Teil 1
Autor: Fu-Dragon
 

 

Dichte Wolken schoben sich vor den Mond. Tiefste Dunkelheit legte sich wie ein Schleier über die schmale Seitengasse. Von einem Moment zum anderen fehlte jegliche Sicht. Man konnte rein gar nichts mehr erkennen. Nicht einmal die sprichwörtliche Hand vor den Augen.

Kermit hielt mitten in der Bewegung inne, seine Nackenhaare stellten sich auf. Eine kleine Stimme in seinem Unterbewusstsein flüsterte ihm zu, hier stimmte etwas ganz und gar nicht. Innerhalb einer Sekunde wechselte er vom normalen Barbesucher in den Söldnermode und zog den Desert Eagle hervor. Er verbiss sich einen Fluch, da er kaum erkennen konnte, was um ihn herum vorging. *Mist, ich hätte die Abkürzung nicht nehmen sollen. Ich weiß doch, dass es hier keine Lampen gibt.*

Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit nahm er seine grüne Sonnenbrille ab und steckte sie in die obere Jackentasche. Leider half auch das nicht viel, mehr zu erkennen. Die schmutziggrauen Hauswände schienen jegliches Restlicht regelrecht in sich aufzusaugen. Die nächste erleuchtete Straße war noch gut und gerne 50 Meter entfernt. Bis hierher reichte das fahle Licht jedenfalls nicht. Erneut ärgerte sich Kermit, dass er diesen Weg zu seiner Corvair gewählt hatte.

Den Bruchteil einer Sekunde zu spät hörte der Detective das leise Geräusch direkt hinter sich. Er wirbelte auf dem Absatz herum. Ein Fuß traf zielsicher, trotz der Schwärze um ihn herum, sein Handgelenk. Die Waffe wurde ihm aus der Hand geschleudert und landete mit einem dumpfen Aufschlag auf dem Asphalt. Im nächsten Moment befand er sich inmitten eines Kampfes auf Leben und Tod.

Vier Angreifer schlugen auf ihn ein. Kermit wehrte sich so gut er konnte. Seine Kampferprobtheit kam ihn nun zugute, nur leider schienen die Vier, auch etwas von Nahkampf zu verstehen. Zum Glück wagte sich in diesem Moment wenigstens wieder der Mond etwas hinter den Wolken hervor, so dass er zumindest Schemenhaft etwas erkennen konnte.

Mit einem gut gezielten Uppercut schickte der Ex-Söldner einen der Angreifer zu Boden und versetzte dem nächsten einen Spinning Kick in den Magen, so dass sich dieser ebenfalls neben seinen Partner legte. Allerdings zeigte dies nicht lange Erfolg, denn die beiden sprangen kurze Zeit später wie Stehaufmännchen wieder auf den Beinen. Jedes Mal, wenn er dachte, einen Gegner erledigt zu haben, stand ein anderer wie aus dem Boden gewachsen vor ihm. Zumindest kam es ihm so vor.

Kermit spürte, wie langsam aber sicher seine Kräfte nachließen. Er war kein Übermensch, der vier Angreifer mit Leichtigkeit schaffte. Außerdem ärgerte er sich noch immer über die Dunkelheit, weswegen er weder die Gesichter, noch die Gestalten richtig erkennen konnte.

Während er sich gegen den Gegner, der ihm am nächsten stand, zur Wehr setzte, gelang es einem der Vier, sich in seinen Rücken zu schleichen. Er spürte, wie er an den Armen gepackt und roh zurück gerissen wurde, gleichzeitig versetzte man ihm einen Stoß in den Magen. Ihm ging die Luft aus, Sterne tanzten vor seinen Augen.

Der kurze Augenblick der Wehrlosigkeit genügte den Angreifern, um ihn zu Boden zu reißen. Kermit fluchte verhalten, als seine Arme gegen den harten Grund gepresst wurden und er seine Chancen rapide schwinden sah. Der Mann musste eine Kraft haben wie ein Bär, Kermit meinte das Knirschen seiner Knochen zu hören, so fest packte die Gestalt zu.

Der ehemalige Söldner mobilisierte seine letzten Kraftreserven, getrieben von reinem Überlebensinstinkt. Es gelang ihm, trotz seiner desolaten Position, einem der Schergen einen harten Tritt in den Magen zu verpassen, doch damit blieben immer noch zwei übrig. Dann hörte er einen metallischen Laut, den er immer und überall erkennen würde. Es konnte sich nur um ein gerade aufgeklapptes Butterfly-Messer handeln, soviel war Kermit klar.

Sein Verstand arbeitete fieberhaft, wie er dem Stich entkommen könnte. Mittlerweile hatte sich der Typ, den er zu Boden geschickt hatte, wieder aufgerafft und hielt nun ebenfalls einen seiner Arme auf den Boden gedrückt. Beide dachten nicht daran, auch nur einen Moment ihren festen Halt zu lockern; im Gegenteil, sie lehnten sich mit ihrem gesamten Körpergewicht auf ihn. Kermit keuchte vor Anstrengung und drehte und wendete sich verzweifelt, um sich aus dem unnachgiebigen Griff zu befreien. Er kam sich vor, als wäre er von einer Würgeschlange angegriffen worden, die bei jedem Befreiungsversuch nur noch fester hielt. Nur ganz am Rande nahm er wahr, wie eine Stimme erklang.

"Hey, was soll das hier? Schämt ihr euch nicht? Vier gegen einen?"

Das Messer, das der Detective kurz im Licht des Mondes aufblitzen sah, traf sein Ziel nicht mehr. Stattdessen bemerkte er erstaunt, dass der Mann, welcher das Messer hielt, wie von Geisterhand zur Seite geschleudert wurde.

Der harte Griff der beiden Männer lockerte sich urplötzlich und Kermit konnte sich mit einem scharfen Ruck befreien. In einer fließenden Bewegung schnellte er auf die Beine und nahm den Kampf wieder auf. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass er Verstärkung bekommen hatte, auch wenn er nicht erkennen konnte, um wen es sich handelte. Ehrlich gesagt war es ihm in diesem Moment eh egal; Hauptsache er bekam Hilfe.

Nun verlief der Kampf wesentlich ausgeglichener. Die Gestalt neben ihm kämpfte nicht schlecht, wie er feststellte. Die Angreifer wurden immer wieder von ihm und der anderen Person zurück getrieben und mussten ein paar harte Schläge einstecken.

Auf ein Kommando des Anführers hin, ließen die vier Widersacher von den beiden Personen ab und rannten davon. Kermit, der als letztes 'Geschenk' einen Tritt in die Kniekehlen abbekommen hatte, kniete auf den Boden und kämpfte darum, wieder auf die Beine zu kommen.

Ein Schatten beugte sich über ihn und eine Hand streckte sich ihm entgegen. Ganz entgegen seiner Gewohnheit, ergriff Kermit die schmale Hand und ließ sich auf die Beine ziehen.

"Vielen Dank für ihre Hilfe", meinte er.

"Gern geschehen", ertönte die Antwort.

Kermit gefror mitten in der Bewegung. Er konnte es nicht glauben. Diese Stimme klang eindeutig weiblich.

Ein leises Lachen ertönte neben ihm. Anscheinend sah die Frau in der Dunkelheit besser, als er.

"Überrascht?" kam es auch prompt.

Der Cop zuckte nur die Achseln und machte sich auf die Suche nach seinem Desert Eagle, der hier irgendwo liegen musste. Die Wolken schoben sich entgültig zur Seite und der Mond erhellte nun klar die dunkle Straße.

Eine Hand tippte ihm auf die Schulter und ließ ihn kampfbereit auf dem Absatz herum fahren. Die Frau grinste nur und hielt ihm mit spitzen Fingern seine Waffe vor die Nase.

"Ich denke, das ist der Gegenstand, nach dem sie suchen. Sind sie zufällig ein Cop, oder muss ich Angst um mein Leben haben, wenn ich ihnen die Waffe gebe?", spottete sie.

Kermit zog tief die Luft in seine Lungen. Erstens gab es so gut wie niemanden, der es wagte, ihm in solch spöttischer Art und Weise gegenüber zu treten, und zweitens machte ihn der Anblick der Frau sprachlos.

Lange blonde Haare fielen in weichen Wellen weit über ihre Schultern. Das Mondlicht schien ihr genau ins Gesicht und er blickte in die blausten Augen die er je gesehen hatte. Ihr Anblick erinnerte ihn spontan an einen Engel, nur dass die Flügel und der Heiligenschein fehlten. Anstelle eines weißen Leibchens, trug sie ein tief ausgeschnittenes, dunkelblaues Sommerkleid mit hohen Schuhen, das sanft ihre, in seinen Augen, vollkommene Figur umschmeichelte.

Er räusperte sich, zog seine grüne Sonnenbrille aus der Jackentasche und setzte sie umständlich wieder auf. Nachdem sein 'Schutzschild' wieder hergestellt war, fühlte er sich um einiges besser. Mit sicherer Stimme, die nichts von seinem inneren Tumult verriet, meinte er: "Ich bin ein Cop. Detective Kermit Griffin, 101. Revier, Chinatown. Und sie sind?"

"Angel", erwiderte sie und reichte ihm die Waffe.

*Der Name passt,* dachte Kermit. Er nahm seinen Desert Eagle entgegen, sicherte ihn sorgfältig und verstaute ihn im dafür vorgesehenen Halfter. Er musste sich mit aller Kraft zusammen reißen, aber es gelang ihm, den Cop in ihm in den Vordergrund treten zu lassen und den Mann, Kermit Griffin, in den Hintergrund zu stellen.

"Haben sie sich bei dem Angriff verletzt?", erkundigte er sich.

Wiederum lächelte die Frau ihn an. Ihre ebenmäßigen, weißen Zähne blitzten regelrecht auf in dem hübschen Gesicht. So kam es ihm jedenfalls vor.

"Nein, habe ich nicht und wie steht es mit ihnen? Die Typen haben sie ziemlich durch die Mangel gedreht, soweit ich das beurteilen kann."

Kermit konnte über soviel Selbstsicherheit nur den Kopf schütteln. Man könnte meinen, ein Kampf auf offener Straße wäre etwas, was sie jeden Tag austrug. Ihr schien das Erlebte nicht das Geringste auszumachen. Sie benahm sich geradezu so, als wäre so ein Straßenkampf das Normalste von der Welt. Unwillkürlich fragte er sich, welchen Beruf sie ausübte. Polizistin war sie nicht, ansonsten hätte sie sich zu erkennen geben müssen und etwas anders fiel ihm im Moment einfach nicht ein. Obwohl Kermit dank langjähriger Erfahrung sehr wohl wusste, dass man ein Buch nicht nach dem Einband beurteilen sollte, machte sie auf ihn nicht den Eindruck, als müsse sie sich ständig mit bösen Buben herumschlagen.

Abrupt wechselte er das Thema. "Wo haben sie so kämpfen gelernt? Ich möchte mich noch einmal für ihre Hilfe bedanken."

"Das ist absolut nicht nötig, Detective Griffin. Ich persönlich finde es äußerst unfair, wenn vier Leute auf eine einzige Person losgehen. Zum Glück bin ich gerade hier vorbei gekommen und konnte ihnen helfen."

"Ja, nur schade, dass es zu dunkel war, um die Typen zu erkennen. Trotz allem möchte ich sie bitten, mich mit auf das Revier zu begleiten, damit ich ihre Aussage zu Protokoll nehmen kann", sagte Kermit.

Die Frau zuckte die Schultern. "Ich konnte die Gesichter eigentlich recht gut erkennen. Ich sehe nicht schlecht in der Dunkelheit, und es ist mir ein Vergnügen sie zu begleiten." Sie warf einen Blick über ihre Schulter in die Richtung, in die die Angreifer verschwunden waren und fügte abfällig hinzu: "Die haben es nicht anders verdient."

Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit, wusste Kermit nicht, wie er reagieren sollte. Ihre Worte nahmen im den Wind aus den Segeln. Die Frau handelte und verhielt sich gänzlich anders wie all die Frauen, die er bisher kennen gelernt hatte. Er fragte sich, ob überhaupt irgendetwas die hübsche Fremde schockieren konnte. Sie stand hier vor ihm, als hätten sie sich gerade eben zufällig auf der Straße getroffen. Es gab kein langes Lamentieren, keine Beschwerden...nichts. Sie schaute ihn einfach nur neugierig an und schien auf seinen nächsten 'Befehl' zu warten.

"Mein Wagen steht ein paar Meter die Straße herunter, wenn sie mir bitte folgen wollen", meinte er schließlich.

"Gerne.", erwiderte sie und ließ sich von ihm zur Corvair führen.

*****************

Mehrere Augenpaare folgten den beiden und die Gespräche verstummten abrupt, als Kermit Angel durch das Revier zu seinem Büro führte. Die junge Frau zuckte dazu nur die Schultern und lächelte erneut. Ein Lächeln, das die Sonne aufgehen ließ.

Bei Licht betrachtet wirkte die Frau an seiner Seite noch viel hübscher, stellte der Ex-Söldner fest. Er beobachtete sie ständig aus dem Augenwinkel und konnte keinerlei Makel an ihr entdecken. Ein seltsames Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus. Ein Gefühl, von dem er glaubte, dass es gar nicht mehr existierte. Schnell drängte er sein plötzlich aufflackerndes Verlangen zurück, führte Angel in sein Büro, zog den Besucherstuhl heran und bot ihr galant einen Platz an.

"Sie sind sicher, dass sie die Typen wieder erkennen, wenn ich ihnen ein paar Fotos zeige?", begann Kermit das Gespräch und setzte sich ebenfalls.

"Absolut sicher, ich habe ein sehr gutes Gedächtnis. Falls wir die Vier nicht in der Verbrecherkartei entdecken, können wir auch Phantombilder anfertigen, das ist kein Problem."

Kermit schluckte hart. Die Frau war wirklich ein Phänomen. Er selbst hatte von den Kerlen, trotz seiner jahrelangen Erfahrung und Übung, so gut wie nichts erkennen können. Sie musste wahre Katzenaugen haben, auch wenn ihre so blau leuchteten, wie ein klarer Bergsee zur Mittagszeit.

Während Kermit den Computer hochfuhr und die Verbrecherkartei abrief, unterhielt er sich mit ihr, begierig darauf, mehr von ihr zu erfahren.

"Ich habe sie hier in der Gegend noch nie gesehen, Miss..." Er machte eine Pause.

Sie lächelte erneut und schenkte ihm einen undefinierbaren Blick.

"Angel, einfach nur Angel, Detective. Ich bin erst seit vorgestern in der Stadt. Daher ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass sie mich schon einmal gesehen haben."

*Ganz sicher, du wärst mir sofort aufgefallen!*, dachte er. Laut meinte er: "Und was machen sie beruflich, Angel?"

"Dies und das... eigentlich nichts Spezielles. Den größten Teil meiner Zeit verbringe ich hinter dem Computer."

"Sie kennen sich mit Bits und Bytes aus?", ging Kermit gleich zu seinem Lieblingsthema über.

"Ein wenig. Ich war schon immer fasziniert von der Technik, die dahinter steckt und mit der Zeit bekommt man auch so einiges mit. Es liegt mir wohl im Blut, denn ich bin schon in meiner Kindheit quasi mit Computern aufgewachsen."

Kermit, im Begriff nachzuhaken, wurde von Angels Ausruf unterbrochen.

"Hier, das ist einer von den Typen."

Obwohl sich der Detective ein wenig ärgerte, diese Gelegenheit mehr über sie zu erfahren verstreichen lassen zu müssen, freute er sich auch über ihre Entdeckung. Mit ein paar kurzen Tastengriffen rief er weitere Informationen über den Kerl ab. Es handelte sich um einen Mann, der wegen Diebstahl schon mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt geraten war. Anschließend schaltete er wieder zur Verbrecherkartei um und machte sich dann daran, die erste Anzeige auszufüllen.

Zwei weitere Personen wurden von Angel im Laufe der Zeit noch entdeckt. Auch über sie gab es nichts Besonderes zu entdecken, sie waren ebenfalls nur kleine Nummern, die ein paar Einbrüche und ein paar Diebstähle auf dem Kerbholz hatten. Es wurde immer deutlicher, dass es sich wohl um einen Raubüberfall gehandelt haben musste und nicht, wie Kermit zuerst vermutet hatte, um einen konkreten Anschlag auf seine Person.

Innerlich seufzte der Detective erleichtert auf, denn er wusste nur zu gut, dass er sich in der Zeit als Söldner und jetzt als Cop einige ernsthafte Feinde geschaffen hatte, die des Öfteren versuchten, ihn aus dem Weg zu räumen. Das war einer der Gründe weshalb er sich seine Freunde sehr genau heraus suchte und sein Privatleben streng geheim hielt. Es gab niemanden, der alles über ihn wusste, nicht einmal seine Schwester Marilyn oder sein bester Freund, Mentor und Ersatzvater Paul Blaisdell, der nunmehr seit gut einem Jahr spurlos verschwunden war, um seine Dämonen zu jagen. Nur dann und wann gab es ein kurzes Lebenszeichen von ihm, doch seit einigen Wochen war die Verbindung vollkommen abgebrochen.

Bevor seine Gedanken zu seinem Freund abschweifen konnten, atmete Kermit tief durch. Mit einem kurzen Blick auf die Uhr, stellte er erstaunt fest, dass sie schon fast drei Stunden vor dem Computer saßen. So schnell war ihm die Zeit selten vergangen. Und er stellte noch mehr fest: Dass er Angels Gesellschaft mochte und auch schätzte. Sie war eine intelligente Frau. Er genoss den Schlagabtausch, der zwischen dem Suchen ab und an zustande gekommen war. Dabei hatte sie eine Art Fragen über ihre Vergangenheit oder ihr Privatleben zu umgehen, dass ihm meist erst hinterher bewusst wurde, dass sie ihm nichts erzählt hatte, was er nicht schon wusste. Von Minute zu Minute fand er es immer interessanter, sich mit ihr zu unterhalten. Nichts wollte er im Moment lieber, als hinter ihr Geheimnis zu kommen und die Frau dahinter kennen zu lernen.

Einige Zeit später hatten sie die komplette Verbrecherkartei durch. Der vierte Mann war leider nicht darin aufgetaucht. Kermit streckte sich.

"Tja, da kann uns doch nur noch ein Phantombild weiter helfen." Mit wenigen Handgriffen lud er das entsprechende Programm. "Also Angel, beschreiben sie ihn mal, fangen wir bei den Haaren an."

"Meinen sie nicht es geht schneller, wenn ich das Bild selbst anfertige? Dann müssen sie nicht ständig fragen und ich muss mir nicht den Mund fusslig reden."

Kermit blickte sie erstaunt an. Er zögerte deutlich. An seinen heißgeliebten Computer ließ er nicht gerne jemanden heran und schon gar nicht eine ihm unbekannte Person.

"Meinen sie, sie kommen mit dem Programm zurecht? Es ist nicht einfach zu bedienen", wich er einem glatten Nein aus.

Angel zuckte die Achseln. "Schauen wir mal. Wenn ich nicht weiterkomme, sind sie immer noch da, um mir weiter zu helfen, oder?"

Da konnte Kermit ihr nur Recht geben. Die Entscheidung fiel dann schnell. Immerhin hatte sie ihn nicht gebeten, das Zimmer zu verlassen, so dass er ein Auge auf sie werfen konnte. Mit einem leisen Seufzer anstelle einer Antwort, schob er ihr das Keyboard zu und rückte ein wenig zur Seite. Angel schaute sich ein paar Minuten das Programm an, dann begann sie zu tippen.

Kermits Augen weiteten sich hinter der Brille. Ihm wurde sehr schnell klar, dass sie mit ihren Computerkenntnissen schwer untertrieben hatte. Sie hatte die Eigenheiten des Programms schnell begriffen und ihre Finger tanzten nur so über die Tasten. Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie zum Ergebnis kam.

"Genau so sah er aus", meinte sie, während sie das fertige Phantombild befriedigt betrachtete.

Kermit konnte innerlich nur den Kopf schütteln. Angel erschien ihm von Moment zu Moment immer geheimnisvoller. Er fragte sich, was die Frau noch so alles an Überraschungen zu bieten hatte.

Er musste nicht lange darauf warten. Plötzlich wurden Stimmen von Außen laut. Eine sehr aufgeregte Frauenstimme war nicht mehr zu überhören, die in einer fremden Sprache hysterisch babbelte. Eine männliche Stimme, die ziemlich nah am Rande eines Nervenzusammenbruchs klang, übertönte die Frau.

"Gibt's denn in diesem verdammten Revier niemanden, der russisch spricht?", dröhnte Strenlichs Stimme durch den Raum.

Angel seufzte leise. "Wenn sie mich ein paar Minuten entschuldigen wollen. Detective?"

"Was haben sie vor?"

"Ich will der Frau helfen."

Mit diesen Worten erhob sie sich und ging aus dem Büro, bevor Kermit noch ein weiteres Wort sagen konnte. Er eilte ihr schnurstracks hinterher.

Angel ging auf die aufgeregte junge Frau zu und begann in schnellem Russisch auf sie einzureden. Die junge Frau wollte sich nicht beruhigen, ihre Stimme wurde immer lauter. Angel schoss Kermit einen hilfesuchenden Blick zu. Schließlich ergriff sie die Hände der Frau und versuchte sie so ein wenig zu beruhigen.

Im gleichen Moment wurde die Türe des Captains aufgerissen. Sie stand mitten im Türrahmen und verlangte mit Autorität in der Stimme zu wissen, was hier los sei.

"Wir haben hier eine junge Russin, die ein Problem hat Captain", erklärte Kermit die Situation.

Angel fiel ihm ins Wort. "Die Frau ist so aufgeregt, weil sie ihr Kind vermisst."

Aller Augen richteten sich auf Angel, selbst die junge Mutter hörte auf zu lamentieren.

"Kommen sie in mein Büro, alle Drei", verlangte der Captain mit einem Blick auf Kermit.

Kaum schloss sich die Türe hinter den beiden, sagte sie: "Also Detective, was ist hier los?"

Der ehemalige Söldner, ganz nonchalant gegen die Wand gelehnt, erwiderte: "Ich wurde auf dem Weg hierher überfallen und die junge Dame hier hat mit geholfen. Wir waren gerade dabei, die Gesichter aus der Verbrecherkartei heraus zu suchen, als diese Dame hier im Revier ein Palaver angefangen hat."

Erneut wurde er von Angel unterbrochen, die noch immer beruhigend die Hand der jungen Mutter hielt.

"Entschuldigen sie wenn ich mich einmische, aber das ist doch im Moment vollkommen irrelevant. Die Frau hier, Tatjana Grizsim, sucht ihren Sohn, der aus ihrer Wohnung verschwunden ist."

Die junge Mutter nahm die Erwähnung ihres Namens zum Anlass, um erneut in ihr Wehgeschrei einzustimmen. Angel wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Frau zu und sprach beruhigend auf sie ein.

Der Captain seufzte kaum vernehmlich, setzte sich hinter ihren Schreibtisch, und deutete Angel an fort zu fahren. Die nächste Zeit verbrachten sie damit, indem der Captain Fragen stellte, Kermit sich Notizen machte und Angel als Übersetzer fungierte.

Es stellte sich heraus, dass Tatjana diesen Abend, als sie von der Arbeit nach Hause gekommen war, ihren sechsjährigen Sohn Dimitri nicht mehr in der Wohnung vorgefunden hatte. Ihre Suche nach ihm war erfolglos geblieben, so dass sie dann in ihrer Furcht hierher gekommen war. Angel hatte alle Mühe, der Frau so schonend wie möglich beizubringen, dass nach dieser kurzen Zeit noch kein Suchantrag gestellt werden konnte. Die junge Mutter drehte fast durch, als sie das zu hören bekam. Ihr Ton wurde immer flehender und ihre Augen schwammen in Tränen, während sie Angel weiter bekniete. Sie hielt ihre Hand wie einen Rettungsanker fest.

Angel wusste fast nicht mehr, was sie dieser armen Frau noch alles sagen konnte, um sie zu beruhigen. Sie konnte sich gut vorstellen, wie furchtbar es sein musste, ein Kind zu vermissen, und nicht zu wissen, wo es war. Sie begann, ohne dass der Captain etwas gesagt hatte, mit der Russin der Reihe nach, noch einmal alles durchzugehen. Es stellte sich zwar heraus, dass sie überall gesucht hatte, aber da sie kein Telefon besaß, niemanden hatte anrufen können. Angel bekam heraus, dass die Frau noch eine Schwester hatte, die ebenfalls hier lebte und die besaß ein Telefon. Irgendetwas machte sie da hellhörig, es war nur ein Gefühl. Sie ließ sich von der jungen Mutter die Telefonnummer geben und bat den Captain, telefonieren zu dürfen.

Angel nahm den Hörer von der Gabel, wählte die entsprechende Nummer und sprach in schnellem Russisch auf das unsichtbare Gegenüber ein. Wenige Sekunden später reichte sie den Hörer mit einem breiten Lächeln an die verzweifelte junge Frau an ihrer Seite weiter.

Der Captain und Kermit blickten Angel auffordernd an, während die andere Frau telefonierte und ihr Weinen in ein breites, erleichtertes Lächeln überging.

"Das Kind ist bei ihrer Schwester. Sie hat den Kleinen abgeholt und ist mit ihm Einkaufen gegangen. Anscheinend hat sie vergessen, eine Nachricht zu hinterlassen und Tatjana dachte natürlich ihr Kind ist weg", erklärte sie den beiden.

Der Captain wirkte nun ebenfalls sehr erleichtert. "Gott sei dank, dass dieser Fall so leicht gelöst werden konnte. Es ist immer schlimm, wenn Kinder darin verwickelt sind."

"Da kann ich ihnen nur aus vollem Herzen zustimmen. Ich bin sehr froh, dass alles so gut ausgegangen ist. Könnten sie vielleicht jemanden vom Revier abstellen, der Tatjana zu ihrem Kind fährt?", bat Angel voller Inbrunst.

"Aber natürlich und ihnen nochmals vielen Dank."

Angel errötete. "Das ist wirklich sehr gern geschehen. Ich wüsste nicht, was ich lieber getan hätte."

Die Unterhaltung wurde unterbrochen, als die Frau den Hörer auflegte und sich erneut an Angel wandte. Zum Erstaunen aller Personen im Raum ging die Frau vor Angel in die Knie, nahm ihre Hände in die ihren und küsste sie.

Tiefe Röte überzog Angels Wangen, man merkte ihr deutlich an, dass sie sich mit dieser überraschenden Wende ziemlich überfordert fühlte. Sie ging nun ebenfalls in die Knie und versuchte, die Frau wieder auf die Beine zu bringen.

Kermit nutzte die Zeit, um aus dem Zimmer zu schlüpfen und einen Kollegen herbei zu rufen, der Tatjana zu ihrem Kind bringen sollte. Mit dem Kollegen im Schlepptau kehrte er zurück. Angel verdolmetschte der Frau, dass sie nun zu ihrem Kind gebracht werden würde.

Tatjana umarmte Angel spontan, bevor sie sich zu dem Mann umdrehte, dann wandte sie sich noch einmal zu Angel und meinte in gebrochenem Englisch: "Ich immer werden dankbar sein."

Angel lächelte die Frau warm an und erwiderte etwas auf Russisch, was die Frau laut auflachen ließ. Dann ging sie mit dem Officer hinaus, nicht ohne ihr noch einmal einen dankbaren Blick zuzuwerfen.

Kaum hatten sich die Türen hinter der Frau geschlossen meinte der Captain: "Nun zu ihnen, Detective Griffin. Was war das für eine Geschichte mit dem Überfall?"

Der Detective umschrieb in kurzen, prägnanten Sätzen, was sich in der dunklen Gasse zugetragen hatte. Mitten in seinem Bericht, klingelte das Angels Handy. Mit einem entschuldigenden Blick in Richtung des Captains nahm sie das Gespräch entgegen.

Sie lauschte einen Moment und fing dann an zu lachen. Ihre Antwort kam postwendend, diesmal in Französisch. Der Captain und Kermit wechselten nur einen Blick. Kermit, der ein wenig Französisch sprach, verstand soviel, als dass sie gerade jemandem mit einem kleinen Problem am Computer half. Dann legte Angel wieder auf und sah die beiden schulterzuckend an.

"Tut mir leid, ich werde mein Handy sofort ausschalten."

"Sprachtalent, was?", meinte Kermit mit einem Seitenblick auf sie.

Angel lächelte ihn an. "Ein wenig. Ich bin viel herum gekommen in der Welt."

Nun mischte sich der Captain ein. "Wenn ich fragen darf, sprechen sie zufällig auch chinesisch bzw. beherrschen sie die Sprache auch in Schrift?"

Zu Kermits Erstaunen erwiderte sie: "Um ihre Frage zu beantworten: Ja, ich beherrsche auch Chinesisch, allerdings nur Mandarin, in Schrift und Wort."

"Suchen sie zufällig einen Job?"

Angel überlegte einen Moment. "Nicht unbedingt. Was wollen sie mir denn vorschlagen, Captain Simms?"

"Nun, wir könnten noch einen guten Übersetzer gebrauchen. Unser eigener ist leider letzten Monat in Rente gegangen und wir haben noch keinen Ersatz gefunden. Weiterhin befinden wir uns hier inmitten von Chinatown und es würde uns gewaltig weiter helfen."

Angel lachte leise. "Ich fürchte, Captain, dass sie sich meinen üblichen Stundenlohn nicht leisten können. Aber da ich mich hier eigentlich recht wohl fühle mache ich ihnen einen Vorschlag. Wenn sie tatsächlich jemanden brauchen, der ihnen Dokumente übersetzt oder Dolmetscht, dann rufen sie mich an. Ich stehe ihnen gerne, sofern es meine Zeit zulässt, unentgeltlich zur Verfügung. So kann ich auch meinen Beitrag zur Verbrechensbekämpfung leisten."

Zum ersten Mal, seitdem sie herein gekommen war, lächelte der Captain Angel offen an. Die Frau war ihr ein Rätsel, aber sie nahm ihren Vorschlag an und streckte ihr die Hand entgegen. "Einverstanden Miss...?"

"Caine. Angel Caine."

Die Augenbraue des Captains schob sich nach oben und sie zog scharf die Luft ein. "Caine? Sind sie zufällig verwandt mit einem Kwai Chang Caine?"

Angel zuckte die Schultern, leicht überrascht von der Reaktion des Captains. "Keine Ahnung, ich denke aber nicht. Was ist bitte so besonderes an meinem Nachnamen?"

"Wir haben hier einen Detective, der ebenfalls den Nachnamen Caine trägt", erwiderte der Captain, als würde das alles erklären.

"Wie lautet der Geburtsname ihrer Eltern, Miss Caine?", kam auch gleich die nächste Frage.

"Lautete muss er heißen, sie sind beide schon lange Tot. Mein Vater hieß Raphael Caine und meine Mutter Camille Stevens."

"Haben sie noch weitere Verwandte?"

"Das weiß ich nicht. Als meine Eltern damals ums Leben kamen, konnte jedenfalls kein Verwandter ausgemacht werden." Man sah Angel an, dass ihr diese Ausfragerei nicht besonders gefiel, sie rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her.

"Hören sie, Captain. Ich weiß nicht, was dieses Frage und Antwort Spiel hier zu bedeuten hat. Ich komme mir gerade vor, als würde ich hier mitten auf der Anklagebank sitzen und habe dabei keine Ahnung, was ich verbrochen haben soll."

"Tut mir leid, Miss Caine, dass ich sie damit dermaßen überfallen habe, aber der Name Caine hat hier in der Stadt eine große Bedeutung."

"Aha." Sie zuckte abweisend die Schultern. "Ich kann im Moment ihren Gedankengang nicht nachvollziehen, denn ich bin erst seit gestern in der Stadt. Allerdings ist es gut zu wissen, dass ich hier mit meinem Nachnamen vorsichtig umgehen sollte", fügte sie hinzu.

Der Captain lächelte leicht. "Ich denke, sie werden sehr bald wissen, was ich meine. Aber nun zurück zu dem Überfall, wir sind schon wieder abgeschweift."

Kermit erklärte dem Captain kurz den restlichen Tathergang, dabei nahm der Captain keine Sekunde den Blick von Angel, die sich vorkam wie ein Insekt unter dem Mikroskop.

"Und sie haben einfach eingegriffen, ohne dass sie überhaupt wussten, was sie erwartete?", wandte sich der Captain überrascht an Angel.

"Natürlich. Vier gegen einen ist immer unfair, egal ob gut oder böse."

In Karens Stimme schwang ein eindeutig tadelnder Unterton mit. "Sie hätten sich verletzen können."

"Ja, aber das habe ich nicht. Um ehrlich zu sein, habe ich in dem Moment auch nicht groß darüber nachgedacht. Mir war nur klar, dass ich helfen musste."

Erneut wechselte ein Blick zwischen dem Captain und Kermit, der das Ganze vollkommen ruhig beobachtete. Das kurze Nicken seiner Vorgesetzten richtig deutend, meldete er sich zu Wort.

"Es ist ziemlich spät, Captain. Wenn sie nichts dagegen haben, werde ich Miss Caine nach Hause bringen. Den Rest können wir auch morgen erledigen. Angel, würden sie bitte einen Moment draußen warten, ich komme gleich nach."

Die junge Frau schenkte ihm ein leichtes Lächeln und erhob sich. "Aber natürlich", meinte sie und verließ den Raum.

 

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