Kapitel 12
Autor: Fu-Dragon

 

Sobald sich die Aufregung ein wenig gelegt hatte, kehrte das Grüppchen in die Hütte zurück. Carmen hatte man an das halb verfallene Bett gefesselt, wo man sie leicht im Auge behalten konnte. Caine kümmerte sich um Kermits Schulter und Peter versorgte Caras verschrammte Hände.

Nachdem das alles erledigt worden war und man sich dabei leise unterhielt, was man in den letzten Stunden so erlebt hatte, versammelten sich die Anwesenden um den Tisch zur Lagebesprechung.

Zugegeben, die Hütte war nicht unbedingt der beste Ort, um sich aufzuhalten. Das Dach schien jeden Moment einfallen zu können, anstelle der vormals gemütlichen Einrichtung sah man nur halb verrottete Möbelstücke, Mörtel, Dreck und Staub. Aber dennoch war es im Moment der sicherste Aufenthaltsort, bot die Hütte doch einen gewissen Schutz, sollte ein Angriff statt finden.

"So, und was machen wir nun?", begann Peter das Gespräch.

"Wir schauen, dass wir so schnell als möglich hier weg kommen", erwiderte Kermit trocken.

"Wie nett, und du hast sicherlich schon eine besonders tolle Idee, wie uns das gelingen könnte", gab Cara mit zuckersüßer Stimme zurück.

"Wenn ich es wüsste, wären wir schon längst wieder weg hier", knurrte Kermit.

"Wir müssen das Portal finden", warf Caine mit seiner ruhigen Stimme ein und zog somit alle Aufmerksamkeit auf sich.

"Was meinst du damit, Dad?", fragte Peter.

Caine warf Kermit und Cara einen Blick zu. "Ihr beide seid durch ein Portal hierher gekommen, das das Buch von Shambhala geöffnet hat. Nun obliegt es uns, das Portal zu suchen, das die Sing Wah nutzen, um hierher zu gelangen."

"Hm, und du bist sicher, dass wir uns nicht in irgend einem Teil eines Gehirns aufhalten, sondern in einer anderen Welt?", warf Peter ein, nicht sehr von dem überzeugt, was sein Vater hier sagte.

"Das...ist das einzige, was ich mit Sicherheit weiß", gab Caine in seiner bedachten Art zurück.

Peter fuhr sich in typischer Geste durch die Haare.

"Na toll. Und wie sollen wir das bitte schön anstellen? Ich sehe hier kein Portal, nur verdorrte Bäume, Gras und endlose Weite. Und überhaupt, wie soll dieses ominöse Portal überhaupt aussehen?"

Caine warf seinem Sohn einen tadelnden Blick zu.

"Wir sehen das, was man uns glauben machen will zu sehen."

"Moment mal! Dieser Bann, den man um uns gelegt hat, ist doch gebrochen, ergo muss diese Welt um uns herum auch real sein und exakt das widerspiegeln, was wir sehen", entgegnete Peter.

Caine schüttelte den Kopf. "Das ist nicht so mein Sohn. Der Bann um unser Denken ist gebrochen, doch ob das, was um uns herum real ist oder nicht, vermag ich nicht zu sagen. Wir können uns hier ebenso mitten unter den Sing Wah befinden, oder direkt vor dem Portal, als auch in einer Lagerhalle oder tatsächlich in dieser Umgebung."

Kermits Blick wanderte von den Dreien zu der fünften Person, die wie ein Häufchen Elend auf dem Bett kauerte.

"Oh, ich weiß da Jemanden, der uns das genau sagen kann", meinte er grimmig und machte Anstalten sich zu erheben.

Caines Hand auf seinem Arm hielt ihn zurück. "Sie...ist auch nur ein Bauer in diesem Spiel. Sie ist zu verängstigt und würde uns nur eine falsche Auskunft geben."

Kermit hieb voller Frustration mit der Faust auf den Tisch, so dass ein Stück Holz absplitterte.

"Verdammt, und was sollen wir sonst tun? Hier herum sitzen und warten, bis man uns in einer goldenen Kutsche abholt?" Er schüttelte den Kopf. "Nein, Caine. Das mag vielleicht ihr Weg sein, aber es ist gewiss nicht meiner."

"Überreagieren bringt aber auch nichts, Kermit. Ich denke, Caine wird von uns allen am ehesten wissen, was zu tun ist", ließ sich Cara mit leiser Stimme hören, bemüht die Wogen zu glätten.

Kermit rieb sich frustriert die Augen unter seiner Sonnenbrille, blieb aber ansonsten doch ruhig und sagte nichts mehr.

Peter war es, der die eintretende Stille unterbrach. "Also, was tun wir jetzt Paps?"

Caine erhob sich von seinem Stuhl und verbeugte sich leicht vor den Dreien.

"Ich werde über das Problem meditieren, ihr", er schaute jeden einzelnen mit einem strengen Blick an, "ruht euch aus."

"Meditieren, meditieren, toll. Als ob das das Problem lösen wird", murmelte Kermit unhörbar für die anderen beiden, während er Caine mit den Augen folgte, bis dieser die Hütte verlassen hatte.

***********************

Inzwischen war die Dämmerung herein gebrochen. Die Stimmung in der Hütte war alles andere als gut. Die Anspannung, die jeden Einzelnen ergriffen hatte, war fast körperlich zu spüren. Caine war nur einmal in die Hütte zurück gekehrt und ihnen mitzuteilen, dass sie im Morgengrauen aufbrechen würden, da sich das Portal woanders befände. Mehr hatte er nicht gesagt und war gleich darauf wieder verschwunden.

Es war klar, dass diese Worte nicht unbedingt zur Beruhigung der Hiergebliebenen beitrugen. Wenn möglich, wurde die Anspannung noch heftiger und gleichzeitig lähmender. An Schlaf war nicht zu denken. Die einzige Person, die die Augen zuhatte war Carmen, alle anderen waren hellwach.

Cara ließ traurig den Blick über die anderen beiden schweifen. So hatte sie sich ihre Wiedervereinigung nicht vorgestellt. Dass sie hier nun einfach herum saßen und sich kaum etwas zu sagen hatten, tat ihr beinahe körperlich weh. Jeder saß oder stand für sich alleine in einem Teil des Raumes und starrte nur vor sich hin. Es kam ihr so vor, als wäre dies hier die Ruhe vor dem Sturm. Sie konnte sich des Gefühls nicht erwehren, als dass sie sich morgen früh in eine unbekannte Schlacht stürzten und sie spürte, dass die anderen beiden es ebenso empfanden. Nur allzu gerne wäre sie zu Peter gegangen und hätte sich an seine Schulter gekuschelt, hätte sich sagen lassen es würde alles wieder gut, doch ihre eigene Anspannung und Peters Gesichtsausdruck verhinderten, dass sie es tat. Die gemeinsamen Kuschelstunden mit ihm, das geschwisterlich-liebvolle Verhältnis, das alles schien ihr Meilenweit entfernt zu sein.

Hinzu kamen noch ihre widersprüchlichen Gefühle gegenüber Kermit. Gut, er hatte ihr das Leben gerettet und dabei sein eigenes aufs Spiel gesetzt, als er sie vor dem Sturz in den Abgrund bewahrt hatte, aber das änderte nichts daran, dass sie sich nach wie vor von ihm betrogen fühlte.

Sie fragte sich allen Ernstes, wie man sich dermaßen alleine fühlen konnte, wo doch alle Menschen, die sie am liebsten auf der Welt hatte, um sie herum waren. Immer mehr verfestigte sich in ihrem Denken, dass der morgige Tag wohl auch ihr letzter sein würde. Sicherlich, irgendwo, tief in ihrem Inneren, wusste sie, dass es Blödsinn war so zu denken, doch die gedrückte Stimmung und die angespannte Erwartung zog sie immer tiefer in den Strudel von Hoffnungslosigkeit hinein.

Cara konnte einen erschreckten Laut nicht unterdrücken als Peter urplötzlich aufsprang, so dass sein Stuhl hintenüber kippte. Ein entschuldigender Blick streifte sie.

"Ich sehe nach meinem Vater. Ich brauche dringend frische Luft", stieß er hervor

Eine Sekunde später war er durch die Türe verschwunden.

*************************************

Peter fand seinen Vater wenige Meter von der Hütte entfernt am Waldrand vor. Er saß im Schutz der abgestorbenen Bäume im Schneidersitz auf den Boden, die Handflächen ruhten auf seinem Knien, Zeigefinger und Daumen formten ein O. Er schien weit weg von allem irdischen zu sein.

Peter zögerte seinen Vater in der Meditation zu unterbrechen. Irgendwie hatte er das Gefühl, er störte etwas wichtiges. Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als Caine die Augen öffnete, zu ihm hinüber sah und ihm mit einer kurzen Handbewegung andeutete, näher zu treten.

"Ich wollte nicht stören", entschuldigte sich Peter.

"Du störst nicht, mein Sohn", erwiderte Caine und sah zu, wie sich sein Sprössling umständlich vor ihm zu Boden gleiten ließ.

Caine betrachtete seinen Sohn eingehend. Wellen von Schmerz, Schuld und noch etwas anderem, das er nicht genau definieren konnte, schwappten auf ihn über.

"Du bist durcheinander", stellte er fest.

Peter fuhr sich mit einer fahrigen Bewegung durch die Haare.

"Ist das ein Wunder?" Er machte ein weitausholende Geste mit der Hand. "Nach all dem hier?"

"Nimm es an und lass es gehen", erwiderte Caine.

Peter lachte bitter.

"Ist das deine Standardantwort auf alles? Nimm es an und lass es gehen?"

Zur Antwort bekam der jüngere Shaolin nur das berühmte Schulterzucken seines Vaters.

"Dann sag mir bitte, wie ich das tun soll. Warum haben wir nicht gemerkt, was hier geschehen ist? Was ist der Zweck des Ganzen hier? Warum tut man uns das an? Was wenn wir es überleben, aber nicht Kermit oder Cara? Warum müssen wir ständig Menschen, die uns nahe sind in solche Situationen hinein ziehen? Warum? Warum?!? Ich habe tausend Fragen und nicht eine einzige Antwort und alles was du tust ist mit der Schulter zu zucken und mir zu sagen, ich soll es einfach loslassen!"

In einem plötzlichen Ausbruch von Energie sprang Peter auf und begann wie ein Tiger im Käfig hin und her zu laufen. Mehrmals fuhr er sich mit zittrigen Händen über den Mund und durch die Haare, bevor er weiter sprach.

"Dort drinnen", er deutete zur Hütte, "sitzt meine kleine Schwester des Herzens. Nicht nur, dass ich um ein Haar zugelassen hätte, dass sie in diesen Abhang gestürzt wäre ohne etwas zu unternehmen, nein sie sitzt nun dort und ängstigt sich halb zu Tode vor dem Unbekannten. Das kann ich deutlich spüren und was tue ich um ihr diese Furcht zu nehmen? Nichts! Mein Gott, ich bin Shaolin, ich sollte zumindest in der Lage sein einem anderen Menschen Mut zuzusprechen, doch nicht mal dazu bin ich in der Lage."

Peter streifte sich die Ärmel seines Hemdes hoch. Die Handflächen zeigten nach oben, so dass der Drache und der Tiger sichtbar waren. Er hielt seinem Vater anklagend die Arme hin.

"Sag mir, Vater, wozu sind diese Brände gut, wenn ich nicht einmal die Menschen, die ich liebe beschützen oder helfen kann?"

In einer fließenden Bewegung erhob sich Caine und umfasste sie Handgelenke seines Sohnes. Sein Blick bohrte sich förmlich in seine Seele. Peter musste kein Gedankenleser sein, um zu erkennen, wie sehr er mit diesen Worten seinen Vater verletzt hatte.

Er versuchte, plötzlich beschämt, seine Handgelenke aus dem Griff seines Vaters zu befreien, doch diese Bemühung war so nutzlos, als würde man versuchen einen Großbrand mit einem einzigen Eimer Wasser zu löschen.

"Tut mir leid, Paps. Ich wollte das nicht sagen", entschuldigte er sich und schaute zu Boden.

"Ich verstehe deine Zweifel, deinen Schmerz. Doch bezweifle niemals den Nutzen dieser Brandmale. Sie sind das äußere Zeichen dessen, was wir sind. Shaolin. Der Drache und der Tiger verleihen uns ein höheres Bewusstsein, lassen uns Dinge tun, die für viele Menschen unbegreiflich sind und dennoch schützen sie uns nicht vor dem Leben und dessen Umständen."

Caine zog leicht an den Handgelenken, Peter gab dem unausgesprochenen Wunsch seines Vaters nach und schaute in seine Augen. Verständnis strahlte ihm entgegen. Die nächsten Worte seines Vaters nahm er tief in sich auf.

"Niemand, weder ein Shambhala Meister noch ein Shaolin haben Einsicht in das Schicksal, das für jeden Einzelnen von uns einzigartig ist. Wir können nicht vorhersehen, was der nächste Tag bringen mag. Die Male schützen uns auch nicht vor unseren eigenen Emotionen, das sind Dinge mit denen jeder Einzelne von uns alleine fertig werden muss. Peter, du musst lernen, dass ein Shaolin auch nur ein Mensch ist. Nimm die Emotionen an, setze dich mit ihnen auseinander, denke nach und dann rede über das, was dich wirklich bedrückt."

Mit diesen Worten ließ er Peters Handgelenke los und trat einen Schritt zurück.

Der Körper des jungen Shaolin zuckte wie unter einem Stromschlag, ungeweinte Tränen schimmerten in seinen Augen.

*Nimm die Emotionen an, setze dich mit ihnen auseinander.*

Immer wieder hallten die Worte in ihm nach. Es war, als hätten diese Worte die unsichtbare Barriere durchbrochen, die er um den kleinen Teil errichtet hatte, den er so gerne als Realität anerkennen wollte. Eine Realität, die nicht existierte. Eine Realität, die sich im Angesicht der Geschehnisse in Wohlgefallen aufgelöst hatte. Eine Realität, mit der er sich nicht hatte auseinander setzen wollen und nun gezwungen war es zu tun. Eine Realität, die nicht mehr aufrecht erhalten werden konnte.

Nicht länger fähig auf beiden Beinen zu stehen, sank Peter auf die Knie. Er schlang beide Arme beschützend um seinen Magen und krümmte sich vornüber.

"Warum?" brachte er stammelnd hervor. "Warum ausgerechnet Mutter? Wie konnten sie das uns nur antun. Ich kann verstehen, dass ich darauf herein gefallen bin, aber dass du es nicht gemerkt hast, das ist...das ist..." Peter fehlten einfach die Worte, um weiter sprechen zu können.

Der Kloß in seinem Hals ließ ihn nach Luft schnappen, seine Schultern fingen an zu beben, erste Tränen liefen seine Wange hinab. Zu schmerzhaft war die Erinnerung an die letzten Stunden.

Eine leichte Berührung an seiner Schulter ließ ihn erneut zusammen zucken. Wie durch einen Schleier hindurch nahm er wahr, wie sein Vater sich neben ihn kniete und ihn in die Arme schloss. Peter gab nach. Umhüllt in der beschützenden Umarmung seines Vaters barst der letzte Damm und er brach in herzzerreißendes Schluchzen aus.

Es dauerte lange, bis sich Peter wieder beruhigte. Die Anspannung der letzten Stunde forderte ihren Tribut, doch schließlich lag er ruhig an der starken Schulter seines Vaters gelehnt und versuchte seine Beherrschung zurück zu erlangen.

"Wieso hast du es nicht gewusst?", flüsterte er mehr zu sich selbst.

Ein tiefer Atemzug, ganz untypisch für Caine, hob seine Brust.

"Vielleicht habe ich gewusst, dass es falsch ist. Aber auch ich wollte daran glauben."

Peter erstarrte und hob den Kopf von Caines Schulter. Aus den Worten hatte entschieden mehr geklungen, als nur die wörtliche Aussage. Zum ersten Mal, seitdem er dieses Gespräch angefangen hatte, wurde ihm bewusst, wie sehr auch sein Vater unter dem Erlebten leiden musste.

Unwillkürlich hob er seine Hand und schmiegte sie an die Wange des Shambhala Meisters. "Es tut mir so leid, Paps. In meiner Selbstsucht habe ich nicht einen Gedanken daran verschwendet, wie hart es für dich gewesen sein muss. Ich weiß, wie sehr du Mutter geliebt hast."

Caine lächelte traurig und legte seine Hand auf Peters. "Es war ein schöner Traum", erwiderte er weich, seine Augen teilten Peter mit, was er mit Worten nicht ausdrücken konnte.

Peter erwiderte das Lächeln zurückhaltend. Eine Frage drängte sich ihm noch auf, doch er zögerte. Das leichte Nicken seines Gegenübers forderte ihn auf, sie zu stellen.

"War...war Mutter so, wie ich sie hier erlebt habe? Ich meine, kann ich diese Stunden s...so in Erinnerung behalten oder sollte ich besser alles vergessen?"

Caines Lächeln wurde breiter, seine Augen blickten in die Ferne und er seufzte leise. "Oh ja, so war sie, mein Sohn. Auch wenn diese Frau ein Trugbild war, so ist sie doch entstanden aus meinen Gedanken und meiner Erinnerung. Laura war ein edler Geist mit einem Herz aus purem Gold. Das was wir sahen und erlebten, wurde kreiert durch meine und Lauras gemeinsamen Stunden. Ich sehe keinen Grund, warum du es vergessen solltest."

Die Worte seines Vaters legten sich wie Balsam über Peters verwundete Seele. Er konnte direkt körperlich spüren, wie sich eine zentnerschwere Last von seinen Schultern hob. Unbewusst – oder vielleicht auch bewusst – hatte Caine ihm ein Stück heile Welt geschenkt. Auch wenn alles nur ein Luftschloss gewesen war, so hatte er nun deutliche Erinnerungen an seine Mutter, die er wie einen Schatz hüten wollte und tief in seinem Herzen verschloss.

Peter konnte ein leises, befreiendes Lachen nicht unterdrücken.

"Wenn ich das so sehe, dann sollte ich den Sing Wah direkt dankbar sein für diese Stunden." Gleich darauf wurde er wieder ernst. "Wenn ich nur wüsste, was sie damit bezwecken. Es sieht den Sing Wah einfach nicht ähnlich, uns angenehme Stunde zu bescheren."

Caine zuckte erneut die Schultern und entließ Peter aus seiner Umarmung. "Der Grund ist mir ebenfalls unbekannt, doch ich bin sicher, er wird sich uns zu gegebener Zeit offenbaren."

"Ah ja, back to cryptic, was Paps? Und was tun wir jetzt?"

Caine warf seinem Sohn einen gespielt strengen Blick zu.

"Meditieren."

*********************************

Cara rang sich zu einem Entschluss durch. An ihrer Denkweise hatte sich nichts geändert, doch sie wollte wenigstens noch ein paar Dinge klar stellen, bevor es endgültig zu Ende ging. Wie eine alte Frau erhob sie sich und schlurfte die wenigen Schritte zu Kermit hinüber, der mit verschränkten Armen an der Wand lehnte und in die Ferne zu starren schien. Auf ihren bittenden Blick hin, ließ er sich gut einen Meter von ihr entfernt auf den Boden gleiten und schaute sie fragend an.

"Ich möchte reinen Tisch machen, falls wir hier nicht lebend heraus kommen", wisperte sie.

"Cara, so was darfst du nicht sagen, nicht einmal denken", entgegnete Kermit nun doch überrascht von dieser seltsamen Aussage.

"Sage mir nicht ständig was ich zu tun oder zu lassen habe. Ich bin ein erwachsener Mensch und kein sechsjähriges Kind, dem man noch die Nase putzen muss", gab sie verletzt zurück.

Kermit hob die Hände an. "Hey, nun mal ruhig. Ich will dir nichts vorschreiben, es läge mir fern das zu tun", schwächte er ab.

"Vor nicht allzu langer Zeit hast du aber eben genau das getan", erinnerte sie ihn.

Kermit schloss für einen Augenblick die Augen. Nun kam es also doch, das Gespräch, das er befürchtet hatte.

*Einen schlechteren Zeitpunkt wie diesen konntest du dir nicht heraus suchen.*

"Hör mal, Prinzessin, ich kann nicht mehr machen, als immer wieder zu sagen wie leid es mir tut. Ich denke, wir sollten das Gespräch verschieben, bis wir wieder zu Hause und in Sicherheit sind."

Cara schüttelte vehement den Kopf. "Nein, ich will es jetzt klären. Wer weiß, ob ich je wieder die Gelegenheit dazu haben werde. Ich...ich will einfach, dass du weißt, was in mir vorging. Ich wollte dich nicht so anschreien im Krankenhaus, es tut mir leid."

"Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen musst. So wie ich dich behandelt habe, ist es kein Wunder, dass du so reagiert hast, du..."

Cara unterbrach ihn mitten im Satz. "Hör mir einfach zu Kermit. Ich möchte nur, dass du meine Beweggründe verstehst. Mehr will ich nicht."

Kermit holte tief Luft. Dann deutete er ihr mit einer Handbewegung an fort zu fahren.
"Ich höre", erwiderte er leise als sie keine Anstalten, machte etwas zu sagen.

Cara zuckte zusammen. Sie zögerte noch einen Moment, um sich Mut zu machen, dann begann sie.

"Bis zu jenem Zeitpunkt habe ich dir vollkommen vertraut. Für mich warst du ein Freund, ich habe niemals geglaubt, dass du mir so etwas antun könntest. Du hast mein Vertrauen auf gröbste Art und Weise missbraucht und das tut weh, Kermit, verdammt weh. Vor allem weil ich..."

Cara brach mitten in ihrer Rede ab, als ihr bewusst wurde, was sie gerade von sich geben wollte. *mich in dich verliebt habe*, vollendete sie in Gedanken den Satz.
*Soviel zu dem Thema reinen Tisch machen, ich schaffe es nicht mal jetzt.*

Kermit hielt den Blick unverwandt auf ihre Augen gerichtet.

"Weil du was?", erkundigte er sich.

Sie konnte ihm nicht länger in Augen sehen aus Angst er könne entdecken, was in ihr vorging und senkte den Blick zu Boden.

"Nichts", erwiderte sie in einem Tonfall, der deutlich machte, dass sie zu diesem Thema nichts mehr sagen würde.

Kermit holte tief Luft, schonungslose Offenheit war alles, was ihm übrig blieb in der Hoffnung den Riss zu kitten, der sich vor ihnen aufgetan hatte.

"Das muss ich dann wohl so akzeptieren. Cara, schau, ich weiß, dass ich großen Mist gebaut habe. Glaube mir, egal was du denken magst, ich habe es nicht in der Absicht getan, dir weh zu tun. Im nachhinein kann ich dir nicht einmal mehr genau sagen, was da in mir vorging. Ich hatte einfach nur den Wunsch dir alles leichter zu machen. Dass ich einen großen Fehler damit machte, war mir nicht bewusst bis zu jenem Moment in Peters Krankenzimmer, wo du mich sehr effektvoll auf den Boden der Tatsachen zurück geholt hast. Ich kann nicht mehr tun, als mich bei dir zu entschuldigen. Leider kann ich weder die Zeit zurück drehen, noch alles ungeschehen machen und ich kann nur hoffen, dass du mir verzeihen kannst, was ich dir damit unbeabsichtigt angetan habe."

Caras Stimme klang so leise und traurig, dass er Probleme hatte sie zu verstehen.

"Mit Verzeihen hat es nichts zu tun. Verziehen habe ich dir, nur...es geht einfach tiefer. Ich habe mein Vertrauen in dich verloren, das ist der Punkt. Und ohne Vertrauen..." den Rest des Satzes ließ sie offen. Es war auch so klar, was sie damit andeutete, ohne es aussprechen zu müssen.

Minutenlang herrschte Stille zwischen den beiden. Kermit kämpfte mit dem Wunsch sie einfach in die Arme zu nehmen und ihren Schmerz, der ihr mehr als deutlich ins Gesicht geschrieben stand, einfach wegzuküssen, und dem Drang irgend etwas zu zerschlagen. Mit wenigen Worten hatte sie es geschafft sein Herz in Stücke zu reißen und das schlimmste war, er konnte nur sich selbst die Schuld dafür geben und keinem anderen. Und dennoch, er musste es einfach wissen, ungeachtet, was ihre Antwort mit ihm anstellen würde.

"Meinst du, du kannst mir irgendwann wieder vertrauen?"

Nun war es endlich heraus.

Sie zögerte mehrere Sekunden mit der Antwort.

"Ich weiß es nicht, Kermit. Ich weiß es einfach nicht", erwiderte sie in einem Tonfall, der ihm deutlich machte, wie sehr sie sich das einerseits wünschte, aber andererseits einfach noch nicht konnte.

Bevor er noch etwas erwidern konnte, stand sie auf und ging mit eingezogenen Schultern aus der Hütte, einen sehr nachdenklichen Kermit Griffin zurück lassend.

 

Teil 1    2    3    4   5    6    7    8    9    10    11    12    13    14    15    16    17    Epilog

zurück zum Serien Index      Zurück zum Story Index