Cara kämpfte sich verwirrt auf die Beine. Tränen schossen ihr in die Augen. Sie konnte nicht verstehen, was da gerade in der Hütte geschehen war. Ein Brennen an ihrer Handfläche ließ sie nach unten schauen. Durch den harten Aufprall hatte sie sich einen kleinen Riss an der Handfläche zugezogen, aus dem ein paar Tropfen Blut quollen. Ungewollt schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, ob dieser kleine Riss nicht auch dem Riss ihrer Beziehung zu den beiden Shaolin gleichzusetzen war. Sie hoffte von Herzen, dass dies nicht tatsächlich ein schlechtes Omen war. Ein kleiner Felsen, gerade recht als Sitzgelegenheit, fiel ihr in der Nähe des Abhangs auf. Sie hielt darauf zu und setzte sich niedergeschlagen hin. Auf keinen Fall wollte sie sich allzu weit von der Hütte entfernen. Tausende Fragen schossen ihr durch den Kopf. Fragen, auf die es keine Antwort gab. Vor allen Dingen, wer war die fremde Frau, die sich mit ihnen in der Hütte befand? Als sie die Türe geöffnet hatte, hatte sie für einen Moment das Gefühl gehabt, die Frau zu kennen, doch der Gedanke war dann sofort wieder verschwunden, als sie Peter und Caine erblickt hatte. Erstaunt erkannte sie, dass sie sich jetzt, nur wenige Minuten nach dem Geschehen, beim besten Willen nicht an das Gesicht der Frau erinnern konnte. Immer wieder spulte sich die Szene in der Hütte vor ihrem inneren Auge ab, fast verzweifelt suchte sie in der Erinnerung nach irgend einem Hinweis, der das alles erklären konnte, doch sie fand nichts. Die Tränen, die sie bis jetzt noch zurück gehalten hatte, begannen zu fließen. Sie konnte einfach nicht mehr und ergab sich ihrer Verzweiflung. Das Gesicht in beide Hände vergraben, begann sie hemmungslos zu weinen. Wo zuvor noch das Hochgefühl vorgeherrscht hatte, die beiden endlich gefunden zu haben, wurde es nun durch abgrundtiefe Traurigkeit ersetzt. ****************************** "Verdammter Mist", fluchte Kermit laut und kickte gegen die Wurzel, die scheinbar wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Sich auf diesem Boden ohne zu stolpern fort zu bewegen, glich fast schon einem Kunststück. Da war es bei seinen Missionen im tiefsten Dschungel einfacher gewesen, von einem Ort zum anderen zu gelangen, als hier. Er wunderte sich darüber, denn der Boden zu seinen Füßen war eigentlich relativ eben. Es schien fast so, als wollte ihn irgend etwas oder jemand zurück halten, damit er die Hütte nicht erreichte. So oft wie in den vergangenen Stunden, war er in seinem ganzen Leben zusammen noch nicht gestolpert. Endlich kam die verfallene Hütte in Sicht. Er seufzte erleichtert auf und hoffte gleichzeitig, dass sein Instinkt ihn nicht getrogen hatte. Zeitgleich stellten sich ihm die Nackenhärchen auf, ein todsicheres Alarmzeichen für ihn. In einer fließenden Bewegung zog er den Eagle aus dem Halfter und kauerte sich auf den Boden, während er gleichzeitig die Umgebung näher in Augenschein nahm. Erneut fluchte er leise, als ihm bewusst wurde, dass er hier wie eine Zielscheibe auf dem Schießstand war, egal ob er kniete oder stand. Es gab nichts, außer diesem komischen Gras, wo er hätte Deckung suchen können. Die Hütte und der Wald dahinter waren die einzigen Erhebungen in diesem Gelände und beides lag vor ihm. Der ideale Platz für einen Heckenschützen, wie er zugeben musste und er befand sich hier mitten auf dem Präsentierteller. Knapp hundert Meter trennten ihn noch von der Hütte. Er erhob sich vorsichtig aus seiner knienden Position und schlich sich, nach allen Richtungen absichernd, näher heran. Wenige Minuten später hatte er die Steinwand der Hütte erreicht. Erleichtert seufzte er auf, dass ihn weder eine Kugel getroffen, noch ein Angriff stattgefunden hatte. Dennoch ließ seine Aufmerksamkeit nicht nach. Irgend etwas stimmte hier nicht, dessen war er sich sicher. Kermit entschloss sich dazu, sich erst einmal rund um die Hütte umzusehen, bevor er sie betrat. Nachdem er es nun soweit geschafft hatte, wollte er keine unliebsame Überraschung erleben. Dicht an die Wand gepresst, schlich er sich bis zum Ende des Mauersteins und lugte um die Ecke. Überrascht hielt er den Atem an, als er die zusammengesunkene Gestalt auf einem Felsbrocken sitzen sah. Cara. Grenzenlose Erleichterung, vermischt mit Besorgnis, durchflutete ihn. Vergessen war der Vorsatz, ihr eine Standpauke zu halten. Mit wenigen Schritten erreichte er Cara, die ihn nicht kommen sah. Ihre gesamte Körperhaltung wirkte vollkommen trostlos auf ihn. Sein Gefühl sagte ihm, dass etwas vorgefallen sein musste. "Cara", sprach er sie leise an. Deutlich konnte er erkennen, wie sich ihre Schultermuskulatur noch heftiger verkrampfte. Im Zeitlupentempo hob sie den Kopf. Gejagte, tränenverhangene Augen schauten zu ihm hoch. "Kermit?" Dieses einzelne Wort zeigte deutlich ihr Erstaunen. Unwillkürlich sprang sie auf die Füße. Kermit trat einen Schritt auf sie zu, sie simultan einen zurück. Es sah, wie Argwohn in ihren Augen aufflammte. In einer, wie er hoffte, nicht bedrohlichen Geste streckte er die Arme aus. "Gott sei dank habe ich dich gefunden", sagte er das Erstbeste, was ihm einfiel. "Bist du es wirklich?" "Natürlich, wer denn sonst? Der Papst?" "W...wie bist du hierher gekommen?" Noch
immer schwang Argwohn in ihrer Stimme mit. Er schüttelte den Kopf, denn er konnte er selbst nicht ganz glauben, was er da von sich gab. Die Skepsis verschwand aus ihrem Augen, Schmerz trat an dessen Platz. Ein Schmerz, von dem Kermit wusste, dass er ihn auch mit verschuldet hatte. Sie machte keinerlei Anstalten auf ihn zu zu kommen, geschweige denn zu sprechen, und er getraute sich nicht näher zu kommen, da sie seiner Meinung nach viel zu dicht am Abgrund stand. Ein unbedachter Schritt und sie würde...nein...daran durfte er gar nicht denken. In voller Absicht trat er einen Schritt zurück und deutete auf den Felsen auf dem sie eben noch gesessen hatte. "Willst du dich nicht lieber wieder setzen? Du machst den Eindruck, als würdest du jeden Moment ohnmächtig werden", sprach er sanft auf sie ein. Die widersprüchlichsten Gefühle zeichneten sich in Caras Gesichtszügen ab. Schock, Verzweiflung, Sehnsucht, Hoffnung, Trostlosigkeit, das alles schien in ihrem Inneren miteinander zu kämpfen. Sehr zögernd trat sie einen Schritt vor und ließ sich noch viel langsamer auf den Felsen sinken. "Ich weiß nicht, ob ich froh sein soll oder nicht, dass du hier bist", brachte sie mit soviel Verzweiflung in der Stimme hervor, dass es ihm tief ins Herz schnitt. *Komisch, dass sie ausgerechnet in dieser Situation daran denkt, was im Krankenhaus geschehen ist*, schoss es ihm durch den Kopf. Er wusste nicht warum, aber in jenem Augenblick konnte er deutlich ihre Gedanken lesen. Er streckte die Hand nach ihr aus, ließ sie aber gleich darauf wieder sinken. Irgendwie wusste er, dass sie, zumindest im Moment, vor seiner Berührung zurück zucken würde. "Ich für meinen Teil bin nicht besonders glücklich, hier gelandet zu sein", bekannte er trocken. "Aber wenn ich nun schon mal hier bin, könntest du mir vielleicht sagen was hier vorgeht." "Ich weiß es nicht", flüsterte sie und starrte auf einen Fleck zu ihren Füßen. Ihm in die Augen zu sehen, getraute sie sich nicht. "Sind Peter und Caine hier irgendwo, weißt du wenigstens das?", versuchte er das Gespräch auf vermeintlich sicheres Terrain zu leiten. "Ja, sie sind hier, in der Hütte. Sie..." Kermit überbrückte unbewusst den Abstand zwischen ihnen. "Moment, willst du mir damit andeuten, dass sich Caine und Peter dort in der Hütte befinden und du nicht zu ihnen gegangen bist?", unterbrach er sie brüsk. "Bin ich wohl, aber..." sie zögerte einen Moment. Kermit konnte ihr deutlich ansehen, wie schwer ihr die nächsten Worte fielen. "Sie haben mich nicht erkannt und...sie sind auch nicht alleine." *Hat mich mein Gefühl doch nicht betrogen*, dachte Kermit, laut meinte er: "Was meinst du damit? Werden sie gefangen gehalten?" Cara schüttelte den Kopf, ihre Schultern begannen
erneut zu beben. "Nein, das nicht." Nachdem sie geendet hatte, herrschte einige Minuten lang nur Stille. Kermit musste erst verdauen, was sie ihm soeben mitgeteilt hatte. Der Ex-Söldner holte tief Luft und fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht. "Okay, dann fassen wir erst mal alles zusammen, was wir bis jetzt wissen. Peter und Caine sind definitiv hier, aber erkennen dich nicht. Bei ihnen befindet sich eine Frau in der Hütte, die dir zwar bekannt vorkommt, die du aber nicht einordnen kannst. Und von der Umgebung, in der wir uns befinden will ich gar nicht reden." Cara nickte zustimmend, ihre Schultern strafften sich ein wenig und sie warf Kermit einen Seitenblick zu. "Nicht gerade viel, was?" "Nein." Mehrere Minuten vergingen schweigend, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Dann erhob sich Kermit. Die ganze Untätigkeit, zu der sie verdammt zu sein schienen, zehrte an seinen Nerven. "Cara, du bleibst hier. Ich werde zur Hütte gehen und mir selbst einen Eindruck verschaffen", befahl er ihr. Caras Gesichtsfarbe wurde noch eine Nuance blasser. "Nein, Kermit, das darfst du nicht", brachte sie hervor. Kermit blickte von oben herab auf sie herunter und stemmte die Hände in die Hüften. "Und warum nicht? Hast du mich etwa belogen?" Die Worte waren heraus, bevor er sie zurück nehmen konnte. Er sah den altbekannten Schmerz in ihren Augen aufflackern. *Kermit, du bist ein Idiot*, schalt er sich in Gedanken. Seltsamerweise ging Cara mit keinem Wort auf das ein, was er gerade von sich gegeben hatte, sie meinte nur: "Tu, was du nicht lassen kannst, aber ich sage dir gleich es ist ein Fehler. Caine duldet keine Fremden in der Hütte. Er hat mir angedroht, dass das nächste Mal weniger glimpflich abgehen wird und ich bin eine Frau. Du bist ein Mann! Der Himmel weiß, was er mit dir machen wird." Die Aussage machte dem Detective in aller Deutlichkeit klar, dass die junge Frau langsam aber sicher am Ende ihrer Kräfte war und auf dem besten Wege, sämtliche Hoffnung aufzugeben. Spontan kniete er sich vor sie und legte einen Finger unter ihr Kinn, um sie dazu zu bringen, ihm in die Augen zu sehen. Sie zuckte vor seiner Berührung zurück, so dass er seine Hand sofort zurück zog und sich erhob. "Hey, Cara, vertrau mir einfach, ja? Ich kann sehr gut verstehen, dass du Angst hast, aber wenn auch nur noch ein Teil vom alten Caine und Peter in ihnen steckt, dann werden sie nichts unternehmen", versuchte er ihr Mut zu machen. "Ja sicher, sie werden dich natürlich sofort erkennen und dir um den Hals fallen", entgegnete sie sarkastisch. Kermit erhob sich und holte tief Luft. Ihm war auch klar, dass seine Argumentation so viele Löcher wie ein Schweizer Käse aufwies und dennoch - er musste sich einfach mit eigenen Augen überzeugen. Die Diskussion hier führte eh zu nichts. "Warte einfach auf mich, okay?" Cara gab keine Antwort, sie vergrub erneut ihren Kopf zwischen ihren Händen, so als wolle sie alles in dieser Welt, einschließlich ihm, einfach ausschließen. Kermit versetzte ihre Schutzhaltung einen heftigen Stich ins Herz. Alles in ihm schrie danach, Cara einfach in die Arme zu nehmen und ihr die Hoffnung zurück zu geben, doch er wusste, sie würde sich gegen seine Berührung nur wehren. Dass sie auch ihr Vertrauen in ihn verloren hatte, war vorhin deutlich zu Tage getreten. Schließlich drehte er sich wortlos um und machte sich auf den Weg zur Hütte. Er war noch keine zwei Schritte weit gekommen, als er drei Personen erblickte, die um die Hütte herum kamen. Es waren Peter, Caine und diese Frau. "Cara sie kommen gerade", machte er sie auf das Dreigespann aufmerksam, während er keinen der drei aus den Augen ließ. Tatsächlich schien keiner der beiden Shaolin ihn oder Cara zu erkennen. Das, was er in ihren Gesichtern lesen konnte zeugte von Zorn und Entschlossenheit. *Soviel zu meiner Theorie*, dachte er. Kermit versuchte sich auf das Gesicht der Frau zu konzentrieren, auch bei ihm löste es ein Gefühl aus, als ob er es kennen müsste. Doch irgendwie gelang es ihm nicht, sich auf diese Frau zu konzentrieren. Es war, als ob irgend etwas unsichtbares, nicht greifbares seine Gedanken willentlich in eine andere Richtung drängte. Schließlich gab er es vorerst auf und beschränkte sich darauf, Vater und Sohn zu beobachten, die bei näherer Betrachtung einen ziemlich gefährlichen Eindruck auf ihn machten. Kermit musste trocken schlucken. *Ist das nun der Moment, wo sich Freund gegen Freund stellt?*, fragte er sich in Gedanken. Er fühlte sich alles andere als wohl bei diesem Gedankengang, denn ihm war klar, wer hier den kürzeren ziehen würde, sollte es zu einem Showdown kommen. Kermit kehrte an Caras Seite zurück, die sich von ihrem Stein erhob und den dreien mit großen Augen entgegen starrte. Obwohl er sie nicht berührte, konnte er ihr Zittern spüren. Das Dreiergrüppchen erreichte Kermit und Cara. Kermit bemerkte, dass sich die Frau etwas zurück hielt und weiter entfernt stand. Peter und Caine hingegen stellten sich in etwa einem Meter Abstand vor sie. Der Ausdruck in ihren Augen konnte nur als unfreundlich bezeichnet werden und beide standen in einer Kampfpose vor ihnen. Nur mit Mühe konnte Kermit den Griff nach seinem Eagle unterdrücken. "Ich habe ihnen doch gesagt, sie sollen verschwinden", herrschte Caine Cara an. Kermit erstarrte beim Klang von Caines Stimme. In diesem hasserfüllten Tonfall, absolut untypisch für Caine, hatte er ihn noch nie reden gehört. Nun, da er mit eigenen Augen sah, wie sich die beiden benahmen, war es für ihn kein Wunder mehr, dass Cara so verzweifelt war. Kermit war so versunken in seine Betrachtung von Caine, den er als den Gefährlicheren der beiden einstufte, dass ihm Caras Aktion im ersten Moment völlig entging. Die junge Frau reagierte überhaupt nicht auf Caines Bemerkung. Ihre Augen hatten sich vom ersten Moment an, als das Dreigespann auf sie zukam, in Peters Gesicht festgesaugt. Mit neu aufkeimender Hoffnung forschte sie nach dem leisesten Zeichen von Wiedererkennen in seinen Augen. *Es muss doch einen Weg geben, dass er mich wieder erkennt*, schoss es ihr durch den Kopf. Ihr gesamtes Denken wurde überlagert von diesem einzigen Gedanken. Impulsiv überbrückte sie den Meter, der sie von ihm trennte und packte ihn, wie in der Hütte, an den Aufschlägen seines Seidenhemdes. "Peter, bitte, ich bin es doch. Erinnere dich", flüsterte sie bittend. Erneut keimte Ekel in Peters Augen auf. Er versuchte, ihren Griff von seinem Hemd zu lösen. "Lassen sie endlich ihre dreckigen Finger von mir und verschwinden sie!", stieß er verärgert hervor. Seine Haltung ließ Cara nur noch entschlossener werden. Sie sah es als einen letzten Versuch an, den Peter, den sie einst gekannt hatte, zu ihnen zurück zu bringen. Wild schüttelte sie den Kopf. "Nein. Du musst dich erinnern. Du musst!", rief sie mit dem Mut der Verzweiflung aus und schüttelte ihn. Ihre Sturheit wurde Peter zuviel, kalte Wut machte sich in ihm breit. Er sah in Cara nur den Feind. Einen Feind, der ihn und seine Familie auseinander bringen wollte. Er wollte nur noch, dass sie endlich ihre Finger von ihm löste. So schnell, dass keiner der Anwesenden die Bewegung überhaupt wahr nahm, holte er aus und stieß Cara mit der flachen Hand gegen den Brustkorb. Der Stoß war so heftig ausgeführt, dass Cara ein paar Schritte nach hinten taumelte, direkt auf den Abhang zu. Plötzlich hing ihr rechter Fuß mitten in der Luft. Sie ruderte mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten und versuchte sich gleichzeitig nach vorne zu werfen. Doch durch die panikartige Bewegung verlor nun auch noch ihr anderer Fuß seine Standfestigkeit und sie rutschte an dem steilen Abhang hinunter, begleitet von einem Aufschrei und dem Abbröckeln von Steinen und Erde. Nur seinen jahrelang antrainierten Reflexen hatte es Kermit zu verdanken, dass er im Bruchteil einer Sekunde reagieren konnte. Er warf sich auf dem Absatz herum und hechtete auf den Abgrund zu, wo er auf dem Bauch landete. Seine Arme schossen vor, versuchten irgend etwas von Cara zu erfassen, das ihren Sturz verhindern konnte. Er hatte Glück und bekam im allerletzten Moment eines ihrer Handgelenke zu fassen, was ihren rasanten Absturz mit einem Schlag beendete. Der heftige Ruck kugelte ihm fast den Arm aus und er stöhnte. Es fühlte sich an, als würde sein Arm regelrecht aus dem Gelenk gerissen. Sein Körper rutschte durch den enormen Druck einige Zentimeter weiter nach vorne, bis auch er zum Stillstand kam. Einen kurzen Moment lang hatte er das Gefühl, als würde ihr schmales Handgelenk doch durch seine Hand rutschen, doch dann schlossen sich seine Finger fest um ihr Handgelenk. Cara zappelte in Panik in seinem Griff. Sie schwebte frei in der Luft, unter ihr gähnte der tiefe Abgrund. Sie versuchte mit der anderen Hand irgend etwas zu ergreifen, woran sie sich festhalten konnte, doch es gab nichts außer glattem Fels. Die wenigen Pflanzen, die zwischen den Felsen hervordrängten und die sie ergriff, gaben unter dem Gewicht einfach nach. Die herausgerissenen Stängel schwebten ebenso in die Tiefe, wie die losen Felsbrocken, die sie mit ihren wilden Fußbewegungen von der Felswand löste. "Cara, um Himmels willen, halte still. Ich kann dich nicht hochziehen, wenn du so herum zappelst", keuchte Kermit, dessen Gesichtzüge sich durch die Anstrengung zu einer grotesken Maske verzerrt hatten. Deutlich spürte er, wie ihr Handgelenk, das durch ihren Angstschweiß mit jeder Sekunde glitschiger wurde, Millimeter um Millimeter aus seinen Fingern herausrutschte. Cara hielt inne in ihrem frenetischen Herumtasten. Mit vor Todesangst geweiteten Augen sah sie zu ihm hoch. Der Schock hatte ihr die Sprache verschlagen, sie konnte ihm nur durch ihre Augen mitteilen, dass er sie nicht im Stich lassen durfte. Kermit versuchte Cara, trotz der enormen Schmerzen in seinem Schultergelenk, nach oben zu ziehen. Da er auf dem ebenen Boden ebenfalls kaum Halt fand, führte die ganze Aktion nur dazu, dass er selbst noch ein Stück weiter nach vorne gezogen wurde. Er schwebte nun fast ebenso zwischen Himmel und Erde, wie auch sie. Nur seine enorme Willenskraft und sein ausgezeichnetes Balancevermögen verhinderte, dass er ganz nach vorne kippte. Wie sehr wünschte er sich in jenem Moment eine dieser vermaledeiten Wurzeln, die ihm das Herkommen so schwer gemacht hatten, in Reichweite zu haben, um seine Beine darum schlingen zu können. Doch es gab nichts – rein gar nichts – nur den glatten Fels und das abgestorbene Gras. Mit Grauen wurde Kermit klar, dass er keine Chance hatte, sie alleine empor zu ziehen. Würde er noch einmal einen Versuch wagen, würde es ihn vollends über die Kante ziehen und er würde mit Cara gemeinsam in die Tiefe stürzen. Auf der anderen Seite würde er den Teufel tun und sie einfach loslassen. Nicht in hundert Jahren würde das geschehen! Peter und Caine fielen ihm wieder ein. Es gelang ihm vorsichtig den Kopf ein wenig zur Seite zu drehen und in Peters Richtung zu schauen, der mit vollkommen unbeteiligter Miene und verschränkten Armen den Rettungsversuch beobachtete. "Verdammt, hilf uns!", herrschte Kermit Peter an. Peter schüttelte verneinend den Kopf. "Warum sollte ich? Es ist nur eine Frage der Zeit bis sie sie nicht mehr halten können. Auf diese Art und Weise müssen wir uns nicht die Finger an euch schmutzig machen. Alles erledigt sich von Selbst." Mit diesen Worten drehte er sich um und schlenderte langsam, so als würde er einen Spaziergang machen, auf die Hütte zu.
|
Teil 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 Epilog zurück zum Serien Index Zurück zum Story Index
|