Teil 12
Autor: Ratzenlady
 

Kapitel 20

Peter fuhr geschockt aus den Kissen und schlug die Hand vor die Stirn. Irgendetwas hatte ihn aufwachen lassen, aber er konnte nicht genau sagen, was es gewesen war. Schnell drehte er sich zu Cat, die aber diesmal völlig ruhig in ihren Kissen lag und schlief.

Der junge Shaolin keuchte, dieses unbestimmte Alarm-Gefühl hatte ihn mit derartiger Wucht im Schlaf getroffen, dass er jetzt völlig außer Atem war. Kontrolliert machte er einige Atemzüge, um wieder ruhig zu werden, dann schloss er die Augen.

So sehr er sich aber darauf konzentrierte herauszufinden, was ihn hatte hochschrecken lassen, in seinem Geist herrschte gähnende Leere. Wieder sah er zu seiner Frau herunter, aber noch immer rührte sie sich nicht, ihr Gesicht wirkte entspannt und friedlich, sie konnte es nicht gewesen sein.

Peter schaute sich im Dunkel um, fühlte in die Umgebung, aber auch hier drohte keine Gefahr. Es gab keinen Eindringling, der sie überfallen wollte, oder etwas Ähnliches. So, wie diese Empfindung gekommen war, war sie nun auch wieder verschwunden. Keine Sirenen mehr, keine Alarmglocken.

Unglücklich über sein Unvermögen legte er sich wieder auf den Rücken und starrte an die Decke. Er dachte an das Gefühl, dass er bei dem Spencer-Fall gehabt hatte, daran, dass er es falsch interpretiert hatte, dass er glaubte, es bezöge sich nur auf die Aktion bei der Festnahme. Er hatte es danach so fest als abgehakt betrachtet, dass es ihn nicht mehr vor Karens Tod warnen konnte. Und diese Tatsache belastete ihn noch immer, er hatte sich geschworen, diesen Fehler nicht noch einmal zu begehen.

Wieder horchte er tief in sich hinein, aber noch immer war das Gefühl verschwunden, noch immer konnte er keine Spannung mehr in seiner Umgebung fühlen. Hier gab es definitiv nichts Böses, dass ihm oder Cat etwas wollte. Alles war ruhig und friedlich hier.

*Hier*, schoss ihm sein eigenes Schlagwort durch den Kopf und beförderte seine Gedanken umgehend zu Kermit, der irgendwo am Ende der Welt einen Kampf gegen sich selbst ausfocht. Was, wenn seinem besten Freund grade etwas passiert war?

Peter versteifte sich nun auf diese Idee. Lag er mit seiner Vermutung richtig, konnte er meistens dann etwas wahrnehmen, dann war schon eine Verbindung aufgebaut. Aber wieder regte sich in seinem Inneren nichts. Er fuhr sich über sein Gesicht. Gleich morgen früh würde er Paul anrufen und ihn fragen, ob er etwas von Kermit gehört hatte, denn wenn jemand eine Mitteilung von ihm bekam, dann sein Pflegevater.

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf schloss Peter wieder die Augen und schlief nach einiger Zeit auch ein. Allerdings hatte er in den verbleibenden Stunden dieser Nacht üble Träume, die ihn alle seine Lieben in schrecklichen Situationen zeigten, in die sie nur gekommen waren, weil er seine Instinkte nicht deuten konnte.

********

Peter war froh, als Cats sanfte Stimme zu ihm durch drang und ihn von seinen Alpträumen befreite. Er öffnete die Augen und lächelte ihr zu, doch ihr Blick verriet, dass sie ihm seine Fröhlichkeit nicht abnahm. Neben ihm auf der Bettkante sitzend zog sie eine Braue hoch.

"Hast du schlecht geschlafen?", fragte sie sofort besorgt.

"Ja, ein bisschen. Aber kein Grund zur Sorge", beschwichtigte er, sie aber stemmte ihr Hände in die Hüften.

"Hey! Auch der Therapeut braucht mal jemanden zum Reden! Ich weiß, wie Alpträume aussehen, glaub mir!", sagte sie bestimmt.

Peter verzog ertappt das Gesicht. "OK. Du hast gewonnen. Darf ich mich erst anziehen und einen Kaffee trinken?", fragte er und rieb sich sein müdes Gesicht.

Unentschlossen wog sie den Kopf hin und her, dann schließlich nickte sie. "Na gut. Bis gleich", sagte sie und verließ dann das Schlafzimmer.

Peter sah ihr nach und quälte sich dann aus dem Bett, um sich seine leichten Trainingsklamotten anzuziehen. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass in einer Stunde ohnehin seine Klasse kommen würde. Er hoffte, dass er bis dahin die Zeit gefunden hatte, mit Paul zu telefonieren.

Bevor er in die Küche kam, schleppte er sich zunächst ins Bad und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser, dann blickte er in sein eigenes, erschöpftes Antlitz. Die Träume schienen ihn auch äußerlich mitgenommen zu haben.

Cat saß am Tisch und hatte Peter schon eine Tasse mit rabenschwarzem Kaffee hingestellt, als dieser hereinkam und einen großen Schluck nahm. Erwartend blickte sie ihn an. Er musste sich unweigerlich fragen, ob das wirklich dieselbe Frau war, die vorvergangene Nacht noch völlig angespannt und fertig aus dem Schlafzimmer geflüchtet war.

"Und?", fragte sie sanft nach. Ihr Blick verriet Besorgnis und Fürsorge.

Peter nickte und schluckte den Wachmacher herunter. "Ich bin heute Nacht aufgewacht, irgendwas stimmt nicht."

"Und was?", hakte sie sofort nach.

Peter machte eine ausladende Geste. "Grade das weiß ich ja nicht. Ich hab keine Ahnung, und das ist es, was mich beunruhigt. Ich habe versucht mich darauf zu konzentrieren, habe es auf einzelne Personen projiziert, aber keinen Hinweis erhalten, was es gewesen sein könnte. Es war einfach ein… ein starkes Gefühl, dass mich aus dem Schlaf gerissen hat", versuchte er sich in einer Erklärung, was er gefühlt hatte.

"Bist du sicher, dass es was Schlimmes war?", fragte sie weiter.

"Nein. Aber bisher hatte ich noch nie Visionen von durch und durch positiven Ereignissen. Aber bisher hatte ich ja auch noch nie Visionen, die ich so gar nicht zuordnen kann. Ich weiß es wirklich nicht, Süße."

Cat nickte verständnisvoll und trank dann selbst einen Schluck Kaffee. "Und was hast du geträumt", gab sie sich noch nicht geschlagen und fragte vorsichtig nach.

"Das erzähl ich dir besser nicht, es war…"

"Peter!"

Er ließ den Kopf hängen und ergab sich schließlich. "OK, ok! Es waren keine klaren Bilder, aber es war so, dass jedem, den ich gern habe, etwas passiert ist, weil ich dieses Gefühl nicht deuten konnte. So als könnte es wirklich auf jeden bezogen sein", sagte er besorgt. Er hatte keine Ahnung, was vielleicht kommen würde, aber er schwor sich, diesmal auf jede Regung seines Instinktes zu achten, um nicht noch einmal zu spät zu kommen. Cat ergriff seine Hand über den Tisch und drückte sie aufbauend, dankbar lächelte er ihr zu.

"Hör auf dir Sorgen zu machen, Honey. Es wird schon alles wieder gut werden", versuchte sie, ihn zu beruhigen.

"Glaubst du das wirklich?", fragte er vorsichtig, ohne Ironie, sondern nur um festzustellen, ob es seiner Frau wirklich um so viel besser ging.

"Das hält mich aufrecht", sagte sie wahrheitsgemäß.

Peter nickte und lächelte, dann stand er auf, um mit Paul zu telefonieren. Allein ging er ins Wohnzimmer und nahm das Telefon aus der Station.

"Ja?", meldete sich nach dem vierten Klingeln die tiefe Stimme seines Pflegevaters.

"Hallo Paul", sagte Peter knapp.

Sein Gesprächspartner merkte sofort, dass der junge Mann angespannt war. "Alles in Ordnung bei dir, Peter?", fragte er sofort nach.

"Ja, uns geht’s gut. Sag mal, Paul, hast du vielleicht was von Kermit gehört?", kam Peter sofort zu dem Thema, das ihn interessierte.

Er konnte ein Knurren am anderen Ende der Leitung hören. "Nein, das hab ich nicht. Und Peter, ich hab dir doch gesagt, dass…"

"Ich weiß, was du gesagt hast. Ich soll nicht nachfragen. Aber ich mach mir trotzdem Sorgen. Hast du wirklich nichts gehört?"

"Nein Peter! Aber wenn du reden willst, hab ich natürlich Zeit. Ich meine, falls…"

"Ja, danke. Heute und morgen ist aber eher schlecht, ich muss viele Stunden nachholen und habe meine Patienten in den letzten Tagen ziemlich vernachlässigt. Wie wär's mit Sonntagmittag, wenn ihr Zeit habt. Wir haben uns ohnehin schon lange nicht mehr blicken lassen", sagte Peter und hoffte innerlich, dass Paul vielleicht doch etwas wusste und er es ihm herauskitzeln konnte.

"Ist gut, ich sag deiner Mutter Bescheid. Bis dann Peter", verabschiedete sich Paul.

"Bis dann, Dad", sagte Peter intuitiv und wurde sich dessen erst bewusst, als er den Hörer bereits aufgelegt hatte. Seit Paul zurück war, hatte er diese Bezeichnung wieder häufiger gebraucht, ohne wirklich darüber nachzudenken. Er hatte es sich als junger Erwachsener und mit Aufnahme der Polizeiarbeit auf dem 101. Revier irgendwann abgewöhnt. Seit Caine wiedergekehrt war, hatte er den Begriff für Paul gar nicht mehr benutzt.

Auch wenn die Situation zwischen ihm und seinem Ziehvater aufgrund von Kermits Verschwinden etwas angespannt war, freute er sich auf den kommenden Sonntag. Es hatte etwas von Heimkehr, wenn er bei den Blaisdells saß, zusammen mit seiner Frau und am Besten noch seinen Schwestern. Das war das Stück Familie, dass er vorher nie gekannt hatte; eine Mutter, Geschwister, ein Vater der klar sagte was er dachte und ihm auch einfach mal eine gesalzene Standpauke gehalten hatte, wenn er sich früher in der Schule danebenbenahm.

Peter musste schmunzeln. Er erinnerte sich an eine ganz besondere Strafpredigt, in der Paul völlig ausgerastet war, weil Peter sich grundlos geprügelt hatte. Auf die Frage, warum, hatte der Junge damals einfach nur geantwortet 'Weil ich wusste, dass ich gewinne'. Sein Pflegevater drehte total durch und war furchtbar wütend geworden, weil Peter sich einfach aus Spaß prügelte.

Er hatte sich zwei Stunden lang anhören müssen, dass man Gewalt nur im äußersten Notfall anwenden durfte, dass man nicht einfach auf Schwächere losging, wie man mit Konfliktsituationen umgeht. Damals hatte er einfach nur weggehört, schließlich kannte er die ganzen Ansprachen aus seinem vorherigen Leben im Tempel.

Peter schob den Gedanken wieder zurück in seine Erinnerung, als seine Schüler eintrafen, unter anderem Jeremy, dem es im Buchladen sehr gut ging und der sich bis zu diesem Tag noch immer ständig dafür bedankte, was der Shaolin für ihn getan hatte.

Nach der Stunde bat Peter den jungen Mann, noch einen Moment zu bleiben. Er hatte kein konkretes Thema, wollte einfach nur mal hören, wie es ihm ging und ob es Probleme beim Vormundschaftsgericht gab. Jeremy aber winkte ab.

"Danke, Meister Caine, aber das lief wie immer. Dank ihnen!", sagte er freundlich.

Peter zog eine fragend eine Braue hoch. "Mir? Was habe ich denn mit dem Gericht zu tun?" verstand er den Zusammenhang nicht.

Jeremy aber grinste breit. "Na, wegen dem Job im Buchladen. Es wäre bedeutend schwerer gewesen, wenn ich keine Arbeit hätte vorweisen können. Ich kann ihnen einfach nicht genug danken!", erklärte er überschwänglich vor Freude.

Peter nickte, jetzt hatte er es kapiert. "Und wie läuft es mit deiner Schwester? Du hattest doch erzählt, dass sie aktuell schwierig ist", schwenkte er jetzt das Thema.

Sofort bildeten sich Sorgenfalten auf Jeremys Stirn. "Es geht. Aber ich möchte sie nicht mit meinen Problemen belasten, Meister..."

"Dafür bin ich doch da. Wenn die Menschen mir ihre Sorgen nicht mehr anvertrauen dürften, wäre meine Existenzberechtigung hier erloschen", sagte Peter geschwungen und dachte an seine eigenen Sorgen, von denen er eigentlich genug hatte. Aber er brauchte endlich Ablenkung von ihnen, und da war das Betreuen seiner Schüler und Patienten genau das Richtige.

"Also gut. Sie ist schwierig, lässt sich nichts sagen, ist aggressiv, arrogant und unfreundlich. Dazu hat sie merkwürdige Freunde und hört Musik, bei der mir die Ohren wehtun. Jetzt hat sie sich ihre Haare schwarz gefärbt. Ich weiß ja nicht, ob das wirklich was zu bedeuten hat, aber ich mache mir halt Sorgen. In dieser ganzen Hard Rock Szene kursieren doch Drogen, wie Lollies im Kindergarten", machte er seinen Ängsten und Bedenken Luft.

Peter nickte verständnisvoll, musste aber an seine Frau denken und innerlich schmunzeln.

"Also ich kann dich soweit beruhigen, dass harte Rockmusik und schwarze Haare allein noch nichts mit Drogen zu tun haben, sieh dir Castor an..."

"Es liegt aber auch nicht weit auseinander", sagte sie in dem Moment und kam durch die Tür, "hallo Jeremy, ich hoffe, sie haben nichts dagegen, ich habe nur grade gehört, was Peter gesagt hat, und da musste ich leider intervenieren."

Der junge Mann nickte ihr zu. "Natürlich nicht Mrs. Caine. Aber was sie gesagt haben...?"

"Tut mir Leid, dass ich deine Hoffnungen zerstören muss, aber ich kenne die Szene", setzte sie an und blickte sorgenvoll in die Runde, "und Drogen gehören da zugegebener Maßen zum Alltag, zumindest bei den meisten. In der Regel nichts hartes, sondern 'nur' Marihuana, aber das reicht ja schon. Besonders die Kids finden es cool, wenn ihre Idole an einer Überdosis sterben."

Jeremy wirkte geschockt, Peter sah ihn an. Ehe er allerdings etwas sagen konnte, sprach Cat weiter.

"Ich geb' ja zu, früher dachte ich das auch mal. Aber die Ereignisse haben meine Sichtweise geändert. Das Leben ist eindeutig zu wertvoll, um es sich damit zu versauen", führte sie aus und erntete von den Männern Zustimmung.

Peter wirkte nachdenklich. "Es gibt von der Polizei ein Präventionsprogramm, um Jugendliche vor dem Umgang mit Drogen zu warnen. Allerdings handelt es sich dabei um eine Schocktherapie", teilte er mit, Jeremy hörte aufmerksam zu.

"Was meinen sie mit Schocktherapie?", hakte er nach.

"Naja, den Kids wird sehr eindeutig gezeigt, was passieren kann. Das beinhaltet auch einen Besuch in einer Entziehungsklinik und im Leichenschauhaus. Des Weiteren erleben sie, wie es ist, bei einer Drogenrazzia festgenommen und verhört zu werden. Es ist hart, aber wenn sie nicht schon zu abgestumpft sind, hilft es auch."

"Das ist heftig", murmelte Jeremy zunächst, schien die Option aber durchaus in Betracht zu ziehen. Fragend blickte er zu Peter auf.

"Sagen sie, könnte ich da auf sie zukommen, falls ich es wirklich für notwendig erachte? Oder an wen muss ich mich wenden? Auch wenn ich jetzt noch nicht zu solchen Mitteln greifen möchte."

"Ich könnte das arrangieren, das ist kein Problem. Falls du es also für sinnvoll hältst, melde dich einfach bei mir", sagte der Shaolin freundlich.

Der junge Mann nickte nachdenklich und verabschiedete sich dann von den Caines.

"Und du fandest das damals auch cool?", kam Peter jetzt auf Cats Kommentar zurück.

Sie seufzte schwer. "Weißt du Honey, es gab Zeiten, da fand ich auch den Gedanken an Selbstmord 'cool' und zog ihn als Möglichkeit zur Lösung meiner Probleme in Betracht", sagte sie trocken und zuckte die Schultern.

Peter zog sie mit einem Arm an sich und drückte ihr einen Kuss ins Haar. Dazu musste er nichts mehr sagen, ebenso wenig wie sie, denn diese Zeiten waren schon lange vorbei, auch wenn die schmerzliche Erinnerung erst wieder aufgeflammt war.

* * *

Frank Strenlich öffnete den Umschlag für interne Mitteilungen, den ihm soeben ein Streifenpolizist gebracht hatte. Er zog das Blatt heraus und begann unter den neugierigen Augen seiner Detectives, die auf Mitteilung bezüglich des neuen Captains warteten, es zu lesen.

Chief Strenlich,

Captain Bruce Monahan wird kommenden Mittwoch seinen Dienst als neuer Kommandeur des 101. Reviers antreten. Sorgen sie dafür, dass alle Mitarbeiter ihrer Dienststelle an diesem Morgen um 10:00 Uhr anwesend sind.
Beamte mit ordentlich genehmigtem Urlaub oder mit Krankheit sind davon selbstverständlich ausgeschlossen. Bitte teilen sie dem Department die entsprechenden Namen und Dienstnummern umgehend mit.
Unbefristeten Urlaub, von dem das Department unterrichtet wurde, wird es ab sofort nicht mehr geben, also tragen sie Sorge dafür, dass entsprechende Polizisten zum angegebenen Zeitpunkt anwesend sind. Sollte dies nicht der Fall sein, wird ein entsprechendes Disziplinarverfahren eingeleitet, das zur Suspendierung und Entlassung führen kann.

Mit freundlichen Grüßen,
Commissioner Newton

Der Chief of Detectives knurrte etwas Undefinierbares und hatte große Lust, das Schreiben in seiner Hand einfach zu zerknüllen und wegzuwerfen, leider konnte er das nicht.

"Verdammte Bürokraten", schnaubte er.

Skalany, die kaum zwei Meter von ihm entfernt saß, sah jetzt zu ihm auf. "Ärger, Chief?" fragte sie mit hochgezogenen Brauen.

"Für uns nicht. Aber für Kermit. Nächsten Mittwoch um 10 Uhr tritt der neue Captain seinen Dienst an. Und wenn er bis dahin nicht wieder da ist, verliert er seinen Job", führte er aus und übersetzte dabei frei die geschwungenen Formulierungen in dem Schreiben.

Skalany blickte besorgt zu ihrem Boss auf, heute war Samstag, also hatte Kermit noch fünf Tage um zurückzukommen. Und sie hatten keine Möglichkeit, ihm das zu sagen. Strenlich nickte ihr mit ähnlich Anteil nehmendem Gesicht zu und stellte sich dann vor die komplette Mannschaft, um auch sie von der Ankunft ihres neuen Captains, von dem noch keiner etwas gehört hatte, zu unterrichten.

Die Cops tauschten alle besorgte Blicke, auch sie machten sich Sorgen um ihren undurchdringlichen Kollegen. Es hatte nicht lange gedauert, bis sie am Tag nach Karens Tod gemerkt hatten, dass Kermit seinen Schreibtisch komplett geräumt hatte, schon da hatten sie die Angst bekommen, dass er nicht mehr zurückkehren würde. Aber die klare Ansage vom Department fügte jetzt einen noch bittereren Beigeschmack hinzu.

***

Kapitel 21

Eine Stunde bevor Peter und Castor am Sonntag zu den Blaisdells aufbrechen wollten, klingelte das Telefon. Cat rollte die Augen, ging dann aber dran.

"Caine", meldete sie sich und hörte auf das, was ihr am anderen Ende der Leitung erzählt wurde. Peter beobachtete sie aufmerksam und konnte aus ihrem Gesicht lesen, dass es schlechte Nachrichten waren. Es dauerte nicht lange, dass legte sie wieder auf.

"Das war mein Boss. Heute Mittag ist eine außerordentlich Redaktionssitzung, zu der ich muss", sagte sie missgelaunt.

"Heute ist Sonntag!", entgegnete ihr Mann entrüstet.

Sie zuckte die Schultern. "Du weißt doch, Reporter arbeiten rund um die Uhr, außerdem erscheint die neue Ausgabe am Dienstag. Ich schätze mal, dass es irgendwelche Probleme gibt. Ich MUSS dahin", sagte sie und Peter spürte, dass es ihr überhaupt nicht gefiel. Sie fühlte sich in Pauls und Annies Gegenwart sehr wohl und mochte die beiden unbeschreiblich.

"Na super. Aber da kann man nichts machen, was?"

"Nein, leider nicht. Ich muss dann auch gleich los, dann kann ich den Bus nehmen", sagte sie nach einem Blick auf die Uhr.

"Ich kann dich doch fahren!"

"Ist doch die völlig falsche Richtung. Schon gut. Grüß die zwei von mir, ja?" sagte sie und griff nach ihrer Handtasche.

"Mach ich. Bis nachher, Süße!", sagte er und gab ihr einen liebevollen Kuss.

"Bis dann", sagte sie nur und verschwand dann durch die Wohnungstür.

Peter hatte gespürt, dass sie furchtbar genervt von dem Anruf und der damit verbundenen Verpflichtung war, aber manchmal ging es nun mal wirklich nicht anders. Er fragte sich unmittelbar, warum nicht einfach mal was klappen konnte.

Obwohl er noch Zeit hatte, kramte auch er jetzt nach den Autoschlüsseln und brach auf. Er hatte sich überlegt, vorher noch mal kurz auf dem Revier vorbeizuschauen und dort nachzufragen, ob es etwas Neues gab. Auch wenn die Hoffnung ziemlich gering war, dass ausgerechnet dort eine Nachricht von Kermit auflief.

Als er in den Stealth stieg, musste er wieder an Kermits leicht verlegenes Gesicht denken, als seine Freunde ihm und Cat den Wagen geschenkt hatten. Damals war noch alles gut gewesen, sie waren glücklich und die Welt schien einfach wunderbar. Jetzt aber hatte sie ihren Glanz verloren und es blieb nur ein trostloses Grau, das über allem lag.

Wenige Minuten später erreichte er seine ehemalige Arbeitsstätte, wo er den Chief antraf, der ihm von der Mitteilung des Commissioners unterrichtete. Peter fühlte sich dabei genauso mies wie alle anderen, wenn es tatsächlich soweit kommen sollte, dass sein bester Freund seinen Job verlor.

Er hielt sich nicht lange auf, sondern verabschiedete sich danach sofort wieder und machte sich auf den Weg zu seiner Familie, auch wenn er etwas früh dran war. Gleichmäßig fuhr er in dem spärlichen Verkehr bis zu dem Ort, an dem er einen Teil seiner Kindheit verbracht hatte.

Noch bevor Peter ausgestiegen war, öffnete Paul schon die Tür und wartete auf ihn.

"Du bist früh", sagte der Captain außer Dienst überrascht, schließlich hatte Peter immer eine ausgeprägte Ader dafür besessen, zu bestimmten Terminen zu spät zu kommen.

"Wo ist Cat?", fragte er weiter, ohne eine Antwort abzuwarten.

Peter verdrehte die Augen. "Sie muss arbeiten, eine spontane Redaktionssitzung. Sie musste hin, ich soll euch grüßen", erklärte er und betrat das Haus. Paul nickte nur und schloss die Tür, dann folgte er seinem Sohn ins Wohnzimmer.

"Annie hatte sich hingelegt, sie hat Kopfschmerzen. Möchtest du einen Kaffee?", fragte Paul, schon auf halbem Weg unterwegs in die Küche.

"Gern, danke", sagte er und wartete auf die Rückkehr seines Ziehvaters.

Der kam mit zwei dampfenden Tassen und drückte Peter eine davon in die Hand, der dankbar einen Schluck nahm. Dann stieg er sofort in das Thema ein, das ihn schon seit Tagen kaum noch losließ.

"Hast du was von Kermit gehört?", fragte er Paul.

Ein tadelnder Ausdruck lag in dessen Gesicht, weil der junge Mann diese Frage ständig stellte. "Nein, habe ich nicht. Und jetzt hör bitte auf..."

"Machst du dir denn gar keine Sorgen?", platzte Peter entsetzt dazwischen und begann, im Wohnzimmer auf und ab zu laufen, eine Hand in den Haaren. Wieder bekam er diesen vorwurfsvollen Blick zugeworfen.

"Natürlich mache ich mir Sorgen, Peter! Aber tu mir den Gefallen und hör auf mich zu fragen! Ich werde mich nicht einmischen! Natürlich könnte ich herausfinden wo er ist, aber solange es dafür keinen verdammt guten Grund gibt, werde ich es nicht tun!", sagte Paul mit absolut bestimmtem Tonfall.

"Ich hab da ein ungutes Gefühl bei der Sache", setzte Peter aber dennoch nach.

"Dein Shaolin-Instinkt in aller Ehren, Peter, ehrlich. Aber trotzdem können wir nichts machen! Kermit muss mit sich selbst fertig werden, da können wir ihm nicht helfen", verdeutlichte Paul.

Resignierend verzog der Shaolin die Mundwinkel. "Ich war heute Morgen auf dem Revier und hab mit Strenlich gesprochen. Nächste Woche fängt der neue Captain an, und er hat schon verlauten lassen, dass Kermit dann dort zu sein hat, sonst ist er seinen Job los", teilte Peter mit, "unbefristeten Urlaub gäbe es bei ihm nicht."

"Ich weiß, er hat mich angerufen. Aber erinnerst du dich noch an das, was Annie bei der Trauerfeier gesagt hat? Es macht keinen Unterschied. Vielleicht für uns, aber nicht für Kermit. Er würde deshalb nicht früher zurückkommen!" wiederholte Paul. Warum war sein Pflegesohn nur so stur und konnte das nicht einsehen?!

Er sah in Peters Gesicht, das noch immer Unverständnis ausdrückte. Glaubte der Junge denn tatsächlich, dass ihm das nicht an die Nieren ging? Dass es ihn nicht berührte, dass er sich keine Sorgen machte? Aber es ging nun mal um Kermits Seelenheil, nicht um ihr eigenes, ihre inneren Sorgen mussten sie ihm zu Liebe ertragen.

Paul trat jetzt einen Schritt auf seinen Sohn zu, legte ihm die Hand auf die Schulter und sah ihn liebevoll an.

"Du konntest noch nie gut abwarten", drückte er seine Erfahrung mit dem jungen Mann aus.

Peter lächelte schief und zog eine Augenbraue in die Höhe. "Eigentlich kann ich das inzwischen recht gut... aber das geht mir einfach zu nah! Ich mach mir riesige Sorgen um ihn. Vor drei Tagen bin ich nachts plötzlich aufgeschreckt und wusste selbst nicht warum. Was, wenn ihm in diesem Moment etwas passiert ist?"

Paul verstärkte den Druck seiner Hand. "Glaubst du denn, dass es mit ihm zu tun hatte?", hakte er nach.

Peter ließ den Kopf hängen. "Ich weiß es eben nicht. Normalerweise kann ich so was zuordnen, aber diesmal..." sagte er und löste sich wieder von seinem Ziehvater, um weiter auf und ab zu laufen.

"Hör auf, dir Gedanken zu machen. Solange wir nichts von ihm hören, geht es ihm gut!", versicherte Paul in einem Tonfall, der keinen Platz für Zweifel lassen sollte, aber Peter merkte sofort, dass auch sein Vater nicht wirklich meinte, was er da sagte. Er wollte ihn nur beruhigen, davon war der Shaolin überzeugt.

"Bist du dir da sicher? Absolut sicher, zu hundert Prozent?", fragte er, um ihn aus der Reserve zu locken, vielleicht ließ er ja doch etwas raus.

Paul aber rollte wegen Peters Hartnäckigkeit nur die Augen. "Ich bin mir so sicher, wie es möglich ist. Aber erwarte keine Garantien. Die gibt es im Leben nun mal nicht!", sagte der alte Mann deutlich und abschließend.

"Solange es die nicht gibt, werde ich mir weiterhin Gedanken machen!", sagte Peter bestimmt und sah Paul einen Moment fest in die Augen, allerdings ließ er ihm keine Möglichkeit, etwas dazu zu sagen, sondern sprach sofort weiter.

"Ich muss jetzt wieder los, grüß Mom von mir", ergänzte er, obwohl er keine weiteren Termine mehr an diesem Tag hatte. Aber es trieb ihn plötzlich wieder fort. Was sollte er hier bleiben, wenn er mit Paul nicht darüber reden konnte, wenn der Mann seine Bedenken nicht teilte.

Peter stellte seine Tasse ab und verließ sein zwischenzeitliches Elternhaus durch die Vordertür. Paul sah ihm nach, sein Tonfall hatte etwas Abweisendes gehabt, als würde er seinem Pflegevater Vorwürfe machen wollen, weil dieser seine Besorgnis wohl nicht teilte.

Er schüttelte den Kopf, so ruhig und gelassen Peter inzwischen in der Regel war, manchmal kam doch noch sein altes hitzköpfiges Wesen zum Vorschein, und dann hieß es für alle Anwesenden nur noch 'in Deckung gehen'.

"Ist Peter schon weg?", fragte Annie und tastete sich die Treppe runter. Sofort kam ihr Mann zu ihr und reichte seinen Arm.

"Er ist grade gegangen, Liebes, ich soll dich grüßen", teilte er ihr mit.

"Wie geht es ihm?"

"Er ist aufgewühlt. Krank vor Sorge. Und er will nicht einsehen, dass er nichts tun kann."

"Das fällt ihm nun mal schwer. Er möchte den Menschen helfen, ganz besonders seinen Freunden. Und unter uns, ich finde es auch besorgniserregend", sagte Annie und setzte sich auf Sofa. Paul blieb stehen.

"Ich mache mir doch auch Sorgen. Aber wir können nun mal nichts machen. Da muss er ganz allein durch", sagte er, jetzt war seiner Stimme auch anzuhören, dass ihm dieser Umstand auch nicht kalt ließ.

Der frühere Captain setzte grade erneut an, um etwas zu sagen, als das Telefon die Stille durchbrach. Er seufzte schwer und ging dann hinüber.


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