Teil 17
Autor: Fu-Dragon
 

Vier Tage später.

Paul betrat das 101. Revier. Er wechselte ein paar Worte mit dem Captain, um heraus zu finden, ob Angel wegen der Tötung Konsequenzen drohten, was ihm zu seiner Erleichterung verneint wurde. Überrascht erfuhr er, dass die ganze Angelegenheit schon bereinigt und zu den Akten gelegen worden war. Die Aussagen der Polizisten auf dem Revier hatten anscheinend gereicht, um die Sache schnell abschließen zu können.

Er zollte der kleinen, aber toughen Blondine vor sich größten Respekt. Sie hatte nicht nur die Mitarbeiter hier fest im Griff und führte ein strenges aber faires Regime, sie war auch eine Frau der Tat. Einen besseren Nachfolger für ihn hätte man nicht finden können. Mit dem Versprechen, sich bald wieder bei ihr zu melden, um über alte Zeiten zu plaudern, wie sie sich ausdrückte, verabschiedete er sich und machte sich auf den Weg zu Kermits Büro. Dort klopfte er kurz an und trat ein.

"Geschlossene Türe heißt draußen bleiben", tönte ihm sogleich entgegen.

Paul konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, manche Dinge änderten sich einfach nie. "Gilt das auch für einen guten Freund?", erkundigte er sich amüsiert.

"Nein, natürlich nicht. Hi Paul, was führt dich zu mir?", begrüßte ihn der Detective nun und lenkte seine Aufmerksamkeit vom Bildschirm zu seinem unerwarteten Besucher.

"Nichts Besonderes. Ich dachte, ich schau einfach mal bei dir herein. Annie lässt dir schöne Grüße bestellen, du sollst dich mal wieder bei ihr blicken lassen."

"Danke, schöne Grüße zurück. Sobald ich etwas Zeit erübrigen kann, besuche ich sie. Gibt es etwas bestimmtes, warum sie mich sehen möchte?"

"Nein, nur so. Sie unterhält sich eben gerne mit dir, wie du weißt."

Der Detective betrachtete sein Gegenüber misstrauisch. Ein Mann wie Blaisdell hielt sich niemals zufällig an einem Ort auf, dazu kannte er ihn zu gut, zudem war er kein Freund von Small Talk.

"Reden wir nun eigentlich noch eine Weile um den heißen Brei herum, oder erzählst du mir, was dich in Wahrheit in meine bescheidene Hütte führt?", kam Kermit ohne Umschweife zur Sache.

Paul lehnte sich gegen den Schreibtisch und erwiderte in leichtem Tonfall: "Ich hörte, du hast ein freies Wochenende."

"Richtig."

"Hast du schon etwas vor?"

Das misstrauische Gefühl in Kermit vertiefte sich. Sämtliche Alarmglocken begannen in seinem Inneren zu schellen. Paul verhielt sich viel zu unverfänglich für seinen Geschmack. Da musste etwas im Busch sein. Nach außen hin vollkommen entspannt, lehnte er sich in seinen Stuhl zurück und schlug die Beine übereinander.

"Nur das übliche. Meine Corvair müsste mal wieder gründlich gereinigt werden und meine Waschmaschine schreit auch schon nach Nachschub. Weiterhin sollte ich noch einen Brief schreiben und nebenher in das Pentagon einbrechen. Ich hörte, die haben gerade eine neue Sekretärin eingestellt, die gerne unzüchtige Witze über die Mailer verteilt", versetzte er spöttisch.

"Dann hast du also nichts vor", stellte Paul fest, ohne weiter auf Kermits Gerede einzugehen.

Dieser verdrehte entnervt die Augen. Sein ehemaliger Boss schaffte es doch immer wieder, ihn innerhalb von Sekunden von Null auf Hundert zu bringen. Er kam sich vor wie ein Fisch an der Angel, der nach dem Köder schnappte. Das gefiel ihm gar nicht.

"Nun spuck schon aus, was du mir mitteilen möchtest. Ich traue dem unschuldigen Gesichtsausdruck von dir keine Minute.", versetzte er absichtlich harsch.

Paul sagte nur ein Wort. "Angel."

Stille. Kermit wartete, plötzlich sehr angespannt, darauf, dass sein Gegenüber fort fuhr.

"Ich wollte eigentlich an diesem Wochenende nach ihr schauen, aber ich denke, ich bleibe lieber hier bei Peter. Der Junge ist so durcheinander."

Kermit seufzte leise. "Ja, das ist er tatsächlich. Wie immer nimmt er sich das das ganze Geschehen vom Überfall sehr zu Herzen. Er will mal wieder die gesamte Schuld auf sich nehmen. Seit dem Abend bei euch habe ich ihn nicht mehr gesehen. Ich hörte, er hat Urlaub auf unbestimmte Zeit eingereicht?"

Paul nickte und rieb sich über den Nacken. "Ja, das hat er…leider. Er sitzt zu Hause und lässt niemanden an sich heran. Caine und ich arbeiten zwar hart daran, ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurück zu bringen, aber er ist dermaßen Stur, dass fast kein durchkommen zu ihm ist. Ständig erfindet er irgendwelche Ausreden, warum er sich nicht treffen kann, wenn man ihn überhaupt mal an die Strippe bekommt. Das Letzte was ich will, ist ihn in dem Zustand alleine lassen."

"Das kann ich gut verstehen. Ich mache mir ebenfalls Sorgen um ihn, aber wie du siehst, will er auch mit mir nichts zu tun haben."

"Ich werde das Gefühl nicht los, dass zwischen euch beiden noch etwas mehr steht, als nur das Geschehen mit Straker. Ich bin sicher, das hat etwas mit Angel zu tun", brachte Paul die Sache auf den Punkt.

Kermit zuckte die Achseln. "Und wenn? Der Kleine geht öfter mal in die Luft bei den nichtigsten Anlässen und hinterher kommt er dann angerannt und entschuldigt sich. Außerdem ist das nicht deine Angelegenheit", versuchte er abzuwiegeln.

"Du erinnerst dich, dass Angel sozusagen mein Mündel ist? Ich habe sie die gesamte Zeit unter meinen Fittichen gehabt, sah sie praktisch vom zurückhaltenden, ängstlichen Kind zur jungen, selbstbewussten Frau heran reifen. Sie gehört zu meiner Familie, so wie du auch und ich will nicht, dass da etwas zwischen euch steht, über das nicht gesprochen werden kann. Ganz speziell nicht zwischen dir und Peter. Eine Sache totzuschweigen hat noch nie jemanden etwas genützt", erwiderte Paul hart.

"Du weißt selbst, im Moment kann man nicht mit Peter reden, was soll ich also tun? Ihm eine Mail schrieben in der Hoffnung er liest es?", verteidigte sich der Ex-Söldner knurrig.

"Griffin, halte mich nicht für dumm. Hier geht es nicht nur um Peters Verhalten. Ich vermute, dass du mit Angel ein wenig mehr als nur befreundet bist, oder irre ich mich?"

Kermit schluckte trocken. Seinem besten Freund Paul konnte er nichts vormachen, er kannte ihn in und auswendig. Anstellte einer Antwort gab er ihm mit einem kaum merklichen Nicken zu verstehen, dass er richtig lag.

"Hast du mir ihr geschlafen?" Paul nahm kein Blatt vor den Mund.

"Das geht dich nichts an", entgegnete Kermit schroff, denn er hatte absolut nicht vor, sein Liebesleben mit irgendjemandem zu diskutieren und schon gar nicht mit seinem ehemaligen Vorgesetzten.

"In diesem speziellen Fall geht es mich sehr wohl etwas an, Freundchen. Ich kann Peter auch nur helfen, wenn ich alles weiß. Willst du mir das verweigern? Also wie weit geht deine Freundschaft mit Angel?"

Kermit sah ein, dass Paul Recht hatte. Er wusste, dass Peter nicht mit seiner Beziehung zu Angel einverstanden gewesen war, das hatte seine Reaktion sehr deutlich gemacht an jenem schicksalhaften Tag. Ihm wurde klar, dass es nicht am gemeinsamen Erlebnis mit Straker lag, weshalb dieser nicht mehr mit ihm redete, sondern dass er wusste, was zwischen ihm und Angel gelaufen war.

"Wir haben eine Nacht miteinander verbracht", antwortete er schließlich ruppig.

Paul stieß seinen Atem lautstark aus. "Und Peter weiß das", stellte er fest.

"Er hat es herausgefunden und er war nicht sehr begeistert darüber. Er denkt, Angel sei nur eine Bettgespielin für mich."

"Und, ist sie es?", hakte Paul nach.

Kermits Gedanken wanderten zurück an diese wunderschöne Nacht des Suchens und Findens… und dann, wenige Stunden später, passierte dieses Desaster mit Angels Flucht.

Er seufzte leise und rückte umständlich seine Sonnenbrille gerade. "Paul, die Nacht, die wir zusammen verbracht haben, war die Nacht bevor sie verschwunden ist. Wir hatten keine Gelegenheit über uns zu reden. Ich habe keine Ahnung wie sie darüber denkt."

"Ich habe nicht gefragt wie sie darüber denkt, sondern was DU darüber denkst, Kermit."

"Glaubst du im Ernst ich würde es riskieren, dich und Peter gegen mich zu haben?", gab der Cop aufgebracht zurück.

Der kurze Satz entsprach Kermits Art, eine Aussage abzugeben, ohne die Dinge direkt beim Namen zu nennen, oder Zugeständnisse zu machen. Kermit war ein zu privater Mann, als dass er seine Gefühle offen preisgab. Paul akzeptierte seine Antwort mit einem breiten Grinsen.

"Gut, dann ist ja alles geklärt."

Kermit blickte ihn konsterniert an. "Was ist geklärt?"

"Ich weiß jetzt, wo du dein Wochenende verbringen wirst – in meiner Hütte. Somit habt ihr Zwei dann jede Menge Zeit, über alles zu reden, ohne dass euch jemand stört. Und ich werde mich um Peter kümmern."

Der ehemalige Captain akzeptierte kein weiteres Wort. Er stand einfach auf, tätschelte kurz Kermits Schulter und verließ das Büro mit einem verabschiedenden Kopfnicken.

Der jüngere Mann starrte eine ganze Weile auf die geschlossene Bürotüre, um seine Mundwinkel zuckte es verdächtig. Obwohl Pauls Abschiedsworte eher einem Befehl gleich kamen und keiner Bitte, war Kermit willig, diesen zu erfüllen, auch wenn sich sein Magen bei dem Gedanken an das Kommende ziemlich zusammen zog.

**************

Paul betrat wild entschlossen den Flur, auf dem sich Peters Apartment befand. Es wurde höchste Zeit, dass sein Sohn endlich wieder aus dieser traumatisierten Phase heraus gerissen wurde. Nachdem die Fahrt zur Hütte nun mit Kermit abgeklärt war und dieser hoffentlich Angel zurück bringen würde, blieb somit nur noch die Sache mit dem sturen Cop zu regeln.

Vor dem Eingang von Peters Wohnung angekommen, presste Paul ein Ohr an die Türe, um nach Geräuschen zu lauschen. Das sanfte Plärren eines Fernsehgerätes driftete ihm entgegen, Peter musste also Daheim sein. Kurz entschlossen klopfte der ehemalige Captain an, während er zeitgleich die Klingel betätigte.

Er wartete beinahe eine volle Minute, in der sich nichts tat. Erneut presste er sein Ohr gegen die Tür und entdeckte, dass der TV nun nicht mehr lief. Eindeutig wollte sein Sohn ihn nicht herein lassen.

Mit einem tiefen Atemzug unterdrückte Paul den aufkommenden Zorn. Er hämmerte mit der Faust dreimal kräftig gegen das Holz und rief laut: "Peter, mach auf. Ich weiß, dass du da bist."

Erneut empfing ihn nur Stille. Diesmal konnte er die Wut nicht mehr ganz so gut im Zaum halten. Dieses Versteckspiel würde enden, hier und heute! Hart trat er mit dem Fuß gegen den Eingang und drohte etwas lauter als beabsichtigt: "Peter, wenn du jetzt nicht aufmachst, dann…ich schwöre bei Gott…werde ich diese verdammte Türe eintreten und dann setzt es was! Ich zähle bis drei." Er machte eine kurze Pause. "Eins."

Zu 'Zwei' kam er nicht mehr. Die Türe wurde mit großem Schwung aufgerissen, ein äußerst missmutiger, unrasierter Peter Caine in fleckigem T-Shirt und ausgebeulter Jogginghose baute sich in voller Größe am Eingang auf.

"Was willst du?", fragte er unwirsch.

"Rein fürs Erste", erwiderte Paul und schob sich, vollkommen unbeeindruckt, an dem jungen Mann vorbei. Wortlos ging er die drei Treppenstufen zur Küche hinauf, öffnete den Kühlschrank, zog zwei Bier daraus hervor - übrigens das Einzige, das in dem Kühler lagerte - ging zur Couch und stellte dort beide Flaschen auf den Tisch.

"Nimm Platz, wir müssen reden", sagte er knapp.

Ein letzter Rest der guten Erziehung von Annie musste in dem Cop noch vorhanden sein, denn er setzte sich tatsächlich hin, angelte nach der Bierflasche, öffnete sie und trank gut die Hälfte es Inhalts mit einem großen Schluck aus. Anschließend fuhr er sich wenig galant mit dem Handrücken über den Mund, aber besaß zumindest den Anstand nicht laut zu Rülpsen.

"Also, was willst du?", hakte er noch einmal nicht gerade erfreut nach.

"Ich will wissen, was mit dir los ist, Peter. Seit dem Überfall im Revier schottest du dich vor allem und jedem ab.", begann Paul das Gespräch.

Der junge Cop versuchte überrascht auszusehen. "Ich? Wieso? Mit mir ist alles in Ordnung."

Der ehemalige Captain verzog das Gesicht zu etwas, das wie ein grimmiges Lächeln ausschaute.

"Ich erkenne eine Lüge, wenn ich sie aufgetischt bekomme, Junge, besonders, wenn sie von dir stammt. Auch wenn wir uns lange Zeit nicht gesehen haben, bedingt durch meine Abwesenheit, und du dich sehr weiter entwickelt hast, insbesondere was dein Leben und die Gebräuche mit deinem Vater anbelangt, kann ich noch immer in dir lesen, wie in einem offenen Buch."

Der junge Cop richtete sich kerzengerade auf. Er griff erneut nach der Bierflasche und leerte sie in einem Zug, bevor er sich zu einer Antwort herab ließ.

"Dann nur zu. Wenn du schon eh alles weißt, dann frage ich mich, warum du hier bist."

Paul seufzte schwer. "Junge, du machst es mir wirklich nicht leicht. Ich bin nicht hier, um dich auseinander zu nehmen und deine Ängste und Sorgen nach außen zu kehren, sondern ich will dir helfen, zu deinem alten Selbst zurück zu finden."

"Was weißt du denn schon!", schrie Peter plötzlich los, wobei er sich mehrmals fahrig durch die ungekämmten Haare fuhr. Ohne Vorwarnung sprang er auf und rannte ins Schlafzimmer, wobei der die Türe kräftig hinter sich ins Schloss fallen ließ.

Der Captain seufzte. Er sah ein, dass er mit Samthandschuhen hier nicht weiter kam. Der junge Mann legte es direkt darauf an, dass er ihn mit harten Bandagen bezwang. Obwohl er nicht vorgehabt hatte, seinen Sohn auseinander zu nehmen, blieb ihm wohl leider nichts anderes übrig. Bei so sturen Menschen wie ihm musste schon ein Dampfhammer her, bevor sie begriffen, dass sie nicht alle Last der Welt auf ihren Schultern tragen mussten.

Die leichte Ungeduld bezwingend, lehnte sich Paul in die Kissen zurück und wartete auf das Wiedererscheinen seines Pflegesohns. Wie er richtig vermutet hatte, tauchte dieser nach etwa fünf Minuten wieder auf, die Unterlippe missmutig nach vorne geschoben. Zumindest trug er nun ein sauberes Shirt und eine enge Jeans und hatte sich sogar rasiert. Das gab dem Ex-Captain ein klein wenig Auftrieb, denn wenn es Peter nicht egal war, wie er sich anderen Leuten präsentierte, dann hatte er zumindest noch nicht aufgegeben.

"Können wir nun reden?", erkundigte er sich sanft.

"Worüber? Du hast doch eh keine Ahnung, also lass es", erwiderte der junge Mann widerspenstig.

Scheinbar entspannt lehnte sich Paul zurück und faltete die Hände über der Brust. "Oh, ich denke schon, dass ich eine Ahnung habe, was in dir vorgeht", begann er. "Ich weiß, dass du hier gerade mal wieder in Selbstzweifeln und Selbstvorwürfen ertrinkst. Du gibst dir die Schuld an allem, was passiert ist. Du fühlst dich ausgenützt und überrumpelt. Du denkst, dass dich wieder mal einer der Menschen, denen du sehr nahe stehst, hintergangen und verraten hat. Du fühlst dich nicht würdig, geliebt und verstanden zu werden. Du meinst, du hast es nicht anders verdienst. Du kannst nicht verstehen, warum du nicht früher erkannt hast, was mit Angel los war. Du bist der festen Meinung, dass du alles verhindern hättest können, wenn sie sich dir nur anvertraut hätte. Du fühlst dich ganz klein und verletzlich, weil eben dieses nicht geschah. Und nun igelst du dich ein, weil du eine unglaubliche Angst davor hast, wieder verletzt und ausgenutzt zu werden und misstraust jedem, der es gut mit dir meint."

Tiefe Stille herrschte nach den Worten. Die Art und Weise, wie Peter neben ihm zusammen zuckte, teilte Paul deutlich mit, dass er ins Schwarze getroffen hatte. Sehr viel weicher fuhr er fort: "Mein Sohn, das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert. Es wird immer wieder Situationen geben, in denen irgendjemand versucht, dich zu hintergehen. Das gehört nun mal zum Erwachsensein dazu. Man muss sich mit diesen Fehlschlägen auseinander setzen und es einfach das nächste Mal besser machen, denn nur aus solchen Fehlern lernt man. Ich sehe dir an, dass du dich fragst, wie du dich in Angel so täuschen konntest. Denn wenn du dich, speziell auch als Cop, nicht mehr auf dein Bauchgefühl verlassen kannst, worauf dann?"

Paul unterbrach kurz und benetzte seine Lippen mit dem herrlich kalten Bier. Er wartete darauf, dass sein Pflegesohn reagierte oder zumindest widersprach, aber er erhielt keine Reaktion. Der junge Detective zog es vor, angelegentlich auf den Tisch zu starren und so zu tun, als höre er nicht zu.

Der ehemalige Captain ging nicht näher auf das unhöfliche Verhalten ein. Er sprach einfach weiter, sehr eindringlich: "Peter, lass dir eines gesagt sein, dein Bauchgefühl, dein Instinkt, nenne es, wie du willst, hat dich nicht im Stich gelassen. Du hast dich bei Angel nicht geirrt, sie birgt nicht einen Funken Schlechtigkeit in sich. Das, was sie auf dem Revier gesagt und getan hat, gehörte zu ihrer Rolle. Keines ihrer Worte meinte sie so. Wenn du Undercover unterwegs bist, kannst du dich auch nicht so geben wie du bist. Du musst die Figur darstellen, die dir angewiesen wird. Nichts anderes hat Angel getan. Ich kann dir besten Gewissens versichern, dass sie dich sehr lieb hat und dir niemals etwas Böses wollte und auch will."

Spontan umfasste er Peters Kinn und zwang ihn nachdrücklich dazu, ihm in die Augen zu sehen. Unerbittlich gruben sich seine blauen Augen in Peters.

"Horch in dich hinein, Junge. Ganz tief in dein innerstes. Sehe über deinen Schmerz und deine Vorwürfe hinweg. Dringe in dich, überkomme deine Angst vor Verletzung und du wirst erkennen, dass alles stimmt, was ich dir hier erzähle."

In Peters ausdrucksstarken Augen schimmerten ungeweinte Tränen. Ein Muskel an seinem Kinn zuckte heftig, Paul spürte es deutlich unter seinen Fingerspitzen. Ganz langsam ließ er seine Hand sinken und beobachtete Atemlos die Wandlung, die in dem Shaolin-Cop von statten ging.

Peter wandte den Blick nicht ab, aber er starrte mitten durch Paul hindurch. Der glasige Ausdruck in seinen Augen machte deutlich, dass sich der junge Mann gerade meilenweit außerhalb dieses Zimmers befand. Dass er weder redete oder schrie, noch wie ein Wilder durch die Wohnung stürmte, beunruhigte Paul zutiefst. Atypischer konnte sich sein Sohn nicht verhalten.

Er machte sich immer größere Sorgen um sein Ziehkind, denn er wusste nicht, ob er zu ihm durchgedrungen war. Zum ersten Mal in seinem Leben, seitdem er dieses sturköpfige und gleichzeitig so verletzbare und von Selbstzweifeln geplagte Kind zu sich geholt hatte, konnte er nicht einschätzen, was in dem jungen Mann vorging. Paul hatte sein gesamtes Pulver verschossen. Wenn dieser lange Monolog Peter nicht auf die Sprünge half, dann war auch er mit seinem Latein am Ende.

Plötzlich warf sich der junge Mann in seine Arme. Seine Finger verkrallten sich in seinem Hemd. Tiefe, zu Herzen gehende Schluchzer erschütterten seinen Körper. Obwohl Paul mehr als froh darüber war, dass sein Sohn sich endlich seinen Frust von der Seele weinte, litt er fürchterlich mit. Jedes Zucken, jeden Schauer, jedes Zittern erlebte er so intensiv mit, als wäre es sein eigener Körper.

Es dauerte sehr lange, bis sich Peter langsam erholte. Paul beschränkte sich darauf, ihn einfach festzuhalten so lange er es brauchte und wartete geduldig. Sein Hemd, von Peters Tränen benetzt, fühlte sich kalt und klamm auf seiner Haut an, und dennoch empfand er es nicht als unangenehm.

Schließlich löste sich der junge Mann von ihm und fuhr sich mehrmals über die Augen. "Wie konnte ich das alles nur so verkennen? Es wundert mich, dass ihr überhaupt noch etwas mit mir zu tun haben wollt, so oft wie ich euch vor den Kopf stoße", murmelte er.

"Nichts was du tust, wird mich jemals davon abhalten, dich zu lieben, Peter. Du bist mein Sohn und wirst es immer bleiben. Alle anderen empfinden ebenso, das solltest du langsam wissen. Und wenn nicht, dann sagen wir es dir immer wieder, bis auch du mit deinem Holzkopf es kapierst", erwiderte Paul fest.

Peter verzog die Lippen. "Aber bitte nicht zu hart mit dem Zaunpfahl treffen."

"Zaunpfahl? Nein, bei dir braucht es schon einen ganzen Zaun, anders kommt man bei dir nicht durch", scherzte der ehemalige Cop.

Peter fuhr sich durch die Haare. "Scheint so." Er seufzte tief. "Ach Dad, ich habe so viele Fragen. Ich kann noch immer nicht verstehen, weshalb ich niemals gespürt habe, dass etwas im Busch ist. Seitdem ich mein Shaolin Training abgeschlossen habe, bin ich wesentlich feinfühliger geworden, aber hier haben mich meine Sinne vollkommen im Stich gelassen."

"Vielleicht standet ihr euch schlichtweg zu nahe?", mutmaßte Paul.

Nachdenklich zupfte der junge Cop am Etikett der leeren Bierflasche herum. "Das könnte sein. Andererseits stehe ich euch oder Paps genauso nahe, oder besser gesagt wohl noch näher, und da merke ich sofort, wenn etwas nicht stimmt."

"Stimmt." Paul rieb über sein Kinn. "Als Erklärung kann ich noch anbieten, dass du uns schon Jahre kennst. Eine Beziehung wächst erst mit der Zeit. Ihr stecktet noch mitten in der Kennenlernphase, als sich Straker dazu entschloss, uns das Leben schwer zu machen."

"Nun sagst du genau das Gegenteil von dem, was du gerade eben meintest", prangerte Peter an.

Paul nickte. "Ja. Und je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich mir, dass da der Hase im Pfeffer liegt. Denk mal nach, Junge. Du warst mit so vielem Beschäftigt, nachdem Kermit die Verwandtschaft mit euch herausgefunden hat. Alles ging Schlag auf Schlag. Deine Gefühle haben doch bestimmt Purzelbäume geschlagen und als Angel dann so krank wurde, überwog die Sorge um ihre Gesundheit und der Ärger über ihr Benehmen. Du hattest doch gar nicht die Gelegenheit, in Ruhe über euch nachzudenken, oder irre ich mich? Wie soll sich das Band zwischen euch richtig verfestigen, wenn es bei euch ständig wie bei einer Achterbahn auf und ab ging?"

Deutliche Erleichterung stand in Peters Augen geschrieben. "Das macht Sinn und hört sich logisch an. Belassen wir es fürs Erste dabei. Ich muss später in Ruhe darüber nachdenken, so auf die Schnelle geht es nicht."

"Es hält dich niemand davon ab, mein Sohn. Hauptsache es geht dir besser und du hast zu deinem wahren Selbst zurück gefunden. Ich gebe zu, du hast uns langsam aber sicher schon Angst eingejagt."

"Tut mir leid, das wollte ich nicht", entschuldigte sich der junge Cop, während er in sich hinein horchte. "Ich hoffe du bist nicht böse, aber ich glaube so richtig habe ich noch nicht zu mir gefunden. Es gibt noch so vieles zu klären, doch ich fürchte das kann nur Angel. Sie…" Er unterbrach sich mitten im Satz. "Oh, ich glaube eine Frage kannst auch du mir beantworten, die mir immer wieder im Kopf herum spukt."

"Und die wäre?"

"Als wir bei euch waren und du uns über die ganze Geschichte aufgeklärt hast, hast du erzählt, dass du uns damals wegen Straker verlassen hast. Du meintest, wenn du geblieben wärst, dann wären wir alle nicht mehr sicher gewesen. Nun bist du aber genau wegen Straker wieder zurückgekehrt. Alles in allem besehen macht es keinen Sinn, denn damit waren wir, deiner Erklärung zufolge, doch alle wieder in Gefahr und wussten zudem nichts davon. In dem Fall hättest du doch damals bleiben können."

Ein trauriger Zug schlich sich um Pauls Mundwinkel, aber er fing sich gleich wieder. "Zu damals und heute gibt es einen großen Unterschied. Vor knapp zwei Jahren, als ich euch verließ, konnte ich nicht für eure Sicherheit garantieren. Da ich nicht wusste, wie lange mein Auftrag dauern würde, konnte ich keine dauerhafte Überwachung für euch arrangieren. Diesmal war es anders. Ich wusste, dass ich so oder so Straker in die Finger bekommen würde. Lass dir gesagt sein, dass ihr, ausgenommen beim Überfall auf das Revier, zu keiner Zeit in Gefahr gewesen seid. Ihr alle wurdet 24 Stunden am Tag überwacht, sieben Tage die Woche."

Peter blieb der Mund vor Staunen offen. "Wir wurden überwacht? Warum habe ich nichts davon bemerkt?"

"Denkst du denn, ich engagiere Idioten für so einen Job?", fragte Paul leichthin, ein finaler Unterton schwang in seiner Stimme mit.

Diesmal erkannte Peter den Wink mit dem Zaunpfahl. "Und ich will sicher nicht wissen, wie du das angestellt hast, oder?", konnte er sich nicht verkneifen, nachzuhaken.

"Nein, das willst du ganz sicher nicht." Paul ergriff Peters Hände. "Junge, du weißt gar nicht, wie sehr es mir Leid tut, dass ich euch für so lange Zeit verlassen musste. Es ist mir bewusst, dass ich ganz speziell dich großen Qualen mit meinem Weggang ausgesetzt habe. Mit deinen Vätern hast du es nicht leicht. Ich kenne deine Verlustängste und doch kann ich nicht mehr, als mich bei dir zu entschuldigen. Ich weiß nicht, wie ich das jemals wieder gut machen kann."

Der junge Mann drückte fest die Hand. "Ob du es glaubst oder nicht, aber damit habe ich mich schon seit geraumer Zeit arrangiert. Im Tempel, während meiner Shaolinausbildung, habe ich viel und lange über das Thema nachgedacht und bin zu dem Entschluss gekommen, dass du uns niemals verlassen hättest, wenn du eine andere Wahl gehabt hättest. Ich trage dir nichts nach, freue mich nur, dass du endlich wieder hier bist. Hauptsache du bleibst ab jetzt bei uns, alles andere ist egal."

Paul konnte nicht anders. Er zog seinen Sohn in eine feste Umarmung und ließ eine ganze Weile nicht los. Er musste sich räuspern, bevor er antworten konnte.

"Meine 'Wanderungen' sind ein für alle mal vorbei, das kann ich dir versprechen. Ich habe sichergestellt, dass der Auftrag mit Straker meine letzte Mission war. Wenn ich irgendwann mal wieder aufbreche, dann nur, um mit meiner Annie in den Urlaub zu fliegen. Ansonsten bleibe ich Zuhause und kümmere mich um euch."

Peter strahlte übers ganze Gesicht. "Etwas Schöneres kannst du mir gar nicht mitteilen." Er wurde wieder ernst. "Ich wünschte nur für Angel wäre jetzt auch jemand da, der sich um sie kümmert. Sie muss sich doch vollkommen allein gelassen fühlen. Meinst du, ich kann zu ihr gehen. Gerade in deiner Hütte hätten wir viel Zeit, um über alles zu reden, was uns beschäftigt."

Paul entfernte eine Fussel von seinem Hemd. "Das ist im Moment wohl keine gute Idee. Für Angel ist gesorgt, mach dir da mal keine Sorgen."

Peter zog eine Augenbraue in die Höhe. "Wie meinst du das?"

"Ich habe Kermit zu ihr geschickt. Morgen Mittag müsste er bei ihr sein. Und wenn wir Glück haben, bringt er sie dahin, wo sie hingehört. Zu uns."

"Oh." Peter presste die Lippen aufeinander. Man sah ihm deutlich an, dass er mit dieser Wendung der Dinge gar nicht glücklich war.

"Kreidest du Kermit noch immer an, dass er mit deiner hm… Schwester… geschlafen hat?", brachte Paul die Sache auf den Punkt.

Röte schoss dem jungen Shaolin-Cop ins Gesicht. "Herrje, ist dir denn gar nichts heilig? Was geht uns denn bitte ihr Sexleben an?", versuchte er abzulenken.

"Nichts geht es uns an. Aber es geht mich etwas an, wenn eine langjährige und sehr enge Freundschaft zu zerbrechen droht, weil du mit der Tatsache nicht zurecht kommst, dass dein bester Freund Kermit und deine Schwester Angel ein Paar sind und womöglich irgendwann heiraten werden."

"Hei…heiraten?", echote der junge Cop verblüfft.

"Das tut man im allgemeinen, wenn man sich liebt und den Rest seines Lebens miteinander verbringen möchte", entgegnete Paul trocken.

Peter stieß in einem langen Atemzug die Luft aus seinen Lungen hervor. Ein verschämtes, beinahe nicht wahrnehmbares Lächeln zuckte um seine Mundwinkel.

"Meinst du wirklich, es ist so ernst mit den beiden?"

Paul lachte leise. "Nun, ich bin kein Hellseher und kann natürlich auch nur nach dem Urteilen, was ich sehe. Aber wenn man schon sehr lange glücklich verheiratet ist so wie ich, dann bekommt man einfach einen Blick dafür, wer zusammen passt und wer nicht."

"Dein Wort in Gottes Gehörgang. Ich gebe zu, ich dachte Kermit nutzt Angels Verliebtheit nur aus. Er hat mir gegenüber mit keinem Wort oder Geste zu erkennen gegeben, dass ihm an meiner kleinen Sis mehr liegt, als ein flüchtiges Bettabenteuer.", meinte er mehr zu sich selbst.

"Hast du ihm die Gelegenheit gegeben, in Ruhe mit dir darüber zu reden, oder bist du mal wieder in typischer Peter Caine Manier an die Decke gegangen, als du es herausgefunden hast?"

Erneut überzog ein tiefes Rot Peters Wangen. "Letzteres", gab er leise zu.

Paul schüttelte, nicht im Mindesten überrascht, den Kopf. "Und seitdem gehst du Kermit aus dem Weg?", hakte er nach.

Der junge Mann nickte. Plötzlich schlug er sich vor den Kopf und grinste breit. "Meine Güte, ich bin so ein Hornochse. Ich war so in meiner eigenen Welt gefangen, dass ich niemals die Blicke oder flüchtigen Berührungen wahrnahm, wenn Kermit und Angel zusammen waren. Jetzt, da ich darüber nachdenke, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Die beiden sind bis über beide Ohren ineinander verliebt und ich Trottel habe es nicht bemerkt."

Paul grinste ebenfalls. "Dem gibt es nichts mehr hinzu zu fügen. Und nun da du es weißt und selbst merkst, wie die beiden zueinander stehen, bist du bereit, den beiden eine Chance zu geben?"

"Oh Yeah", ahmte er seinen besten Freund nach. "Auch wenn ich es noch immer als reichlich befremdlich empfinde." Nach einer kurzen Denkpause fügte er hinzu: "Aber wenn er meiner Schwester weh tut, dann bekommt er es mit mir zu tun."

"Das wird er tunlichst zu vermeiden wissen, dessen bin ich mir sicher."

Ein befreites Lachen schallte durch den Raum. Peter beugte sich vor, legte die Hände um Pauls Gesicht und tupfte ihm einen Kuss auf die Stirn.

"Danke, dass du mir endlich die Augen geöffnet hast, Dad."

Paul strich seinem Sohn liebevoll durch die Haare. "Gern geschehen. Ist nun alles wieder im Lot bei dir?"

Erneut huschte ein undefinierbarer Ausdruck über Petes Gesicht. "Wohl noch nicht ganz", bekannte er ehrlich. "Aber es wird schon werden. Ich brauche einfach noch etwas Zeit, ich muss mir noch über viele Dinge klar werden.

Der ehemalige Captain erhob sich von der Couch und streckte sich. "Nimm dir alle Zeit der Welt, Junge. Ich lasse dich am Besten jetzt alleine, denn ich sehe dir an, dass dein Denkprozess schon begonnen hat."

Peter seufzte gespielt theatralisch. "Vor dir kann ich einfach nichts verbergen."

Der junge Mann erhob sich ebenfalls und zog Paul in eine liebevolle Umarmung. "Danke für alles", wisperte er in sein Ohr.

"Immer wieder gerne." Der ehemalige Captain streifte sich sein Jackett über. "Dann werde ich mal die frohe Kunde verbreiten. Falls du jemanden zum reden brauchst, lass es mich wissen."

"Das werde ich. Bis bald, Dad."

"Bis bald, mein Sohn."

Peter schaute seinem Ziehvater nach, bis er das Apartment verlassen hatte. Dann ging er zum Kühlschrank und holte sich ein weiteres Bier. Mit ihm in der Hand setzte er sich wieder auf die Couch und machte es sich gemütlich. Er atmete ein paar Mal tief ein und aus, versetzte sich in einen leicht meditativen Status, um dann im Geiste noch einmal all die Geschehnisse vor seinem inneren Auge ablaufen zu lassen.

Und Peters Heilung begann.

 

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