Kapitel 15
Autor: Fu-Dragon

 

Ein teuflisches Gelächter erfüllte den Raum. Wie aus dem Nichts tauchten plötzlich gut ein Dutzend Gestalten um sie herum auf. Shin Tao selbst stand wie ein König auf der Empore und blickte mit einem breiten Grinsen auf die Fünf herunter.

"Du hast doch wohl nicht gedacht, ich würde es dir so leicht machen, Kwai Chang Caine", spie er aus.

Kermit konnte den Impuls nicht unterdrücken, hob seine Waffe und zielte auf Shin Tao. Doch noch bevor er abdrücken konnte, riss ihn eine unbekannte Macht den Eagle aus der Hand und Shin Taos Gelächter erfüllte erneut den Raum.

"Ihr armen Sterblichen. Habt ihr noch immer nicht gelernt, dass eine Waffe nichts ist im Vergleich zu der Macht der Sing Wah?"

Shin Tao hob die Hand und stieß die Handfläche in einer blitzschnellen Bewegung nach vorne. Von einem unsichtbaren, heftigen Windstoß getroffen, wurde Kermit hart zu Boden geschleudert.

Cara schrie entsetzt auf und kniete neben dem nach Luft schnappenden Ex-Söldner. Eine zweite Bewegung der Hand Shin Taos und Cara wurde ebenfalls zur Seite geschleudert.

"Du hörst sofort damit auf!", klirrte Caines Stimme wie Donnerhall durch den Raum.

Shin Tao stoppte tatsächlich mitten in der nächsten Armbewegung und warf einen lodernden Blick zu Caine.

"Wer bist du, dass du es wagst, mir Befehle zu erteilen!" schrie er.

Caine verbeugte sich in einer halben Entschuldigung. "Wenn du mich haben willst, dann lass die anderen gehen. Ich verspreche dir, ich werde bleiben. Lass die Unschuldigen gehen."

"Unschuldige? Du redest von Unschuldigen? Nein, Kwai Chang Caine, du irrst dich. Ohne diese beiden", er deutete auf die beiden zusammen gekrümmten Gestalten am Boden, "wäre mein Plan aufgegangen. Sie haben es vereitelt und sie müssen bestraft werden, so wie du und dein Sohn."

"Ach und welcher Plan soll das gewesen sein?", warf Peter unverblümt ein, bemüht Zeit zu schinden. Vielleicht hatten sie noch eine Chance einen Überraschungsangriff zu starten, wenn sie Shin Tao und seine Männer nur irgendwie ablenken konnten.

Der Anführer der Sing Wah machte ein weitausholende Geste mit der Hand. "Oh der Plan war so gut vorbereitet. Seht es als eueren letzten Wunsch an, da ich euren Wissensdurst erfülle. Dich, Priester und deinen Sohn haben wir in diese Welt gebracht. Alles wäre so einfach gewesen ohne diese beiden Eindringlinge."

Erneut warf er Kermit und Cara einen wütenden Blick zu, bevor er fort fuhr. "Alles war bis ins kleines Detail vorbereitet. Wir haben euch eine Welt erschaffen, in der ihr glücklich sein konntet, vereint mit Laura, bis eure sterblichen Überreste in der realen Welt verschieden wären und dann hättet ihr einfach aufgehört zu existieren."

"Wie meint er das?", wandte sich Peter fragend an seinen Vater.

Cara, die sich inzwischen aufgerappelt hatte und nun dicht an Kermit gedrängt dastand, gab ihm die Antwort. Mit einem Male fielen alle Puzzleteile an den richtigen Platz. Sie schlug die Hand vor den Mund.

"Oh Gott, ich weiß, was er meint. Ihr beide, du und dein Vater liegt in der richtigen Welt im Koma. Laut Dr. Sabourin werden eure Gehirnströme immer schwächer und keiner weiß den Grund. Das muss es sein."

Peter lauschte Caras Worten mit offenem Mund. Er konnte nicht so recht glauben, was er da hörte. Die letzte Erinnerung in der "realen" Welt stand vor Peters innerem Auge. Er sah sich selbst in einem Krankenhausbett liegend und beobachtete einen Streit von Kermit und Cara. Er versuchte zu schlichten und dann gab es da nur noch tiefe Schwärze.

Tief zog er die Luft in seine Lungen ein. Die kleine Stimme in seinem Inneren flüsterte ihm zu, dass Cara recht hatte. Dem jungen Shaolin wurde mit aller Deutlichkeit bewusst, dass ihnen so gut wie keine Zeit mehr blieb. Seine Gedanken rasten.

"So weit so gut. Aber wie kommt es, dass wir gleichzeitig an zwei Orten sein können und zwar in Fleisch und Blut?"

Shin Tao unterbrach das Gespräch rüde. "Schluss mit diesem Geplapper. Dir zu erklären wie das möglich ist, würde deinen Horizont überschreiten, junger Caine. Es wird Zeit für meine Rache. Ihr Shaolin müsst vernichtet werden, für immer und alle Zeit. Aber zuvor", ein schmieriges Lächeln glitt über seine Lippen, "werde ich Diejenige bestrafen, die meinen Plan so vereitelt hat. Bringt die Frau zu mir."

"Nein!"

Caras Widerstand gegen die beiden Männer, die sie packten und zu Shin Tao schleiften war fruchtlos. Peter, Caine, Kermit und Carmen wagten nicht etwas dagegen zu unternehmen, da sämtliche Waffen auf sie gerichtet waren. Und selbst ein Shaolin war nicht schneller als eine Kugel. Ihnen blieb nichts anderes übrig als machtlos mit anzusehen, wie Cara unsanft zu Füßen Shin Taos landete.

"Krümme ihr nur ein Haar und ich werde mit bloßen Händen dein Herz aus dem Leib reißen", drohte Kermit.

Shin Tao lachte nur. Seine Finger verkrallten sich in ihr Haar und er riss ihren Kopf grob zurück.

"Na Täubchen, so schnell sieht man sich wieder", höhnte er.

Cara nahm all ihren Mut zusammen und blickte ihm angriffslustig von unten herauf an.

"Ich hätte es vorgezogen, sie nie wieder zu sehen", gab sie mit fester Stimme zurück, fest entschlossen, im keine Schwäche zu zeigen.

"Oh, heute so mutig? Mal schauen wie lange du das noch bist, kleines Mädchen."

Er tat so, als ob er nachdachte und strich mit der freien Hand über ihre Wange. Cara verzog angewidert das Gesicht, konnte aber wegen des festen Griffes in ihren Haaren nicht vor der Berührung zurück weichen.

"Was soll ich nur mit dir tun? Vielleicht hast du eine bevorzugte Art, wie du sterben möchtest?"

"Ja, die habe ich tatsächlich. Ich würde vorziehen, dass sie zur Hölle fahren."

Die Antwort brachte ihr eine heftige Ohrfeige ein.

Peter, Caine und Kermit traten automatisch einen Schritt nach vorne, wurden aber von der ihnen entgegen gerichtete Waffe effektvoll an einem Einschreiten gehindert.

"Die Antwort büßt du mir, Mädchen. Ich sollte dich auf die traditionelle Art der Sing Wah töten, indem ich dir die Kehle heraus reiße oder", ein teuflisches Lächeln glitt über seine Gesichtszüge, "ich klinke mich noch einmal in deinen Verstand ein. Schon das letzte Mal war es ein reines Vergnügen für mich. Erinnerst du dich? Ich könnte dich so verwirren, dass du den Rest deines Lebens in einer Irrenanstalt verbringen wirst, gesetzt den Fall du überlebst das hier lange genug. Jeden Tag würdest du darum beten sterben zu dürfen, doch die Qualen werden nie ein Ende nehmen. Ja, ich denke, das ist die bessere Strafe für dich."

Mit Grauen erinnerte sich Cara and die schlimmsten Minuten ihres Lebens. All der Schmerz und die Qual, als er ohne Rücksicht in ihre Gedanken eingedrungen war kehrte in lebendigen Farben zurück. Das Zittern, das ihren Körper erfasste war nicht gespielt. Die mühsam aufrecht erhaltene Fassade von gespieltem Mut, brach in sich zusammen.

"Bitte nicht", flüsterte sie, alle Farbe wich aus ihrem Gesicht.

"Ich sehe, du erinnerst dich. Ich hoffe, es war für dich genauso schön wie für mich. Und ich bin sicher dieses Mal wird es noch schöner werden", verhöhnte er das zitternde Bündel Mensch zu seinen Füßen.

Shin Tao zog die junge Frau an den Haaren brutal nach oben, bis sie auf ihren Beinen stand. Dann lockerte er seinen Griff und umklammerte statt dessen mit stahlhartem, paralysierendem Griff die beiden Seiten ihres Kopfes.

"Nein!", Cara schrie das eine Wort mit all der Furcht hinaus, die sie empfand.

Gleichzeitig ertönte ein lauter Schrei von Kermit. "Lass sie sofort los du Schwein!"

Kermit gab dem Mann, der seine Waffe in der Hand hielt einen harten Stoß vor die Brust, so dass dieser überrascht von der plötzlichen Attacke einen Schritt zurück stolperte.

Shin Tao selbst war für einen Augenblick von dem Tumult abgelenkt, sein Griff lockerte sich etwas. Cara, die spürte, dass sie sich plötzlich wieder bewegen konnte nutzte ihre Chance und rammte ihm in einem verzweifelten Aufbäumen ihr Knie in den Unterleib.

Der Anführer stöhnte auf und beugte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht nach vorne. Seine Hände fielen von ihrem Gesicht herab und pressten sich beschützend gegen seine intimste Stelle.

"Du kleine Ratte, das wird du büßen!", keuchte er.

Cara, die noch einen Moment wie erstarrt da stand, stolperte einen Schritt zurück, bevor endlich Leben in sie kam und sie sich umdrehte und wegrannte. Sie hatte nur noch eines im Sinn: Zu Kermit und Peter zu gelangen.

"Worauf wartet ihr denn noch? Tötet sie!", schrie Shin Tao, der sich noch immer nicht rühren konnte, wutentbrannt.

Im nächsten Moment brach die Hölle los. Peter, Kermit und Caine reagierten beinahe gleichzeitig und traten den ihnen am nächsten stehenden Personen die Waffen aus der Hand. Carmen hingegen stieß dem Mann neben ihr mit aller Kraft den Ellbogen in die Rippen.

Caine schloss die Augen und konzentrierte sich. Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn. Ein Zittern lief durch seinen Körper, bevor er mit seiner rechten Hand einen weiten Kreis beschrieb. Mehrere Männer schrieen auf, als die Waffen in ihren Händen plötzlich zu glühen begannen und sie sie loslassen mussten.

Wutentbrannt stürzten sie sich auf die drei Männer und zwei Frauen. Ein ungleicher Kampf entbrannte. Weder Carmen noch Cara hatten genügend Kampferfahrung, um sich gegen die gewieften Kämpfer der Sing Wah durchsetzen zu können. Sie konnten nur so geschickt und schnell wie möglich den Männern ausweichen. Zu ihrem Glück sahen die Angreifer auch keine Gefahr in den zwei Frauen und konzentrierten sich lieber auf die drei verbissen kämpfenden Männer.

Caine, Peter und Kermit taten ihr bestes, um sich gegen den Ansturm zu wehren. Die beiden Shaolin teilten gekonnt heftige Tritte und Schläge aus, während Kermit sich auf seine Söldnertaktik verließ. Dennoch waren die Angreifer noch immer in der Überzahl. Zwar war es ihnen gelungen, den ein oder anderen ins Reich der Träume zu schicken, aber man könnte meinen, wenn einer zu Boden ging, dann tauchten dafür drei andere auf.

Langsam aber stetig erlahmten die Kräfte der Kämpfenden, doch auch die Zahl der Angreifer dezimierte sich sehr. Alle drei hatten mittlerweile einige harte Schläge einstecken müssen. Peter blutete aus einer Wunde an der Stirn, Kermits Hemd war eingerissen und auch Caine hatte einen blutenden Schnitt am Arm. Cara und Carmen hingegen waren unverletzt, was aber mehr daran lag, dass die Männer sie mittlerweile überhaupt nicht mehr zur Kenntnis nahmen. Dass die beiden Shaolin und der Detective so schwer zu überwältigen waren, damit hatte keiner der anderen gerechnet.

Eben war es Peter gelungen einen weiteren Widersacher mit einem harten Tritt gegen die Schläfe zu Boden zu befördern, als sich ihm ein anderer von hinten näherte und ihm die Arme um den Hals schlang. Peter konnte den Angriff nicht mehr ausbalancieren und verlor das Gleichgewicht. Zusammen mit seinem Gegner, der den Griff um seine Kehle keinen Moment lockerte, ging er zu Boden.

Schwarze und rote Punkte tanzten vor seinen Augen, die Finger hatte er um den Arm des Angreifer geklammert in der verzweifelten Hoffnung, Luft in seine Lungen zu bekommen. Ein aussichtsloses Unterfangen, der Mann hielt weiterhin fest, als würde sein Leben davon abhängen.

Peters Körper krümmte sich in Abwehr. Er versuchte sich zur Seite zu werfen, doch keiner seiner Versuche brachte Linderung für seine fast berstenden Lungen. Seine Bewegungen wurden schwächer, der Sauerstoffverlust lähmte seine Gehirntätigkeit. Die Umgebung verschwamm vor seinen Augen, die Kampfgeräusche wurden immer leiser. Er meinte zu spüren, wie sich seine Seele langsam aus seinem irdischen Körper löste. Ergeben schloss er die Augen.

Plötzlich war er wieder frei, röchelnd zog er den Atem in seine schmerzenden Lungen ein und bereute es eine Sekunde später, als seine Lunge gegen die übereilte Luftzufuhr protestierte. Das verschwommene Gesicht vor seinen Augen wurde langsam klarer und er erkannte Carmen, die sich über ihn gebeugt hatte, in der Hand hielt sie einen blutverschmierten Stein.

"Danke", krächzte er und rappelte sich mit ihrer Hilfe auf die Beine, verwundert darüber, dass er nicht gleich wieder angegriffen wurde.

Er brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass von dem guten Dutzend Männer gerade noch vier Kämpfer übrig geblieben waren. Der Rest lag mehr oder weniger ohnmächtig oder verletzt am Boden.

Peter bemühte sich, den Rest der Benommenheit abzuschütteln. Aus dem Augenwinkel bemerkte er Shin Tao, der ungefähr zwei Meter neben dem Stein stand und einen kleineren, dem Monolithen sehr ähnlichen, Kristall in den Händen hielt.

"Peter, wir müssen ihn aufhalten. Er ist dabei das Portal zu öffnen, um noch mehr Männer hierher zu holen. Schafft er das, sind wir verloren", sprach Carmen eindringlich auf den noch leicht benebelten Shaolin ein und zog ihn am Arm.

Peter warf einen Blick in das Kampfgetümmel vor sich. Er fühlte sich noch sehr schwach auf den Beinen, keinesfalls in der Lage gegen einen noch frischen Mann im Kampf anzutreten, doch wie es schien hatte er keine andere Möglichkeit.

Kermit als auch Caine waren damit beschäftigt sich die restlichen Gegner vom Hals zu halten und auch Cara mischte mittlerweile kräftig mit, indem sie dafür sorgte, dass die zu Boden gegangen Gegner auch nicht mehr so schnell aufstanden. Ihm wurde klar, dass es einzig und allein an ihm und Carmen lag, Shin Tao aufzuhalten.

*Lass das nur gut gehen*, sandte er ein Stoßgebet zum Himmel während er, schwer auf Carmen gestützt, in Shin Taos Richtung stolperte. Erleichtert stellte er fest, dass seine Schritte nach wenigen Metern wieder sicherer wurden und auch sein Blutkreislauf wieder richtig in Schwung kam.

Entschlossenheit machte sich in Peters Gesichtszügen breit. Er erinnerte sich an die letzte Begegnung, die er mit Shin Tao gehabt hatte und er schwor sich, ihn diesmal nicht davon kommen zu lassen, egal was es ihn kosten würde.

Shin Tao bemerkte die beiden Herankommenden und drehte sich zu ihnen um. Sein Gesicht war in eine irre Fratze verzogen, der Kristall leuchtete milchig-grau in seiner Hand.

"Du kannst es nicht mehr aufhalten, Shaolin. In wenigen Sekunden ist das Portal geöffnet für all meine Anhänger", sagte er gönnerhaft.

Peter verzog die Lippen zu einem selbstgefälligen Grinsen.

"Das wollen wir doch erst einmal sehen."

Er hatte kaum ausgesprochen, als vollkommen Ansatzlos sein linker Fuß empor schnellte und die Stiefelspitze punktgenau Shin Taos Handgelenk traf. Der Kristall wurde in hohem Bogen aus seiner Hand geschleudert und kam, noch immer leuchtend, einige Meter weiter auf dem harten Boden auf.

Shin Tao heulte auf vor Wut.

"Wie kannst du es wagen, ein heiliges Ritual zu unterbrechen!", stieß er hervor und ging auf den jungen Priester los.

Die Wucht der Schläge trieb Peter zurück. So gut er konnte wehrte er die heftigen Tritte und Schläge ab, die nur so auf ihn hinunterprasselten. In dem eher schmächtigen Mann steckte weitaus mehr Kraft und Schnelligkeit, als Peter vermutet hatte, oder vielleicht trieb ihn auch nur der in seinen Augen funkelnde Irrsinn an.

Es gelang Peter kaum, einen guten Schlag zu platzieren, dafür musste er umso mehr einstecken. Er spürte, dass seine ohnehin geschwächten Kräfte nachließen, einzig seine Sturheit trieb ihn dazu nicht aufzugeben. Ein kräftiger Kick gegen das Kinn des Gegners, der ihn zu Boden schickte, verschaffte Peter einige Sekunden Luft. Die Kraft sofort nachzusetzen hatte er nicht mehr, dafür aber Shin Tao.

Mit einem irren Wutschrei kam dieser wieder auf die Beine und warf sich mit seinem gesamten Gewicht auf Peter. Beide gingen zu Boden, Shin Tao landete auf Peter und setzte sofort mit wuchtigen Schlägen gegen seinen Kopf und seinen Hals nach. Erneut sah der ehemalige Cop nur noch bunte Punkte vor seinen Augen tanzen. Das Gewicht des Gegners auf seiner Brust drückte ihm noch zusätzlich die Luft ab.

Carmen näherte sich, einen Stein in der Hand, Shin Tao, doch dieser erkannte was sie vorhatte und schleuderte sie mit ungeheurer Kraft einfach zur Seite, als wäre sie ein lästiges Insekt. Dann ergriff er mit einem fiesen Lächeln den Stein, der zu Boden gefallen war.

"So Shaolin, verabschiede dich von dieser Welt. Ich werde dich erschlagen wie eine räudige Ratte. Welch Ironie, dass du durch den Stein sterben wirst, der für meinen Tod auserkoren wurde", keuchte er und hob den Stein mit beiden Händen über seinen Kopf, bereit ihn auf Peter hinunter zu schmettern.

In diesem Moment krachte ein Schuss. Shin Taos Körper zuckte, sein Mund öffnete sich in einem geräuschlosen Schrei, die Augen drohten aus den Höhlen zu quellen. Direkt in seiner Brust klaffte ein Zentimetergroßes Loch aus dem Blut in Strömen heraus lief. Die Augen brachen, der Stein fiel aus seiner Hand und landete nur knapp einen Zentimeter neben Peters Schläfe bis schließlich auch Shin Taos toter Körper zur Seite fiel.

Peter keuchte und würgte und drehte sich zur Seite. Mit trüben Augen starrte er zu Kermit, der wenige Meter von ihm entfernt stand, den Desert Eagle noch immer im Anschlag. Nur ganz entfernt nahm der junge Shaolin wahr, dass scheinbar alle Gegner besiegt worden waren.

Carmens Schrei durchbrach die Stille. "Oh Gott, das Portal öffnet sich. Der Kristall muss zerstört werden!"

Peter ahnte in dem Moment als Carmen los rannte, was sie vorhatte.

"Carmen, nein!" schrie er, doch er war zu weit weg, um eingreifen zu können, gar nicht davon zu reden, dass er sich im Moment auch nur sehr langsam bewegen konnte.

Mit vor Entsetzten aufgerissen Augen beobachtete er, wie Carmen auf den am Boden liegenden Kristall zurannte, ihn aufhob und ihn gegen den großen Monolithen schleuderte.

Die Wucht der Explosion als schwarze Magie auf schwarze Magie traf war heftig. Eine Sekunde lang bebte der Boden. Der große Monolith schwankte wie ein Schiff im Sturm und kippte ein wenig zur Seite, so als würde er jeden Moment umfallen, doch er hielt stand und richtete sich wieder auf. Plötzlich wurde die Luft von einem grellen Lichtblitz und einem hohen surrenden Ton erfüllt, als der kleine Kristall in tausend Stücke zerplatzte. Dann herrschte Totenstille.

Nur langsam erholten sich die Anwesenden auf diesen Angriff auf ihre Sinne. Alles war viel zu schnell gegangen, als dass sie sich hätten dagegen schützen können. Es gab keinen, der nicht grelle Lichtblitze vor den Augen sah, oder noch immer diesen seltsamen surrenden Ton in den Ohren summen hörte.

Peter rappelte sich als erster auf die Beine. Seine Benommenheit wich einer großen Angst um Carmen, die reglos neben dem Monolithen lag. Verzweifelt stolperte er die wenigen Meter zu ihr und ließ sich neben ihr auf die Knie sinken. Mit zitternden Fingern strich er ihr eine Haarsträhne aus der Stirn.

"Carmen, Kleines. Komm schon, mach die Augen auf, sag mir, dass es dir gut geht", flehte er und legte ihr die Hand auf das Herz, als könne er mit Gewalt Leben in den reglosen Körper hinein pumpen.

Caine kniete sich neben seinen Sohn und ließ die Hände wenige Zentimeter über den Körper der jungen Frau hinab gleiten. Als er mit der Untersuchung fertig war, schloss er in tiefer Resignation einen Moment lang die Augen. Für die junge Frau gab es keine Rettung mehr. Sie würde sterben, selbst er als Shambhala Meister konnte ihren Tod nicht mehr verhindern. Seine Hand legte sich auf Peters Schulter und drückte sie mitfühlend.

Peter wandte den Blick von Carmens Gesicht ab und schaute zu seinem Vater. Ungeweinte Tränen schimmerten in seinen Augen.

"Paps?"

Caine senkte schuldbewusst den Blick. "Es ist zu spät für sie, mein Sohn."

Peter schüttelte wild den Kopf. "Nein, nein das kann, das darf nicht sein. Paps tu doch etwas!", rief er aus.

Tiefer Schmerz kennzeichnete Caine Züge. "Ich kann nichts mehr für sie tun, mein Sohn. Es tut mir leid."

"Nein, bitte nicht. Sie hat uns doch alle gerettet. Das darf einfach nicht sein", wisperte Peter.

Unendlich zärtlich strich er immer wieder über ihre Haare, ihre Wangen, ihren Hals. Ob er wollte oder nicht, er konnte nicht länger vor sich selbst verheimlichen, dass auch er deutlich spürte, wie sich ihre Lebensenergie mit jeder verstreichenden Sekunde verringerte.

Erst in diesen Minuten wurde ihm bewusst, wie sehr er diese junge Frau schon mochte, trotz des bösen Streiches, den sie im Auftrag der Sing Wah ihm und seinem Vater gespielt hatte. Das Wissen er würde sie verlieren, ohne je eine Chance gehabt zu haben sie besser kennen zu lernen, fühlte sich an wie ein glühendes Messer in seiner Brust.

"Komm schon, Kleines, öffne deine Augen. Ich will noch einmal in diese wunderschönen Augen blicken", flehte er.

Carmen schlug tatsächlich die Augen auf. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen als sie Peter erkannte. Der junge Mann streichelte ihre Wange, die erste Träne löste sich von seinen Wimpern. Die Zeit des Abschieds war gekommen.

"Hallo", flüsterte sie schwach.

"Hei du. Wie fühlst du dich? Hast du Schmerzen?" Peter schluckte hart.

Carmens Lächeln verbreiterte sich, ihre Finger tasteten nach seiner Hand. Peter ergriff sie und hielt sie fest.

"Es geht mir gut, ich habe keine Schmerzen. Ich verspüre nur große Erleichterung. Haben wir es geschafft?"

"Oh ja, das haben wir. Shin Tao ist tot und sein Kristall ist zerstört."

"Gut."

Peter konnte nicht länger an sich halten. Seine Schultern fielen nach vorne und ein trockenes Schluchzen schüttelte seinen Körper.

"Carmen, wie konntest du das nur tun. Es hätte sicherlich noch eine andere Lösung gegeben."

"Vielleicht. Aber zum ersten Mal in meinem Leben habe ich wirklich alles richtig gemacht. Nimm mir nicht dieses Gefühl, indem du mir Vorwürfe machst."

Peter lächelte sie durch Tränen hindurch an. "Und dennoch, der Preis ist einfach zu hoch."

Carmens Finger zuckten in seiner Hand, er spürte wie sie langsam erschlafften.

"Nein, ist es nicht. Ich habe das erhalten, was ich schon seit Jahren verzweifelt suchte. Meinen Seelenfrieden. Nun kann ich beruhigt vor den Schöpfer treten in der Gewissheit, ich bin doch ein guter Mensch."

Mit jedem Wort wurde ihre Stimme schwächer. Ihre Finger glitten aus seiner Hand.

"Bitte geh nicht", flüsterte er heißer.

Ihre Stimme war nur noch ein leises Wispern. "Meine Zeit ist um. Gibst du mir einem Abschiedskuss?"

Peter beugte sich über sie. Mit zitternden Fingern umrahmte er ihr Gesicht und drückte seine Lippen sanft auf ihren Mund. Er verweilte einige Sekunden, kostete das Gefühl aus, ihre weichen Lippen zu spüren und es für alle Zeiten in seiner Erinnerung zu speichern. Dann zog er sich langsam zurück und suchte Blickkontakt mit ihr.

Ein letzter tiefer Atemzug hob ihre Brust, die Gefühle, die sie für ihn empfand strahlten ihm aus ihren Augen entgegen.

"Das war schön. Leb wohl, Peter."

Ein friedliches Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Ihre Augen schlossen sich. Der Atem stoppte.

Es war vorbei.

 

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