Kapitel 2
Autor: Fu-Dragon

 

Die Türe zum Wartesaal wurde geöffnet. Zwei uniformierte Polizisten, die weder Jody noch Kermit bekannt vorkamen, betraten den Raum.

"Detectives Powell und Griffin?", erkundigte sich der Jüngere der beiden.

Kermit drehte sich vom Fenster weg, an dem er gestanden hatte. "Das sind wir", bestätigte er schroff.

"Officers McMullan und Joyner", stellte der Mann sich und seinen Kollegen vor.

Kermit beobachtete, wie die beiden Männer zögernd einen Schritt näher traten. Jody, die sich in der Zwischenzeit ebenfalls erhoben hatte, stellte sich neben ihn.

"Was können wir für sie tun?", erkundigte sich Jody.

"Wir wollen sie über den Unfallhergang an der Ecke Maples/Chestnut befragen. Wir sind die ermittelnden Officers in dem Fall", antwortete dieses Mal der Ältere der beiden.

"Wir sind aber erst später dazu gekommen, als der Unfall schon passiert war", warf Jody ein.

Kermit beachtete ihren Einwurf nicht, er wollte endlich wissen was genau geschehen war.

"Was haben sie bis jetzt?"

Der Mann zuckte bei dem harten Klang seiner Stimme zusammen.

"Noch nicht viel. Ein paar Zeugenaussagen, die den Unfall beobachtet haben. Es scheint, als ob der Todesfahrer des Rovers bei rot über die Kreuzung gefahren ist und dem anderen Wagen die Vorfahrt genommen hat. Genaueres werden wir erst wissen, wenn die Wagen untersucht worden sind und wir Miss Thompson befragt haben. Sie ist wohl die Einzige, die Licht in die Sache bringen kann."

"Den Teufel werden sie tun", knurrte Kermit.

Joyner sah Kermit erstaunt an. "Wie? Nun, da sie uns auch nichts näheres mitteilen können, werden wir Miss Thompson befragen, ob sie wollen oder nicht."

Das war der falsche Satz. Kermit sah rot. Seine ganze Wut und Sorge entlud sich in einer blitzschnellen Aktion, die er gegen Joyner richtete.

Der vollkommen überraschte Mann wusste gar nicht, wie ihm geschah, als er im nächsten Moment gepackt und an die Wand gedrückt wurde. Kermits rechter Arm presste hart gegen seine Kehle.

Kermits Gesicht war nur wenige Millimeter von dem Joyners entfernt, als er in einem leisen, bedrohlichen Tonfall zu sprechen begann: "Nun hören sie mir mal gut zu. Sie werden nichts, rein gar nicht unternehmen was Miss Thompson anbelangt. Um ihre Aussage werde ich mich später persönlich kümmern. Das Mädchen ist vollkommen fertig mit der Welt und ich werde unter keinen Umständen zulassen, dass sie sie mit ihren Fragen noch mehr quälen, habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?"

"Kermit, was soll das denn. Hör auf damit", drang Jodys Stimme an sein Ohr.

Sie versuchte den Griff an der Kehle des Officers zu brechen, indem sie an Kermits Arm zerrte, doch dieser gab keinen Millimeter nach. Der ehemalige Söldner schenkte Jody keinerlei Beachtung. Im Gegenteil, er schob sie mit der anderen Hand einfach zur Seite, als sei sie ein lästiges Insekt. Seine Aufmerksamkeit galt voll und ganz dem Mann, den er in seinem Griff hielt.

Als keine Antwort von dem Mann kam, verstärkte er seinen Griff und hakte noch einmal nach: "Haben sie verstanden?"

Joyners Lippen verfärbten sich langsam ins Bläuliche. Er zappelte hilflos in Kermits hartem Griff wie eine Fliege, die sich in einem Spinnennetz verfangen hatte. Er konnte nur sein Gegenüber verängstigt anschauen, denn zum Reden fehlte ihm schlichtweg die nötige Atemluft.

Der zweite Officer trat näher und machte Anstalten, seinem Kollegen zu helfen. Jody befürchtete das Schlimmste und tastete unwillkürlich nach ihrer Waffe.

"Detective Griffin! Lassen sie den Mann sofort los!", klirrte die Stimme von Captain Karen Simms in diesem Moment durch den Raum.

Selten war Jody so erleichtert gewesen, die Stimme des Captains zu hören. Niemand von den vieren hatte bemerkt, dass zwei weitere Menschen den Wartesaal betreten hatten.

Kermit reagierte im ersten Moment nicht. Captain Simms trat einen Schritt näher.

"Detective Griffin, das war ein direkter Befehl! Zwingen sie mich nicht dazu, andere Maßnahmen zu ergreifen", betonte sie jedes Wort in ihrem schärfsten Tonfall.

Mehrere Sekunden lang herrschte angespannte Stille im gesamten Raum. Schließlich ließ Kermit den Officer widerstrebend los und trat einen Schritt von ihm zurück.

Joyner sank auf die Knie und hustete heftig. Er hatte sichtlich Probleme, Luft in seine Lungen zu bekommen. Sein Kollege kniete neben ihm, um ihm zu helfen. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis Joyner wieder normal atmen und sich mit Hilfe seines Kollegen in eine stehende Position aufrichten konnte.

"Blake, begleiten sie die beiden Kollegen hinaus und stellen sie sicher, dass sich ein Arzt um Officer Joyner kümmert. Anschließend kommen sie zurück und erstatten mir Bericht", gab der Captain Anweisungen, die auch prompt befolgt wurden.

Kaum hatten die drei Personen den Raum verlassen, wandte sich der Captain mit einem Gesicht, das nichts gutes verhieß an Kermit.

"Sind sie denn von allen guten Geistern verlassen? Wie können sie einen Polizeibeamten anzugreifen!", herrschte sie ihn an.

Kermit gab ihr keine Antwort. Demonstrativ wandte er sich von ihr ab und starrte aus dem Fenster.

Der Captain seufzte leise. Es war nicht leicht mit einem Kermit Griffin umzugehen, vor allen Dingen nicht, wenn er sich in einer Stimmung wie dieser befand. Sie beschloss, angesichts der übrigen Situation, ihm später die Leviten zu lesen und fügte nur noch hinzu: "Ihnen ist ja wohl klar, dass sie ein saftiges Disziplinarfahren am Hals haben, sollte sich der Officer dazu entschließen, Anklage wegen Körperverletzung zu erheben. Das kann sie ihre Dienstmarke kosten."

Erneut weigerte sich Kermit einen Ton zu sagen.

Der Captain wandte sich an Jody. "Was war hier los?", wollte sie wissen.

Jody erklärte ihr kurz was geschehen war. Der Captain war höchst erstaunt zu hören, wegen welch einer, in ihren Augen, Kleinigkeit Kermit den Officer angegriffen hatte. Zeugenbefragungen waren nichts ungewöhnliches nach einem Unfall wie diesem und sie sah keinerlei Veranlassung dazu, warum es hier anders sein sollte.

Captain Simms sah sich nach dieser Aussage von Jody genötigt, Kermit noch einmal ins Gebet zu nehmen. Sie trat neben ihn ans Fenster, um sicher zu stellen, dass er sie ja auch verstand.

"Detective, ich verlange nicht von ihnen, dass sie sich bei dem Officer entschuldigen, das sollte ihnen schon ihr Gewissen mitteilen. Aber was sie tun werden, und da hören sie mir am besten ganz genau zu, ist, dass sie in diese Untersuchung NICHT, ich wiederhole NICHT noch einmal eingreifen. Die Officers haben ihre Vorschriften und tun ihre Arbeit. Und wenn ich sie noch einmal dabei erwische, wie sie sich in unangemessener Art und Weise in diese Arbeit einmischen, dann werde ich sie höchstpersönlich am höchsten Fahnenmast aufhängen, den ich finden kann. Ist das klar?"

Von Kermit kam noch immer keine Antwort. Captain Simms holte tief Luft. Soviel Missachtung ihrer Autorität, war ihr in ihrer gesamten Amtszeit noch nicht unter gekommen. Ungeachtet der Folgen, die das haben konnte, ergriff sie Kermits Arm und drehte ihn mit einer Kraft, die man ihr gar nicht zugetraut hätte, zu sich herum.

Sie spürte, wie sich die Muskeln unter ihren Fingern verhärteten und sah auch, wie Kermits andere Hand ruckte, so als wolle er sich mit Gewalt aus diesem Griff befreien. Dennoch zuckte der Captain mit keiner Wimper, als sie Kermit, zu allem entschlossen, in die Augen bzw. in die Sonnenbrille starrte.

"Ist das klar, Detective Griffin?", wiederholte sie mit autoritärer Stimme ihre letzten Worte, in denen eine Eiseskälte mitschwangen.

Ein Muskel in Kermits Gesicht pochte, die kleine Ader an seiner Stirn, trat deutlich hervor. "Glasklar", quetschte er zwischen zusammen gepressten Zähnen hervor.

"Gut", erwiderte der Captain und ließ seinen Arm los. "Ich erwarte, dass sie sich daran halten, ansonsten..." Sie ließ den Satz offen. Es war auch so vollkommen klar, was sie meinte.

Kermit stand noch einen Moment erstarrt wie eine Salsäule da, dann fluchte er plötzlich laut und stürmte mit langen, eiligen Schritten an den beiden überraschten Personen vorbei aus den Wartesaal.

"Also das ist doch...!" Dem Captain fehlten schlichtweg die Worte. Sie war sehr in Versuchung, dem scheinbar irre gewordenen Detective hinterher zu eilen und ihn zur Vernunft zu bringen. Jodys leise Stimme hielt den Captain zurück und erinnerte sie an den tatsächlichen Grund ihres Hier seins.

"Captain, es ist so viel geschehen in den letzten Stunden, da können die Nerven schon mal blank liegen. Hier befinden sich gleich zwei Personen, um die er sich Sorgen machen muss."

Jody duckte sich unwillkürlich, als sich der Captain zu ihr umdrehte, doch die erwartete Strafpredigt blieb aus. Statt dessen nahm sie neben Jody auf einem der Stühle platz und erkundigte sich: "Wie geht es Peter? Haben sie schon etwas gehört? Und was ist mit Miss Thompson?"

Jody schüttelte den Kopf, leise Verzweiflung schwang in ihrer Stimme mit.

"Nein, leider rein gar nichts. Wir wissen nur, dass es bei Peter auf Messers Schneide steht. Der Arzt konnte uns nicht sagen, ob Peter überleben wird. Cara ist da wesentlich besser weggekommen, sie hat nur leichte Verletzungen, aber wie Kermit berichtete, ist ihr der Unfall schwer an die Psyche gegangen. Im Moment schläft sie."

Der Captain hatte das Gefühl, als ob eine kalte Hand nach ihrem Herzen griff. Das waren keine guten Nachrichten. Ein Mann tot, der andere rang um sein Leben, die dritte Person stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch und ihr Detective war mal wieder ausgerastet. Nein, definitiv keine guten Nachrichten.

Jody riss den Captain mit ihrer nächsten Frage aus ihren Gedanken.
"Verzeihen sie die Frage, Captain, aber wie kommt es, dass sie persönlich hier erscheinen?"

Jody wand sich unbehaglich, als sie Karen Simms anklagenden Blick zu spüren bekam, in dem doch deutlich zu merken war, wie der Captain, trotz ihres autoritären Auftretens vor wenigen Minuten, tatsächlich empfand.

"Ich meine...uh...Peter ist kein Kollege mehr von uns und da dachte ich..." Ihre Stimme verlor sich immer mehr bei dem Versuch, ihre Frage in das rechte Licht zu rücken.

Auf dem Gesicht des Captains erschien die Andeutung eines Lächelns zum Zeichen, dass sie Jodys Gestammel sehr wohl verstanden hatte.

"Detective, auch wenn Peter kein Kollege mehr von uns ist, so hat er doch in meinem Dienst gestanden. Und wenn einem meiner Officers, egal ob ehemalig oder nicht, etwas derartiges zustößt, dann ist das Wenigste, was ich tun kann, hier zu sein und zu schauen, ob ich helfen kann. Offensichtlich habe ich damit richtig gelegen, finden sie nicht auch?"

Jodys Gesicht lief rot an. Sie wusste nicht, was sie auf diese Frage antworten sollte. Zum Glück wurde sie einer Antwort erhoben, da Blake in den Wartesaal zurück kehrte. Zwei fragende Augenpaare schauten ihm entgegen. Blake kam diesem unausgesprochenen Befehl sofort nach.

"Officer Joyner fehlt nichts weiter. Der Arzt meinte nur, er wird die nächsten Tage mit dem Schlucken Probleme haben. Von einer Anzeige gegen Kermit hat er abgesehen."

Ein zweistimmiges, erleichtertes Aufatmen folgte seinen Worten.

"Wenigstens eine gute Nachricht", ließ sich der Captain vernehmen.

"Da hat er wirklich noch mal Glück gehabt", murmelte Jody.

"Gibt es etwas neues von Peter?", erkundigte sich der zurückhaltende Detective im Gegenzug.

Simultanes Kopfschütteln antwortete ihm.

Tiefe Traurigkeit überschattete Blakes Gesichtszüge bei dieser Nachricht. Um das zu überspielen erkundigte er sich: "Kann ich euch etwas bringen? Kaffee, etwas zu Essen?"

Jody schüttelte stumm den Kopf. Der Captain schaute auf ihre Uhr und erhob sich.

"Ich denke, für uns beide wird es Zeit wieder zum Revier zurück zu kehren, Detective. Hier können wird leider nicht viel tun. Jody, sie unterrichten mich bitte sofort, wenn sie etwas neues von Peter hören. Er sollte nicht alleine sein, wenn er aufwacht."

"Sicher Captain", erwiderte Jody mit nicht ganz sicherer Stimme. Ihr war nicht ganz geheuer, hier vollkommen alleine zu sitzen. Wer wusste schon, wo sich Kermit im Moment aufhielt.

Die Hand des Captains legte sich auf ihre Schulter und drückte sie aufmunternd. Jody hob den Kopf und sah ihrer Vorgesetzten in die Augen. Die beiden Frauen wechselten einen verstehenden Blick, bevor sich Captain Simms zu Blake umdrehte und die beiden den Warteraum verließen.

Jody setzte sich seufzend in ihren Stuhl zurück. Warten...wie sehr sie das hasste! Verstohlen wischte sie sich eine Träne aus den Augenwinkeln.

********************

Schwer atmend kam Kermit zum Stehen. Er war einfach nur gelaufen und gelaufen. Irgendwie in der Hoffnung, den Dämon Schuld loszuwerden, der ihn unbarmherzig mit glühenden Messern quälte. Nun stand er mitten im Grünen neben einer kleinen Parkbank und fragte sich, wie er hierher gekommen war.

Er wusste nicht einmal genau, weshalb er vorhin dermaßen ausgetickt war. Natürlich kannte er die Vorgehensweise bei einem Autounfall, noch dazu bei einem mit tödlichen Ausgang. Doch die Vorstellung, wie Cara unter diesen Fragen ohne Zweifel leiden würde, hatte seinen eh schon angegriffenen Nerven den Rest gegeben. Woher sollten die anderen auch wissen, dass er derjenige war, der dieses ganze Leid verursacht hatte?

Die schwere Last auf seiner Seele ließ ihn den Kopf senken, sein Blick fiel auf seine Hände. Er erstarrte. Ihm war nicht bewusst geworden, dass er sie noch nicht gewaschen hatte. Hartnäckig hatten sich die bräunlich-roten Flecken auf seinen Hände gehalten, es war Blut...Peters Blut. Peters Blut klebte an seinen Händen! Und das nicht nur im sprichwörtlichen Sinne.

Kermit musste ein paar Mal tief durchatmen, um der Welle der Übelkeit stand zu halten, die ihn zu überschwemmen drohte. Er konnte den Blick nicht von seinen blutbefleckten Händen abwenden, die immer mehr zitterten, je länger er darauf starrte. Die Beine gaben unter ihm nach und er sank auf die Parkbank.

Erst vor drei Tagen hatte Cara ihn gebeten, nach ihrem Wagen zu schauen und neue Bremsbeläge einzubauen. Kermit hatte dem auch zugestimmt, aber es immer ein wenig vor sich her geschoben, da das Liegen unter fremden Autos nicht gerade zu seiner beliebtesten Freizeitbeschäftigung gehörte. Wenn er ehrlich gegenüber sich selbst war, dann hätte er das schon längst erledigen können, immerhin hatte er gestern frei und die Bremsbeläge hatte er noch am selben Tag besorgt, als Cara ihn gefragt hatte. Und nun das hier!

Er hatte wieder einmal versagt! Genauso wie bei seinem Bruder David, dessen Tod er auch nicht hatte verhindern können. Erneut fiel sein Blick auf seine blutigen Hände.

*Kermit, du hast Blut an deinen Händen!*

Die Worte hämmerten wie eine Endlosschleife durch seine Gedanken. Worte, die ihm die Dämonen damals auf 'The Gables' zugeflüstert hatten, als er versucht hatte seine Schwester Marilyn zu beschützen. Nicht einmal da war er in der Lage gewesen, ihr zu helfen. Wer sie in Wahrheit gerettet hatte, das waren Caine und Peter gewesen.

Und nun hatte er auch noch ausgerechnet gegenüber Peter, Cara, Caine und vor allen Dingen auch Paul versagt. Wie gestern erschien es ihm, als er Paul hoch und heilig versprochen hatte, sich um Peter zu kümmern und ihn zu beschützen, solange Paul auf der Jagd nach seinen eigenen Dämonen war. Er konnte förmlich Pauls anklagendes Gesicht vor sich sehen, wie er ihn mit diesem bestimmten Ausdruck anschaute, der bedeutete: 'Du hast meinen Sohn umgebracht!'
Ja, und wenn Peter starb, dann hatte er das tatsächlich getan!

Alles was hier noch geschah, war seine Schuld und sonst Niemandes! Dessen war sich Kermit absolut sicher.

*Kermit, du hast Blut an deinen Händen!*

"Nein!"

Kermit sprang auf und schrie dieses eine Wort aus Leibeskräften heraus, in der Hoffnung, diese laute Stimme in seinem Kopf übertönen zu können.

Sie wurde nicht leiser.

"Nein, nein, nein", schrie er erneut und sank auf die Knie, nicht mehr länger fähig, diesem enormen Druck stand zu halten.

Plötzlich hörten die Stimmen in seinem Kopf auf. Fast erleichtert seufzte er auf, doch er konnte nicht verhindern, dass sich seine Gedanken weiterhin nur um eine Richtung drehten. Das war sie, seine eigene ganz persönliche Hölle.

Er fragte sich, warum immer alle anderen seine Missgriffe ausbaden mussten. Er hätte in diesem Auto sitzen müssen. Er hätte derjenige sein müssen, den es erwischte. Er war derjenige, der sich darum gedrückt hatte die Bremsbeläge zu erneuern. Warum also passierte das alles den anderen und nicht ihm?

War das seine Strafe für all die Menschenleben, die er auf dem Gewissen hatte? Musste er deswegen immer zusehen wie andere Menschen, die ihm am Herzen lagen, unter seinen Fehlern zu leiden hatten?

Liebend gerne hätte er jegliche Art der Folter auf sich genommen, und wäre sie auch noch so schlimm, wenn er die Zeit zurück drehen könnte. Selbst diese Stimme von eben in seinem Kopf würde er mit Freude weiter ertragen.

Etwas drückte sich in seinen Rücken, als er sich leicht aufrichtete. Es war seine Waffe. Seine Hand glitt unwillkürlich zu seinem Desert Eagle, der sicher in seinem Holster verwahrt war. Fast liebevoll ließ er die Finger über den kalten Stahl gleiten. Ja, da war sie, die vermeintliche Lösung für all seine Probleme. So würde nie wieder jemand unter seiner Unfähigkeit zu leiden haben.

Es war wie ein kleines Ritual, als er den Eagle aus dem Holster zog, kurz das Magazin checkte und die Sicherung entfernte. Schwer, kalt und dennoch seltsam angenehm, lag die großkalibrige Waffe in seiner Hand. Sie fühlte sich für ihn so natürlich an, wie für andere ein Kugelschreiber, oder Besteck.

Ein Sonnenstrahl fiel auf den schwarzen Stahl, ließ ihn aufblitzen wie einen kostbaren Diamanten. Ein leichtes Lächeln breitete sich auf Kermits Lippen aus, als er die Waffe von einer Hand in die andere gleiten ließ. Konnte das wirklich so einfach sein? Nur einmal den Finger am Abzug gekrümmt...und Schluß?

Ein plötzlicher Wind kam auf und wirbelte das Laub zu seinen Füßen auf. Ihm war so, als hörte er im Rauschen der Windes eine Stimme, die leise flüsterte: "Das ist nicht die Lösung."

Ein Schauer lief ihm über den Rücken, die Waffe in seiner Hand sank schlaff in seinen Schoß hinab. Er kannte diese Stimme nur allzu gut. Eine Stimme, die ihn in zahllosen Alpträumen verfolgte. Diese Stimme gehörte eindeutig seinem Bruder David.

Warum jetzt? Warum meinte er ausgerechnet jetzt Davids Stimme zu hören? Hatte der ihn in seinen zahllosen Alpträumen nicht immer wieder verflucht, weil er ihn im Stich gelassen hatte? Nein, er musste sich getäuscht haben. Die Stimme hatte er sich nur eingebildet. Er konnte sie sich nur eingebildet haben!

Kermit zog tief die Luft in seine Lungen. Wie unter Zwang wanderte sein Blick zu dem kalten Stahl in seiner Hand zurück.

*Soll ich es wirklich durchziehen? Ist das die Lösung für alles?*, dachte er.

Eines der letzten Gespräche mit Peter driftete durch seine Gedanken. Es war um den Selbstmord eines jungen Mannes gegangen, der gerade mal 22 Jahre alt geworden war. Peter hatte ihm auf seine Frage nach dem warum geantwortet: "Selbstmord ist die Lösung der geringsten Widerstandes. Wer Selbstmord verübt, ist nur zu feige den Tatsachen ins Auge zu sehen und die Konsequenzen seines Handelns zu ertragen."
Das waren ziemlich ungewohnte Worte von dem ansonsten eher diplomatischen Peter, die ihn erstaunt hatten.

*Wer Selbstmord verübt, ist nur zu feige den Tatsachen in das Auge zu sehen und die Konsequenzen seines Handelns zu ertragen.*

Immer wieder hallten die Worte wie ein Mantra in ihm wieder, vertrieben für eine kurze Weile sämtliche anderen Gedanken.

Kermit straffte sich. Nein! Kermit Griffin, war kein Selbstmordkandidat! Er würde sich den Konsequenzen stellen.

Sicher, er war an allem Schuld, aber nun musste er auch für diejenigen einstehen, denen er soviel Leid verursacht hatte. Sie mussten jemanden haben, an dem sie ihre Wut und ihren Schmerz auslassen konnten, und derjenige würde er sein!

Entschlossen, wenn auch mit leicht zitternden Händen, sicherte er den Eagle und steckte ihn in sein Holster zurück. Im selben Moment, als er den Eagle wieder an seinem angestammten Platz verstaute, hörte auch der Wind auf. Kermit konnte nur den Kopf schütteln. Seltsam...einfach nur Seltsam.

Die Schultern tief gebeugt durch die schwere Last, machte er sich auf den Weg zurück ins Krankenhaus. Es wurde Zeit, dass die anderen erfuhren, wer in Wirklichkeit Schuld an diesem Unfall war.

 

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