Kapitel 16 *Es tut mir so Leid Karen! Bitte verzeih mir, dass ich dich nicht gerettet habe!*, schickte Kermit seiner toten Geliebten in Gedanken einen letzte Nachricht, dann drehte er sich vom Grab weg. Jetzt wollte er nur noch weg hier, so weit wie möglich, so schnell wie möglich. Er hatte gemerkt, dass Peter zu Beginn zu ihm herüber gesehen hatte, aber er hoffte inständig, dass der Shaolin nichts gemerkt hatte. Das letzte was er jetzt brauchte, war sein Freund, der versuchte, ihm etwas Feststehendes auszureden. Sein großer, khakifarbener Rucksack und sein Lap Top lagen bereits im Kofferraum seines Wagens, seine Gedanken waren nun bei den Aufgaben, die ihn erwarteten, und die hoffentlich den Schmerz in seinem Herzen abtöten konnten. Als er um eine Gruppe Büsche zu seinem Wagen trat, stand Peter bereits daneben und wartete auf ihn. Der frühere Söldner fluchte innerlich, hatte er doch jeden Blickkontakt mit seinem Freund gemieden, um ihn nicht von seinen Plänen wissen zu lassen. Aber offensichtlich war das Unterfangen, heimlich und still zu verschwinden, fehlgeschlagen. "Das ist der falsche Weg, Kermit", sagte Peter ruhig. Sein Blick taxierte ihn, ohne ihn zu verurteilen, dennoch fühlte der Cop Zorn in sich aufsteigen. "Wie wär's, wenn du MIR überlässt, wo ich hingehe?!", knurrte er und schloss die Fahrertür auf, blieb aber dann draußen stehen. Peter hob die Hände. "Ich werde dich nicht aufhalten, auch wenn ich zu gerne würde! Aber vielleicht kann ich dich umstimmen. Warum willst du deinen eigenen Schmerz mit dem anderer Menschen betäuben? Das wird nicht funktionieren! Das KANN nicht funktionieren! Verdammt Kermit, was du vorhast ist nicht richtig." "Mein Verständnis von Richtig und Falsch ist ein anderes als deines, Peter. Das war schon immer so!" "Und was ist mit der Moral? Wir sind uns nicht unähnlich", stellte der Shaolin fest und sah seinen Freund weiter durchdringend an. Er merkte, dass seine Worte keinen rechten Anklang fanden. "Sie würde es nicht wollen", fügte er an, um Nachdruck zu verleihen. Kermits Blick verfinsterte sich. "Sie ist tot, Peter! Was sie wollte, war mit mir zusammen zu sein. Und diesen Wunsch hätte ich ihr nur zu gerne erfüllt! Aber sie ist tot! Mich hält hier nicht mehr viel." Seine Hand ging zum Türgriff und öffnete sie einen Spalt, ehe er Peter noch einmal in die Augen blickte. "Ich werde dir nicht ‚Leb Wohl’ sagen", wiederholte Peter jetzt die Worte, die Kermit damals zu ihm gesagt hatte, gefühlte Ewigkeiten in der Vergangenheit, weil er wusste, dass er den Freund nicht in Sloanville halten konnte. Ebenso wenig wie man ihn damals nach Caines Tod hätte halten können. Auch der Söldner erinnerte sich, er konnte es in dessen Augen sehen. "Auf Wiedersehen, mein Freund!", sagte Kermit und legte ihm kurz die Hand auf die Schulter. Dann wandte er sich ab und stieg in den Wagen, ließ den Motor aufheulen und fuhr davon. "Auf Wiedersehen", murmelte der Shaolin besorgt. Für einen Moment hatte er in Kermits Herz sehen können, und die Schwärze, die er dort gefunden hatte, verhieß nichts Gutes. "Pass auf dich auf", gab Peter ihm noch leise mit auf den Weg. Er hatte Paul nicht kommen sehen, aber jetzt trat er neben ihn. "Wusstest du davon?", fragte Peter, noch immer die Straße entlang sehend, obwohl die Corvair schon längst verschwunden war. Paul starrte auch eine Weile ins Nichts, ehe er antwortete. "Ich habe es vermutet. Kermit trägt schwer daran, und er muss jetzt für sich damit klar kommen", sagte er matt und legte Peter den Arm um die Schulter. "Aber ist das der richtige Weg?" "Fragst du mich das ernsthaft, Peter? Ich bin fort gegangen, um meine Dämonen zu besiegen. Du bist fort gegangen, um Caines Tod zu verarbeiten. Und auch Kermit braucht jetzt Abstand, um mit seiner Wut und seiner Trauer zurecht zu kommen." "Mag sein. Aber ich glaube, die Motivation ist eine andere. Ich habe nach Frieden gesucht. Du auch. Kermit aber sucht nicht nach Frieden. Er sucht nach dem Tod", sagte Peter nachdenklich. Es auszusprechen schnitt tief in sein Herz und tat erstaunlich mehr weh, als es nur zu denken. Es hatte etwas Endgültiges. "Das kann durchaus stimmen. Und dennoch bleibt uns nichts weiter, als zu hoffen, dass ihn dieselbe Erkenntnis erreicht, wie uns." Peter blickte fragend rüber. "Die Zeit, die wir getrennt waren, hat uns geholfen. Aber wirklich geheilt werden konnten wir erst wieder zu Hause. Ich hoffe, dass Kermit das merkt, bevor es zu spät ist", sagte Paul und erinnerte sich an damals, als David gestorben war. Sein Freund befand sich nun wieder in derselben Situation wie vor vielen Jahren. Und die Verfassung, in der Kermit damals wie heute war, machte ihm große Sorgen. Er konnte nicht sicher sagen, ob die Tatsache, dass er damals darüber hinweg gekommen war, genug Grundlage für die Hoffnung war, dass es auch diesmal klappte. Der junge Shaolin hatte den Worten seines Pflegevaters nichts entgegen zu setzten. Aber die Angst um seinen Freund und die Dunkelheit, die er in dessen Seele gesehen hatte, machte ihn schaudern. Unterdessen standen Cat und Annie zusammen mit Mary-Margaret und Jody etliche Meter entfernt an ihren Wagen und schauten zu den beiden Männern. "Was passiert dort?", fragte Annie ihre Schwiegertochter. "Kermit ist schon weggefahren, Peter und Paul unterhalten sich noch. Vermutlich reden sie über ihn, er sah verdammt schlecht aus", sagte Cat und merkte schon wieder, wie ihr die Tränen in die Augen schossen, die sie eben nach der Beisetzung erst getrocknet hatte. Sie machte sich furchtbare Sorgen um Kermit. Annie drückte ihre Hand, um sie zu trösten, sie fühlte die Aufgewühltheit der jungen Frau. "Ganz bestimmt sogar. Ich kenne Kermit, es geht ihm schlecht. Ich befürchte, dass er Dummheiten machen wird", sagte Annie, was sie dachte. Cat riss die Augen auf, auch die zwei Polizistinnen guckten sie fragend an. "Wie meinst du das?", fragte Cat leise und ängstlich, ihr schossen sofort alle möglichen Trauerszenarien durch den Kopf, bis hin zum Selbstmord. "Ich weiß nicht genau, Kermit ist ja alles andere als ein offenes Buch. Aber wenn meine Intuition mich nicht täuscht, wird er für einige Zeit verschwinden, ohne zu hinterlassen, wo er ist. Und was er dort macht…", sie beendete den Satz nicht. Cat starrte zu den Männern, die jetzt langsam zurück kamen und dachte über das Gesagte nach; die zwei weiblichen Cops sahen einander besorgt an. * * * Im Anschluss an die Beisetzung hatte das Department eine Trauerfeier im Saal eines kleinen Hotels organisiert. Die allgemeine Stimmung war betreten, wenn auch hier und dort wieder über völlig alltägliche Themen geredet wurde. Peter und Paul standen mit ihren Ehefrauen bei den früheren Kollegen vom 101. Revier, nur Kermit fehlte. Traurig sahen sie einander an, besonders die Frauen hatten teilweise noch rote Augenränder. "Gibt es denn schon eine Aussage darüber, wer bei euch eingesetzt wird?", fragte Paul irgendwann im Verlauf des bestehenden leisen Gesprächs, erhielt aber nur Kopfschütteln zur Antwort. "Noch nicht", meinte Frank Strenlich nachdenklich, "man hat mich jetzt erstmal stellvertretend auf unbestimmte Zeit zum Chef gemacht. Sie meinten im Department, dass es auch noch ein paar Wochen dauern kann." "Hoffentlich ist Kermit dann wieder da", warf Jody ein. Peter und Paul wechselten einen Blick, als ob sie sich gegenseitig fragen wollten, ob das wahrscheinlich war. Am Ende erntete jeder nur ein Schulterzucken vom anderen. Peter hoffte es inständig, aber er wusste nicht mal, ob sein Freund jemals zurückkehrte. "Gut möglich, dass ein neuer Captain von unbefristetem Urlaub nicht besonders erbaut ist", spann Skalany den Gedanken weiter. Die Cops sahen sich fragend an, nickten zustimmend, nur Peter und Paul hielten sich raus. Sie kannten den undurchsichtigen Mann mit der Sonnenbrille sicherlich besser als die anderen, aber grade deshalb waren sie dazu verpflichtet, zu schweigen. Kermits seelisches Innenleben hier vor seinen Kollegen auszubreiten war das letzte, was sie wollten. "Sagt doch auch mal was dazu!", fuhr Mary-Margaret die beiden Männer auch schon an, wieder wechselten sie nur einen Blick. *Ich weiß es nicht*, schoss dem Shaolin sofort die einzige mögliche Antwort durch den Kopf. Und sie schmeckte bitter, denn zu oft in der letzten Zeit hatte er diese Worte sagen müssen, zu oft sich eingestehen, dass er nicht helfen konnte. "Lasst es doch gut sein", schaltete sich jetzt Annie völlig überraschend in das Gespräch, dass es sogar Peter aus seinen deprimierenden Gedanken zog. "Kermit wird wiederkommen, wenn er soweit ist. Völlig unabhängig davon, ob der neue Captain das gut findet oder nicht." "Er könnte seinen Job verlieren", gab Blake zu bedenken. Wieder schoss Annie mit der Antwort heraus, ohne dabei allzu viel über Kermits Zustand preiszugeben. Aus ihrem Munde klang es vielmehr sachlich und ruhig. Die Verkündung von Tatsachen. "Selbst wenn wir wüssten wo er ist und es ihm mitteilen könnten. Glaubt ihr allen ernstes, dass ihn das interessiert? Er kommt zurück, wenn er soweit ist. Und keinen Tag früher." Peter stimmte mit seiner Pflegemutter überein, war aber dennoch besorgt. Kermits Job hin oder her, ihn berührte viel mehr, dass er sich nicht sicher war, ob sein Freund überhaupt zurückkam. Lebend. Den Sekundenbruchteil, den er in das Herz dieses Mannes hatte sehen können, hatte sein eigenes fast zerbrechen lassen. Kermit war so voller Hass und Schmerz, dass es kein normaler Geist ausgehalten hätte. Sein Wunsch nach Gewalt und Rache war so groß, dass er damit nicht nur andere, sondern auch sich selbst zu Grunde richten konnte, wenn er nicht schnell wieder zu sich kam und aufhörte, sich selbst die Schuld zu geben. All diese starken Emotionen waren nur gegen ihn selbst gerichtet, das wusste Peter genau, aber dennoch war er jetzt losgezogen, um sie anderen zuzufügen, die es wahrscheinlich auch verdient hatten. Weil er sich nicht selbst richten konnte. Weil es zu einfach für ihn wäre. Weil er leiden musste. Der Shaolin war sich sicher, dass dies der einzige Grund dafür war, dass Kermit sich nicht seinen Eagle an den Kopf hielt und abdrückte. Fähig wäre er dazu bestimmt, aber er konnte es nicht, weil er es sich selbst nicht so einfach machen konnte. Nein, er glaubte dass er diese Schuld jetzt tragen müsste, so lange bis sie getilgt war. Oder er tot. Peter schüttelte innerlich den Kopf über seinen Freund. Warum dachte Kermit so etwas? Wie kam er auf diese völlig absurde Idee? *Weil er ähnlich denkt wie ich*, gab er sich selbst die Antwort. Hatte ER nicht auch überlegt, ob er die Schuld trug? Hatte nicht erst sein Vater ihm das zumindest einigermaßen ausreden können? "Peter?", holte ihn Annie in die Gegenwart zurück. Der Shaolin sah auf und entdeckte zu seinem Erstaunen, dass er allein mit ihr dort stand. Die anderen hatten sich einen Platz an einem der Tische gesucht. "Ja, Mom?" sagte er und ergriff ihren Arm, den sie suchend nach ihm ausgestreckt hatte. "Wie geht es dir?", fragte sie sanft. "Es geht. Cat knabbert noch ziemlich daran, aber es wird besser und…" "Ich habe nach DIR gefragt. Wie es ihr geht, weiß ich bereits. Jetzt will ich wissen, wie DU damit zurecht kommst", unterbrach sie ihn bestimmt. Peter musste schmunzeln, Annie war der einzige Mensch, dem er einfach gar nichts vormachen konnte. "Es geht, wirklich Mom. Ich habe lange darüber nachgedacht und…" "Gibst du dir noch immer selbst die Schuld?", fiel sie ihm wieder in seine Rede, damit er nicht um den heißen Brei herumreden konnte. "Nein, nicht mehr", war seine ganze Antwort. Annie verzog skeptisch die Lippen. "Das hast du doch nicht ganz allein eingesehen?", vermutete sie, schließlich hatte sie Peter ein ganzes Stück seines Lebens begleitet und aufgezogen. Der junge Mann schmunzelte wiederum. "Nein, habe ich nicht", kam er noch immer nicht mit der Antwort raus. Ein liebesvolles Lächeln spielte um seine Lippen, als er sich hinab beugte und Annie einen Kuss auf die Wange gab. Er dachte, sie würde sich jetzt geschlagen geben, tat sie aber nicht. "Paul?" "Nein." "Castor?" "Nein." "Aber wer…?", setzte sie an, schnitt sich aber diesmal selbst den Satz ab. "Du meinst doch nicht…?", fragte sie völlig erstaunt mit hochgezogenen Augenbrauen. Peter drückte ihre Hand und gab ihr einen weiteren Kuss um ihr zu sagen, dass sie Recht hatte. "Wie ist so etwas möglich?", hauchte sie total ungläubig. Peter musste grinsen, es war selten, dass man seine Mom so überrumpeln konnte. "Nun, sagen wir einfach, es IST möglich. Das reicht doch schon", sagte der Shaolin langsam und mit wissendem Gesichtsausdruck. Diesmal gab sich Annie geschlagen und lehnte sich einfach kurz in seinen Arm. Peter gab ihr einen weiteren sanften Kuss auf die Stirn und ging dann mit ihr zurück zu den anderen.
Kermit steuerte die Corvair auf das Gelände eines verlassenen Militärflughafens. Gemäß den Anweisungen, die er von Bear erhalten hatte, stellte er den Wagen in einem halb verfallenen Hangar ab. Müde fuhr er sich mit beiden Händen übers Gesicht, dann stieg er aus und holte den schweren Sack und die schmale Laptop Tasche aus dem Kofferraum. Er musste sich nicht lange umsehen, um die zusammengefaltete Plane zu entdecken, mit der er das Kermit-Mobil abdecken sollte. Bear hatte ihm versichert, dass seinem Auto nichts passieren würde, auch wenn er nicht wirklich wusste, ob ihn das jetzt noch interessierte. Nachdem die Corvair unter dem einheitlich sandgrauen Stoff verschwunden war, packte er die zwei Taschen und trat hinaus auf das Rollfeld. Der Organisator seiner Reise hatte ihm nicht gesagt, wer für den Transport zuständig war, also musste er zwangsläufig darauf warten, was passieren würde. Seine Armbanduhr verriet ihm, dass er über eine halbe Stunde zu früh war, also lehnte er sich an das gewellte Blech der Hangarwand und zündete sich eine Zigarette an. Dies war auch ein Zeichen für seinen Rückfall in sein altes Leben, neben der neuen alten Frisur und dem sprichwörtlichen Flugticket in der Tasche. Er befand sich zweihundert Meilen von Sloanville entfernt, irgendwo im weiten Nichts. Diese Gegend war genauso leer wie sein Herz sich anfühlte, mal abgesehen von dem großen Messer der Schuld, das darin steckte und ihm unendliche Schmerzen bereitete. "Kermit", begrüßte ihn eine vertraute Stimme, allerdings ohne erkennbare Emotion darin. Er drehte sich zu ihm um. "Sie? Was zum Teufel machen sie denn hier?", stellte er eine völlig überflüssige Frage. Was tat er wohl hier? Er half Kermit zu seinem Ziel zu kommen. "Ich bin ihr Reiseleiter", sagte er mit einer ausbreitenden Geste und warf sich dann ein Ende seines obligatorischen Schals über die Schulter. "Ich hätte nicht mit ihnen gerechnet, Rykker." "Nun, das ist ja auch Sinn der Sache, dass man nicht mit mir rechnet. Kann in unserem Gewerbe existentiell sein." Kermit warf ihm ein böses Grinsen zu, das letzte was er jetzt hören wollte, waren dumme Kommentare von notorischen Besserwissern. "Wann kommt der Flieger?", fragte er, anstatt näher auf das Gesagte einzugehen. Theatralisch sah sein Gegenüber auf die Uhr. "In exakt zwölf Minuten. Sie wird sie ohne große Umschweife zu ihrem Zielort bringen." "Umschweife?" "Eine kurze Zwischenlandung in den Niederlanden, nur zum Auftanken. Kein Zoll oder Bodenkontrollen. Ich habe alles organisiert." Kermit nickte ihm zu. So sehr Rykker ihm manchmal gegen den Strich ging, was der Mann managte, klappte auf jeden Fall. "Danke", ergab sich der Mann mit der Sonnenbrille den üblichen Höflichkeitsfloskeln und starrte dann gen Himmel, um nach dem Flugzeug Ausschau zu halten. Er zündete sich eine zweite Zigarette an und wartete stumm darauf, endlich den Boden verlassen zu dürfen und in einem völlig anderen Leben zu landen. Als er die nächste Kippe über die alte gerissene Betonplatte schnipste, hörte er leise ein Motorengeräusch aus der Luft, das langsam näher kam. "Ich schätze, das ist ihr Taxi. Viel Glück, Kermit", sagte Rykker und reichte Kermit die Hand. Erstaunt über die Geste ergriff er sie, auch wenn dieses Verhalten eher unüblich für den Mann war. "Danke." Er nickte ihm zu und wollte sich schon abwenden, als der Mann mit der Brille ihn noch einmal zurückrief. "Und Rykker! Sollte Blaisdell oder wer auch immer wissen wollen, wo ich bin…" "Meine Lippen sind versiegelt, seien sie versichert!" Sie nickten sich ein letztes Mal zu, dann verschwand der eine im Hangar, während der andere dem Flugzeug im Landeanflug zusah und sich eine weitere Zigarette ansteckte. * * * * * * * * * * Peter schlug die Augen im Dunkel der Nacht auf. Er wusste, was ihn geweckt hatte; nämlich dasselbe, das ihn in den letzten Nächsten schon immer wieder hatte aufwachen lassen. Es war das unterbewusste Spüren von Angst, das seine Sirenen anspringen ließ. Neben ihm raschelte es unruhig, wild schlug Cat ihren Kopf im Kissen hin und her, ihr Körper zitterte und zuckte unter den Bildern, die ihr von ihrem Unterbewusstsein vorgespielt wurden. Sie hatte Alpträume. In der ersten Nacht nach Karens Tod hatte sie noch dankend angenommen, dass Peter ihre Träume ausgesperrt hatte, danach war es auch erstmal still geworden. Aber seit der Beerdigung hatte es zugenommen, und jetzt wälzte sie sich Nacht für Nacht durch ihre Kissen, gequält und gefoltert von ihren Dämonen. Peter stützte sich auf und lehnte sich dann zur ihr rüber, sanft legte er eine Hand auf ihre Schulter und rüttelte leicht, um sie zu wecken. Er konnte ihre Angst spüren, aber leider nicht mehr, eine durchsichtige Mauer hielt ihn aus ihren Gedanken heraus. Es dauerte eine Weile, bis sie endlich völlig erschrocken die Augen aufriss und in das Dunkel starrte. "Ganz ruhig, Süße", flüsterte Peter leise. Entgeistert blickte sie ihn an, bis sie sich dann etwas entspannte und kurz die Augen schloss. Sie drehte sich auf die Seite und blickte auf die roten Zahlen ihres Radioweckers; es war vier Uhr morgens. Peter beobachtete sie, noch immer war sie verspannt und hatte die Bilder des Traumes offensichtlich noch nicht abgeschüttelt. Auch er stützte sich jetzt auf und begann, ihren Rücken zu massieren. Allerdings schüttelte sie ihn rüde ab und schwang ihre Beine aus dem Bett. Peter machte sich Sorgen um sie, ihre Stimmung wurde von Tag zu Tag schlechter, vermutlich auch durch den Schlafmangel verursacht. Er hatte keine Ahnung mehr, wie er ihr helfen konnte, sie wollte keine Hilfe annehmen, weder einen beruhigenden Tee noch seine Massagen, die auch eine durchschlagende mentale Wirkung hatten. "Ich kann nicht mehr schlafen", sagte sie nur matt und stand dann auf. In ihrem engen T-Shirt und der Hot Pants machte sie sich auf den Weg zur Wohnzimmertür. Der junge Mann überlegte, ob er ihr folgen sollte. "Soll ich mit dir kommen und dir Gesellschaft leisten?", fragte er liebevoll nach. Er sah aber, dass seine Worte völlig anders aufgefasst wurden, Cats Rücken versteifte sich sofort. "Danke, aber ich denke ich bin alt genug, um mich mitten in der Nacht alleine in meiner eigenen Wohnung zurechtzufinden! Schlaf du ruhig weiter!", sagte sie betont ruhig und ging dann durch die Tür. Peter fuhr sich durch die Haare, langsam war er mit seiner Weisheit wirklich am Ende. Cat wollte seine Gesellschaft nicht, sie wollte nur noch allein sein und sich nicht mitteilen. Die anfängliche Vereinbarung, dass sie über ihre Sorgen sprachen, hatte sich in Luft aufgelöst und seine Frau sich mehr und mehr abgekapselt. Er konnte sie nicht zwingen, mit ihm zu reden, und jeder Versuch, den er dennoch gestartet hatte, hatte nur ihren Zorn erhöht. Peter ließ sich zurück ins Kissen fallen, müde war er jetzt nicht mehr, allerdings war ihm klar, dass er auch nicht zu ihr gehen konnte; der Ausbruch würde vulkanartig sein. "Paps, hilf mir, ich weiß nicht weiter", flüsterte er leise ins Dunkel. Es war nicht wirklich ein Hilferuf an seinen Vater, mehr ein einfacher Wunsch nach einer Lösung. Leider gab ihm die Schwärze des Raumes keine Antwort. Für einen Moment musste er schmunzeln, als er feststellte, dass er grade wörtlich seinen Vater um einen Rat in Bezug auf Frauen gebeten hatte. Der Situationshumor verflog aber schnell wieder und hinterließ nur das bestehende hilflose Gefühl, dass er Cat nicht helfen konnte, solange sie sich nicht helfen lassen wollte. Leise hörte er jetzt Musik aus der geschlossenen Tür zu ihm durchdringen. Sie war leise und langsam, eine traurige Ballade. Für Peter noch ein Grund zur Sorge, wenn Cat schon nicht mehr ihren Heavy Metal hörte, dann ging es ihr wirklich schlecht. Jetzt konnte er nachvollziehen, wie sie sich damals gefühlt haben musste, als er um seinen Vater getrauert und niemanden mehr an sich ran gelassen hatte. Es war schmerzhaft, so abgewiesen zu werden, aber noch viel schmerzhafter musste es für sie sein, diesen Alptraum zu leben, der sie auch noch im Wachzustand verfolgte. Mit dem Blick an die Decke gerichtet und den Gedanken bei seiner Frau lauschte er weiter den leisen Klängen der Musik. Seit Karens Tod waren mittlerweile elf Tage vergangen, Kermit war vor einer Woche verschwunden und der zurückgebliebene Shaolin hatte keine Ahnung, ob es von nun an endlich wieder bergauf, oder weiter bergab gehen sollte. * * * Kermit wischte sich den Schweiß von der Stirn. Zusammen mit dem Anführer der Rebellen lehnte er über einem Plan des Geländes. Es waren ein paar kleine Dörfer eingezeichnet, die mittlerweile von den Soldaten besetzt worden waren. "Wir werden hier entlang gehen und dann von dort das Dorf stürmen", sagte Mekapu, Kermits Boss, in sehr gutem Englisch. Kermit besah sich den Plan und nickte schließlich. "Ist gut", sagte er knapp. Die Worte, die er gesprochen hatte, seit er vor einer Woche hier gelandet war, hätte man mitzählen können. In der Gruppe wurde er inzwischen als schweigsam und abweisend angesehen, aber seine Arbeit und seine Meinung wurden geschätzt. "Ich informiere meine Leute. In zwei Stunden brechen wir auf", teilte der Farbige noch mit und entließ Kermit damit von der Besprechung. Er drehte sich sofort ab und ging zu dem Zelt, das man ihm gestellt hatte. Er war der einzige der Männer und Frauen, der ein Zelt für sich allein hatte und damit genug Privatsphäre, um sich auch mit sich selbst beschäftigen zu können. Sofort ließ er sich in seinen Klappstuhl fallen und schloss für einen Moment die Augen. Als er sie wieder öffnete fiel sein Blick zu der Laptop Tasche, die seit seiner Ankunft verwaist in der Ecke stand. Er hatte ihn bisher nicht ausgepackt, zu groß war sein Wunsch danach, allein zu sein. Jetzt starrte er sie an, dann endlich ergriff er sie und zog den Computer heraus. Warum eigentlich? Was wollte er damit machen? Er hatte keine Ahnung, klappte ihn aber dennoch auf und ließ das Betriebssystem hochfahren. Noch immer saß der Schmerz tief, egal was er in den letzten sieben Tagen versucht hatte, ihn loszuwerden. Sie hatten mit einer Ausnahme täglich kleine Missionen durchgeführt und waren durchaus erfolgreich in ihrer Arbeit. Die von der Armee überfallenen Gebiete konnten sie mit recht geringen Verlusten auf der eigenen Seite wieder befreien. Aber dennoch machte sich der Söldner nichts vor; sie befanden sich immerhin im Krieg. Er hatte großen Respekt vor Mekapu, der Mann verstand seine Arbeit und sorgte sich um seine Leute, seine Missionen waren gut organisiert und er schätzte Kermits Meinung zu seinen Ideen. Dennoch hatte Kermit feststellen müssen, dass er sich hier auch nicht besser fühlte, als zuvor in Sloanville. Die schwere Schuld auf seinen Schultern wollte nicht abnehmen, wollte nicht aufhören, ihn zu erdrücken. Warum zum Teufel hatte er nichts unternehmen können, um das alles zu verhindern? Und warum half es nicht, in das alte Leben zurückgekehrt zu sein? Früher hatte ihn all das nie berührt. Bis zu Davids Tod. Dieser Moment hatte alles verändert, hatte Gefühle geweckt, die er vorher von sich nicht gekannt hatte. Und jetzt wiederholte sich die Geschichte. Der Laptop riss ihn aus seinen Gedanken, als er durch ein Piepen mitteilte, dass er nun bereit war. Kermit lehnte sich vor und ließ seine Finger über die Tastatur laufen, um eine sichere Internetverbindung aufzubauen. Etwa zehn Minuten forderte diese Aufgabe seine Aufmerksamkeit und lenkte ihn von seinen düsteren Gedanken ab. Als die Verbindung aber abhörsicher hergestellt war, öffnete sich im Autostart sein Emailprogramm und fragte nach dem Passwort. Kermit starrte auf den blinkenden Cursor. Jetzt seinen Code einzugeben bedeutete, Kontakt zu der Außenwelt aufzunehmen, gegebenenfalls zu erfahren, was in der Welt passierte, die er für sich ausgesperrt hatte, von der er nicht einmal wusste, ob er jemals in sie zurückkehren wollte und konnte. Er konnte selbst nicht wirklich sagen, wovor er Angst hatte, was ihn hinderte, sein Passwort einzugeben. Selbst wenn er Emails von seinen früheren Freunden bekommen hatte, er konnte sie ja einfach links liegen lassen. Er wollte es ja schließlich gar nicht wissen. Oder vielleicht doch? Von plötzlicher Wut überkommen knallte er den Bildschirm des Notebooks zu. Hatte er etwa Heimweh? Glaubte er tatsächlich, dass sie ihn vermissten? Nach allem, was er getan hatte? Für einen Moment hatte er diesen Funken Hoffnung gespürt, aber die Kraft seines Selbsthasses und der Vorwürfe, die er sich noch immer machte, hatte ihn sofort zum Erlöschen gebracht. Sie hassten ihn, da war er sich jetzt wieder ganz sicher, sie hassten ihn genauso wie er sich selbst. Aus diesem Grund würde er gleich wieder in den Kampf ziehen, würde zusammen mit den Rebellen für deren Sache kämpfen. Vielleicht ließ dieser Eintritt für eine gute Sache ja seine Schuld abschwellen lassen, vielleicht konnte er damit etwas richtig machen und Leben retten statt sie zu zerstören. Kermit schüttelte den Kopf, sich bewusst, dass es nicht darum ging. Er wollte einfach nur, dass es aufhörte wehzutun, dass es sich in seinem Inneren nicht mehr anfühlte, als würde ihm das Herz zerreißen, dass die Stimme der lauten Vorwürfe in seinem Kopf endlich verstummte. Bisher hatte seine selbst gewählte Therapie aber keine dieser Anforderungen erfüllt, noch immer wurde er gequält von seinen eigenen Gedanken und Schuldgefühlen. Wann hörte das endlich auf? *Wenn ich tot bin*, schoss es ihm sofort durch den Kopf. Aber es war nicht so leicht, wie es sich anhörte. Wenn er im Einsatz getötet wurde, gut, aber er konnte es selbst nicht herbeiführen, auch wenn er in den ersten Nächten den großen Wunsch danach gehegt hatte. Sich die Eagle an den Kopf zu halten war noch einfach gewesen, aber er hatte es nicht geschafft, den Abzug zu drücken. Und auch dafür hasste er sich.
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