Kapitel 14 Kermit klappte den Laptop auf. Wie erstarrt blickte er auf den Bildschirm, während das Betriebssystem hochfuhr. Der innere Schmerz zerfraß ihn, wieder und wieder erschien Karens Gesicht in seinen Gedanken. Sie war zornig und aufgebracht und fragte ihn, warum er ihr nicht geholfen hatte. Warum hatte er sich um Spencer und den anderen gekümmert, und nicht um Woods? Ja, er hatte sich um ihn gekümmert, aber zu spät. Wie immer. Kermit rieb sich die Augen, in denen sich langsam heiße Tränen sammelten. Der Verlust hatte ein tiefes Loch in sein Herz gerissen, direkt neben dem riesigen Krater, der durch Davids Tod verursacht worden war. Warum starb jeder, den er liebte? Warum konnte er sie nie beschützen? Sein Kiefer schmerzte durch die Anspannung, als er wieder aus seinen Schuldgefühlen auftauchte. Die Hand hatte er fest um die Computermaus geschlossen, seine Knöchel traten weiß hervor. Das Notebook war mittlerweile bereit, ihm bei der Umsetzung seines Planes behilflich zu sein. Kermit tippte routiniert seinen Benutzernamen und das Passwort ein, ehe er auf den Desktop kam. Gekonnt erstellte er eine sichere Internetverbindung und gab die Adresse in den Browser ein. Ein großes schwarzes Fenster öffnete sich und frage ihn wiederum nach seinen Zugangsdaten. Er gab einen anderen, nicht mit ihm in Verbindung zu bringenden Nickname und ein Passwort ein, dann musste er einige Minuten warten, bis das hinterlegte System sicherstellte, dass die Verbindung verschlüsselt und sicher war. Kermit nutze die Zeit, um sich an der Minibar ein großes Glas Scotch einzuschenken, einen großen Schluck davon zu nehmen, nachzuschütten und sich dann wieder zu setzen. Inzwischen hatte sich ein weiteres Fenster geöffnet, in dem ein Cursor blinkte und gierig darauf wartete, dass Kermit etwas schrieb. Er legte seine Finger auf die Tastatur. // Treffen // tippte er mit der linken Hand, während er in der rechten das Glas schwenkte und einen weiteren großen Schluck nahm. Wohlig breitete sich die Wärme des Alkohols in seinem Inneren aus, aber den Schmerz konnte sie nicht von ihm nehmen. Der Cursor blinkte unruhig in der Zeile unter dem Wort. Der frühere Söldner wusste genau, dass es Stunden oder gar Tage dauern konnte, bis sein alter Kamerad sich endlich meldete. Aber wenn er Glück hatte, saß er direkt davor und las die Mitteilung sofort. Unruhig rutschte er hin und her, dann leerte er das Glas mit dem Scotch in einem Zug, doch auch das half nicht, den Schmerz zu betäuben, der ein riesiges Loch in sein Inneres fraß. Seine Augen verharrten auf dem unablässig blinkenden Cursor, der ihn aber nicht von seiner Wartezeit erlösen wollte. In den letzten Stunden hatte er beschlossen, was er tun wollte. Er konnte nicht einfach zum Tagesgeschäft zurückkehren, und er wollte es auch nicht. Es war an der Zeit, wieder weiter zu ziehen und zu tun, was er auf irgendeine Art schon immer getan hatte: töten und zerstören. "Komm schon!" brüllte er plötzlich den Bildschirm an, aber dieser reagierte einzig darauf, indem er den Bildschirmschoner anlaufen ließ. Kermit beobachtete abwesend den kleinen grünen Frosch, der hin und her sprang und mit der Zunge kleine Fliegen fing. Mühsam stand er auf und ging ein weiteres Mal an die Minibar, um sein Glas wieder aufzufüllen. Anschließend stellte er es neben den Lap Top und ging zunächst ins Bad, wo er sich vor den Spiegel stellte und in sein müdes und trauriges Gesicht blickte. Es war, als wollte sein Spiegelbild ihn verhöhnen, es starrte ihn wütend an, zornig, enttäuscht. 'Warum hast du ihn nicht damals erschossen, so wie du Gaverton getötet hast?', schien es zu schreien. Kermit gab keine Antwort. Er wusste es nicht. Peter hatte die Sache damals gerettet, aber diesmal war er nicht dort gewesen, um sie alle zu beschützen. *Es war ja auch MEINE Aufgabe! Und ich habe versagt!*, hallte es anklagend in seinem Kopf. Nein, Peter konnte er keinen Vorwurf machen. Der junge Mann hatte zwar besondere Fähigkeiten, aber er war kein Übermensch. Und diese Feststellung seinerseits untermauerte Kermits Schuldgefühle nur noch mehr. Schuldgefühle für Karens Tod, Schuldgefühle, dass er Peter ungerechterweise so angeschrieen hatte, Schuldgefühle, dass jeder in seiner Nähe in unmittelbarer Gefahr schwebte. Zornig holte er aus und schlug mit der Faust in die höhnische Fratze im Spiegel. Laut zersprang das Glas unter seinen Knöcheln, schnitt sie auf und landete dann klirrend auf dem Boden. Seine Faust schmerzte, kleine und größere Blutfäden bildeten sich und folgten dem Ruf der Schwerkraft, als sie sich von der Hand lösten und im Waschbecken landeten. Erst nach einem Moment hielt er das schmerzende Körperteil unter den Wasserhahn und wusch Glassplitter und Blut ab. Dabei glitt sein Blick zu dem kleinen Regal, das neben der Waschstelle stand, und auf dem Karen einen Teil ihrer Toilettenartikel ausgebreitet hatte. Seine Augen wanderten über die verschiedenen Dinge, in Gedanken jedes ihrem Bild in seinem Kopf zuordnend. Die Perlenkette an ihrem Hals, das Make Up in ihrem Gesicht, die Haarspangen und Zopfgummis, ihr Parfüm. Kermit nahm den Flakon und hob den Deckel ab, dann hielt er die Düse direkt unter seine Nase und atmete den Duft tief ein, die Augen geschlossen. Er sah sie wieder vor sich, diesmal lächelte sie freundlich, schmiegte sich an ihn, sodass er ihr Parfüm riechen konnte. Ein Bild der Erinnerung an den Moment, als er sich zum ersten Mal eingestehen musste, dass diese Frau etwas ganz Besonderes war. *Es tut mir so Leid, Karen!*, wisperte er plötzlich und lehnte sich an die kalte Fliesenwand, wo er langsam auf den Boden rutschte. Seine Gefühle übermannten ihn und ließen seinen Körper unter heftigen Schluchzern erbeben. Er war selbst geschockt, wie sehr ihn der Duft zurück gerissen hatte. Nach einer ganzen Weile erst stellte er den Flakon neben sich auf den Boden und erhob sich wieder, in seinem Handballen hatten sich ein paar kleine Scherben des Spiegels verfangen, die er langsam auszupfte. Dann ging er wieder ins Wohnzimmer. Der kleine Frosch hüpfte noch immer fröhlich hin und her und versuchte, alle Fliegen zu erwischen. Kermit drückte eine Taste und sofort wechselte das Bild, aber noch immer gab es keine Antwort. Wieder leerte er den Scotch in einem Zug, als das Notebook plötzlich piepste. Eine ellenlange Zahlen- und Buchstabenreihe erschien unter seinem Text. Der Cop setzte sich wieder und kramte eine CD-Rom aus seiner Lap Top Tasche, legte sie ins Laufwerk und lauschte dessen Dröhnen, bis sich endlich die entsprechenden Fenster öffneten. Noch insgesamt dreimal musste er ein Passwort eingeben, ehe er die Zeile einkopieren und ein entsprechendes Entschlüsselungsprogramm drüber laufen lassen konnte. Es dauerte einige zähe Minuten, in denen er sich zwingen musste, nicht wieder in seine Trauer abzudriften, bis endlich die Nachricht erschien, die man ihm geschickt hatte. // Niagara Fälle. Mitternacht. // Er nickte zufrieden. Je schneller es ging, umso besser, denn eigentlich hatte er nicht damit gerechnet, dass es in dieser Nacht noch klappen würde. Sein Blick wanderte zur Uhr, er hatte noch drei Stunden und zweihundert Kilometer zu überbrücken. Er schloss die Fenster auf seinem Bildschirm, fuhr den PC runter und klappte ihn zu, dann suchte er alles Weitere zusammen, was er mitnehmen wollte. Zehn Minuten später stand er mit gepackter Tasche an der Tür und drehte sich noch einmal in die Wohnung. Hier hatten er und Karen sich damals geküsst, kurz bevor sie von Seletine entführt wurde. *Und auch damals konnte ich sie nicht beschützen*, schoss es sofort hart und brutal durch seinen Kopf. Kälte breitete sich in ihm aus, erfasste ihn. Am liebsten würde er schon heute fliehen, vor der Erinnerung weglaufen, einfach nur fort. Aber er musste es noch wenige Tage aushalten, musste sich mit der Qual, die ihn in dieser Wohnung erwartete, selbst kasteien. Dann erst konnte er fort, in eine andere Welt, ein anderes Leben. Das war er ihr schuldig. Noch wenige Tage. Und was danach kam, würde sich an diesem Abend noch entscheiden. * * * Geschmeidig bewegte sich Peter durch den Raum, seine Handkanten durchschnitten die Luft im Raum, seine Füße glitten lautlos über den Boden. Cat war nach einer Weile eingeschlafen, er hatte sie sorgsam auf dem Sofa abgelegt und zugedeckt, dann war er zum Tai Chi laufen gegangen und versuchte so, seinen durcheinander gekommenen Geist wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Mit seinen Bewegungen floss sein Chi durch den Raum. Es fühlte sich an, als würde es wie ein riesiges Puzzle auseinander geworfen, um sich anschließend wieder zusammen zu setzen. Vor Peters innerem Auge legte sich ein Teil an das andere, während er die schon so oft praktizierten Übungen vollführte und sich durch das Zimmer gleiten ließ. Aber noch war kein Bild erkennbar. Einzig die Schmerzen fühlte er, das innere Zerreißen, wenn er Cat sah, die so verzweifelt litt, wenn er in Kermits dunkle Augen blickte und nur Hass und Wut entdecken konnte. Und er konnte nichts dagegen tun, zumindest in Bezug auf seinen Freund, solange dieser keine Hilfe annehmen wollte. Intuitiv öffnete er seine Augen, als Cat im Türrahmen erschien, gleichzeitig verriet ihm der Lichteinfall durchs Fenster, dass er Stunden trainiert haben musste, ohne es zu merken. Sofort unterbrach er seine Übung und ging zu ihr. "Wie geht’s dir?", fragte er sie liebevoll und legte seine Hände auf ihre Oberarme. Fast konnte er ein dankbares Schmunzeln in ihren Mundwinkeln erkennen. "Besser, glaube ich", antwortete sie, diesmal absolut wahrheitsgemäß. "Kaffee?", fragte er und bekam ein Nicken zur Antwort. Wortlos folgte sie ihm in die Küche und setzte sich an den Tisch, während Peter die Kaffeemaschine fertig machte und anwarf. Dann setzte er sich ihr gegenüber und sah ihr in die Augen. "Möchtest du jetzt reden?" Wieder erhielt er eine bejahende Kopfbewegung. "Ich weiß nur gar nicht, was ich sagen soll. Ich meine, du weißt wie es ist. Es tut einfach nur weh und ist mit Worten nicht zu beschreiben", begann sie. Peters Gesicht zeigte absolutes Verständnis. "Ich weiß. Aber versuch es. Es hilft." "Ich fühl mich so hilflos. Es ist, als würde sich alles in mir drehen. Ich sehe sie vor mir, wie sie da liegt. Und es… es hämmert in meinem Kopf. Sie ist tot! Immer wieder dieser eine Satz. Eine Wahrheit, die ich nicht will. Die ich einfach nicht sehen will", sagte sie mit verzweifeltem Tonfall. "Dazu kommen eben alle Erinnerungen wieder hoch. Mitch, mein Bruder, meine Eltern. Als ich dich fast verloren hätte. Ich ertrag das alles einfach nicht mehr!" Peter nahm ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf, als die Kaffeemaschine mit einem Piepton mitteilte, dass sie fertig war. Fragend sah der Shaolin seine Frau an, welche sofort nickte. Also holte er erstmal Kaffee. "Ich weiß, was du meinst, Liebling", teilte Peter ihr mit, "ich kenne das Gefühl auch. Damals, als mein Vater gestorben ist, hatte ich auch ein zerberstendes Gefühl in mir, ich dachte, ich müsste allein an dem Schmerz sterben. Aber ich habe es überstanden und damit leben gelernt. Und das wirst du auch, da bin ich mir sicher." Sie nickte ihm dankend zu, aber Peter sah ihre Zweifel in ihrem Blick. Es war nicht so einfach, das wussten sie beide, aber irgendwann würde es besser werden. "Es ist so unfair. Das war es auch damals. Warum passiert so was ausgerechnet uns? Ich meine, warum erwischt es ausgerechnet immer die Guten?", sagte sie, ein leichter wütender Unterton begleitete jetzt ihre Stimme. "Weil es die Guten sind, die gegen das Schlechte kämpfen. Karen hat ihr Leben der Verbrechensbekämpfung gewidmet. Deine Eltern wollten auch nur das Richtige tun. Dadurch ziehen wir nun leider den Unmut des Bösen auf uns und werden zu erklärten Zielen." "Das klingt, als wäre es besser, nichts zu tun", sagte sie leise. Schuldbewusst senkte sie den Blick, Peter war sich sicher, dass seine Frau an ihre Untätigkeit in Bezug auf Gaverton dachte. "Das ist es sicher nicht. Wenn niemand gegen das Böse antritt, wird es die Welt in Windeseile verschlingen und nichts anderes als Tod und Zerstörung zurücklassen. Es muss Menschen geben, die den ewigen Kampf antreten. Auch wenn es gefährlich ist", erklärte er seine Sichtweise. "Ich weiß ja, dass du Recht hast… aber trotzdem ist es so grausam", sagte sie mit resignierendem Tonfall. Peter nickte und nahm wieder ihre Hand, um einen Kuss darauf zu drücken. Dankbar lächelte sie ihn an. Das erste Lächeln auf ihrem Gesicht seit Karens Tod.
Kermit stand allein in der Dunkelheit am Geländer. Hinter ihm rauschten die Wassermassen in die Tiefe, vor ihm erhob sich eine kleine Treppe. Hier hatte Peter damals den Staatsanwalt Thomas Sheldon erwischt und ihn fast in den Tod gestürzt. Die Ähnlichkeit der Gründe, warum damals sein Freund und heute er hier waren, war pure Ironie des Schicksals. Wenn Alex Woods nicht tot sondern jetzt hier wäre, Kermit würde ihn mit einem Lächeln fallen lassen. Aber Woods war bereits tot, und wie zu erwarten gewesen war, hatte der Akt der Rache seinen inneren Schmerz nicht gelindert, sondert verstärkt. Jetzt war er hilflos, konnte nichts mehr tun, der Schütze war gerichtet. Aber der Schuldige musste noch gerichtet werden, er musste in den Krieg ziehen und sich dort seinen Richtern stellen. Immer und immer wieder. Bis endlich einer ein Urteil sprach, das dem entsprach, welches er schon gegen sich selbst gefällt hatte, aber nicht vollstrecken konnte. Genau aus diesem Grund war er jetzt hier, um alles in die Wege zu leiten, damit die Verhandlung gegen ihn selbst kommen konnte. Sein Blick wanderte die Treppe hinauf, seine Gedanken zu dem Mann, den er erwartete. Dem Mann, der ihm hoffentlich einen Weg offenbaren konnte. Der Name des Mannes war Bear, jedenfalls der, unter dem man ihn kannte. Ein großer, bulliger Kerl, mit kahl geschorenem Kopf und schokoladenbrauner Haut. Sie hatten schon Seite an Seite gekämpft, damals in einem längst vergangenen Leben, in das Kermit nun zurückkehren wollte, um sich selbst zu richten. Oder richten zu lassen. Bear hatte sich nach einer schweren Verletzung der Hüfte zurückgezogen und das getan, was er ebenso gut konnte wie Geiseln befreien und Regime stürzen; er sammelte Informationen, überwachte Missionen. Er wusste, was in der Welt los war und wo es etwas zu tun gab. Es gab keine Information, die er nicht beschaffen konnte. Seine Informanten waren überall verstreut, in den tiefsten Ghettos und den höchsten Regierungsebenen, in Terrorzellen und Gangsterorganisationen. Und sollte jemals auch nur ein Name bekannt werden, würden viele Menschen sterben, da war sich Kermit sicher. Als er wieder aufsah, entdeckte er den großen Mann auf sich zu kommen. In der rechten Hand hielt er einen Stock, auf den er sich aufstützte, während er das steife Bein hinter sich her zog. Es sah furchtbar mühsam aus, wie dieser riesige Mann sich Stufe für Stufe die Treppe runterkämpfte, danach ging er dann wieder bedeutend schneller und stand bald vor Kermit. Sie gaben sich zunächst wortlos die Hand. "Ich hab davon gehört. Tut mir Leid", tat Bear mit rauer und tiefer Stimme sein Beileid kund. Kermit verzog keine Miene und nickte nur. Er hatte erwartet, dass sein alter Kamerad vorher durchleuchten würde, was der Grund für Kermits Kontaktaufnahme war. "Was kann ich für dich tun, alter Kumpel?", stieg der Dunkelhäutige sofort ins Thema ein, auch wenn er sich die Antwort schon denken konnte. Der Grund, aus dem sich ausgestiegene Söldner fast immer bei ihm meldeten. Sie wollten wieder ins Geschäft. "Ich suche einen Job", gab Kermit Antwort. "Einmal Söldner, immer Söldner, was?", sagte Bear. Kermit grinste nur kurz breit, aber völlig gefühllos. "Im Moment geht's rund. Was hättest du denn gern?", fragte er wie ein Händler auf dem Wochenmarkt. Kermit fühlte, wie seine Geduld langsam versiegte und seine Anspannung zunahm. "Ist mir relativ egal. Du kennst meine Ansprüche. Mach mir ein Angebot", sagte er knapp. Bear wippte seinen Kopf hin und her, ehe er anfing zu sprechen. "OK. Wie wär's mit einem kleinen Staat in Südafrika, dessen Namen keiner kennt. Die Regierung betreibt da grade eine Säuberungsaktion im Stil der Nazis im zweiten Weltkrieg. Die Rebellen sind zahlreich, ihre Chancen stehen gut. Und die umliegenden Länder haben aufgrund von Handelsbeziehungen auch etwas dagegen und unterstützen die Rebellen, deshalb ist genug Geld vorhanden, um sich eben auch bezahlte Unterstützung leisten zu können." "Böse Jungs ausschalten?" "Genau so ist es. Gegen die Armee, welche die perversen Befehle der Regierung ausführt. Keine Frauen, keine Kinder, keine moralischen Bedenken", führte Bear aus. Kermit sah ihn eine Weile an. So leicht war es vielleicht früher gewesen, aber heute nicht mehr. Seine Sichtweise hatte sich geändert, und für einen winzigen Moment fragte er sich, ob er wirklich noch einmal zurückkehren konnte. Aber er hatte die Entscheidung getroffen, er konnte nicht hier bleiben. Die Schuld lag zu schwer auf seinen Schultern und schob ihn fort. "OK." Bear nickte und gab Kermit einen versiegelten Umschlag in die Hand. "Das hab ich mir gedacht. Da ist alles drin. Dein Flieger geht in drei Tagen." Kermit sah ihn skeptisch an. Er wusste genau, warum Bear ihn so datiert hatte, der Mann tat wirklich nichts, ohne sich Gedanken darüber zu machen und Ereignisse abzustimmen. "Und pass auf dich auf. Die machen keine Gefangenen", fügte Bear noch einen guten Rat an. Kermit nickte ihm dankend zu und streckte dann seine Hand aus, die der alte Kamerad fest ergriff und drückte. Dann setzte sich der Cop in Bewegung und ging zur Treppe, stieg sie hinauf und erreichte schließlich die Corvair, die ihn zurück nach Sloanville brachte. Er konnte es kaum erwarten, diese Stadt wieder zu verlassen. Bear hatte ihm eine ganze Weile nachgesehen. Er war schon lange genug in dem Job, um zu wissen, dass man sich Freundschaften nicht leisten konnte, aber er nahm sich vor, Kermit näher zu verfolgen und ein wenig auf ihn aufzupassen, soweit seine Mittel es zuließen. Es war ihm sofort klar gewesen, aus welchem Grund und mit welchem Ziel sein alter Kamerad loszog. Und das bereitete ihm Sorgen, auch wenn man sich die eigentlich ebenso wenig leisten konnte, wollte man so lange wie möglich im Geschäft und vor allem am Leben bleiben. * * * * * * Die nächsten Tage bis zur Beerdigung von Karen Simms schleppten sich mühsam voran. Der Schock und die Trauer saßen bei allen Beteiligten noch immer tief, aber allmählich kamen sie wieder zu sich und gingen ihren gewohnten Tätigkeiten nach, wenn auch bedächtiger und trauriger. Die Cops des 101. Reviers hatten ihre Arbeit wieder aufgenommen und sich dem Verbrechen in Chinatown gewidmet. Chief Strenlich hatte vorübergehend das Kommando übernommen, bis ein neuer Captain seinen Dienst antreten sollte. Aber noch hatten sie keine Mitteilung darüber, wer und wann bei ihnen eingesetzt werden sollte. Peter hatte seine Patienten auch nicht vernachlässigen können und mischte wieder Tees und Kräuter und versorgte die Menschen des Stadtteils mit allem, was sie für ihre kleinen und großen Wehwehchen brauchten. Cats Zustand hatte sich nach vielen Gesprächen soweit stabilisiert, dass sie nicht mehr daran zu zerbrechen drohte, wenn der Schmerz auch noch immer tief saß. Sie nahm wieder am täglichen Leben teil, ging einkaufen und machte nötige Besorgungen. Sie war allerdings wesentlich reizbarer und empfindlicher; und noch lange nicht wieder sie selbst. Kermit wurde die letzten drei Tage weder gesehen noch gehört. Sowohl Peter als auch Paul hatten mehrfach versucht, ihn telefonisch zu erreichen oder zu Hause anzutreffen, aber alle Bemühungen waren gescheitert. Sie machten sich Sorgen um ihn, allerdings bewahrheitete sich der Grundsatz, dass man Kermit nicht finden konnte, wenn er nicht gefunden werden wollte. Paul beruhigte Peter soweit es ihm möglich war, indem er ihm versicherte, dass ihr gemeinsamer Freund auf jeden Fall zur Beisetzung kommen würde. Der frühere Captain des Reviers kannte seinen Freund und wusste, dass Kermit diese Ehrerbietung nicht unterlassen würde. Um nichts in der Welt. * * * * * * Peter stand mit seinem schwarzen Anzug auf der Terrasse und wartete auf Cat, die sich noch anzog. Seine Gedanken waren bei dem, was sie erwartete, der Beerdingung von Karen. Ein letztes Abschiednehmen, die letzte Erkenntnis, dass die wirklich tot war. "Ich bin soweit", sagte Cat, die ihm jetzt von hinten die Hand auf die Schulter legte. Peter drehte sich zu ihr um. Seine Frau trug ein knielanges schlichtes schwarzes Kleid, dazu eine schwarze Strumpfhose und schwarze Ballerinas. Sie hatte sich nur ganz dezent geschminkt und wirkte schon jetzt schrecklich traurig. "Dann lass uns fahren", sagte der Shaolin schließlich und verließ mit ihr zusammen die Wohnung. Sie schwiegen und hingen ihren Gedanken nach, beide hatten eigentlich schon genug Beisetzungen in ihrem Leben besucht, und jetzt sollte noch eine weitere hinzukommen. "Meinst du, Kermit wird kommen?", frage sie nach einer Weile im Auto. Das Schicksal des Freundes beschäftigte sie, sie hatte Angst um ihn, besonders da aktuell keiner wusste, wo er war und wie es ihm ging. "Paul meint, dass er auf jeden Fall da sein wird. Ich bin mir da nicht so sicher. Weglaufen ist nicht seine Art, aber… ich weiß auch nicht", sagte er nachdenklich. Cat nickte, ihr ging es nicht anders. Vielleicht würde der frühere Söldner es nicht verkraften können. Oder aber er war tatsächlich weggelaufen vor dem Schmerz und der Trauer. Peter steuerte den Stealth am Portal des Friedhofs vorbei. Überall standen Autos, vorwiegend Streifenwagen geparkt und der Gang durch das große Eisentor war gefüllt mit uniformierten Cops, die Trauer trugen. Der Shaolin fand schließlich eine Parklücke und stellte seinen Wagen hinein, dann stieg er zusammen mit seiner Frau aus. Sie machten sich auf den Weg zu einem der traurigsten Momente ihrer Ehe, beide dankbar, den anderen zum anlehnen zu haben. ***** Die gepflegte Grünfläche rund um das Grab war voll mit Menschen, die darum standen. Die direkten Kollegen und Freunde standen halbkreisförmig kaum fünf Meter davon entfernt, die Streifencops der Stadt dahinter. Einige weiße Stühle waren aufgestellt worden, auf denen die Würdenträger saßen, unter anderem der Commissioner, der Bürgermeister und der Stadtrat. Peter konnte auch Karens Sohn Todd sehen, der bei einem Mann stand, den der Shaolin nicht kannte, vermutlich seinem Vater. Es dauerte nicht lange, bis er seine alten Kollegen entdeckte und darauf zusteuerte. Auch Paul und Annie waren gekommen und standen bei Mary-Margaret. Kermit konnte er nirgends entdecken. "Ist er noch nicht da?", fragte er Chief Strenlich, der in schwarzer Ausgehuniform bei seinen Detectives stand. "Nein", war die besorgte Antwort. Peter sah sich um, anschließend auf die Uhr. In zehn Minuten würde die Beisetzung anfangen, und allmählich machte sich die Überlegung in seinem Geist breit, dass Kermit vielleicht doch nicht kam. Er blickte zu Paul, der versichernd nickte; er wusste genau, was sein Ziehsohn dachte. Die Trauer die von den vielen Menschen ausging schien Peter fast zu erschlagen. Er fühlte sie, konnte sie wahrnehmen, fast in der Luft greifen. So viel Schmerz, Angst und Traurigkeit auf einem Haufen raubte ihm den Atem. Er schloss kurz die Augen und konzentrierte sich, um diese Schwingung auszublenden, sonst würde er es an diesem Ort nicht lange aushalten können. Tatsächlich gelang es ihm nach einigen kontrollierten Atemzügen, nur noch seine eigenen Gefühle zu spüren. Nach ein paar Minuten sahen die anwesenden Trauergäste den Priester über das Gras kommen. Wieder schaute sich Peter nach seinem besten Freund um, sah ihn aber nicht. Der Geistliche positionierte sich hinter dem mobilen Pult, das vor der Menge aufgestellt worden war und schlug seine Bibel auf. Wieder sah sich Peter um. Dann schließlich entdeckte er ihn. Mit einer einzelnen weißen Rose in der Hand kam er auf ihn zu, sah ihn aber nicht an. Ganz in der Nähe der Cops des 101. Reviers stellte er sich wortlos in die erste Reihe und starrte auf den hölzernen Sarg, welcher mit der Nationalflagge abgedeckt worden war. Ein leises Raunen ging durch die Belegschaft des Reviers, als sie einer nach dem anderen Kermit sahen. Er hatte sein Äußeres stark verändert; seine Haare hatte er auf ein oder zwei Zentimeter Bürstenschnitt gekürzt, sein Gesicht war glattrasiert. Peter beobachtete seinen Freund, die starre Haltung, der bewegungslose Blick, das müde und alt wirkende Gesicht. Er vermutete, dass Kermit in den letzten Tagen und Nächten nicht viel geschlafen hatte, wenn überhaupt. Der Shaolin konzentrierte sich auf ihn, versuchte etwas wahrzunehmen, was er unterbewusst ausstrahlte. Allein die optische Veränderung machte ihn schon nachdenklich und ließ irgendetwas dahinter vermuten. Die ersten Worte des Priesters hörte Peter nicht einmal. Seine Fixierung auf den früheren Söldner war so stark, dass alles andere ausgeblendet wurde. Tatsächlich konnte er etwas spüren, auch wenn er deutlich wahrnahm, dass Kermit es um alles in der Welt nicht nach außen tragen wollte. Peter spürte, dass er etwas vorhatte, und er erkannte auch schemenhaft, was es war. Er konnte sich selbst nicht erklären, warum er das so deutlich wahrnahm, aber er sah es klar vor seinem inneren Auge. Sein Freund hatte einen Plan gefasst, und er, Peter, würde nach der Beisetzung versuchen, ihm diesen wieder auszureden, das nahm er sich fest vor. Zunächst aber würde er eine gute Freundin beerdigen und sich ein letztes Mal von ihr verabschieden. Stumm lauschten sie alle den Worten des Priesters, der einfühlsam auf Karen einging und entsprechende Bibelstellen vortrug. Peter fragte sich unwillkürlich, mit wem er wohl über sie gesprochen hatte. Mit Kermit? Todd? Ihrem Ex-Mann? Keine Option konnte er sich wirklich vorstellen. Auf er anderen Seite war es auch völlig belanglos, Hauptsache er ehrte diese außergewöhnliche Frau und Polizistin, wie sie es verdient hatte. Und das tat er. Cat begann neben ihm leise zu weinen. Eine Hand vor dem Mund schluchzte sie nahezu lautlos, während Peter seine einarmige Umarmung verstärkte und sie fest an sich zog. Auch auf seinen Wangen glänzten einzelne Tränen. Schließlich traten zwei Sargträger vor, nahmen die Flagge vom Sarg und falteten sie, während vier weitere den Sarg in das Erdloch hinab ließen. Zeitgleich machten sechs uniformierte Polizisten einen Schritt vorwärts und zogen ihre Dienstrevolver, mit denen sie in gleichmäßigen Abständen Salutschüsse abgaben. Cat zuckte jedes Mal neben ihrem Mann zusammen, während Peter das Geschehen äußerlich reglos verfolgte, wenn auch in seinem Inneren alles durcheinander wirbelte. Zum einen Karens Tod, die Beerdigung, all die trauernden Menschen. Und zum anderen Kermit, der sich so sehr darauf konzentrierte, dass keiner etwas von seinem Plan mitbekam, dass er ihn dadurch komplett nach außen trug und den sensiblen Shaolin wissen ließ. Die Schüsse verhallten in der warmen Sommerluft und die zwei Sargträger hatten ihre Arbeit beendet. Sie übergaben das Stoffdreieck an Todd, der starr vor sich blickte, die Stirn traurig zusammengerafft. "Asche zu Asche. Staub zu Staub", sagte der Priester zum Abschluss seiner Predigt und warf bei jedem Satz eine Schaufel Erde auf den Sarg. Dann trat er zurück und ließ die Angehörigen und Freunde Abschied nehmen. Zunächst traten Todd und sein Vater vor und warfen mitgebrachte Blumen in das Loch, leise flüsterten sie Worte, die sonst keiner hörte. Als sie allerdings wieder zurücktraten, entstand eine peinliche Regungslosigkeit, als würde sich keiner trauen, der nächste zu sein. Endlich setzte sich Kermit in Bewegung. Er stellte sich direkt an den Rand und ließ die weiße Rose fallen, wobei sein Gesicht kaum eine Regung zeigte. Peter wusste, dass es im Inneren seines Freundes tobte und stürmte, aber wie immer ließ er nichts davon hinaus. Dann drehte er sich ab und ging über die Wiese davon, Peter schaute ihm besorgt hinterher. "Was ist?", fragte Cat und blickte mit verheulten Augen zu ihm auf. Ihr Mann nickte nur in Richtung von Kermits Rücken, der mit steifen Schritten vom Grab wegging. "Ich bin gleich wieder da", sagte er, wartete auf Cats Zustimmung und folgte seinem Freund dann, wobei er einen anderen Weg einschlug.
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