durch. Wieder grinste er Kermit an, der Hass und die Verachtung lagen so deutlich darin, dass der Cop am liebsten sofort losgeschossen wäre, um den Kerl zu vernichten. Aber er musste auf den passenden Moment warten, um niemanden, vor allem nicht Karen, zu gefährden. "Sag Leb Wohl zu der Schlampe!" griente er und drehte sich dann zu Karen. *Noch nicht*, betete Kermit sich in Gedanken vor, die Sekunden schienen ewig dauern zu wollen. Der verurteilte Polizist drehte sich langsam zum Captain und befahl ihr aufzustehen. Sie erhob sich langsam, als sie aber auf den Zehenspitzen hockte, gab sie Kermit mit einem Augenaufschlag in seine Richtung das Zeichen. Karen schnellte aus der Hocke auf Woods zu, der überrumpelt nicht mehr zum Schuss kam, sondern sich auf handgreifliche Weise gegen sie wehren musste. Sie versuchte, die Waffe an sich zu nehmen oder sie zumindest aus seinem Griff zu lösen, aber ihr Gegner hielt daran fest und versuchte seinerseits, die Mündung auf sie zu richten. Skalany hatte indes ihre Zweitpistole gezogen und die zwei Mann zu ihrer Rechten mit gezielten Schüssen aus der Deckung zur Strecke gebracht. Den einen hatte sie in den Kopf, den anderen in die Brust, vermutlich das Herz, getroffen. Beide waren nicht mehr in der Lage gewesen, auch nur einen Schuss abzugeben. Kermit hatte sich mit seinem angestellten Bein von der Bank katapultiert. Seine rechte Hand griff nach der Eagle, seine Linkte stützte sich an der Tischkante ab, woraufhin er sich mit der Schulter am Boden abrollen und gleichzeitig zwei Schüsse auf Spencer und den dritten Unbekannten abgeben konnte. Eine Kugel war aus Spencers Waffe auf ihn zu gekommen, schlug aber neben ihm ins Parkett. Sein Verstand hatte völlig in den Söldner-Modus umgeschaltet, analytisch hatte er die Schüsse gezählt und war noch in der Bewegung zum Schluss gekommen, dass Skalany offensichtlich ihren Job erfüllt und die zwei Mann erledigt hatte. Er rollte sich weiter ab und landete auf seinen Füßen, wo er sich grade in den Stand drücken wollte, als um ihn herum plötzlich alles nur noch in Zeitlupe ablief. Gedehnt vernahm er einen weiteren Knall. Langsam drückten sich seine Knie durch, sein Körper drehte sich, sein Blickfeld verschob sich Zentimeter für Zentimeter. Er sah Skalany, die hinter der Absperrung hockte, den kleinen Revolver im Anschlag. Ihr Blick traf seinen, dann ging er weiter an ihm vorbei. Sein Geist schrie den Namen seiner Lebensgefährtin, aber die Geschwindigkeit der Ereignisse wollte sich dennoch nicht erhöhen. Endlich war er soweit herum, dass er sie sah. Sie stand direkt vor Woods und starrte ihm in die Augen. Dann taumelte sie einen Schritt zurück. Kermit sah die Pistole in der Hand des Ex-Cops, ihre Blicke trafen sich. Immer noch in seiner eigenen Zeitlupe gefangen hob sich sein rechter Arm, nahm ihn ins Visier und der Finger zog den Abzug. Alex Woods wurde von der Kugel in die Stirn getroffen, sein Kopf knickte unnatürlich nach hinten, dann folgte der Körper und schlug leblos gegen den Richterstand. Auch Karens Körper hatte inzwischen den Boden erreicht, als Kermit wieder zu ihr blickte. Ihr Kopf lag zur Seite gedreht, die Augen waren geschlossen, auf ihrer Bluse breitete sich Blut aus. Kermit hörte sich selbst ihren Namen schreien, große Schritte brachten ihn zu ihr. Er ließ sich hart vor ihr auf die Knie fallen und legte sofort die Finger auf ihre Halsschlagader. Skalanys erschrecktes Japsen hörte er nicht. Ebenso wenig die Panikschreie aller Anwesenden. Wieder flüsterte er ihren Namen. Dann drückte er sein Ohr auf ihre blutige Brust, aber es gab keinen Herzschlag, den er hätte hören können. Sein Verstand meldete sich ab, er konnte und wollte nicht realisieren, was das zu bedeuten hatte. Reflexartig begann er damit, seine Hände in gleichmäßigen Abständen auf ihr Brustbein zu pressen, dann seine Lippen auf ihre zu legen und Luft in ihre Lungen zu pumpen. Wieder und wieder betrieb er die Prozedur, mental völlig abgeschottet von allem, was um ihn herum geschah. Er musste sie wiederbeleben, musste sie zurückholen. Sie konnte doch unmöglich tot sein. Es konnte einfach nicht sein, dass er jemanden verlor, den er liebte. Nicht schon wieder. * * * Peter parkte den Stealth quietschend hinter den Einsatzkräften, die sich um das Portal des Gerichtsgebäudes versammelt hatten und ihre weitere Taktik besprachen. Seine Tür schwang weit auf und er hechtete hinaus, ein Blick auf die Uhr hatte ihm verraten, dass ihm nur noch Sekunden blieben, wenn Woods es tatsächlich ernst meinte. Er preschte unwirsch durch die Schaulustigen, Cat dicht auf seinen Fersen. Mit einer fließenden Bewegung schob er sich unter dem gelben Absperrband durch, hinter dem seine Frau stehen blieb. "Du wartest hier!", rief er ihr im Laufen zu. Cat sah ihm besorgt nach. "Sei vorsichtig!" brüllte sie hinter ihm her, als der Shaolin von einem Beamten in Uniform am Oberarm gepackt und aufgehalten wurde. Peter hatte keine Zeit für Diskussionen, deshalb drehte er sich aus dem Griff und rannte einfach weiter. Als sich seine Hände ungehindert der Rufe der Polizisten um die schwere Griffstange der Tür schlossen, hörte er Schüsse. Einen Bruchteil einer Sekunde hielt er erschrocken inne und schaute nach oben, von wo die fünf Schüsse kamen. Dann riss er den Griff zurück und sprintete in die große Empfangshalle, vorbei am Tresen und durch die Metalldetektoren, immer auf die große Treppe zu, die sich vor ihm erhob und auf einem Mittelpodest nach links und rechts teilte. Noch ein Schuss. Seine Augen blickten suchend die Empore entlang, aber sein Herz verriet ihm bereits den richtigen Weg. Eine düstere Vorahnung machte sich in seinem Geist breit und ließ ihn noch schneller die Stufen hoch springen. Er hoffte inständig, dass sein Gefühl ihn täuschte, dass die Schüsse aus den Waffen der Cops stammten und die Geiselnehmer unschädlich gemacht hatten. Peter wählte die linke Seite des Podests und nahm weiterhin zwei Stufen auf einmal. Noch ehe er die letzte überbrückt hatte, flog vor ihm, fünfzehn Meter den Gang entlang, die Tür auf und eine panische Menschenmenge von etwa dreißig Mann stürmte ihm entgegen. Der Shaolin hörte ihre Schreie ebenso deutlich wie die schweren Stiefel des SWAT-Teams hinter sich. Er schob sich durch die Leute, die ihn unbarmherzig zurückdrängten, in ihrer eigenen Angst gefangen. Hart schob er sie mit seinen Armen vor sich beiseite, bis er endlich das Ende der Menge erreichte und die letzten Meter wieder in freiem Sprint zurücklegen konnte. Peter unterdrückte das unheilvolle Gefühl der bösen Vorahnung, das sich in seinen Geist schob. Hätte er darauf gehört, hätte er gewusst, dass etwas schief gelaufen war, dass er zu spät kam. Aber noch konnte er hoffen, dass er sich täuschte, und diese Hoffnung ließ ihn weiter rennen, durch die große Tür, zwischen den Sitzbänken hindurch an die Abtrennung zum Verhandlungsbereich. Dann traf es ihn wie ein harter Schlag in die Magengrube. Er hatte es gewusst, aber bis zu dieser Sekunde hatte die Verdrängungstaktik noch gewirkt, nun aber fiel sie wie ein stümperhaft gebautes Kartenhaus vor seinen Augen zusammen. Karens Körper lag leblos auf dem Boden, sie war tot, das fühlte er überdeutlich. Dennoch hockte Kermit über ihr, wie in Trance versuchte er, sie wiederzubeleben. Seine Hände pressten ihr Brustbein hinunter, immer wieder. Dann legte er seine Lippen auf ihre, pumpte Luft in ihre Lungen, die nicht mehr bereit waren, sie aufzunehmen. Aber Kermit merkte es nicht, er war völlig in seinen Versuchen versunken, etwas Unmögliches zu schaffen. Peter trat langsam von hinten auf ihn zu. Skalany stand zu seiner Rechten und blickte mit verheultem und geschocktem Gesicht zu Kermit hinab, dann bemerkte sie Peter. Leise flüsterte sie seinen Namen, aber der junge Mann warf ihr nur einen kurzen Blick zu, der all ihren Schmerz teilte. Er fühlte deutlich, wie sich jetzt auch in seinem inneren Schmerz und Trauer ausbreitete, zum einen über den Verlust, zum anderen weil er Kermit so sehen musste. Das Gesicht des Freundes war mittlerweile zur Hälfte mit Blut verschmiert, aber selbst das schien er nicht zu bemerken, immer wieder presste er seine rechte Gesichtshälfte auf ihre Brust, um einen Herzschlag zu finden. Für einen winzigen Augenblick war er plötzlich wütend auf Cat. Er fragte sich, ob die Diskussion mit ihr vielleicht die entscheidenden Sekunden verschwendet hatte. Oder aber der dichte Verkehr, oder der Polizist vor dem Gebäude. Aber eine innere Stimme rief ihn sofort zur Ordnung, es gab nichts und niemanden, dem man die Schuld geben konnte. Außer Alex Woods, und der war inzwischen tot. Peter trat langsam und unsicher hinter Kermit und legte ihm sanft die Hände auf die Schultern. Er fühlte den Kloß in seinem Hals und wusste noch nicht, was er seinem Freund sagen wollte, um ihn zu trösten. Zunächst reagierte der Cop nicht auf seine Berührung, also verstärkte er den Druck, obwohl es ihm unendlich weh tat in der Seele. Er wusste genau, dass er damit Kermits letzte Hoffnung zerstörte. "Kermit", flüsterte er leise und erstickt, aber noch immer gab es keine Reaktion auf seine Anwesenheit. Unbeirrt verfolgte er weiterhin seine Wiederbelebungsversuche. "Kermit, hör auf", sagte Peter ein weiteres Mal, diesmal in normaler Zimmerlautstärke, aber sein Freund zuckte nicht einmal. "KERMIT!" brüllte Peter jetzt, wenn auch der Klang seiner eigenen Stimme tief in sein Herz schnitt. Er sah Skalany im Augenwinkel zusammenzucken, aber darum scherte er sich aktuell nicht. Endlich bemerkte Kermit die Anwesenheit seines Freundes und fuhr plötzlich wild herum. Völlig entsetzt starrte er Peter für eine Weile in die Augen, so als kannte er ihn gar nicht. Dann zogen sich seine Brauen zusammen, Peter fühlte den Schmerz, der tief aus dem Herzen seines früheren Kollegen kam, als dieser sich plötzlich in Bewegung setzte. "WO WARST DU?", brüllte er Peter an und machte einen Schritt auf ihn zu, der zwar erschrak, sich aber nicht gegen den Angriff wehrte. Kermit stieß mit beiden Händen gegen seine Brust. "WARUM WARST DU NICHT DA?", keifte Kermit weiter, völlig von Sinnen. Peter konnte in seine Augen sehen, erblickte all den Schmerz und den Zorn, den er in keine Richtung lenken konnte. Er wusste, dass sein Freund nicht meinte, was er sagte. Er selbst aber hatte sich auch schon die gleichen schmerzenden Fragen gestellt, immer und immer wieder in den letzten zwei Minuten. Kermit stand völlig entsetzt vor Peter, starrte ihn an, setzte erneut an, schloss den Mund aber wieder. Der Shaolin zeigte ein angedeutetes Nicken, ließ seinen Freund wissen, dass er ihm nicht böse war und die Reaktion nachvollziehen konnte. Kermits Fassade begann zu bröckeln, er drehte sich wieder zu dem Körper seiner Lebensgefährtin, dann wanderten seine Augen wieder zu Peters. "Warum?", fragte er leise. Auch Peter hatte die Trauer nun mit voller Wucht getroffen, ein dicker Kloß saß in seinem Hals, sein Blick wurde verschwommen. "Ich weiß es nicht", war die fade Antwort, die er Kermit geben konnte, denn er hatte keine andere. Sein Vater hätte eine gehabt, ganz sicher, aber ER hatte keine. Er musste hier stehen, auf die Leiche einer Freundin hinabstarren, seinen besten Freund in grausamer seelischer Verfassung sehen und im Hinterkopf auch an Cat denken, die nach dieser Hiobsbotschaft sicherlich auch aus dem Gleichgewicht kommen würde. Dazu kamen seine eigene Trauer und der Schmerz in seiner Seele. Kermit starrte ihm einen Moment abwesend weiter in die Augen, dann setzte sich sein Körper in Bewegung und schob sich durch die nun hineinstürmenden Polizistenmassen. Stoisch bahnte er sich seinen Weg, Peter sah ihm nach, bis er um die Tür verschwunden war. Für eine Sekunde hatte er überlegt, ob er ihm folgen sollte, aber eine leise Stimme in seinem Inneren hielt ihn davon ab, Kermit brauchte eine Weile für sich allein. Aber der Shaolin hoffte, dass er anschließend zu jemandem wie ihm oder Paul kommen würde, um seine Sorgen zu bereden und zu verarbeiten. Er tauchte aus seinen Gedanken auf und bemerkte Skalany neben sich, die auf den Leichnam starrte und noch immer leise weinte. Ohne darüber wirklich nachzudenken legte er ihr den Arm um die Schulter und zog sie an sich, um sie zu trösten. Der Schock saß tief in ihren Gliedern, das konnte er deutlich fühlen. Aber sein eigener Schmerz übertraf dieses Gefühl noch um ein Vielfaches.
Cat stand noch immer hinter dem Absperrband. Ihr ganzer Körper zitterte, während ihre Gedanken sich ausmalten, was dort oben alles passiert sein konnte. Sie hatte Peters Gesichtsausdruck gesehen, als die Schüsse gefallen waren, Millisekunden bevor er im Inneren des Gebäudes verschwunden war. Jetzt konnte sie nur hoffen und warten, dass er zusammen mit ihren Freunden den Bau wieder verließ. Aber es geschah nichts, quälende Minuten ließen sie immer weiter in düstere und ängstliche Gedanken abschweifen. Ihre großen blauen Augen hafteten fest an dem Portal des Gerichtsgebäudes, als es sich plötzlich öffnete. "Peter!", entfuhr es ihrem Mund, ehe sie jemanden sehen konnte; nur eine blinde Hoffnung. Aber es war nicht ihr Mann, der heraustrat, sondern Kermit. Geschockt blickte sie in sein Gesicht, das zum Teil mit Blut beschmiert war, ebenso der ehemals weiße Kragen seines Hemdes, seine Hände und seine Hemdärmel. Cat schob sich jetzt ungehalten unter dem Band durch, es war ohnehin zu viel los, als dass man sie bemerkt hätte, und eilte zu Kermit, der starr geradeaus blickte. "Kermit! Was ist passiert?", fragte sie aufgeregt und blieb neben ihm stehen. Der Freund aber ging einfach weiter, die Augen ins Nichts vor sich gerichtet. "Kermit? Kermit, was…?", setzte sie erneut an, wurde allerdings abermals ignoriert. Verwirrt schaute sie seinem Rücken hinterher, als der Cop auf die Absperrung zuging und dann in den Massen aus Schaulustigen verschwand. "Oh mein Gott", murmelte die junge Frau leise und rannte dann ins Gebäude. Noch immer schien es keinen der Cops zu interessieren, dass sie sich im abgesperrten Bereich aufhielt, also eilte sie ebenso wie Peter wenige Minuten zuvor die Treppe hinauf und blieb auf dem Podest stehen, um sich zu orientieren. Sie sah die Polizisten und Sondereinsatzkräfte, die sich auf dem Flur tummelten und in ihre Funkgeräte redeten. Sie brachte den zweiten Teil der Treppe schnell hinter sich und rannte über den Flur, kurz vor der Tür abrupt bremsend. Angst überkam sie, sie hatte keine Ahnung, was sie erwartete. Dann tat sie doch den entscheidenden Schritt und ging ganz langsam in den Verhandlungssaal. Sofort erblickte sie Peter, der vor dem Richterstand verharrte. Mary-Margaret lag halb zusammengebrochen in seinen Armen, während er abwesend vor sich starrte. Überall wuselten Polizisten. Unsichere Schritte brachten sie an die Trennung inmitten des Saals, noch immer nicht wissend, was kommen würde. Eine Schar Beamter versperrte ihr zunächst die Sicht auf das, was ihren Mann so betrübte, als sich plötzlich eine Lücke zwischen ihnen auftat. Ihr Herz setzte für einen Moment aus, sie sah Kermit wieder vor sich, sein Verhalten, und wusste nun sofort, wie es zusammenhing. Karens leblose Gestalt lag noch immer auf dem Boden, ein riesiger Blutfleck auf ihrer Bluse, verschmierte Spuren in ihrem Gesicht. In Gedanken konnte sie Kermit vor sich sehen, wie er mit seinen Händen ihre Züge umrahmte und sie bat, doch wieder aufzuwachen. Sie schluchzte laut auf und schlug die Hand vor den Mund, den Schmerz, den sie jetzt empfand, konnte sie nicht einmal beschreiben. Quälende Dämonen der Vergangenheit schoben sich jetzt vor die Bilder ihrer Augen, sie verschwammen miteinander, bis sie nicht mehr wusste, was real war und was nicht. Peter hatte seine Frau erst jetzt bemerkt, er ließ Skalany mit deren Einverständnis allein und machte eilige große Schritte auf sie zu. Sie so zu sehen, wie sie die Leiche ihrer Trauzeugin anstarrte, ließ seine innere Qual noch größer werden. Er schloss seine Arme um sie und stellte sich vor sie, sodass ihr der Anblick ab jetzt erspart blieb, auch wenn er genau wusste, dass es ihren Schmerz nicht wirklich mindern konnte. Sie bebte in seiner Umarmung und so langsam bahnten sich auch seine eigenen Gefühle ihren Weg zurück an die Oberfläche. Seine Kräfte waren allmählich erschöpft, er fühlte sein Gleichgewicht unter der Wucht dieses Ereignisses zerbrechen, seine innere Ruhe glich jetzt mehr einem Schlachtfeld als der friedlichen Wiese an einem blauen See, die sie sonst darstellte. Wie hatte das alles nur passieren können? Wieder und wieder schoss die Frage durch seinen Verstand. Warum war er zu spät gekommen? Warum hatte er nichts mehr tun können, außer Kermit in die Realität zurück zu holen und die zwei Frauen zu trösten? Wieso verlor er schon wieder jemanden, der ihm etwas bedeutete? Warum hatte er die drohende Gefahr nicht gespürt? *Das habe ich*, schoss es sofort anklagend durch seinen Geist. Schon in dem Moment, als das Mädchen vor seinen Augen zusammengebrochen und er Kermit das Päckchen mit Spencers Drogen gebracht hatte. Damals hatte er den dunklen Nebel gespürt und ihn nicht deuten können. Dann dachte er, es hinge mit der Verhaftung zusammen. Jetzt wusste er, was diese Vorahnung ihm sagen wollte, aber jetzt war es zu spät, um ihr entgegen zu wirken. Er vergrub sein Gesicht ins Cats kurzem Haar, die noch immer weinte und ließ auch seinen Gefühlen ihren Lauf. Langsam kullerten die Tränen seine Wangen hinab und versiegten im Schopf seiner Frau. Während die Polizisten langsam den Tatort wieder räumten und Platz für die Spurensicherung und die Coroner machten, standen Peter und Cat noch immer dort, von keinem wirklich wahr genommen. * * * Zwei weitere Autos parkten hinter den Streifenwagen. Aus dem vorderen stiegen Chief Strenlich und Jody, aus dem hinteren T. J. und Blake. Sie bahnten sich ihren Weg durch die Schaulisten und ließen sich das Absperrband von einem Officer in Uniform hochhalten. Strenlich ging direkt auf einen Mann am SWAT-Bus zu. "Warum wurden wir nicht informiert?", donnerte er ihn an. Sie hatten erst durch die Nachrichten erfahren, dass es im Gerichtsgebäude, in dem sich aktuell der Captain, Kermit und Skalany aufhielten, eine Geiselnahme gegeben hatte. Noch bevor er eine Antwort bekam, stieß Jody ihn in die Rippen und deutete zur Tür. Peter ging mit Cat im Arm und Skalany hinter sich gerade auf den freien Platz. Ihre Gesichter waren von Trauer zerfurcht, die Tränen noch nicht richtig getrocknet. Sofort änderten die vier Cops ihre Richtung und kamen auf die drei zu. "Was ist passiert?", fragte Strenlich sofort in seinem typischen harten Tonfall. Peter sah ihn nur leer an. "Wo sind Kermit und der Captain?", fragte Jody wesentlich leiser und mitfühlender. Genau in diesem Moment hörte Peter das Geräusch hinter sich, das er in seiner Karriere schon viel zu oft gehört hatte. Das Klappern von kleinen Metallrädern, die zu einem Wagen gehörten, auf dem die Coroner die schwarzen Plastiksäcke in ihren Transporter brachten. Er drehte sich dahin um, die anderen folgten seinem Blick. "Um Gottes Willen, wer…" japste Jody und starrte mit großen Augen zwischen dem Leichensack und ihren Freunden hin und her. "Karen", sagte Cat leise und begann sofort wieder zu schluchzen. Peter zog sie enger an sich und strich ihr übers Haar. Strenlich und Jody standen mit offenen Mündern da, T.J. blickte getroffen und betreten zu Boden, Blake stand für einen Moment wie erstarrt. Dann fand er allerdings als erster seine Sprache wieder. "Wo ist Kermit?", fragte er mit zittriger Stimme nach. Peter zuckte die Schultern, Cat reagierte gar nicht. "Keine Ahnung. Er ist einfach raus", sagte Skalany matt. Sie standen eine ganze Weile zusammen, schweigend und in sich gekehrt, bis irgendwann der Einsatzleiter zu ihnen trat und sie alle musterte, sein Gesicht zeigte wenig Mitgefühl für ihr aktuelles Empfinden. "Was zum Teufel ist da drin passiert? Und wer sind sie überhaupt?", ging er zunächst alle, dann speziell Peter an. Er hatte den jungen Shaolin gesehen, als dieser in das Gebäude gestürmt war. Er wollte grade den Mund öffnen und etwas sagen, aber der Chief war schneller. "Hören sie mal! Wir haben grade unseren Captain verloren! Wie wär's, wenn sie uns mit ihren beschissenen Fragen verschonen!", brüllte er ihn an. Der Kerl vom SWAT-Team, auf dessen Namensschild Donovan stand, stierte ihn zornig an. "Das beantwortete immer noch nicht meine zweite Frage", zischte er und schien auf eine Antwort beharren zu wollen. "Mr. Caine hier war früher Detective unseres Reviers. Also lassen sie ihn in Ruhe!", knallte Strenlich ihm wiederum entgegen. Er war noch immer mehr als wütend, ließ es dann aber doch gut sein und wandte sich von dem groß aufgebauten Chief und den anderen ab. "Danke", murmelte Peter leise. "Schon gut. Aber vermutlich werdet ihr irgendwann trotzdem noch eine Aussage machen müssen. Aber jetzt fahrt erstmal heim und verdaut das alles. Das wird das Beste sein", sagte er und klopfte dem ehemaligen Detective auf die Schulter, einen mitfühlenden Blick zu Cat gerichtet. Peter nickte und zog dann seine Frau mit sich zum Stealth, um sie nach Hause zu bringen. Die Detectives sahen den beiden eine ganze Weile nach, ehe sie wieder zu sich fanden. Jody hatte ihre geschockte Kollegin in den Arm genommen und strich ihr tröstend über die Schultern. "Und Kermit ist einfach so raus, als wäre nichts gewesen?", fragte T.J. irgendwann bei Skalany nach und kassierte für die flapsige Ausdrucksweise sofort einen Schlag auf den Hinterkopf von Jody. "Natürlich nicht! Er war… ich hab ihn noch nie so gesehen! Er war völlig aufgelöst und apathisch. Er hat versucht sie wiederzubeleben, wie in Trance. Erst Peter hat ihn wieder in die Realität holen können. Und dann ist er erst ausgerastet, und dann ist er raus. Keine Ahnung, wo er jetzt steckt. Oh Gott, es war so…", versuchte sie ihren Gefühlen Ausdruck zu geben, fand aber nicht die rechten Worte. Sie standen noch eine Weile zusammen, schweigend, trauernd. Jody stützte Skalany, Blake starrte zu Boden, T.J. wusste gar nicht so recht, wo er hinsehen sollte, und der Chief schaute betreten in die Runde. Sie waren alle schwer getroffen, und sie hatten keine Ahnung, was noch alles auf sie zu kam.
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