Kapitel 29 "Hier!", hallte die laute Stimme von Kermit Griffin durch das Revier. Alle Cops drehten sich völlig erstaunt zu ihrem Kollegen herum, der im Eingang stand und sein übliches, regungsloses Gesicht zeigte. Sie sahen nichts von seiner Unsicherheit in diesem Moment, seiner Angst, dass sie ihn wieder fortschickten. Sie sahen nur ihn, und sein geschundenes Antlitz. Aber er sah etwas, das ihn glücklich werden ließ. Auf den Gesichtern aller anwesenden Polizisten breitete sich ein glückliches Lachen aus, Freude strahlte in ihren Augen, dass er endlich zurückgekommen war, obwohl er schrecklich aussah und sich bunte Prellungen über sein halbes Gesicht zogen. Dieser Empfang rang ihm dann sein typisches Grinsen ab, während sein Herz sich mit einer Wärme füllte, von der er gedacht hatte, dass er sie nie wieder empfinden konnte. Paul hatte nicht gelogen, nicht übertrieben. Sie hatten sich Sorgen um ihn gemacht, sie hatten ihn vermisst, sie hatten ihm verziehen. Aber er hatte es noch vor zwei Tagen nicht glauben wollen, als Paul ihm den Kopf gewaschen hatte. Aber die glücklichen, wenngleich auch ein wenig besorgten Gesichter aufgrund seiner äußeren Erscheinung, zeigten es ihm deutlich. Das Gespräch mit Paul, irgendwo im tiefen afrikanischen Dschungel, hatte ihn mehr geheilt, als die zwei Wochen dort zuvor. Paul hatte Recht. Er hatte nie gegen das Regime gekämpft, sondern nur gegen sich selbst. Und die Menschen, auf die geschossen hatte, waren nicht die skrupellosen Soldaten, sondern seine eigenen Dämonen und Schuldgefühle gewesen. Jetzt aber war er wieder zurück. Und selbst wenn er nicht mehr ganz der alte Kermit war, so hatte er es doch geschafft, einen großen Teil seiner selbst wieder mit nach Hause zu bringen, ehe er ihn dort hatte zerstören können. * Es war noch dunkel, als er die Corvair durch das schlafende Chinatown steuerte. Es fühlte sich merkwürdig an, wieder hier zu sein, und noch war er sich auch nicht sicher, ob es wirklich richtig war. Paul hatte es gesagt, aber hatte er es auch gemeint? Und das andere Gespräch, das er geführt hatte, war auch das wahr? Er lenkte das giftgrüne Auto in die Tiefgarage und fuhr anschließend mit dem Lift in seine Etage. Während er von leiser Musik unterhalten wurde, betrachtete er sich seine Fingerspitzen, die noch immer empfindlich, gerötet und zum Teil entzündet waren. Aber Mekapu hatte ihm bei seiner Rückkehr ins Lager mit Schmerzmitteln und Antibiotika vollgepumpt und seine Wunden ärztlich versorgen lassen, sodass er seinen Heimweg, etwa fünfzehn Stunden nach Paul, hatte antreten können. Ängstlich und aufgeregt trat er durch den spärlich beleuchteten Flur bis zu seiner Wohnungstür. Er starrte auf den Schlüssel in seiner Hand, für einen Moment unfähig, ihn in das Schloss zu stecken und ihn zu drehen. War er wirklich bereit dafür? Konnte er die Räume wieder betreten, in denen er zumindest für eine Weile mit Karen gelebt hatte? Endlich schob das Metall ins die Öffnung und vollzog die zwei vollen Umdrehungen, bis die Tür einen Spalt weit aufsprang. Kermit hörte sich selbst laut durchatmen und allen Mut zusammennehmen, um sie aufzustoßen und einzutreten. Routiniert suchte seine Hand den Lichtschalter und fand ihn sofort, das Wohnzimmer wurde in helles Licht getaucht. Es war alles so, wie er es verlassen hatte, vor einer gefühlten Ewigkeit. Er war hier, er war zu Hause, er war wieder zurück. Noch wusste keiner davon, noch konnte er wieder gehen, ohne bemerkt zu werden, aber das war es nicht, was er wollte. Er war wiedergekommen, um zu bleiben, um zu prüfen, ob Paul Recht behalten sollte, mit dem, was er gesagt hatte. Langsam drückte er die Tür hinter sich zu und ging ein paar Schritte in den Raum hinein, um seinen Kleidersack und die Laptoptasche auf Sofa zu legen. Die leere Scotch-Flasche stand noch immer neben dem dreckigen Glas auf dem Wohnzimmertisch, wo er sie in der Nacht nach Karens Tod hatte stehen lassen. Sein Blick fiel auf den Anrufbeantworter, der ihm durch eine blinkende 2 die Anzahl der vorhandenen Nachrichten aufzeigte. Lange starrte er auf die LED-Lichter, unsicher, ob er hören wollte, was man ihm hinterlassen hatte. Vielleicht war es doch zu früh, vielleicht sollte er doch wieder gehen, vielleicht... "Nein!", unterbrach er seine eigenen Gedanken laut. Er war nicht zurückgekommen, um wieder zu fliehen, sondern um endlich wieder zu leben, das tote Gefühl in seinem Inneren endlich auszumerzen. Ein wenig zittrig beugte er sich vor und drückte seinen Zeigefinger behutsam auf den Abspielknopf, um sich nicht selbst wehzutun. Die erste Nachricht kam von einem Versicherungsmakler, der mit ihm mal über seine Lebensversicherung reden wollte. Kermit musste grinsen, zum einen, weil er davor ein wenig Angst gehabt hatte, zum anderen weil die einzige Lebensversicherung, die er brauchte, sicher in ihrem Holster unter seinem Jackett hing. Die zweite Nachricht aber machte ihn nachdenklich und zwang ihm eine schnelle Entscheidung ab, die er eigentlich noch aufschieben wollte. Es war Strenlich, und seine Stimme klang unsicher. "Kermit, ich... ich weiß nicht, ob sie das noch rechtzeitig hören. Der neue Captain wird Mittwoch um zehn anfangen, und er wird sie feuern, wenn sie nicht auftauchen. Ich habe keine Ahnung, wo sie stecken, und wegen mir könnten sie sich alle Zeit der Welt nehmen, aber... wie auch immer. Ich hoffe, sie hören das noch ab. Wir brauchen sie hier!" Kermit stand davor und starrte auf die Maschine. Nach dem, was Strenlich hinterlassen hatte, blieben ihm nur fünf Stunden, um sich zu entscheiden, ob er wirklich schon so weit war, in sein altes Leben zurückzukehren. "Wir brauchen sie hier!", hallte es im seinem Kopf nach. Konnte das wirklich sein? Konnte es stimmen, was Paul ihm versucht hatte zu erklären? Vermissten sie ihn tatsächlich? * "Was ist ihnen denn passiert, Griffin?", fragte Monahan entsetzt, als er in das geprügelte Gesicht Kermits blickte, der aber grinste nur breit. "Ich war im Urlaub", erwiderte er leichthin, schwang sein Jackett über die Schulter, peinlich auf seine Fingerspitzen bedacht, und lehnte sich lässig in den Türrahmen. Der Captain aber starrte ihn noch einen Moment an, dann machte er weiter mit der Anwesenheitsüberprüfung. Es fühlte sich gut an wieder hier zu sein, sie alle zu sehen, zu fühlen, dass Paul nicht übertrieben hatte. Unterdessen kündigte der neue Captain an, im Laufe des Tages noch Informationen dazu rauszugeben, wie er sich das Zusammenarbeiten in Zukunft vorstellte, aber zunächst sollten sie alle wieder an die Arbeit gehen. Kermit stieß sich vom Rahmen ab, kam aber keine zwei Schritte weit, dann stand schon Skalany vor ihm, sah ihn mit einer Mischung aus absoluter Freude und Schrecken über seine Gesichtsfarbe an, dann warf sie sich um seinen Hals. Kermit stöhnte kurz auf, legte aber eine Hand um ihren Rücken. Mit soviel Freude hatte er wirklich nicht gerechnet. "Gottes Willen, was ist dir denn passiert?", fragte sie, als sie sich wieder löste und Platz für Jody machte, die ihre Geste wiederholte. Kermit aber schwieg und lächelte nur. Er schlug sich durch seine Kollegen und freute sich innerlich über den herzlichen Empfang, auch wenn er es äußerlich nicht so deutlich machen konnte. Strenlich stand vor seiner Bürotür und hielt ihm wortlos lächelnd die Hand entgegen, die der Ex-Söldner ergriff und drückte. "Danke für ihren Anruf, Chief", sagte Kermit knapp und sah ihn über den Rand seiner Ersatzsonnenbrille an. Der schlug ihm die freie Hand auf die Schulter, ohne aber den Händedruck zu lösen. Kermit hatte nicht gemerkt, dass Strenlich zwischendrin hinabgesehen hätte, aber seine Aussage machte es deutlich. "Waren sie damit beim Arzt?", fragte er leise und drückte seine Hand. Kermit grinste noch immer undurchschaubar. "Es geht schon." Der Chief entließ ihn, er wollte grade sein Büro betreten. "Griffin!", donnerte es laut durch das Revier. Kermit erkannte die Stimme, nur langsam und mit einem bösen Gesichtsausdruck drehte er sich um starrte in Mullens Gesicht, der grade bei Broderick vorbei ging und auf ihn zukam. "Wer ist das?", fragte Monahan Strenlich leise, der sich mittlerweile neben ihm eingefunden hatte. "Detective Mullen, interner Ermittler, der wegen Captain Simms' Tod ermittelt", erklärte der Chief und sein abweisender Unterton war deutlich hörbar. Monahan zog die Brauen zusammen, dann richtete er sich auf. "Detective Mullen, kann ich ihnen helfen?", fragte er autoritär. Der Ermittler fuhr überrascht zu ihm herum. "Ich wollte Detective Griffin sprechen, schließlich war er in den letzten Wochen spurlos verschwunden", sagte er aalglatt und grinste, offenbar dachte er, dass Monahan seinen Unmut auf Kermit teilte. "Detective, wenn sie einen meiner Leute sprechen wollen, stimmen sie das zunächst mit mir ab, ist das klar?! Und Detective Griffins Urlaub war genehmigt, es gibt also keinen Vorwurf, den sie daraus ziehen können. Außerdem habe ich mit ihrem Vorgesetzten telefoniert, der mir versichert hat, dass die Ermittlungen im Fall Captain Simms abgeschlossen sind!", donnerte er ihm entgegen. Mullen war mit jedem Wort ein wenig kleiner geworden, der neue Captain hatte ihm den kompletten Wind aus den Segeln genommen. Zornig presste der Cop die Zähne zusammen, dann drehte er sich auf dem Absatz rum und verließ das Revier wieder, während alle Detectives seinen Abgang grinsend beobachteten. Das war ein absoluter Pluspunkt für Monahan, und Kermit nickte ihm anerkennend und dankend zu, ehe er sein Büro betrat und die Tür hinter sich schloss. Er stellte sich hinter die Glasscheibe mit der Jalousie und beobachtete seine Kollegen, die sich im Großraumbüro tummelten und nur langsam wieder an ihre Schreibtische begaben. Erst jetzt konnte er mit aller Deutlichkeit fühlen, wie sehr er diese Menschen, diesen Job und dieses Leben in den letzten Wochen vermisst hatte. Er blieb nicht lange im Dienst an diesem Tag, aber lange genug, um seinen Schreibtisch wieder einzurichten und das noch immer bestehende Computerproblem des Reviers innerhalb einer halben Stunde und mit einigen sehr vorsichtigen Tastenanschlägen zu lösen. Es fühlte sich gut an, so unendlich gut, wieder hier zu sein. * * * Gedankenverloren stand Cat vom Sofa auf, um in die Küche zu gehen und Mittagessen zu kochen. Peter hatte sich zur Meditation zurückgezogen und saß im Schneidersitz im Trainingsraum. Langsam zog sie die Tür auf und trat in den Flur, wo sie aber erstarrte. "Kermit!", flüsterte sie völlig überrascht, dann rannte sie auf ihn zu, stoppte aber direkt vor ihm. Die Arme hatte sie schon ausgebreitet, hibbelte aber jetzt von einem Fuß auf den anderen. Er lächelte sie einfach nur an. "Wo kann ich dich denn anfassen, ohne dir wehzutun?", fragte sie zunächst unsicher. Sein Gesicht sah furchtbar aus, und Paul hatte ja erzählt, dass sie ihn gefoltert hatten. Kermit aber grinste nur und zog sie fest in seine Arme, den inzwischen nur noch leichten Schmerz in seiner Brust unterdrückend. "Hallo Kleines", sagte er mit einem deutlichen Kloß im Hals. Cat schluchzte an seiner Schulter vor Glück und Überwältigung, als Peter völlig ungläubig in den Flur trat und seinen Freund ansah. Er hatte die Anwesenheit in der Meditation gespürt, aber es für seinen Streich seiner Wahrnehmung gehalten. Bis er Cat gehört hatte, wie sie seinen Namen aussprach. Während der Cop die junge Frau umarmte, blickten die Männer sich lange und intensiv in die Augen. Cat löste sich von ihm und wischte sich ihre Tränen weg, der Shaolin kam auf ihn zu und reichte ihm seine Hand, die Augen nicht abwendend. Kermit erfasste Peters Hand vorsichtig, drückte sie aber dennoch fest. Der junge Mann konnte durch die Berührung und den Blickkontakt deutlich Kermits Gefühle, den körperlichen Schmerz, aber auch die seelische Freude wahrnehmen. "Wie geht es dir?", fragte Peter, dem jetzt auch die Glückstränen in die Augen stiegen. "Ich lebe noch", sagte er mit einem Blick, der deutlich verriet, dass es fast nicht mehr so gewesen wäre. "Wir haben dich vermisst, Mann!", meinte Peter erstickt und zog ihn jetzt auch sachte in seine Arme, was der harte Kerl kommentarlos mit sich machen ließ und auch erwiderte. "Es ist schön, wieder hier zu sein. Sehr schön sogar", sagte Kermit und löste sich wieder von seinem Freund, der ihn jetzt, insbesondere seine Verletzungen, genauer betrachtete. Er sah Kermit nur an, der aber schüttelte den Kopf und grinste. Es ging ihm gut. Er war wieder zu Hause.
Langsam schritt Kermit durch das große Eisentor und ging den mit feinen Kieselsteinen ausgelegten Weg entlang. Immer weiter, an der nächsten links, dann wieder geradeaus. Er hielt inne und starrte über den Rasen und die vielen Marmor- und Granitsteine. Er wusste blind, wo er hin musste, aber dennoch ließ er seinen Blick schweifen. Er sah den Stein von weitem, ein heller, grob gehauener Fels, der in goldenen Buchstaben ihren Namen, Geburts- und ihr Todesdatum enthielt. Darunter eine persönliche Zeile von ihrem Sohn, dann vom Department. Kermit verließ den Weg und machte vorsichtige Schritte über das saftige, grüne Gras, direkt auf den Stein zu. Das Rechteck vor dem Mal war noch deutlich abgezeichnet, dort, wo die Grasdecke auf die frische Erde gelegt wurde. Er hielt inne, etwa zehn Meter vor dem Grab, und drehte die weiße Rose in seinen Händen. Es kostete ihn Kraft, die letzten Meter zu überbrücken, aber er tat es. Die Blüte rollte über seinen Handflächen, kleine Dornen stachen in seine Hände, deren Fingerspitzen mittlerweile wieder verheilt waren, auch wenn die roten Striche noch erkennbar waren. Auch sein Gesicht war verheilt, die Prellungen waren nicht mehr zu sehen, er sah wieder aus, wie er selbst. Aus diesem Grund war er erst jetzt wieder hierher gekommen, er wollte ihr so entgegentreten, wie sie ihn kannte. Nicht als geprügelter Hund, auch wenn er sich manchmal noch immer so fühlte. Noch immer gab es Nächte, in denen der Schmerz aufflammte und ihn in den Wahnsinn zu treiben drohte. Aber sie wurden seltener, sie wurden erträglicher. Er hatte nicht mehr den Wunsch, zu sterben, sondern sein Bestreben ging nun in die Richtung, damit leben zu lernen. "Hallo Karen", flüsterte er leise und ging vor dem Grabstein in die Hocke. Sein Gesichtsausdruck wirkte verlegen und unsicher, noch immer drehte er die einzelne Rose in seinen Händen. "Ich bin nicht besonders gut darin, ich hoffe du hast Verständnis dafür", begann er langsam und kaute auf seiner Unterlippe. Wie sollte er das alles, was auf seinem Herzen lag, nur ausdrücken? "Ich habe dir eine Rose mitgebracht. Ich weiß, dass du weiße Blumen sehr mochtest. Leider hab ich dir nie welche geschenkt", sagte er langsam und legte sie vor den Grabstein. Seine Augen folgten immer wieder den Linien der goldenen Buchstaben, die in den schweren Stein eingefräst waren. "Über zwei Jahre sind um einander rum geschlichen, ohne uns eingestehen zu wollen, was wir für einander empfinden. Ich frage mich oft, welches der größere Fehler war; dass wir unsere Beziehung erst so spät angefangen haben, oder dass wie sie überhaupt eingegangen sind. Vielleicht hättest du überlebt, wenn du nicht an meiner Seite gewesen wärst. Wenn du aber so oder so hättest gehen müssen, dann war es ein Fehler, dass unsere gemeinsame Zeit viel zu kurz war." Kermit starrte in den Himmel und kniff die Augen zusammen, um seine Tränen zurückzuhalten und sich wieder zu sammeln. Hierher zu kommen, und ihr all das zu sagen, war schwerer, als seine Abreise und die Zeit im Dschungel. Gedanken und Gefühle überschlugen sich in seinem Inneren. "Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit gehabt. Es gibt so viele Dinge, die ich dir nie erzählt habe, die ich nie getan habe, die einfach vergessen gegangen sind. Ich hatte einen Bruder, von dem ich nie gesprochen habe. Sein Name war David, er war auch ein Cop, ein verdammt guter. Aber er ist bei einem Undercovereinsatz gestorben. Weißt du noch, als ich damals im schlimmsten Sturm nach Florida gereist bin? Da war ich auf der Jagd nach seinem Mörder. Das habe ich dir nie erzählt." Er wischte sich die Tränen unter der Brille weg und starrte zu Boden. Schuldgefühle mischten sich mit Trauer, Schmerz mit Wehmut. "Ich habe auch nie erwähnt, was ich vor meiner Zeit bei der Polizei gemacht habe. Natürlich hatte sich rumgeschwiegen, dass ich ein Söldner war, aber keiner hatte auch nur eine Vorstellung davon, was das tatsächlich bedeutete. Und ich habe es nie freiwillig erzählt, meine Vergangenheit ist gefährlich, sowohl für mich als auch für jeden, der mir nahe steht. Aber du hättest ein Recht darauf gehabt, zu wissen, mit wem du dich einlässt." Wieder rieb er sich die Augen und starrte dann wieder auf den Grabstein, sein Blick war leicht verschwommen, seine Emotionen rauschten durch seine Adern und raubten ihm jeden klaren Gedanken. "Ich habe mir nie besonders viele Gedanken gemacht, ob es einen Himmel oder eine Hölle gibt, es war mir auch immer egal. Aber damals nach Davids Tod hab ich angefangen es mir zu wünschen, damit er an einen besseren Ort kommt, und dasselbe wünsche ich mir für dich. Ich werde dir nur dort nie Gesellschaft leisten können, weil ich mir schon vor vielen Jahren einen Platz in der Hölle gesichert habe, mit allem was ich je getan habe", seufzte er und wischte sich eine Träne weg. Sein Herz wollte allmählich nicht mehr ertragen, was er hier tat, aber noch war sein persönlicher Abschied von ihr nicht beendet. "Ich hoffe, dass es dort, wo du jetzt bist, schön und friedlich ist, dass es jemanden gibt, der auf dich aufpasst, sich um dich kümmert. Vielleicht lernst du David ja kennen, denn er ist sicherlich auch an einem guten Ort, oder aber Caine ist vielleicht bei dir. Und falls du ihn siehst, sag ihm bitte ein 'Danke' von mir." Kermit musste schmunzeln. Er hatte niemanden erzählt, was ihn bewogen hatte, vor zwei Wochen zurückzukehren, kurz nachdem er Paul eine Abfuhr erteilt hatte. Nicht einmal Peter, denn er konnte es ja selbst kaum glauben, was ihn bewogen hatte, wieder nach Hause zu kommen, endlich die richtige Entscheidung zu treffen. * Er fand sich abermals auf einer Liege wieder, jetzt aber wusste er sicher, wo er war. Er hatte es erschöpft und nach stundenlangem Marsch ins Lager geschafft, war dann aber noch auf dem Platz zusammengebrochen. Seine Schmerzen waren kaum noch zu spüren, dafür aber fühlte er sich, als wäre um ihn herum alles in Watte gepackt. Er war sich sicher, dass sie ihn mit Schmerzmitteln versorgt hatten, daher das merkwürdige Gefühl. Er fuhr sich über das Gesicht und richtete sich auf. Sein Schädel brummte ein wenig, seine Fingerspitzen pochten leise, aber nicht schmerzhaft, und dafür war er in diesem Moment nach all den Stunden der Qual unendlich dankbar. Wenigstens sein Körper durfte sich nun eine Weile erholen. Jetzt, da er sich selbst soweit analysiert hatte, drang auch seine Umgebung zu ihm durch, und sofort stellten sich seine Nackenhaare auf, denn er war nicht allein. "Sie sind in Sicherheit", sagte eine Stimme sanft. Kermit fuhr sofort herum, seine Augen weit aufgerissen, der Blick ungläubig. Er kannte die Stimme, aber er konnte es nicht glauben. Das war einfach nicht möglich. "Caine?", fragte er leise, noch immer wollte er es nicht wahrhaben, glaubte an ein 'Nein', erhoffte sich eine Verwechslung aufgrund der Medikamente. Aber in diesem Moment trat er vor ihn. Jetzt gab es keine Zweifel mehr. "Was… wie… ich meine… das… das… das kann doch nicht sein", murmelte er und starrte auf den Mann, der vor einiger Zeit gestorben war. Caine aber lächelte nur sanft. "Bin ich tot?", fragte er nach einem Moment. "Nein, das sind sie nicht", teilte der Shambhala-Meister mit. Kermit starrte ihn noch immer an wie einen Geist. "Aber dann… träume ich? Bilde ich mir das ein, oder sind sie tatsächlich hier, Caine?", stotterte er verwirrt. Es war ja selten möglich, ihn aus der Fassung zu bringen, aber das Auftauchen von Peters verstorbenem Vater hatte es vollends geschafft. "Welchen Unterschied macht das?", fragte der Schulter zuckend. Kermit schüttelte ansatzweise den Kopf, er hatte keine Ahnung worauf der Mann vor ihm hinaus wollte. Das konnte doch alles gar nicht wahr sein. "Den Unterschied, ob ich verrückt bin oder nicht", sagte er nach einem Moment. Caine lächelte mit einem Mundwinkel über die Bemerkung. "Sie sind sicher nicht verrückt, weil sie mich sehen, Kermit. Aber sie wären verrückt, wenn sie hier blieben." Der Söldner starrte den Mann vor sich an, was sollte er nur dazu sagen? Hatte Caine eine Ahnung, was sich in ihm zutrug? Welches Feuer des Schmerzes in ihm brannte? "Caine, ich…" "Es ist an der Zeit nach Hause zurückzukehren", sagte er fest und unterbrach den Verletzten. Kermit starrte ihn noch immer an. Wie er es sagte, klang es irgendwie richtig, aber seine inneren Zweifel ließen ihn nicht zustimmen. "Wenn sie weiter hier bleiben, werden sie sterben, Kermit. Wenn es wirklich das ist, was sie wollen, dann bleiben sie. Aber wenn es einen Funken Lebenswillen in ihnen gibt, -und ich weiß, dass er da ist-, dann sollten sie wieder aufbrechen und zu ihren Freunden zurückkehren. Sie werden sehnlichst erwartet", schloss der Shaolin mit einem freundlichen Lächeln. Der Söldner blickte forschend in seine Augen. War das möglich? Konnte es tatsächlich sein, dass man auf ihn wartete, dass sie ihn vermissten? Dass Paul tatsächlich Recht haben sollte? Caines fester Blick ließ eigentlich keinen Zweifel daran, er gab ihm ein Gefühl von Sicherheit. "Sind sie sicher?", fragte er dennoch zögerlich. "Ich bin mir sicher. Ihre Freunde lieben sie. Ich spüre deutlich, wie verzweifelt mein Sohn ist, wie viel Angst sie alle um SIE haben." Kermit sah ihn lange an, aus Caines Mund klang es so plausibel und richtig. Und es waren nicht nur die Worte, die er gesprochen hatte, es war auch sein Blick, seine Haltung und etwas, das der Söldner nicht sehen, sondern nur spüren konnte. Eine Wärme im Inneren, ein Gefühl, etwas völlig Unbestimmtes. Aber es brachte ihn dazu, zu lächeln und fest daran zu glauben, dass der Shamhbala-Meister die Wahrheit sprach. "Danke Caine", flüsterte er leise für die Erkenntnis, zu der er ihm verholfen hatte. Sein Gesprächspartner nickte ihm zu, dann verschwand er vor Kermits Augen. Ja, es war an der Zeit. * "Ich glaube selbst jetzt noch nicht wirklich, was da passiert ist. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er tatsächlich da, oder doch nur eine Ausgeburt meiner Phantasie war. Du weißt es vermutlich. Aber du kannst es mir leider nicht mehr erzählen", murmelte er leise, gegen den Grabstein, dann wanderte sein Blick wieder in den strahlenden blauen Himmel. Plötzlich aber schossen heiße, schmerzende Tränen in seine Augen. "Herrgott, warum hatten wir nur so wenig Zeit?", fluchte er und wischte sich die Tränen weg. Er starrte noch eine Weile auf das Grab, unfähig seine Gefühle in Worte zu fassen, dann stand er auf und trocknete seinen Blick. "Ich liebe dich", flüsterte er leise, dann wandte er sich ab und ging wieder. Er hatte nicht alles gesagt, was er zu sagen gehabt hatte, aber für den Moment reichte es aus. Er würde wiederkommen, und er würde er ihr all die Dinge erzählen, die er ihr zu Lebzeiten verschwiegen hatte. Kein Vorhaben. Ein Versprechen. Ein Versprechen an eine Frau, deren Liebe er leider nie ausreichend hatte würdigen können, deren Leben viel zu früh ein Ende gefunden hatte. Und trotz allen Wehmuts, trotz der Trauer über den Verlust, hatte er ein leises Lächeln auf dem Gesicht. Es war richtig gewesen, wieder nach Hause zurückzukehren, es war richtig, hier auf den Friedhof zu kommen. Endlich waren seine Entscheidungen richtig gewesen. ENDE
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