Kapitel 11 Kermit steuerte die Corvair blind durch den Stadtverkehr, seine Gedanken drehten sich immer und immer wieder im Kreis. Innerer Schmerz fraß ihn auf, nagte an seinem Herzen. Wie hatte das alles passieren können? Er sah ihre Leiche deutlich vor sich, noch warm, aber blass lag sie auf dem edlen Holzboden im altehrwürdigen Gerichtsgebäude, die Augen geschlossen, der Kopf zur Seite geneigt. Anklagend hallte Karens Stimme in seinem Kopf, warf ihm vor, nichts getan zu haben. Er schüttelte den Kopf, um sie aus den Ohren zu bekommen, aber ihre zornigen Worte wollten nicht verstummen. Kermit wusste genau, dass es nicht ihre Vorwürfe waren, sondern seine eigenen. Er trug die Schuld an dem, was passiert war, und sonst niemand. Das war für ihn völlig klar. Als er aus seinen Alpträumen wieder in das Hier und Jetzt fand, steuerte er seinen Wagen über den Highway in unbekannte Richtung. Er wusste nicht, wie er hier her gekommen war und wann er die Auffahrt genommen hatte. Ein Instinkt musste ihn getrieben haben. Nachdem er sich bewusst wurde, was er grade unterbewusst tun wollte, trat er hart auf die Bremse und brachte die Corvair schlingernd und quietschend auf dem Standstreifen zum Stehen. Ein großer Chevrolet brauste hupend an ihm vorbei. Kermit fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und drückte sich Daumen und Zeigefinger in die inneren Augenwinkel. Er musste endlich wieder anfangen, klar zu denken, aber der Schmerz saß zu tief und hinterließ nur eine gähnende Leere in seinem Kopf. Dann aber meldete sich sein schlechtes Gewissen, er konnte nicht einfach so davon laufen. So gern er sich so weit wie möglich von dieser Stadt und dem Tatort des Mordes an Karen entfernen wollte, er konnte es nicht. Noch nicht. Zunächst musste er ihr die letzte Ehre erweisen, musste ihr den Respekt und die Liebe zollen, die sie verdient hatte. "Ich liebe Dich", flüsterte er leise die Worte, die er sich nie in ihrer Gegenwart getraut hatte, laut auszusprechen. Jetzt hasste er sich selbst dafür, einer von vielen Selbstvorwürfen, die an seinem Inneren nagten und ihn langsam auffraßen. Aber der schlimmste war nicht, ihr nie seine Liebe gestanden zu haben, sondern dass er sie nicht hatte beschützen können. Sie hatte sich in seinen Armen immer so sicher gefühlt, bei einem ehemaligen Söldner und harten Cop. Und er hatte versagt, hatte einfach zugelassen, dass sie starb. Es wäre an ihm gewesen, sie zu beschützen, dessen war er sich sicher. Es war seine Aufgabe, seine Frau zu retten, niemandes sonst; und er hatte kläglich versagt. Kermit sah wieder auf. Seine Augen folgten den vielen Autos und Lastwagen, die sich von Sloanville entfernten. Er spürte den unterschwelligen Drang, ihnen zu folgen und nicht mehr wiederzukommen. Aber er wusste, dass er das nicht tun konnte. Er musste bleiben, zumindest bis zu ihrer Beerdigung, und sich den anklagenden Blicken aller Kollegen und Freunde stellen. Er war sich sicher, dass alle ihm die Schuld daran geben würden, und schließlich hatten sie damit auch Recht. Es war seine Schuld, er war verantwortlich für Karens Tod, er hätte es verhindern müssen. Müde fuhr er sich über die Augen, dann startete er den Motor der Corvair und steuerte sie langsam wieder in den fließenden Verkehr. An der nächsten Abfahrt fuhr er ab und auf der anderen Seite wieder auf. Ein Schild am Straßenrand zeigte ihm, dass er sich vierunddreißig Meilen von Sloanville entfernt hatte, ehe es ihm bewusst geworden war. Jetzt machte er sich auf den Rückweg. Eine
Rückkehr auf Zeit. Er würde so lange bleiben, bis Karen beigesetzt
war und ihre Ruhe fand, bis er ihr die letzte Ehre erweisen konnte. * * * Cat hatte die komplette Heimfahrt stumm aus der Windschutzscheibe gestarrt. Peter spürte ihren Schmerz, auch wenn ihr Gesicht jetzt nicht mehr traurig, sondern einfach nur starr und ausdruckslos wirkte. Als hätte sie eine Maske aufgesetzt. Und selbst er konnte nur vermuten, was sich dahinter abspielte. Er selbst drehte sich gedanklich immer wieder im Kreis. Er konnte nicht glauben, was passiert war, wollte nicht wahrhaben, dass Karen tot war. Was war da drin abgelaufen? Peter vermutete, dass die Zeit abgelaufen war und Woods anfangen wollte, jemanden zu erschießen. Aber die Cops hatten sich nicht so leicht ergeben und waren irgendwie an ihre Waffen gekommen. Vier von fünf hatten sie offensichtlich erledigen lassen, aber der fünfte, Woods, hatte Karen mit in den Tod gerissen. Wieder schoss die Frage durch seinen Kopf, was gewesen wäre, wenn er es rechtzeitig geschafft hätte. Hätte er es verhindern können? Hätte er Karens Leben bewahren können? Sein Geist gab ihm keine Antwort. Er dachte an Kermit, der jetzt vermutlich völlig aufgelöst durch die Straßen fuhr und versuchte zu realisieren, dass die Frau die er liebte tot war. Sein Freund hatte nie etwas in die Richtung gesagt, aber der Shaolin wusste, dass Karen einen großen Platz in seinem Herzen hatte. Der harte Kerl liebte die schöne, kultivierte Polizistin, auch wenn er es selbst nie zugeben würde. Als er den Stealth am Loft parkte, zog Cat automatisch am Hebel und drückte die Tür auf. Mit demselben leeren Gesicht bewegte sie sich auf die Treppe zu, unabhängig von Peter. Sie drehte sich nicht zu ihm um, wartete nicht, dass er ihr folgte. Wie ein Roboter stieg sie die Stufen empor und trat in die Wohnung. Peter folgte ihr, er machte sich Sorgen. Seine Frau hatte schon so viel Schlimmes in ihrem Leben erfahren müssen, es war so unfair, dass immer noch etwas dazu kam. Aber das Leben war nicht fair, das wusste er selbst verdammt gut. Es war nicht fair gewesen, dass seine Mutter so früh starb, dass er kaum Erinnerung an sie hatte. Es war genauso unfair, dass der Tempel zerstört wurde, dass er im Waisenhaus leben musste. Dass sein Vater starb. Es war alles andere als fair. Aber es war das Leben, sein Leben, und er hatte kein anderes, also musste er es so annehmen und das Beste daraus machen. Und das Beste für ihn war Cat, und es tat ihm im Herzen weh, sie so zu sehen. Als er ins Wohnzimmer trat, hatte sie sich mit angezogenen Knien aufs Sofa gekauert, ein Kissen umklammert und starrte ins Leere. Peter setzte sich neben sie und strich ihr übers Haar. Als hätte er einen Schalter umgelegt fing sie plötzlich an zu weinen und schüttelte sich unter heftigen Schluchzern. Der Shaolin zog sie fest in seine Arme. "Wann hört das endlich auf?", brach es leise wimmernd nach einer ganzen Weile aus ihr hervor. Peter zog sie noch fester an sich und drückte seine Wange an ihren Kopf. Was sollte er ihr nur sagen? Aber ehe er ihr eine Antwort geben konnte, sprach sie verzweifelt weiter. "Ich meine… warum passiert so was? Wird das jemals aufhören?", wisperte sie weiter und brach wieder völlig in Tränen aus. Peter hatte ihr damals erzählt und sie vorgewarnt, dass ein Leben an seiner Seite gefährlich war. Damals hatte sie noch gedacht, dass sie damit fertig würde, dass er heillos übertrieb. Peter gab ihr einen Kuss in die Haare und streichelte sanft ihren Rücken. Er hoffte, dass er sie beruhigen konnte und konzentrierte sich darauf, seine Fähigkeiten bei ihr anzuwenden. Dies hatte den positiven Nebeneffekt, dass er selbst für einen Moment von seinen Gedanken abgelenkt wurde. "Beruhige dich, Liebling!", flüsterte er. Sie schluchzte nur kurz auf. "Schhhh, du solltest dich ausruhen", sagte er mit weicher Stimme. Cat aber schüttelte in seinen Armen heftig den Kopf. "Bitte Cat. Ruh dich aus." Wieder schüttelte sie den Kopf, sie hatte kein Interesse daran, sich auszuruhen. Peter strich ihr weiter über den Rücken und konzentrierte sich nun verstärkt darauf, ihr Ruhe und Kraft zu geben. "Ich will nicht schlafen", sagte sie irgendwann. Peter aber sagte nichts, er wusste genau, warum sie nicht schlafen wollte. Sie wollte nicht träumen, hatte Angst vor den Bildern, die ihr im Schlaf erscheinen könnten. "Schhh", flüsterte er weiter und streichelte sie. Langsam bemerkte er, wie ihre Atemzüge gleichmäßig wurden. Nach einer ganzen Weile war er sich sicher, dass Cat tief und fest eingeschlafen war. Vorsichtig und mit Bedacht nahm er sie auf seine Arme und trug sie ins Schlafzimmer, wo er sie sanft ablegte und zudeckte. Anschließend setzte er sich zu ihr und massierte mit den Fingerspitzen ihre Schläfen. Er konnte sich jetzt ziemlich sicher sein, dass sie traumlos und ruhig durchschlafen würde. Der junge Shaolin ging ins Wohnzimmer und wollte sich grade auf Sofa setzen, als das Telefon klingelte. Es war Annie, die sich nach ihm und Cat erkundigte. Kurz und knapp erklärte er ihr die heftige Reaktion unter der seine Frau litt und beschrieb auch seine eigene Trauer. Die Selbstvorwürfe ließ er aus, allerdings war er sich ziemlich sicher, dass seine Mutter sie dennoch spürte. Nachdem er aufgelegt hatte, ging er in den Meditationsraum, wo er sich einige Kerzen anzündete und sich anschließend im Schneidersitz auf die Erde setzte. Er war völlig verunsichert und aus seinem Gleichgewicht. Karens Tod und die Überlegung, dass er einen Anteil Schuld daran trug, hatten ihn aufgewühlt. Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf sein Ich, und langsam versank er in tiefer Meditation. * Peter hob seinen Kopf und blickte über den See, zu seiner Rechten erhob sich der Felsen mit der Tempelruine darauf. Neben ihm sah er das Grab seiner Eltern. Sein Verstand hatte sich diesen Ort selbst ausgesucht als visuelle Darstellung seiner Meditation. Inzwischen bedeutete er Frieden für ihn. Der Ort, an dem alles angefangen hatte. Die Gräber im Rücken spazierte der junge Shaolin am Seeufer entlang. Sein Geist war jetzt wesentlich ruhiger und überlegte emotionslos, was passiert war und wie groß sein Teil daran war. "Darf ich?", fragte eine Stimme hinter ihm. Peter lächelte. "Natürlich, Dad", sagte er und wartete, bis Caine aufgeschlossen hatte. Gemeinsam wanderten sie nun über das satte Gras. "Wie geht es dir, mein Sohn?", fragte Caine. "Nicht gut", antwortete Peter leise und blickte über das blaue Wasser. "Es tut mir sehr Leid, was mit Karen passiert ist", sagte Caine. Peter nickte. "Ja, mir auch", murmelte er matt. Sein Vater legte ihm die Hand auf die Schulter. "Du kannst nichts dafür", sprach er sofort aus, was Peter durch den Kopf ging. "Woher willst du das wissen?", fragte Peter skeptisch. Er war sich da bei weitem noch nicht so sicher. "Nun, ich weiß es. Deine Anwesenheit hätte nichts geändert." "Meinst du? Vielleicht hätte ich es verhindern können! Und dann wäre… wäre…", plapperte er aufgebracht und wedelte mit den Armen. "Peter. Du konntest nichts machen. Ebenso wenig wie Kermit oder jeder andere in diesem Gerichtssaal. Du musst dich von dieser Schuld befreien, denn es ist nicht deine Bürde, sie zu tragen", sagte Caine ruhig und gelassen. "Und wessen Bürde ist es dann?" "Niemandes." "Und was ist mit Alex Woods?", fragte Peter verständnislos. "Nun, er ist tot. Es gibt also niemanden mehr, der die Schuld an dem trägt, was passiert ist", versuchte sein Vater ihn endlich von den Selbstvorwürfen zu entlasten. "Ich bin da trotzdem nicht so sicher…", setzte Peter erneut an, dann aber legte Caine ihm beide Hände auf die Schultern und sah ihm tief in die Augen. "Glaube mir, mein Sohn, es ist nicht deine Schuld", sagte er eindringlich. Peter hielt den Blick noch lange nach Caines Worten aufrecht, ehe er langsam nickte. "Ich glaube dir, Dad", sagte er gedehnt und schloss seinen Vater dann dankbar in die Arme, "ich hab dich lieb." "Ich hab dich auch lieb, mein Sohn." * * * Kermit ging durch den spärlich beleuchteten Flur auf seine Wohnungstür zu. In seiner rechten Hand hielt er eine große Flasche Scotch, die er auf dem Heimweg gekauft hatte. Und er wollte sie noch leeren an diesem Abend. Vielleicht würde der Schmerz ja dann versiegen, auch wenn er nicht wirklich dran glaubte. An der Tür angekommen, steckte er seinen Schlüssel ins Schloss und bemerkte nicht einmal, dass die Tür nicht zweimal verschlossen war, wie er sie verlassen hatte. Er betrat die Wohnung im Dunkeln und drehte sich gleich zur Seite an die Minibar. Als er den Kühlschrank aufzog fiel ein wenig Licht in den Raum, das aber sofort wieder erlosch, als er den Eiswürfelkübel herausgenommen und der Tür einen Tritt gegeben hatte. Jetzt zog er an dem Faden der kleinen Lampe, die über dem Miniaturtresen hing und erleuchtete die Arbeitsfläche. Er nahm ein schweres Glas aus dem Regal, warf sich zwei Eiswürfel hinein und füllte es bis zum Rand mit Scotch auf. Zunächst aber hielt er sich das kalte Glas an die Stirn. "Wie geht’s dir?", fragte eine vertraute Stimme hinter seinem Rücken. Kermits Gesichtszüge veränderten sich zu einem bösartigen Grinsen. "Ich hätte es wissen müssen", knurrte er und drehte sich dann zu Paul, der auf dem Sofa saß und ihn beobachtete, "woher zum Teufel weißt du schon davon?" "Frank Strenlich hat mich angerufen. Also, wie geht’s dir?", sagte der alte Mann ruhig. "Glänzend. Und dir?", fragte Kermit ironisch. Paul verdrehte die Augen und stand dann auf, um näher an seinen Freund zu treten. "Hey! Beruhige dich. Du kannst nichts dafür, du…" "Ich hab doch gesagt, es geht mir ausgezeichnet! Also hör auf mich trösten zu wollen!", unterbrach er donnernd. Paul sah genau, dass genau das Gegenteil der Wahrheit entsprach, dass in Kermits Innerem ein heftiger Orkan tobte. Er packte ihn hart an den Schultern. "Verdammt Kermit! Hör auf, mir etwas vormachen zu wollen! Ich sehe doch, dass es dir schlecht geht!", sagte er ihm ins Angesicht. "Warum fragst du dann noch?", fragte er mir leerem Haifischgrinsen im Gesicht. "Weil ich mir Sorgen um dich mache. Was passiert ist, tut mir furchtbar leid, mein Freund", seine Stimme wurde jetzt leiser, "aber es bringt nichts, wenn du es in dich hinein frisst und still leidest." Kermit sah ihm lange in die Augen, erwiderte aber erst mal nichts. Seines Erachtens hatte Paul keine Ahnung, wie es ihm ging. Und er hatte auch kein wirkliches Interesse daran, es ihn wissen zu lassen. Auf der anderen Seite kannten sie einander so gut, dass Paul nicht eher Ruhe geben würde, bis er eine befriedigende Antwort erhielt. "Also wie geht’s dir?", frage Paul jetzt zum dritten Mal. Kermit setzte sich in der Wohnung zornig in Bewegung und umkreiste das Sofa. "Ich fühl mich wie ausgekotzt, ok?! Als hätte jemand mit bloßen Händen mein Herz herausgerissen und in einen Reißwolf gesteckt. SO FÜHL ICH MICH! Also lass mich in Ruhe, verdammt noch mal!", brüllte er und nahm dann einen großen Schluck seines Getränks. "Willst du drüber…" "NEIN!" Paul starrte noch eine ganze Weile in Kermits Rücken, ehe er aufgab und mit ärgerlich verzogenen Mundwinkeln Richtung Tür ging. Sein alter Kamerad war ein störrischer Esel, wenn es darum ging, sich helfen zu lassen. "Du hast Freunde. Du musst da nicht allein durch", hinterließ er ihm noch mal zum Abschied und ging dann, ohne auf eine Antwort zu warten, die ohnehin ausbleiben würde. In diesem Zustand war mit Kermit nicht auszukommen, das wusste er aus Erfahrung. Damals, als David gestorben war, hatte er dasselbe erlebt. Sein Freund war wütend und zornig und hasserfüllt gegen sich selbst. Und auch jetzt war er gequält von Selbstvorwürfen, dessen war sich Paul sicher. Auf dem Weg in die Tiefgarage schweiften seine Gedanken in die Vergangenheit ab, in jene Nacht, die sich nie wieder aus seiner Erinnerung löschen lassen würde. Er hatte Kermits Gesicht vor sich, den Moment, als er vom Tod seines Bruders erfuhr. * Langsam trat Paul auf Kermit zu, fahrig hielt er den kleinen Zettel in der Hand. Sein Freund saß mit dem Rücken zu ihm und reinigte grade seine Waffe. "Hey Paul", sagte er mit gelassenem Tonfall. "Hey", antwortete dieser leise und unsicher. Wie sollte er es ihm nur sagen? Kermit drehte sich rum und schien im Gesicht des Freundes zu sehen, dass etwas nicht stimmte. "Ist was passiert?", fragte er skeptisch nach. Paul trat von einem Bein auf das andere, unsicher, welche Worte er wählen sollte. Wie sollte er ihm sagen, dass sein kleiner Bruder gestorben war? Auf eine gewisse Weise allerdings war er dankbar, dass er es ihm sagen konnte, und nicht jemand anderes über die Nachricht gestolpert war. Wenigstens erfuhr Kermit es jetzt von einem Freund, auch wenn die Tatsache es für Paul nicht leichter machte, ihm ein sprichwörtliches Messer ins Herz zu rammen. "Paul?" Kermits Stimme klang jetzt besorgt, er stand auf und trat ihm gegenüber. "Setz dich bitte wieder Kermit", sagte er und nahm selbst auch platz. Dann starrte er lange in dessen fragende Augen. "Kermit, ich… habe ein Telegramm bekommen", setzte er an und holte tief Luft. Die Sorgenfalten auf Kermits Stirn vertieften sich sofort, sein Blick verriet Skepsis und Mitgefühl, offenbar glaubte Kermit, dass Paul eine schlechte Nachricht erhalten hatte. "Und was steht drin?", fragte er ohne erkennbare Gefühlsregung in der Stimme. *Jetzt oder nie*, dachte Paul bei sich und atmete noch mal tief durch. "Das Telegramm ist für Dich. Es tut mir so Leid, Kermit! David, er… er ist tot." sagte Paul und sah seinen alten Freund vor sich buchstäblich in sich zusammenfallen. Die Schultern sackten mit einem Mal ab, die Augen starrten leer vor sich, der Mund stand ein Stück offen. "Was?", flüsterte er, als wollte er nicht glauben, was Paul grade gesagt hatte, als hätte er sich verhört. "Es tut mir so Leid!", wiederholte der ältere von ihnen gefühlvoll. "Wie?", fragte Kermit leise, aber bestimmt, Paul konnte neben Schock, Trauer und Schmerz schon jetzt Wut und Hass für alle Verantwortlichen in Kermits Augen sehen. "Kermit, tu dir das nicht an, es…" "WIE, Paul?", zischte er gedrungen. Der ältere von ihnen atmete noch mal tief durch, warum konnte sich sein Freund das nicht ersparen? "Dieser Larson hat ihn offenbar enttarnt. Und dadurch wohl auch von seiner früheren Abhängigkeit erfahren. Sie haben ihn mit Drogen voll gepumpt. Kermit, ich…" "Er ist an einer Überdosis gestorben?", fragte Kermit noch mal nach. Paul schüttelte den Kopf, es tat ihm in der Seele weh, seinem Freund die Details zu schildern, die er erfahren hatte. "Schlimmer. Er ist erstickt. An seinem…", weiter kam er nicht, Kermit erhob die Hand als Zeichen, dass er wusste, was passiert war. Paul war dankbar, dass er es nicht aussprechen musste. Traurig verzerrt starrte Kermit auf den Boden vor sich, ehe er auf einmal damit anfing, in rasender Geschwindigkeit seine Waffe zusammen zu bauen und seine Sachen einzusammeln. "Was hast du vor?", frage Paul nach, der ihn aufmerksam beobachtete. "Ich werde nach Hause fliegen, was sonst?! Und wenn ich mich um Marilyn und alles andere gekümmert habe, werde ich diesen Larson suchen und töten!", sagte er todernst. * Als Paul aus seiner Vergangenheit in die Gegenwart zurückkehrte, fuhr er grade vor seinem Haus vor. Nachdenklich stellte er den Motor ab und stieg aus. Seine Erinnerung verfolgte die Szene von damals weiter, bis hin zu dem Teil, in dem Kermit wutentbrannt berichtete hatte, dass Larson untergetaucht und unauffindbar war. "Paul?", fragte Annie, als sie seinen Schlüssel im Schloss hörte. "Ja Liebling", sagte er matt und erschöpft. Sie wartete, bis er ins Wohnzimmer gekommen war und sich neben sie gesetzt hatte, ehe sie ihn nach Kermits Zustand fragte. "Schlecht", antwortete Paul seiner Frau, "er ist fix und fertig mit der Welt. Ich hoffe, er kommt nicht auf dumme Ideen." "Lass ihm Zeit Paul. Vielleicht bekommt er sich ja wieder ein. Es ist hart für ihn, und das wäre es für jeden anderen auch gewesen, der einen geliebten Menschen verloren hat." "Er gibt sich selbst die Schuld", sagte Paul, was er dachte. Annie nickte. "Ja, das kann ich mir denken. Er ist da genauso wie du", erwiderte sie mit einem winzigen kurzen Schmunzeln in den Mundwinkeln, "oder Peter. Ich hab übrigens mit ihm telefoniert." "Und, wie geht es ihm?", fragte Paul interessiert. Annie schaukelte den Kopf, sie hatte zwar mit ihm gesprochen und konnte seinen Launen recht gut wahrnehmen, allerdings gelang es ihm immer besser, sie vor ihr zu verheimlichen. "Er ist erschüttert, wie wir und alle anderen auch. Und ich glaube, auch er fragt sich, warum er nicht da gewesen ist." Paul schüttelte den Kopf. "Er ist wohl der letzte, der sich Vorwürfe machen muss!", sagte er entschieden. "Du hast Recht Paul, aber dennoch macht er sie sich. Genauso wie Kermit", sagte sie abschließend. Ihr Mann strich Annie eine Strähne aus der Stirn und legte seinen Kopf an ihren, stumm verharrten sie so gemeinsam in ihrem Wohnzimmer.
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