"PPPPEEEEEETEEEEEERRRR!" Caras panischer Schrei zerriss die Stille. Der Schrei dröhnte in Kermits Kopf. Noch nie hatte er so einen verzweifelten Schrei gehört. Er hatte fast nichts menschliches mehr an sich. Peter hielt mitten in der Bewegung inne, fasste sich an den Kopf und stieß ebenfalls einen Schrei aus. Purer, beißender Schmerz schoss mit der Gewalt eines Wirbelsturm durch seine Eingeweide. In schneller Reihenfolge schossen Bilder wie Blitze durch seine Gedanken - ein dreistöckiges Backsteingebäude, eine Frau mit langen blonden Haaren, eine Buchhandlung, ein Polizeirevier, ein Mann mit einer Sonnenbrille auf der Nase, ein Unfall, ein Wagen, der direkt auf ihn zukam, ein Krankenhaus. Noch bevor er wusste, was er eigentlich tat, setzte er sich in entgegengesetzter Richtung in Bewegung. Dicht neben Kermit ließ er sich zu Boden gleiten. Seinen linken Schenkel legte er über Kermits Beine um ihn am Boden zu halten, so dass er nicht weiter vor rutschen konnte und streckte gleichzeitig die Arme nach unten aus. "Gib mir deine andere Hand", schrie er Cara zu. Cara reagierte im ersten Moment nicht, sie wimmerte nur wie ein Katze. Ihr Gesicht war zu einer grauenvollen Maske voller Todesangst erstarrt. "Komm schon, Kleines, reich mir deine Hand", versuchte Peter erneut zu ihr durchzudringen. Die Benutzung seines Kosenamens für sie, durchbrach die Mauer der Panik und Cara reagierte. Peter musste sich etwas strecken, doch dann gelang es ihm, ihr Handgelenk mit sicherem Griff zu umfassen. "Auf drei ziehen wir", gab er Instruktionen. "Okay", keuchte Kermit. Noch einmal holte er tief Luft und mobilisierte all seine verbleibenden Kräfte. "Eins." "Zwei." "Drei." Die beiden Männer begannen gleichzeitig zu ziehen und keuchten bald vor Anstrengung. Cara war eigentlich ein Leichtgewicht, aber im Moment schien sie mehrere Tonnen zu wiegen. Es war gerade so, als würde jemand von unten an ihren Beinen ziehen und sie nicht loslassen wollen. Zentimeter für quälenden Zentimeter gelang es ihnen dennoch, ihren Körper weiter in Richtung des rettenden Bodens zu ziehen. Cara, die immer noch verzweifelt mit ihren Beinen irgendwie Halt zu bekommen versuchte, erschwerte ihnen die Arbeit zusätzlich, doch keiner der beiden Männer hatte genug Atem, um ihr zu sagen, sie solle das unterlassen. Langsam, wie in Zeitlupe tauchte ihr blonder Schopf vom Abgrund auf. Als nächstes erschienen ihre Augen. Große, angstgeweitete, starre, auf Peter gerichtete Augen. Der Schock aus nächster Nähe in diese Augen zu blicken war fast zu viel für Peter. Dieser Blick brachte eine Seite tief in ihm zum klingen, brannte sich noch tiefer in seine Seele und nahm ihm fast den Atem. Je länger er in diese weit aufgerissene Augen schaute, desto mehr Erinnerungen kehrten zurück. Sie bereiteten ihm körperlichen Schmerz, so dass er sie fast losgelassen hätte, was er im letzten Moment noch verhindern konnte. Dann war es geschafft. Ein letzter Ruck und Cara landete auf festem Grund. Kermit, am Ende seiner Kräfte, kippte einfach zur Seite und blieb dort schweratmend liegen. Cara hingegen lehnte gegen Peter, der weiterhin ihr Handgelenk umklammert hielt und ebenso wie alle anderen nach Luft schnappte. Es dauerte mehrere Minuten, bis sich die noch immer am ganzen Leib zitternde Cara wieder regte und zu Peter hoch sah. "D...du erinnerst dich jetzt, nicht wahr?", flüsterte sie voller Hoffnung. Peters Blick bewölkte sich. Ja, da war etwas gewesen, aber er war sich nicht sicher, was das war. Vorhin noch hatte er das Gefühl gehabt, er kenne sie, doch dieses Gefühl nahm nun rapide ab. Mittlerweile konnte er sich nur noch deutlich an den körperlichen Schmerz erinnern, aber nicht an das, was es ausgelöst hatte. "Erinnern? Woran?" Fragend schaute er auf sie herab, noch zu schwach seine Finger von ihrer Hand zu lösen, obwohl sich die Berührung mit jeder Sekunde die Verstrich unangenehmer anfühlte. Kermit spürte die Veränderung, die in Peter vor sich ging. Mit purer Willenskraft rappelte er sich hoch und wandte sich den beiden zu. Ihm entging nicht der harte Glanz, der in Peters Augen zurück kehrte. "A...aber du musst dich doch erinnern, du hast mich Kleines genannt", stotterte Cara, hin und hergerissen zwischen weinen und schreien. "Ich weiß nicht mehr", entgegnete Peter in dessen Stimme ein überraschter Klang mitschwang. Kermit, der das Zucken in dessen Arm bemerkte, legte schnell seine Hand auf die Stelle an der Peters Finger auf Caras Hand lagen. Unter allen Umständen wollte er verhindern, dass Cara womöglich noch einmal in den Abgrund gestoßen wurde und zwar dieses Mal endgültig. Etwas seltsames passierte in dem Moment als Kermits Finger Kontakt mit Peters und Caras Hand bekamen. Ein Zucken, ähnlich wie ein Stromstoß, fuhr durch Peters Körper. Er schrie auf und krümmte sich vornüber. Cara, die die Hand nach Peter ausstrecken wollte, bemerkte erstaunt, dass ihre Hände wie zusammengeschweißt waren, sie bekam sie nicht weg. So etwas ähnliches wie ein blauer, wabernder Schimmer hatte sich um ihre Hände gebildet. Genauso erging es auch Kermit. Hilflos mussten sie zusehen, wie sich Peters Körper unter heftigen Krämpfen wand. Keiner der Drei bemerkte, dass auch Caine urplötzlich auf die Knie gesunken war und leise stöhnte. Dann, von einem Moment zum anderen hörten die Zuckungen plötzlich auf. Nur Peters leises Keuchen erklang. "Peter?", erkundigte sich Cara ängstlich. "I...i...ich erinnere mich wieder. An alles", flüsterte Peter. Die grenzenlose Erleichterung, die sowohl Kermit als auch Cara durchflutete, war körperlich spürbar. "Gott sei dank", wisperten beide gleichzeitig. Peter schaute nach oben. Direkt in Caines Augen, der sich den dreien in der Zwischenzeit genähert hatte. "Vater?" Zwei Augenpaare richteten sich auf den Mann, der nun vor ihnen kniete. Atemlos beobachteten sie, wie Caine langsam die Hand hob und sie auf die Stelle legte, an der ihre Hände noch immer miteinander verbunden waren. Er schloss die Augen in Konzentration. Das bläuliche Licht glomm erneut auf, ausgehend von der Stelle an der sich alle Vier berührten. Es nahm an Intensität zu und breitete sich aus, bis es alle Vier in einem kraftvollen Leuchten umschlossen hielt. Die unsichtbare Schranke der Caines, die bis jetzt Teil ihres Denkens gewesen war und sie von ihrem Erinnerungsvermögen getrennt hatte, löste sich langsam auf. All die Ereignisse, sowohl hier, als auch im Krankenhaus, kehrten in die Erinnerung zurück. Mehrere Sekunden hielt dieses Glühen, das sich auf der Haut wie sanftes Streicheln und kribbeln anfühlte an, bevor es blasser wurde und schließlich ganz verschwand. Peters Augen wanderten von einem zum anderen, man konnte förmlich sehen, wie sich die Rädchen in seinem Gehirn drehten. Sein Blick blieb auf Caras Gesicht hängen. Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. Völlig übergangslos meinte er: "Ich habe dich vermisst Kleines." "Und ich dich erst", wisperte Cara, bevor sie sich in seine Arme warf und er sie so fest hielt, dass man meinte, ihre Rippen knirschen zu hören. Mehrere Minuten verstrichen in Stille, nur durchbrochen von Caras Freudenschluchzern, und den leise gemurmelten Worten des Trostes von Peter. Irgendwann hatte sich alles so weit gesetzt, dass die Realität wieder die Oberhand bekam. Peter entließ Cara aus seiner Umarmung und richtete sich ein wenig auf. "Was war denn das, dieses Licht?", erkundigte sich Kermit, der wie üblich nicht so ganz glauben konnte, was er gerade erlebt hatte. "Das ist das Band, das euch verbindet. Es hat euch geholfen, uns zu finden und uns die Erinnerung zurück zu bringen", entgegnete Caine. Kermit verdrehte innerlich die Augen. Die Antwort brachte ihn nicht sehr viel weiter. Cara mischte sich ein. "Aber wie? Ich meine, wie ist das alles möglich, was geht hier eigentlich vor?" Caine zuckte in seiner typischen Manier die Schultern. "Ich weiß es nicht. Eure Liebe, eure Zusammengehörigkeit, eure Sorge für den anderen waren stärker, als der Bann, den man über uns gelegt hat", erwiderte er. "Bann, also so was." Kermit schüttelte ungläubig den Kopf. "Wer soll denn da dahinter stecken. Was ist so stark, dass er nicht nur einen, sondern gleich zwei Shaolin so an der Nase herum führen kann? Was hat das Ganze hier überhaupt für einen Sinn?" Ein weiteres Schulterzucken von Caine war die unbefriedigende Antwort. Peter schaute sich zum ersten Mal seit dem Vorfall um. "Heiliges Kanonenrohr, das gibt es doch gar nicht", entfuhr er ihm. Die Welt vor seinen Augen hatte sich total verwandelt. Nun nahm er die Umgebung genauso wahr, wie Kermit oder Cara. Schmerz durchflutete ihn, als ihm in aller Deutlichkeit klar wurde, dass dieses Zusammensein mit seiner Mutter und seinem Vater inmitten einer traumhaften Landschaft nichts anderes als ein riesengroßes Luftschloss gewesen war. Exakt dieses Wissen katapultierte ihn auf die Beine. In all der Aufregung war diese dubiose Frau vollkommen in Vergessenheit geraten. Natürlich war weit und breit nichts mehr von ihr zu sehen, sie hatte sich längst aus dem Staub gemacht. "Ich wette, wenn wir diese Frau finden, dann wird es auch einige Antworten auf unsere Fragen geben", meinte er grimmig und lenkte damit die Aufmerksamkeit aller auf diese Tatsache. Er hörte Kermit leise fluchen und er sah auch den Schmerz in den Augen seines Vaters aufflackern, dem wohl in dem Moment auch bewusst worden war, dass er einem Trugbild erlegen war. "Dann sollten wir uns schleunigst auf die Suche machen, bevor sie noch einen größeren Vorsprung bekommt", erwiderte Kermit ebenso entschlossen. "Aber deine Schulter", warf Peter ein, dem natürlich aufgefallen war, dass Kermit seine Linke Seite schonte. "Vergiss es. Ich will Antworten und ich will sie jetzt, verdammt noch mal", erwiderte er barsch. "Okay, wir teilen uns auf. Cara, du gehst mit Peter, Caine und ich machen uns jeweils alleine auf den Weg. Auf diese Weise können wir diesen Wald, oder was immer das darstellen soll, schneller durchforsten. Wenn einer von euch beiden diese Frau entdecken sollte, gebt Bescheid, auf welchem Wege auch immer." ***************************** Eine gute Stunde später trafen alle auf dem Gelände erneut zusammen. Kermit schleppte eine Frau hinter sich her, deren Hände mit Handschellen auf den Rücken gebunden waren. Peter blickte den beiden entgegen. Er konnte nicht glauben, dass er diese Frau, die nun mal so überhaupt keine Ähnlichkeit mit seiner Mutter hatte, als Laura angesehen hatte. Am Ausdruck in den Augen seines Vaters erkannte er, dass dieser exakt dasselbe dachte. Cara sah die Frau mit großen Augen an, sie sprach das aus, was alle dachten: "Ich fass es nicht, das ist doch Schwester Carmen!" "Gut erkannt, Prinzessin. Auf die Erklärung bin ich mal gespannt", erwiderte Kermit und brachte die Frau nicht gerade sanft dazu, sich an die Mauer der Hütte zu setzen. Wie ein wütender Bulle baute er sich vor der deutlich eingeschüchterten Frau auf. "Also, heraus mit der Sprache, was soll dieser ganze Affenzirkus hier bedeuten?" Von der Frau kam keine Antwort. Sie hatte ihre Augen gen Boden gerichtet und verweigerte stur die Aussage. Cara mischte sich ein. "Mo...Moment mal, sie müssten doch tot sein. Wir haben sie in Peters Krankenzimmer sterben sehen", warf sie ein. Peters Augen weiteten sich. Er öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch ein scharfer Blick seines Vaters warnte ihn davor, so dass er seine Lippen wieder schloss. Sein Vater hatte recht, es war nicht die Zeit für nebensächliche Fragen. Die Frau zuckte bei Caras Frage zusammen. Kaum hörbar erwiderte sie: "Das war auch eine Täuschung." "Danach sieht es ja wohl aus. Es stellt sich jetzt nur die Frage von wem", übernahm Kermit die Gesprächsführung. Da Carmen nicht reagierte, packte er sie unsanft am Kragen ihres Shirts und brachte sie dazu, zu ihm hoch zu schauen. Ein stahlharter Blick, den selbst die immer präsenten dunklen Gläser seiner Sonnenbrille nicht mindern konnte, bohrte sich in die verängstigten Augen. "Ich will wissen wer hier dahinter steckt. Ich wiederhole mich nicht gern", meinte er in dieser dunklen, bedrohlichen Tonlage, die selbst den hartgesottensten Verbrecher eine Todesangst einjagte. "I...ich kann nicht. Sie werden mich umbringen", gab die Frau zurück. "Lady, mir scheint sie haben den ernst der Lage noch nicht erfasst. Es spielt keine Rolle, wovor sie sich fürchten, denn wenn sie mir nicht erzählen, was ich wissen möchte wird es mir das größte Vergnügen bereiten sie höchstpersönlich, und für sie sehr schmerzhaft, über den Jordan zu befördern." Sämtliche Farbe wich aus den Wangen der ehemaligen angeblichen Krankenschwester. Es war ihr deutlich anzusehen, wie unwohl sie sich in ihrer Haut fühlte. Angstschweiß trat auf ihre Stirn und lief in kleinen Bächen an ihrem Gesicht herunter. "I…ich.." mehr brachte sie nicht hervor. Es kostete Kermit nicht viel Kraft den wehrlosen Körper der Frau leicht anzuheben und sie wieder fallen zu lassen. Es war nicht so heftig, als dass er ihr wirklich weh getan hätte, aber es reichte, um ihr zu verdeutlichen, dass er nicht scherzte. "Wer steckt hinter dieser Sache?" Von den Lippen der Frau drang nur ein leises wimmern. Mit einer fließenden Bewegungen griff Kermit hinter sich und befreite den Desert Eagle aus seinem Halfter. Er drückte den kalten Stahl hart gegen ihre Kehle. "Zum letzen Mal, wer?", hakte er in seinem härtesten, tödlichstem Tonfall nach. Keine Antwort. Laut erklang das ansonsten leise Klicken, als er die Waffe entsicherte und den Abschussbolzen nach hinten einschnappen ließ. "Sing Wah, die Sing Wah", gab sie ihm, halb wahnsinnig vor Angst, die Antwort. Dann brach sie weinend zusammen. Kermit ließ die Frau los, als hätte er sich verbrannt. Für alle war es ein Schock zu erfahren, dass der schlimme Verdacht, den sie alle schon insgeheim hegten, sich bewahrheite. Peter brachte die ganze Sache auf den Punkt. "Verdammter Mist, wir sind in der Welt der Sing Wah gefangen."
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