Teil 13
Autor: Ratzenlady
 

Kapitel 22

Paul nahm den Telefonhörer ab.

"Ja?" meldete er sich.

"Hier ist Bear", sagte die Stimme am anderen Ende. Paul zog scharf die Luft ein.

"Was denkst du dir dabei, hier anzurufen?", zischte er ins Telefon, mit einer winzigen Hoffnung, dass Annie vielleicht nicht hörte, was er sagte. Aber ihre zusammengeraffte Stirn zeigte ihm sofort, dass sie sehr wohl vernahm, was gesprochen wurde.

"Keine Angst, die Leitung ist sicher, ich habe mich drum gekümmert."

"Das beantwortet nicht meine Frage!"

"Dann halt den Mund und hör mir zu! Ich habe Informationen über Kermit", sagte die raue Stimme. Paul fragte sich unweigerlich, ob er sie überhaupt hören wollte, aber Bear ließ ihm keine Zeit, seine Bedenken zu äußern.

"Er ist verletzt und braucht Hilfe, Paul. Er befindet sich in Gefangenschaft. Ich kann zu den Rebellen, denen er sich angeschlossen hat, keinen Kontakt aufnehmen, zu riskant. Aber DIR kann ich sagen, wo er sich aufhält", referierte der Farbige und wartete dann auf eine Antwort.

Paul stand völlig sprachlos da. Was hatte er eben noch zu Peter gesagt? Solange sie nichts hörten...? Solange es keinen verdammt guten Grund gab...? Er muss da alleine durch...? Mit einem Schlag war plötzlich alles hinfällig, was er eben noch mit breiter Brust verteidigt hatte.

"Ich frag jetzt besser nicht, woher du das weißt, also schieß los!", sagte er und zog sich einen Block herbei, um die Koordinaten aufzuschreiben. Alles, was Bear ihm sagte, notierte er sorgfältig auf dem Stück Papier.

"Das war's", sagte er schließlich, "wenn du jetzt noch mal telefonieren möchtest, dann tu das, ich halte deine Leitung noch ein paar Stunden sicher, sagen wir, bis Mitternacht. In der Zeit kannst du sprechen mit wem du willst."

"Danke dir", sagte Paul nur knapp und legte dann auf. Entsetzt blickte er aus dem Fenster, bis Annie ihn unterbrach, ihre Stimme klang erschrocken.

"Was ist passiert Paul?", fragte sie mit blassem Gesicht.

Er eilte zu ihr herüber und legte ihr die Hand auf die Schulter, um sie zu beruhigen.

"Ich muss telefonieren", sagte er fahrig und wollte sich schon wieder abwenden, aber seine Frau hielt ihn fest.

"Paul!"

"Entschuldige, Schatz. Das war jemand, dessen Name du gar nicht kennen musst. Es geht um Kermit, ich... ich muss jetzt erstmal telefonieren!", erklärte er und ging dann wieder zum Telefon.

"Ist ihm etwas passiert?", fragte sie erschrocken.

"Wie es aussieht", sagte er vage. Zu viele Informationen wollte er ihr gar nicht geben.

"Du willst da hin, nicht wahr? Ans Ende der Welt, oder wo auch immer er steckt!", sagte sie zornig. Beide wussten, dass diese Frage völlig überflüssig war, aber aus irgendeinem Grund wurde sie doch immer wieder gestellt.

"Ich muss! Ich werde ihn da raus holen, und wenn es mir irgendwie möglich ist, auch nach Hause bringen!", sagte er und griff dann nach dem Telefon.

Annie gab sich zunächst geschlagen, auch wenn ihr Gesichtsaudruck verriet, dass sie ganz und gar nicht einverstanden war.

* * *

Kermit fühlte einen kühlen Lappen auf seiner Stirn, er lag auf einer harten Unterlage, sein Brustkorb schmerzte höllisch. Überrascht musste er feststellen, dass er offensichtlich überlebt hatte; und er wusste noch nicht, ob er sich darüber freuen sollte. In den letzten Sekunden vor der Ohnmacht hatte er mit seinem Leben abgeschlossen, hatte es für sich beendet und diesen Umstand für gut befunden.

Jetzt kamen die Dämonen, die ihn hier her getrieben hatten, wieder an die Oberfläche. Karen wurde erschossen, und er hatte es nicht verhindern können, hatte wehrlos zugesehen und nichts getan. Eine leise Stimme in seinem Kopf redete auf ihn ein, dass er nichts dafür konnte, dass es nicht seine Schuld war, aber er überhörte sie absichtlich. Es hatte bestimmt eine Möglichkeit gegeben, aber er hatte sie verpasst. Und nun war die Frau, der er zum ersten Mal seit langer Zeit sein Herz geöffnet hatte, tot.

Er fühlte die Leere, die in seinem Herzen geblieben war, die Wut auf sich selbst und die Trauer über den Verlust. Das tat mehr weh als die Schusswunde, die seinen Brustkorb zeichnete. Erst jetzt wurde ihm wirklich bewusst klar, dass er in den Dschungel gereist war, um zu sterben. Es ging nicht um Aggressionen und Zorn, nicht darum diesen mit Gewalt und Kampf zu besiegen, sondern einzig und allein darum, hier zu Tode zu kommen, weit weg von allen Menschen, zu denen er eine enge Beziehung hatte.

Bevor er wehmütig an Paul und Annie, Peter und Cat, und alle anderen denken konnte, hörte er ein Geräusch, das seine Aufmerksamkeit einforderte und ihn zurück in die Gegenwart holte. Wo auch immer er war, jetzt wurde eine Plane zurückgeschlagen. Der Söldner in ihm übernahm wieder das Kommando.

Kermit konnte sich nicht sicher sein, wo er war. Vielleicht im Lager der Rebellen, vielleicht aber auch in Gefangenschaft der Soldaten. Bewegungslos lag er da und ließ die Augen geschlossen, gespannt, was nun passierte.

Er hörte leichte Schritte, die auf ihn zu steuerten, dann klapperte etwas, der Lappen wurde von seiner Stirn genommen. Dann konnte er eine sanfte Berührung auf seiner Stirn fühlen, jemand testete seine Temperatur und legte ihm dann ein frisches feuchtes Tuch wieder darauf. Kermit glaubte zu spüren, dass es die Hand einer Frau war, so weich und sanft strich sie über sein Gesicht.

Anschließend tastete sie seine Brust ab, nahm den Verband ab, reinigte die Wunde und legte einen frischen darauf. Der Söldner war schon oft genug in provisorischen Lagern an Schusswunden versorgt worden, um zu wissen, dass hier grade die tägliche Nachsorge stattfand. Er hatte kein Gefühl dafür, wie lange er schon hier lag und wann er angeschossen worden war. Es konnten durchaus schon mehrere Tage sein.

Während sie die gebrauchten Utensilien zusammenraffte, um sie dann in einem Sack zu entsorgen, begann sie etwas zu summen. Als sie zum Schluss ihm noch einmal die Hand auf die Wange legte, öffnete er die Augen. Freundlich lächelte sie ihm zu.

"Wie geht es ihnen?", fragte sie in erstaunlich gutem Englisch.

"Ich lebe noch", sagte er grimmig und wusste immer noch nicht, ob es gut oder schlecht war.

"Wo bin ich?", hakte er nach und sah sich um. Aber die Innenausstattung des etwas größeren Zeltes gab ihm keinen Hinweis darauf, ob er in den Händen der Guten oder der Bösen war. Sie lächelte ihn an.

"Im Lager."

"Wer sind sie? Ich hab sie noch nie gesehen", argwöhnte er.

Sie sah ihn schüchtern an. "Mein Name ist Leia. Ich bin, oder ich war, Medizin-Studentin. Bis man das Studieren für ethnische Minderheiten verboten hat."

Kermit betrachtete sie genauer, sie war vielleicht fünfundzwanzig und ihre Haut war nicht so dunkel wie die der meisten, mit denen er kämpfte.

"Ich bin halbe Südafrikanerin. Mein Blut ist unrein, wie sie es so schön ausdrücken", sagte sie frustriert über die neue Regierungspartei, die mit ihren Maßnahmen gegen jede Minderheit schon unzählige Menschenleben auf dem Gewissen hatten.

Kermit nickte nur, dann sah er an seiner Brust hinab, auf der ein dicker weißer Verband lag. "Danke", sagte er matt und wollte aufstehen, aber auf halber Höhe nahm sie seine Schultern und drückte ihn wieder auf sein Krankenbett. Kermit konnte einen kurzen Blick aus dem Fenster erhaschen, aber nichts Genaues sehen.

"Welcher Tag ist heute?"

"Sonntag. Sie waren zwei Tage bewusstlos."

"Was ist in der Zwischenzeit passiert?"

"Die anderen mussten das Lager räumen und umziehen. Sie hätten sie fast erwischt. Ich bin vorgestern erst dazu gestoßen, grade als man sie brachte."

"Warum? Konnten sie nicht fliehen?", fragte er. Noch immer handelte es sich nicht um Interesse, sonder um pures Misstrauen.

"Ich hätte fliehen können. Aber dies ist meine Heimat, ich will sie nicht kampflos aufgeben."

Kermit beobachtete sie schweigend. Ihren Gang, ihre Art, das was sie sagte. Er wusste noch nicht sicher, ob er Leia glauben wollte. Aber auf der anderen Seite beschränkten sich die Armeen darauf, die Rebellen zu töten, und sie nicht mit hinterlistigen Täuschungsmanövern irgendwie auszuhorchen. Jedenfalls hatte Bear ihm das gesagt.

Dann aber kam sein gesunder Menschenverstand zurück. Er war im Lager? Sie war erst vor zwei Tagen dazu gestoßen? Das konnte nicht passen! Er war viel zu weit vom Lager entfernt, Stunden waren sie gefahren. Und die Tatsache, dass die Soldaten sie erwartet hatten, ließ nur die Schlussfolgerung zu, dass das andere Lager, zu dem sie die Waffen bringen sollten, bereits überfallen und zerstört worden war.

Unmöglich waren sie die weite Strecke gefahren, hatten ihn dort gefunden und dann wieder zurück zu Mekapu gebracht. Zudem nahm er Neulinge nicht bei sich auf, da er an vorderster Front kämpfte. Nur erfahrene Männer und deren Familien, wenn sie denn so wollten, kamen bei ihm rein. Alle anderen wurden auf zurückliegende Gegenden verteilt, in denen die Gefahr nicht so groß war.

Nach all diesen Gedankengängen war er überzeugt davon, dass die Soldaten ihn gefangen hatten, vermutlich um Mekapus Standort aus ihm herauszubekommen. Der Söldner beschloss, sich noch nichts anmerken zu lassen und das Spielchen noch eine Weile weiter zu spielen.

"Haben sie mich behandelt?", fragte er.

Die junge Frau nickte. "Ich habe die Kugel entfernt und die Wunde genäht", sagte sie fachmännisch, dann sah sie in seine Augen, "es war knapp."

Kermit nickte, dann sah er sich wieder um. "Meine Brille hat man nicht zufällig gefunden, oder?"

Sie drehte sich rum und ging zu einem kleinen Karton, der am Fußende von Kermits Liege stand.

"Ich sehe mal bei ihren persönlichen Sachen nach", teilte sie ihm mit, was sie da tat.

Er konnte sehen, wie sie ein zusammengelegtes Hemd hochhob, in dem Karton wühlte, es wieder darauf legte. Dann hielt sie die Brille lächelnd in die Höhe und reichte sie ihm.

"Aber wofür brauchen sie die?" Kermit antwortete, indem er sie sich auf die Nase setzte.

"Tragen sie die immer?", fragte sie neugierig weiter.

"Ja, eigentlich schon."

"Warum?"

*Smalltalk*, schoss es ihm durch den Kopf.

"Das ist meine Sache", sagte er abweisend, zu offen durfte er nicht sein, auch wenn er zunächst so tun wollte, als ahnte er nichts. Seine Gedanken überschlugen sich aktuell, wie er sich verhalten sollte, damit er vielleicht eine Chance zur Flucht hatte. So sehr er auch einem Todeswunsch hier her gefolgt war, sein angeborener Überlebensinstinkt überschattete grade sein Denken.

"Wenn sie meinen. Ich komme später noch mal, um nach ihnen zu sehen", sagte sie resignierend und verließ den Raum. Offenbar ahnte sich noch nichts davon, dass er Bescheid wusste.

Sobald sie aus der Tür war, versuchte er, seinen Oberkörper anzuheben, aber der Schmerz ließ ihn nicht weit kommen. Er ließ sich wieder zurück sinken und legte seine rechte Hand auf die Brustwunde, das Gesicht schmerzhaft verzogen. Es hatte ihn übel getroffen, und es glich schon an ein Wunder, dass er überlebt hatte. Er fragte sich für eine winzige Sekunde, ob vielleicht ein Shaolin-Priester seine Finger da im Spiel hatte, verwarf den Gedanken aber sofort wieder; Peter konnte viel, aber nicht alles.

Er dachte einen Moment melancholisch an die Freunde in Sloanville, vor allem an Paul und Peter. Sie verstanden ihn so gut, wie kein anderer, sie kannten seine Vergangenheit, wussten, welches Leben er führte. Und sie hatten seine Entscheidung akzeptiert, denn ansonsten hätte er schon längst irgendeine Nachricht bekommen. Schließlich kannte Paul die entsprechenden Connections, um herauszufinden, wo er sich aufhielt. Seine Anweisung an Rykker hin oder her.

Er versuchte ein weiteres Mal aufzustehen, diesmal aber rollte er sich dazu auf die Seite, streckte die Füße vor und ließ sich dann von der Liege fallen. Er landete vorn übergebeugt auf seinen Beinen und richtete sich langsam und unter Schmerzen auf.

Sein erster Blick ging zu der Kiste, aus der die Frau seine Brille gezogen hatte, aber erwartungsgemäß war die Desert Eagle nicht darin. Außer seinem Hemd und seinen Zigaretten war der Karton leer. Kermit machte zwei steife Schritte und versuchte mühsam, sich hinabzubücken, aber das Brennen seiner Wunde ließ ihn nicht tief genug kommen, um die Zigaretten aufzuheben.

"Scheiß drauf", murmelte er leise und wandte sich wieder ab. Langsam ging er zur Tür, stellte sich an die Zeltwand und lauschte nach draußen, konnte allerdings nichts hören. Aus seiner früheren Erfahrung allerdings wusste er, dass das nichts bedeuten musste, es konnte durchaus sein, dass es Wachposten vor seiner Tür gab, mit ziemlicher Sicherheit sogar.

Es war nicht das erste Mal, dass er in einer solchen Situation war, aber das erste Mal, dass er nicht mit Schützenhilfe rechnen konnte. Das erste Mal, dass keiner von seiner Gefangenschaft wusste. Mekapu rechnete sicherlich damit, dass er genauso tot wie alle anderen war.

Er lüftete die Plane einen Spalt und sah hinaus, direkt auf den Rücken eines Soldaten, der vor dem Durchgang stand. Kermit fluchte innerlich, er konnte nicht an dem Mann vorbei sehen, nicht erkennen, ob sich ein Angriff überhaupt lohnte oder ob es dort noch mehr Anwesende gab, die ihn sofort stellten.

Die Entscheidung wurde ihm allerdings abgenommen, als er die Stimme der Frau hörte, die sich als Leia vorgestellt hatte. Schnell drehte er sich um und eilte wieder zu seiner Liege, unter Schmerzen legte er sich hastig darauf und tat so, als wäre nichts gewesen. Keine Sekunde zu früh, denn in diesem Moment trat sie schon wieder zu ihm ins Zelt.

"Geht es ihnen etwas besser?", fragte sie noch immer freundlich. Kermit aber beobachtete sie hinter der Brille und suchte nach Waffen, die sie bei sich trug und die er ihr abnehmen konnte. Allerdings konnte er zunächst nichts entdecken.

"Ja", antwortete er nur knapp auf ihre Frage.

"Wo war das Lager eigentlich früher platziert?", fragte sie nebenbei, während sie die Kartons mit dem Verbandmaterial überprüfte. Das wollten sie also von ihm, sie wollten wissen wo das Hauptlager aufgeschlagen war.

"Wo ist es denn jetzt platziert?", startete er die skeptische Gegenfrage.

Er konnte ihr ansehen, dass sie damit nicht gerechnet hatte. Offensichtlich wussten sie nicht im Ansatz, wer er war und dass er nicht so leicht auszuhorchen war. Allerdings wusste er auch, dass sie es aktuell mit Zuckerbrot versuchten, sollte das aber fehlschlagen, käme die Peitsche.

"Nun, wir sind etwa hundert Meilen süd-östlich der Hauptstadt", sog sie sich aus den Fingern, da war Kermit sicher. Zudem diese Angabe einen Umzug über grobe achthundert Meilen bedeutet hätte, das konnte sie aber nicht ahnen.

Als sie sich bückte, um eine zerknüllte Mullbinde aufzuheben, sah Kermit für einen Moment ein Messer, dass unter ihrem Hemd am Hosenbund befestigt war. Das war seine Chance. Er wusste, dass er schnell sein musste, und dass es höllisch wehtun würde in seiner Brust, aber er musste es riskieren.

"Also, wo war das Lager vorher?", fragte wieder mit völlig nebensächlicher Tonlage nach.

"Warum wollen sie das denn unbedingt wissen? Ist doch egal, wenn es ohnehin geräumt werden musste", sagte er kalt. Sie drehte sich mit einem Lächeln auf den Lippen rum und trat näher an ihn heran.

*Noch ein Stückchen*, beschwor er sie in Gedanken, um an ihre Waffe zu kommen, aber zunächst blieb sie mit gebührendem Abstand stehen, ihr Blick wirkte verlegen.

"Ich bin einfach neugierig. Das war schon immer meine Schwäche", erklärte sie ihm und trat tatsächlich etwas näher.

*Komm schon!*

"Das sollten sie sich abgewöhnen", sagte er nur knapp dazu.

Wieder lachte sie, als hätte der Söldner einen Witz gemacht und machte den finalen Schritt auf Kermit zu, der blitzschnell reagierte.

Brennender Schmerz durchflutete seine Brust, als er sich schnell aufrichtete, zeitgleich nach dem Messer griff und sie mit dem anderen Arm umfasste. Hart und gefühllos drückte er die Klinge an ihre Halsschlagader, ehe sie wusste, was passiert war.

"So, Herzchen, jetzt drehen wir das Spiel mal rum!", zischte er ihr von hinten ins Ohr. Aber noch immer hielt sie ihre Rolle aufrecht, auch wenn der frühere Cop ihr kein Wort glaubte.

"Was… was soll das?", stammelte sie schwach, schien dann aber zu merken, dass sie ihn nicht mehr beeindrucken konnte.

Laut brüllte sie etwas in der Landessprache, dass Kermit als den Alarmruf kannte. Zwei Sekunden später standen drei Soldaten mit vollautomatischen Gewehren vor ihm.


Kapitel 23

Peter fühlte sich schlecht, während er den Stealth wieder nach Chinatown steuerte. Warum hatte er Paul so angefahren? Natürlich glaubte er nicht, dass sein Pflegevater sich keine Sorgen machte, tatsächlich hatte er seine Besorgnis sogar ein wenig spüren können, aber das Gefühl verdrängt.

Der Shaolin beschloss Paul anzurufen und sich zu entschuldigen, sobald er wieder im Loft war. Er fuhr sich durch die Haare, wütend auf sich selbst, in sein altes hitzköpfiges Verhalten zurückzufallen. Warum blieb er nicht ruhig und besonnen, wie es sein Vater immer gewesen war? Wie er es mittlerweile eigentlich auch war.

Es war die Hilflosigkeit, die es ihm so schwer machte, ruhig zu bleiben. Er war hier, unendlich weit weg von seinem Freund, und konnte ihm nicht helfen. So wie er Karen nicht hatte helfen können, weil er nicht da gewesen war.

"Glaube mir, mein Sohn, es ist nicht deine Schuld", hörte er die Stimme seines Vaters in seinem Kopf. Das waren die Worte, zusammen mit dem Blick in seine Augen, die es ihn hatten glauben lassen. Aber was, wenn sein Vater Unrecht hatte? Was, wenn es doch allein seine Schuld war?

Peter fuhr sich über sein Gesicht und lenkte den Wagen auf seinen angestammten Parkplatz. Abgesehen von Kermits Abwesenheit hatte sich allmählich die Normalität wieder eingeschlichen und sie alle über den Verlust einer guten Freundin und Kollegin hinweggetröstet.

Aber was war mit Kermit? Was tröstete ihn hinweg, außer Hass und Schmerz? Was verhalf ihm dazu, wieder klar denken zu können, außer Gewalt und Tod? Peter war sich noch immer sicher, dass sein Freund einen völlig falschen Weg eingeschlagen hatte, aber er hatte ihn nicht davon abhalten können.

Hätte er Kermit an diesem Tag festgehalten und ihn gezwungen, zu bleiben, auf welche Weise auch immer, hätte er ihn garantiert zerstört. Er konnte nicht bleiben, aber sein Ziel war das falsche. Peter erinnerte sich an die Schwärze, die Kermits Geist überschattet hatte, so dunkel und böse wie der Tod selbst. Und der Shaolin hatte Angst, dass es genau das war, wonach sich Kermit auf die Suche begeben hatte

Mit schweren Gedanken stieg der junge Mann langsam die Treppe hoch und trat in den Flur. Es war still in der Wohnung, also war seine Frau noch nicht wieder da. Er seufzte tief und ging dann ins Wohnzimmer, um sich das Telefon zu holen. Schnell wählte er die Nummer und ging dann während dem Freizeichen auf den Balkon, um seinen Blick und seine Gedanken einen Moment schweifen zu lassen.

"Hallo?", meldete sich Annie am Telefon.

Peter rollte die Augen, so gern er seine Mutter hatte, jetzt hätte er lieber direkt Paul am Hörer gehabt.

"Hi Mom. Tut mir Leid, dass ich vorhin so schnell weg war. Ist Paul auch da?", sagte er mit müder Stimme. Während er über Chinatown schaute wartete er auf die Reaktion seiner Mutter. Es trat eine erstaunlich lange Pause ein, die Peter zunächst nicht beachtete.

"Er ist nicht zu Hause, Peter. Alles in Ordnung?"

"Ja, ich… wollte ihm nur noch was sagen", erklärte Peter den Grund seines Anrufes.

"Was denn? Dann richte ich es ihm aus", sagte sie, obwohl sie genau wusste, dass es ein paar Tage dauern würde, bis Paul zurückkam. Aber das war das letzte, was sie Peter sagen wollte, es war schon schlimm genug, dass ihr Mann sich in Gefahr begab.

"Schon gut. Wo ist er denn hin?", fragte Peter völlig nebenbei, aber die erneute Stille am anderen Ende ließ ihn plötzlich und ohne bestimmbaren Grund unruhig werden.

"Nun, ich weiß nicht genau, er… er wollte noch was besorgen", sagte Annie zögerlich.

Peter kniff die Augen zusammen, ein sicheres Gefühl sagte ihm, dass sie log und sehr wohl wusste, wo sein Pflegevater steckte. Aber warum wollte sie es ihm nicht sagen?

"Bitte, Mom, lüg mich nicht an", sagte er geradeheraus. Seine Stimme klang noch immer müde, hatte aber einen bestimmenden Unterton.

"Peter, ich weiß nicht…"

"Mom! Bitte!", fuhr er ihr dazwischen.

Er hörte ihr Schnaufen am anderen Ende, aber zunächst sagte sie nichts. Wo konnte Paul sein? Peter dachte nach; was konnte es sein, das seine Mutter ihm nicht sagen wollte? Und dann überkam es ihn schlagartig, mit einer Gewissheit, die keinen Zweifel ließ.

"Es geht um Kermit, nicht wahr?", sagte er verbittert darüber, dass offensichtlich Paul doch mehr wusste, als er noch vor kurzem zugeben wollte.

Wieder herrschte einen Moment Stille, ehe Annie zu einer Antwort ansetzte.

"Peter, bitte, ich kann dir nicht sagen, wo Paul ist."

"Aber warum nicht? Wo ist Kermit? Ist was passiert?", platzte Peter sofort heraus. In seinem Inneren schlug sein Vorstellungsvermögen Purzelbäume, er erinnerte sich an seine Alpträume und dieses plötzliche ungute Gefühl neulich Nacht.

"Ich kann es dir nicht sagen! Versteh doch, Peter, es geht nicht!", beharrte sie.

Peter spürte langsam Wut in sich aufsteigen. "Verdammt Mom! Warum kannst du mir das nicht sagen? Vielleicht kann ich helfen!", sagte Peter laut ins Telefon.

"Du kannst nicht helfen, Peter! Reicht es nicht, dass dein Vater schon weg ist? Willst du dich auch noch Hals über Kopf in die Gefahr stürzen? Seid ihr denn alle wahnsinnig?!", sagte sie jetzt völlig außer sich vor Zorn und gleichzeitiger Sorge!

Peter seufzte schwer. Er hatte keine wirkliche Wahl, Annie war hartnäckig, sie würde ihm nicht sagen, wo Kermit war, wohin Paul wollte. Egal wie lange er sie nervte, das Einzige was er erreichte, war dass sie wütend wurde. Der Gedanke gefiel ihm ganz und gar nicht, aber er hatte keine Möglichkeit, etwas an der Situation zu ändern.

"Entschuldige", sagte er leise, "aber ich mach mir Sorgen. Und die Tatsche, dass ich nicht helfen kann, und Paul schon, das… das kann ich nicht!"

"Ach Peter", sagte sie jetzt mit versöhnlichem, liebevollem Tonfall, "die beiden schaffen das schon. Mach dir keine Sorgen. Ich kann dir nicht sagen, wo Kermit ist, selbst wenn ich es wüsste." Sie verschwieg ihm absichtlich, dass ihr gemeinsamer Freund in Gefahr schwebte, denn es reichte, dass sie sich Gedanken darüber machte.

"Du weißt es nicht?", hakte Peter jetzt überrascht nach.

"Nein. Paul hatte es aufgeschrieben, aber dann die obersten Zettel mit abgerissen, damit man es nicht abpausen kann. Du kennst ihn doch", erklärte sie ihm.

Peter nickte, jetzt glaubte er ihr, was sie sagte. Das war typisch für seinen Pflegevater, er dachte immer an alles.

"Warum hast du das denn nicht gleich gesagt?", fragte er schuldbewusst. Hätte sie das getan, hätte er sie wahrscheinlich nicht so angefahren.

"Hätte das denn einen Unterschied gemacht? Ich kenne dich, Junge. Ich weiß doch, dass es dir schwer fällt! Aber akzeptiere doch einmal, dass du nicht helfen kannst. Diesmal ist es nicht deine Aufgabe, die Welt zu retten", sagte sie liebevoll.

Peter seufzte schwer, aber er konnte tatsächlich nichts tun, solange er nicht wusste, WO Kermit war.

"Tut mir Leid, aber glaub mir, es ist besser so", versuchte sie, ihn zu beruhigen.

Peter seufzte schwer, zu gerne würde er etwas tun und seinen besten Freund persönlich wieder nach Hause bringen.

"Warum hat er es mir denn nicht erzählt?" fragte Peter weiter, diesmal mehr verzweifelt als wütend.

Wieder dauerte es, bis seine Mutter antwortete. Der Shaolin ging davon aus, dass sie zunächst überlegen musste, wie viel Wahrheit sie ihm erzählen wollte.

"Du kannst es nicht lassen, was?"

"Nein."

"Er wusste es nicht, Peter. Nachdem du weg warst, hat das Telefon geklingelt, und dann ist er aufgebrochen. Mehr weiß ich wirklich nicht", sagte sie und war sich bewusst, dass sie log. Aber warum sollte sie ihrem geliebten Sohn mehr Sorgen und Schmerz antun, als unbedingt notwendig.

"Also gut. Danke Mom, dass du mir wenigstens das erzählt hast. Dann bleibt mir wohl tatsächlich nichts anderes, als abzuwarten und zu hoffen, dass die beiden zusammen zurückkommen", sagte er unglücklich über diesen Umstand, von seiner Mutter aber erntete er nur Zustimmung.

"Ach Mom?", fragte er noch schnell kurz bevor sie sich verabschieden wollten, "tu mir einen Gefallen und melde dich, wenn du irgendwas hörst, ja? Egal was! Spätestens wenn Dad wieder da ist. OK?", sagte er sorgenvoll und bekam zur Antwort ein Versprechen, dass sie es so tun würde. Dann verabschiedeten sie sich und Peter brachte das Telefon zurück ins Wohnzimmer.

Jetzt machte er sich richtige Sorgen. Unzählige Fragen schossen durch seinen Kopf, und der einzige der sie ihm beantworten konnte, hatte sich aufgemacht, um nach Kermit zu suchen. Hatte der Freund selbst angerufen? Oder jemand anderes? Wenn ja, wer? Und warum? War etwas passiert? Schwebte Kermit vielleicht in großer Gefahr?

Peter fuhr sich durch die Haare. All diese Spekulationen halfen ihm nicht, er konnte nur warten, bis sie wieder da waren, und das quälte ihn. Sofort würde er aufbrechen, um Kermit zu helfen und ihn zurückzuholen, aber dafür müsste er erstmal seinen Aufenthaltsort kennen. Aktuell hatte er ja nicht mal eine Ahnung, auf welchem Kontinent sich sein Freund war.

* * *

Kermit starrte in die Augen der Soldaten, dabei hielt er Leia mit einem Arm fest umklammert und ließ ihr kaum Bewegungsfreiheit. Sie hatte sicherlich eine Kampfausbildung, also machte er sich auf einen eventuellen Angriff ihrerseits gefasst, auch wenn er das Messer hart gegen ihren Hals drückte.

Zwischen den Soldaten kam jetzt ein Mann in hochgradiger Uniform zu ihnen und stellte sich vor die drei Bewaffneten. In seiner Hand baumelte eine kleine, automatische Pistole, seine Mundwinkel zeigten die Ansätze eines Grinsens.

"Ich bitte sie! Glauben sie wirklich, die Frau ist so wichtig?", fragte er in gebrochenem Englisch, das aber reichte, um ihn zu verstehen.

Kermit kniff nur die Augen zusammen, der Trick war alt und bekannt, er hatte ihn sogar schon selbst angewandt.

"Auch ich spreche ihre Sprache, auch andere können Wunden verbinden. Wir brauchen sie nicht", führte der Offizier weiter aus, aber noch immer glaubte Kermit ihm kein Wort. Allerdings spürte er die Anspannung der jungen Frau, die offenbar Angst bekam.

Er hatte keine wirkliche Wahl, er musste drauf bauen, dass sie wichtig für seine Feinde war, ansonsten war er mit ziemlicher Sicherheit bald tot. Und trotz seines ursprünglichen Todeswunsches war es ihm auf einmal nicht mehr egal, ob er starb. Sein Überlebenswille hatte nun die Oberhand in seinem Inneren, und aktuell war er nicht einmal böse darum.

Der Offizier zwischen den regungslosen Soldaten aber grinste noch immer, dann plötzlich schnellte sein Arm mit der Waffe nach oben und zielte. Die Frau zog scharf die Luft ein, auch Kermit erschrak, dann wurde sie von einer Kugel zwischen den Augen getötet. Der Söldner hatte sich unterdes zur Seite geworfen, um nicht vom Durchschuss ebenfalls getroffen zu werden.

Jetzt lag er mit einer höllisch schmerzenden Brustwunde am Boden, das Messer in der Hand, aber völlig wehrlos. Seine Arme umklammerten seinen brennenden Brustkorb, durch den Aufprall war die Naht geplatzt, das spürte er deutlich. Jetzt sickerte Blut in seinen Brustverband und bunte Punkte tanzten vor seinen Augen, während der Befehlshaber vor ihn trat.

"Ich hab es ihnen doch gesagt", sagte er arrogant, dann trat er mit seinen Stahlkappenschuhen heftig in Kermits Magengrube, sodass sich der Söldner vor Schmerz noch mehr auf dem Boden krümmte. Dann schwand sein Bewusstsein und er wurde in die Ohnmacht abgetrieben.

Als er wieder zu Bewusstsein kam, fand er sich auf einem harten Holzstuhl wieder, auf dem man ihn mit Seilen fixiert hatte. Seine Knöchel waren fest mit den Stuhlbeinen verbunden, seine Handgelenke mit den Armlehnen. Zusätzlich hatte man einen langen Strick mehrfach um seinen Bauch und die Stuhllehne gewickelt und letztendlich eine Schlaufe um seinen Hals gelegt und hinten befestigt. Er konnte sich so gut wie nicht mehr rühren, nur den Kopf hin und her drehen. Zudem fehlte seine Sonnenbrille und das störte ihn besonders.

Seine Brust schmerzte noch immer, schien aber neu verbunden worden zu sein, jedenfalls merkte er neue Klebestellen, die an seinen Brusthaaren ziepten. Ihnen schien offenbar viel an seinem Leben zu liegen, und er wusste natürlich, woran das lag. Sie wollten Informationen von ihm, wollten wissen, wo sich das Hauptlager der Rebellen befand. Aber solange er ihnen das nicht sagte, war sein Leben noch etwas wert, würden sie ihn nicht töten, würden ihm allerdings höllische Schmerzen zufügen.

Kermit kannte die üblichen Prozeduren der Folter, von großzügigen Angeboten und üblen Gewalttaten, die sich abwechselten wenn man hartnäckig schwieg; und genau das hatte er vor. Sein Schweigen war die einzige Lebensversicherung, die er hatte, solange er den Mund hielt, brauchten sie ihn.

Trotzdem wusste er, dass auch dieses System seine Mängel hatte. War er zu schweigsam und es wurde deutlich, dass er nie etwas sagen würde, war sein Leben mit einem Schlag wertlos. Er musste sie also anfüttern, musste ihnen das Gefühl geben, dass sie früher oder später etwas aus ihm herausbekamen. Und die beste Taktik dafür war Arroganz, das kannte er aus Erfahrung, damit weckte man den Ehrgeiz des anderen, einen brechen zu wollen. Aber er wusste auch, dass es verdammt schwer wurde, unter Schmerzen die Überheblichkeit noch aufrechterhalten zu können.

Er schaute sich, soweit seine Fesseln es erlaubten, konnte allerdings nur feststellen, dass er allein war. Er befand sich in einem großen Zelt, mit seinem Stuhl direkt in der Mitte, und der einzige Gegenstand in seinem Blickfeld war eine große Metallkiste, die aussah wie ein Transportcontainer für mindestens zehn Maschinengewehre.

*Waffen sind sicherlich drin, aber keine Gewehre*, vermutete er in Gedanken. Er war davon überzeugt, dass diese Kiste alle möglichen Utensilien enthielt, die man brauchte, um jemanden gewaltsam zum Reden zu bringen.

Seine Analyse ging weiter und galt nun dem Stuhl, auf dem er gefesselt war. Er fragte sich unweigerlich, ob es Sinn machte, sich mit ihm umzuwerfen. Aber seine Fesseln saßen so gut, dass er sie dennoch nicht lösen könnte, das wusste er schon jetzt. Des Weiteren würde der nicht abgefangene Sturz seine Wunde neu aufreißen lassen, und die Schmerzen waren schon jetzt stark genug. Ihm blieb nichts weiter, als abzuwarten, was als nächstes passieren würde.


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