Teil 8
Autor: Ratzenlady
 

Kapitel 12

Peter erwachte aus seiner Meditation, als es an der Tür klopfte. Er öffnete die Augen und stellte fest, dass es bereits hell geworden war, offenbar hatte sein Gespräch mit seinem Vater die ganze Nacht gedauert.

Nicht ganz so geschmeidig wie sonst erhob er sich aus dem Schneidersitz und ging den Flur entlang. Es war unüblich, dass jemand an der Tür klopfte, aber ab und zu kam es vor. Er fuhr sich durchs Gesicht und die Haare und zog dann die Tür auf. Vor ihm stand ein Polizist in Uniform, den Peter nicht kannte.

"Peter Caine?", fragte der Beamte.

Der junge Shaolin nickte mit skeptischem Blick. Der Cop reichte ihm einen Umschlag und verabschiedete sich dann wieder. Peter warf die Tür wieder zu und riss den Umschlag auf, während er den Flur zurück in die Küche ging, um einen Kaffee aufzusetzen. Er legte den Brief zunächst beiseite und machte die Maschine fertig, dann zog er das gefaltete Papier heraus und las.

"Was soll das denn?", fragte er ärgerlich in die leere Küche, als Cat müde in der Tür erschien.

"Was ist denn?", fragte sie.

Peter musterte sie zunächst und versuchte einen Eindruck zu erhalten, wie es ihr ging. Sie schien einigermaßen mit der Situation zurechtgekommen zu sein.

"Wir müssen heute Mittag auf dem Revier unsere Aussage machen", sagte er schließlich und gab ihr einen dünnen Guten-Morgen-Kuss.

"Warum? Wir waren doch gar nicht dabei", sagte sie und warf einen Blick nach der Kaffeemaschine, die grade die letzten Tropfen aus dem Filter in die Kanne fallen ließ.

"Keine Ahnung. Ich versteh nicht mal, warum sie uns so förmlich ne Vorladung schicken. Man hätte ja auch einfach anrufen können", stimmte er ihr zu und ergänzte den Grund seiner leichten Verärgerung.

Cat murmelte eine Zustimmung und nahm zwei Tassen aus dem Schrank, die sie mit Kaffee füllte.

"Hast du Hunger?", fragte sie schließlich leise.

"Nein, nicht wirklich. Du?"

Cat schüttelte den Kopf, ihr war der Appetit gänzlich vergangen. Noch immer drehten sich ihre Gedanken nur um Karens Tod.

"Ich hab gestern noch mit Annie telefoniert", informierte Peter sie, nachdem sie sich schweigend an den Küchentisch gesetzt hatten.

"Paul wollte gestern Abend noch zu Kermit, er war allerdings noch nicht zurück, als Mom angerufen hatte."

Cat nickte gedankenverloren. "Ich hoffe, dass er ihm irgendwie helfen konnte. Ich mache mir Sorgen um ihn", sagte sie schließlich.

Peter stimmte ihr zu, es ging ihm genauso, Kermits Verfassung machte auch ihm zu schaffen.

"Die beiden kennen sich wesentlich länger als ich Kermit kenne. Ich denke dass Paul weiß, wie er ihm irgendwie Mut machen kann. Ich hoffe es zumindest", sagte Peter nachdenklich.

Kermits Wesen hatte sich ihm in den letzten Jahren zwar durch seinen Berufswechsel zum Shaolin wesentlich mehr geöffnet, aber ganz durchdringen konnte er ihn nicht. Und in dieser Situation konnte auch er nur raten, wie Kermit schließlich darauf reagierte und was er machen würde.

"Meinst du, Kermit macht irgendwas… Dummes?", fragte sie genau das, was Peter grade durch den Kopf gegangen war.

"Ich weiß es nicht", gab er nur zurück.

Schon wieder eine unzufrieden stellende Antwort, genauso wie er sie seinem besten Freund schon im Gerichtsgebäude geben musste. Er fragte sich unmittelbar, warum er die Menschen, die er liebte, immer enttäuschen musste, wenn sie Rat von ihm suchten.

* * *

Stumm betrat Kermit das Revier, sein Jackett war verknittert, seine Haare zerwühlt; ein Indiz für seine schlaflose Nacht. Sofort verstummten die Cops und sahen ihn an, verfolgten seinen Weg mit ihren Augen.

Er spürte sie, die bohrenden Blicke seiner Kollegen, die ihn fragten, warum er versagt hatte. Anklagend brannten sie Löcher in seine Haut, während er starr nach vorne blickend auf sein Büro zu ging. Er konnte ihnen nicht in die Augen gucken, nicht mal durch die Brille, für die er heute dankbarer war als jemals zuvor.

Jody und Blake, die zusammen an ihrem Schreibtisch gestanden hatten, sahen ihm mitleidvoll hinterher. Sie hätten so gerne etwas für ihn getan, etwas Tröstendes gesagt, aber sie wussten nicht wie. Ihr Freund sah schlecht aus, verdammt schlecht und mitgenommen.

Nachdem Kermit seine Bürotür hinter sich geschlossen hatte, ging das leise Gemurmel wieder los, das die betroffene Stille nur mäßig überdecken konnte. Jody hörte verschiedene Gespräche mit je einem Ohr, und es waren die Worte, die auch durch ihren Kopf geschossen waren.

"Kermit sieht schlecht aus."
"Er hat bestimmt nicht geschlafen."
"Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll."
"Ich könnte nicht wieder her kommen."
"Kann man ihm irgendwie helfen?"
"Das ist alles so schrecklich."

Jody schüttelte den Kopf, um all die Sätze los zu werden, die sich auch lautlos durch ihren Kopf bewegten. Kermit tat ihr so unendlich leid, sie hätte so gern etwas getan. Leider wusste sie, dass es nichts gab, was sie für ihn hätte tun können, außer Verständnis und Mitgefühl zu empfinden. Und wie sie ihn kannte, würde er nicht mal das annehmen.

Nachdem Kermit die Tür hinter sich zugemacht hatte, stützte er sich auf seinen Schreibtisch und schloss die Augen. Er fühlte sich, als würden die Blicke der anderen noch immer in seinem Rücken brennen. Er wusste, dass sie jetzt da draußen über ihn redeten.

Aber er hatte hier her kommen müssen, es war seine Schmach, die er über sich ergehen lassen musste. Er hatte es verdient, den Hass aller anderen zu spüren, es sollte so sein, schließlich war er es, der den Tod ihres Captains zu verantworten hatte.

Diese Gedanken und Schuldgefühle hatten sich mittlerweile so tief in seinen Verstand gefressen, dass er gar nicht mehr auf die Idee kam, dass es anders sein könnte. Nein, sie alle hassten ihn für das, was er getan, oder viel mehr nicht getan hatte. Das musste so sein, selbst er hasste sich schließlich dafür.

Er ließ sich schwer auf seinen Stuhl fallen und startete den Rechner, als es zaghaft an der Tür klopfte. Der Ex-Söldner reagierte nicht darauf, dennoch öffnete sich langsam die Tür und der Strenlich kam herein. Betreten stand er da und suchte offenbar nach den richtigen Worten.

"Kermit, wie..."

"Ich will nicht drüber sprechen. Was gibt’s Chief?", sagte er mit möglichst normaler Stimme, sein Gesicht war eine einzige regungslose Maske.

"Da sind zwei Detectives, die ihre Aussage aufnehmen wollen. Aber wenn sie jetzt nicht..., dann kann ich sie auch wieder wegschicken", sagte er, entschlossen seinen Detective so weit wie möglich zu verteidigen. Kermit erhob sich von seinem Stuhl.

"Schon gut. Dann hab ich’s hinter mir", sagte Kermit tonlos und verließ sein Büro.

"Übrigens, das Department hat sich um alles gekümmert. Die Beisetzung ist in drei Tagen", teilte der Chief betreten mit. Kermit nickte nur.

Im Verhörraum warteten zwei Männer auf ihn, der eine war der mit dem Fall betraute Beamte, der andere ein Kollege von der internen Ermittlungsstelle. Arrogant saß dieser dort in einem dreiteiligen Anzug und drehte einen Kugelschreiber in den Fingern. Kermit konnte ihn schon jetzt nicht ausstehen.

"Das sind Detective Jennings vom zuständigen Morddezernat und Detective Mullen von der internen Abteilung. Meine Herren, Detective Griffin", stellte Chief Strenlich die Männer kurz vor.

Stoisch schüttelte Kermit die Hände und ließ sich dann in den Stuhl gleiten. Sein Vorgesetzter lehnte sich an die Wand.

"Schon gut, Chief, ich komm hier klar", sagte Kermit und starrte dann die beiden Männer an, fast angriffslustig wirkte sein Blick.

Strenlich zog sich von der Wand ab, nickte, und verließ dann den Raum. Kermit wusste, dass er mit Sicherheit hinter der Glasscheibe die Aussage dennoch verfolgen würde, aber er brauchte hier keine Unterstützung.

"Detective Griffin, bitte erzählen sie uns, was sich im Gerichtssaal zugetragen hat", eröffnete der Cop vom Morddezernat das Gespräch und schaltete das Tonbandgerät auf dem Tisch an. Mullen lehnte sich arrogant zurück und tippte mit seinem Kugelschreiber auf einen Block vor sich.

Kermit erläuterte in knappen Sätzen, und noch immer ohne jede Regung in der Stimme, was geschehen war, seit Alex Woods in den Gerichtssaal geführt worden war. Er wollte einfach nur fertig werden und hier wieder raus zu kommen und das zu tun, was er sich vorgenommen, was er in der vergangenen Nacht ohne Schlaf und mit viel Scotch entschieden hatte.

Jennings nickte ihm zu, ihm reichte die kurze Beschreibung völlig, der Fall war ohnehin klar und es gab unzählige Zeugenaussagen, die sich mit Kermits deckten. Mullen aber schien anderer Meinung zu sein, er lehnte sich jetzt nach vorne und musterte den Cop mit der Sonnenbrille eingehend.

"Ist es richtig, dass sie und Captain Simms ein Verhältnis hatten?", fragte er.

"Ja."

"Und sie lebten zusammen?"

"Ja", antwortete Kermit wieder nur knapp, auch wenn in seinem Inneren allmählich alles zu kochen begann. Was ging das diesen Mistkerl überhaupt an? Was hatte das mit dem Mord zu tun?

"Glauben sie, dass diese Tatsache ihre Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt hat?", hakte Mullen weiter nach.

Kermits Ader an der Stirn trat jetzt deutlich hervor, er musste sich zurückhalten um nicht all die angestaute Wut an diesem Polizist auszulassen. "Nein", zischte er durch seine zusammengebissenen Zähne.

Jennings sah skeptisch zu dem internen Ermittler rüber, er selbst schien die Vorgehensweise der Befragung auch nicht gut zu heißen.

"Wäre es nicht möglich, Detective, dass sie sich falsch verhalten haben, weil sie ihren Fokus auf Captain Simms richteten?", bohrte Mullen ungehindert weiter in Kermits Wunden.

Der zog jetzt scharf die Luft ein und richtete sich in seinem Stuhl auf, lehnte sich nach vorne und schob seine Unterarme auf dem Tisch vor.

"Detective Mullen! Wenn sie mir etwas sagen wollen, dann tun sie es! Wenn nicht, sehe ich diese Befragung als beendet an! Schließlich ist es ja kein Verhör; oder?", knurrte Kermit jetzt am äußersten Ende seiner Selbstbeherrschung.

Der Ermittler funkelte ihn böse an, schien ihm aber nichts entgegen setzten zu können. "Bisher noch nicht", erwiderte er und zeigte mit dem Kugelschreiber auf den früheren Söldner, "aber wer weiß."

Kermit überhörte die unterschwellige Drohung, erhob sich wortlos und verließ den Raum. Ohne einen Ton zu irgendwem zu verlieren ging er wieder in sein Büro und verschloss die Tür hinter sich.

Endlich konnte er damit beginnen, seine persönlichen Daten von der Festplatte zu sichern und sie anschließend zu formatieren. Darum war er hier; vermutlich zum letzten Mal für lange Zeit. Oder für immer.


Kapitel 13

Peter bemerkte sofort das Kermit-Mobil auf dem Parkplatz des Reviers, als er den Stealth abstellte. Unmittelbar entwickelte sich die Hoffnung in seinem Inneren, dass er vielleicht eine Gelegenheit bekam, mit Kermit zu sprechen und ihn irgendwie aufbauen zu können.

Kaum dass er den Motor abgestellt hatte, öffnete Cat die Tür und stieg aus. Sie wirkte relativ ruhig an diesem Tag, aber der Shaolin war sich nicht sicher, ob das wirklich ein so gutes Zeichen war, oder ob sie einfach eine Maske aufgesetzt hatte, die allen Schmerz in ihrem Inneren einsperrte.

Noch immer wirkte sie abwesend und apathisch, sie funktionierte wie ein Roboter, nicht mehr, nicht weniger, seit sie an diesem Morgen aufgestanden war. Peter folgte ihr und heftete seinen besorgten Blick an ihren Rücken, bis sie in das schwere Portal des Gebäudes eingetreten waren.

Stumm gingen sie an Broderick vorbei und kamen in den hinteren Teil, wo die ehemaligen Kollegen von dem Shaolin eine leise Begrüßung murmelten, die ebenso tonlos erwidert wurden. Erst als Peter Chief Strenlich erblickte, regte sich etwas in seinem Gesicht, aber es war keine Freude.

"Wir sind geladen worden", sagte er, deutlich wütend darüber, "offensichtlich bin ich ja schon zu lange draußen, als dass man einfach anruft!" Wütend warf er den Brief mit der Vorladung vor dem leitenden Cop auf den Tisch.

"Hören sie, Peter, ich verstehe wenn sie wütend sind. Aber das ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Der Commissioner wollte das so. Alles streng nach Vorschrift, grade bei dem speziellen Fall", erklärte er die Hintergründe.

Peters Wut verpuffte und er ließ kurz den Kopf hängen. "Entschuldigen sie. Ich war nur…"

"Schon gut", sagte Strenlich und klopfte ihm auf die Schulter.

"Wo ist Kermit?", fragte Peter als nächstes. Cat stand noch immer neben ihm und regte sich nicht, ihre glasigen Augen starrten vor ihr auf die Wand, ihr Körper war steif.

"In seinem Büro. Aber die zwei Detectives wollen zunächst mit ihnen sprechen, Peter."

Der Shaolin nickte und wandte sich dann seiner Frau zu. "Ich bin gleich wieder da", sagte er ihr, drückte einen Kuss auf ihre Stirn und ging dann zum Verhörraum.

Cat setzte sich auf einen der freien Stühle und starrte auf ihre Hände, während ihre Gedanken noch immer schmerzhaft um Karens Tod wirbelten. Sie warf einen Blick auf die Bürotür des Captains, und konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, in Tränen auszubrechen.

Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie dort gesessen hatte, als Peter sanft seine Hände auf ihre Schultern legte und ihr mitteilte, dass sie nun an der Reihe war. Er brachte sie zur Tür und wartete, bis sie sich gesetzt hatte, dann ging er in den Nebenraum, um das Gespräch zu beobachten und gegebenenfalls eingreifen zu können, wenn sie Cat zu hart angingen.

Besorgt beobachtete er, wie sie reglos dasaß, die Tischplatte anstarrte und zunächst die Fragen nach ihrem Namen und ihren persönlichen Angaben beantwortete. Es gefiel ihm nicht, dass seine Frau aussagen musste, aber Cat selbst hatte zugestimmt, gleichgültig und apathisch.

Er hätte sie so gerne davor geschützt, und wahrscheinlich hätte er es auch durchsetzen können, da sie eigentlich völlig unbeteiligt war, aber sie selbst wollte es nicht. Vermutlich war sie der Meinung, dass es so weniger anstrengend war, wenn sie einfach kurz erzählte, was aus ihrer Sicht geschehen war.

"Mrs. Caine, würden sie uns bitte mitteilen, was passiert ist?", fragte Jennings freundlich, offenbar nahm auch er wahr, wie sehr Cat das alles mitnahm, auch wenn sie äußerlich gefasst wirkte.

"Wir waren zu Hause. Dann hat Peter, also mein Mann, einen Anruf bekommen. Er dachte erst, es wäre Kermit, aber es war dieser Woods, der ihm gesagt hat, dass Karen, Kermit und Mary-Margaret Geiseln sind", begann sie, aus ihrer Erinnerung zu erzählen. Noch immer starrte sie regungslos vor sich, nur ihr Mund bewegte sich.

"Peter ist hingefahren, und ich bin mitgekommen, habe dann aber draußen an der Absperrung gewartet. Als Peter grade an der Tür war, hab ich die Schüsse gehört. Er ist dann rein gerannt. Und dann hab ich irgendwann Kermit rauskommen sehen. Er war voller Blut und… und…", begann sie jetzt zu stammeln.

Peter spürte, wie sich in ihm alles anspannte, langsam bröckelte ihre Fassade. Cat aber atmete tief durch.

"Ich hab ihn gefragt, was passiert ist, aber er hat nicht reagiert. Also bin ich auch rein gelaufen und dann hab ich… hab ich… Karens… ihre…"

Jennings sah sie tröstend an, während Mullen nur gelangweilt da saß und nicht mal versuchte, ihre irgendwie Mut und Unterstützung zuzusprechen.

"Ganz ruhig, Mrs. Caine. Sollen wir eine Pause machen?", fragte er.

Cat schüttelte den Kopf, sie wollte es hinter sich bringen. Peter aber war kurz davor, rein zu gehen und alles abzubrechen, als Strenlich neben ihn trat.

"Sie wird das packen", versuchte er, seinem ehemaligen Detective Mut zu machen.

Peter sah angespannt zu ihm rüber und beschloss, ihm vorübergehend zu glauben. Sollte sie aber noch mal so ins stocken kommen, würde er reingehen.

"Ihre Leiche", brachte sie schließlich das Wort über die Lippen, "ich habe ihre Leiche gesehen. Dann hat Peter mich davon weggedreht und ich… bin zusammengebrochen. Den Rest erinnere ich nicht mehr richtig."

Jennings nickte. Peter beobachtete Mullen aufmerksam, falls dieser auf die Idee kommen sollte, Cat in die Mangel zu nehmen, wie er es bei ihm versucht hatte.

"Danke, Mrs. Caine, vielen Dank. Sie können jetzt gehen", sagte der Mordermittler schließlich mit einem scharfen Blick zu seinem Kollegen, damit dieser bloß nicht doch noch eine Frage stellte.

Peter kam sofort rum und öffnete die Tür. Cat erhob sich von dem Stuhl und ging hinaus, Peters Hand auf ihrem Rücken gar nicht wirklich wahrnehmend.

"Alles klar, Süße?", fragte er besorgt.

Sie nickte nur, das Gesicht immer noch eine Maske aus undurchdringlichem Selbstschutz. Sanft strich er ihr übers Haar und hauchte einen Kuss darauf, keine Ahnung, wie er ihr noch mehr helfen konnte. So oft schon hatte er Gemeindemitglieder auf dem Weg des Verlustes betreut und ihnen geholfen, warum fiel es ihm bei seiner Frau so schwer? Kleine Selbstvorwürfe begannen wieder ihre spitzen Zähne in sein Herz zu bohren.

Dann wurde er von dem Geräusch einer Tür aus den Gedanken gerissen. Es war Kermit, der aus seinem Büro trat. Aufmerksam bemerkte der Shaolin durch die offene Tür, dass der Schreibtisch seines Freundes völlig leer geräumt war. Einen Seitenblick zu Cat werfend, die nun ihre Schuhe anzustarren schien, erhob er sich und ging in Kermits Richtung, der bei Strenlich halt machte.

"Chief, ich nehme Urlaub", sagte er mit bestimmendem Tonfall.

"Natürlich Kermit", stimmte dieser dem doch recht formlosen Antrag zu und blickte dem Cop besorgt hinterher.

Peter stellte sich jetzt in Kermits Weg und blickte ihn an. Er versuchte all sein Mitgefühl in diesen Blick zu legen, aber er konnte im Gegenzug nicht in seinen Augen lesen.

Kermit stoppte direkt vor ihm abrupt ab und starrte ihn an, sein Blick vermittelte eine deutliche Botschaft: 'Sprich mich nicht an, frag nicht nach, lass mich in Ruhe!'

"Kermit, warte mal", versuchte es Peter dennoch, auch wenn er nicht mal genau wusste, was er sagen wollte.

Sein Freund sah ihn finster durch die Brille an, so als hätte er ein grundlegendes Gesetz gebrochen. Dann ging er einfach weiter und schob sich rüde an ihm vorbei. Reflexartig packte Peter Kermits Ärmel und zog ihn herum.

Wütend schüttelte Kermit sich aus dem Griff und stierte Peter noch zorniger an, sagte aber noch immer keinen Ton, sondern ließ die Botschaft über seinen Blick verlauten. Peter wollte aber trotzdem nicht nachgeben.

"Verdammt, rede mit mir!", zischte Peter leise, um es nicht alle anderen auch hören zu lassen.

"Ich will nicht mir dir reden! Ich will mit überhaupt niemandem reden!", knurrte er seinen Freund böse an. Dann drehte er sich rum und verließ das Revier.

Peter ließ die Schultern hängen und ging zurück zu Cat, die ihn leer ansah und das Geschehene offenbar verfolgt hatte. Zumindest hatte es den äußeren Anschein. Er stellte sich neben sie, als Strenlich dazu kam.

"Machen sie sich keine Gedanken, er wird sich wieder fangen", sagte der bullige Cop.

"Ich weiß nicht. Paul war gestern bei ihm, scheint aber nicht besonders erfolgreich gewesen zu sein", teilte Peter sich mit.

Strenlich schlug ihn kameradschaftlichen auf die Schulter und ging dann wieder an seine Arbeit.

"Fahren wir heim?", fragte Cat plötzlich, sie sah ihn nicht an, schien aber doch deutlicher am Geschen teilzunehmen, als der Shaolin zunächst dachte.

"Ja, wir fahren nach Hause. Komm", sagte er und legte den Arm um sie.

Bereitwillig kuschelte sie sich in seine Armbeuge und ging neben ihm zum Ausgang.

Zu Hause angekommen igelte sich Castor wieder auf dem Sofa ein, Peter trat zu ihr und strich ihr übers Haar. Ihr Zustand machte ihm mehr und mehr Sorgen, war sie doch zwischendrin so gefasst gewesen.

"Cat? Wie geht’s dir?", fragte er mit sanfter Stimme.

Sie sah ihn an, ihre Augen waren noch immer leer und glasig. "Es geht schon", sagte sie abwesend. Diesmal aber wollte er nicht so schnell nachgeben und nahm ihren Kopf in beide Hände, damit sie ihn ansah. Er blickte ihr tief in die Augen und versuchte, in ihre Seele zu sehen, aber sie ließ es nicht zu, irgendetwas blockierte ihn.

"Sei ehrlich zu mir, Liebling", bat er sie eindringlich.

Es dauerte lange, bis sich ihren Augen endlich etwas regte. Dann war es, als würde eine Mauer einstürzen. Dicke Staubwolken bildeten sich in Peter visueller Vorstellung von dem, was er in Cats Blick sehen konnte.

"Ich kann das nicht…", brach es jetzt aus ihr hervor, "egal wo ich bin… wer… wer bei mir ist… überall… immer…"

Peter zog sie fest an sich und hinderte sie damit am sprechen. Sie musste nichts mehr sagen, jetzt konnte er deutlich fühlen, dass sie völlig überfordert mit der Situation war und unendliche seelische Qualen litt.

Es war ihr nie wirklich besser gegangen, sie hatte nur eine Mauer um ihren Schmerz gebaut, eine Maske aufgesetzt, die Pein tief in ihrem Herz eingeschlossen. Und vermutlich hätte es sie bald aufgefressen, wenn sie sich jetzt nicht geäußert hätte.

Der Shaolin erinnerte sich an seinen Zusammenbruch, der mit dem Jahrestag von Caines Tod zusammenhing. Er konnte sich vorstellen, wie sie sich fühlte, und er musste aufpassen, dass sie nicht genauso falsch damit umging und sich selbst damit zugrunde richtete.

"Oh Gott Süße, sprich doch mit mir", versuchte er ihr zu vermitteln, dass es sie nicht in sich hinein fressen durfte. Sie kuschelte sich noch näher an ihn, als wollte sie in ihn hineinkriechen. Er drückte sie noch fester an seinen Körper.

"Ich weiß einfach nicht, wie ich damit umgehen soll", wisperte sie nach einer Weile inniger Umarmung.

"Schhhh, Liebling. Es wird werden, mein Schatz. Aber lass uns drüber reden und nicht stumm leiden, bitte."

Sie nickte langsam. "OK", war alles, was sie in diesem Moment noch hervorbrachte.

Peter streichelte langsam ihren Rücken und beruhigte sie somit. Dann hob er ihren Kopf mit den Fingern und sah ihr noch einmal in die Augen. Er hatte ihr die Tür geöffnet, aber hindurchgehen musste sie selbst. Und sie würde es versuchen, das reichte ihm für diesen Moment.


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