Das laute Piepen des Weckers riss Kermit am frühen Morgen aus einem kurzen Schlaf. Er quälte sich aus dem Bett unter die kalte Dusche, um wieder zu sich zu kommen. Die Ereignisse der letzten Nacht zogen vor seinem inneren Auge an ihm vorbei. Der Abend hatte auf eine Art und Weise geendet, die schöner nicht sein konnte. Noch beim Kaffeetrinken war er in der Erinnerung gefangen. Als er seine Gläser aufsetzen wollte, entdeckte er, dass er sie bei Angel vergessen hatte. Gedankenverloren trat er ans Fenster und blickte auf den Parkplatz herunter. So etwas war ihm noch nie passiert, seine Brille war mehr als nur ein Kleidungsstück für ihn. Er brauchte sie zum täglichen Leben, zum Schutz und natürlich dafür, um seine Reputation aufrecht zu erhalten. Zum Glück hatte er immer eine Ersatzbrille im Haus, denn er wollte Angel nach der gestrigen geleisteten, harten Arbeit nicht aufwecken. Erst dann entdeckte er, dass der Parkplatz draußen an der Straße, wo gestern Angels Trans Am parkte, leer war. Missbilligend runzelte er die Stirn, die junge Frau musste wirklich jede Menge Stress haben, wenn sie schon wieder unterwegs war. Der Detective trat vom Fenster zurück, zog sich an, trank seinen obligatorischen Kaffee und machte sich auf den Weg zum Revier. Ihm stand einiges an Arbeit bevor, nun nachdem er genau wusste, was bei Romanow ablief. Gegen Mittag kam Angel in sein Büro gestürmt, wie immer sprühte sie vor Energie und es thronte auch wieder ihre Sonnenbrille auf der Nase. "Hey Kermit. Ich habe nicht viel Zeit, wollte dir nur etwas zurückgeben, was du vergessen hast." Mit diesen Worten legte sie ihm seine vergessene Sonnenbrille mitten auf das Keyboard und schob die Ihre hoch. Kermit beendete sein frenetisches Tippen und schaute zu ihr auf. "Danke." Das Lächeln wich aus Angels Gesicht. "Bitte schön." Forschend ließ sie ihre Brille ein wenig auf ihrer Nase hinab gleiten und blickte ihm in die Augen. Er tat ihr den Gefallen, nahm die Gläser ab und begann unbehaglich: "Hör mal Angel, wegen heute Nacht..." Die Blondine legte ihm einen Finger auf die Lippen. "Scht... Ich will nichts davon hören, ich bereue jedenfalls nichts. Du etwa?" "Nein, auf keinen Fall." Das Lächeln kehrte zurück, sie schob ihre Brille auf ihren Platz zurück. "Na also, dann ist ja alles klar. Holst du mich heute Abend ab?" "Sicher. Schau zu, dass du so gegen sechs Uhr fertig bist." "Okay bis später." Spontan beugte sie sich zu ihm und gab ihm einen Abschiedskuss auf die Lippen, bevor sie wie ein Wirbelwind wieder aus dem Büro stürmte. Täuschte er sich, oder hatten sich ihre Lippen sehr heiß angefühlt? Angel sprach noch kurz mit Peter über den Wein, den sie besorgen wollte und machte sich anschließend auf den Weg zu Lo Si, um ihm die Sachen zu bringen, die Caine ihr mitgegeben hatte. Danach war Meditation mit Caine angesagt. Wie immer hatte sie Probleme in die angestrebte Phase zu kommen – zugegebener Maßen wollte sie auch nicht -, was erneut in einem Streit endete und Angel regelrecht vor Caine flüchtete, der sie ziemlich ausgeschimpft hatte. Draußen im Wagen strich die junge Frau sich über die Stirn, sie fühlte eine bleierne Müdigkeit in sich aufsteigen. Die Augen taten ihr noch mehr weh, als heute morgen, daher trug sie auch die Sonnenbrille und sie spürte den Beginn von Kopfschmerzen. Was war nur los mit ihr? Normalerweise war sie doch nicht so empfindlich? Schnell wischte sie die unangenehmen Gedanken zur Seite, sie musste bis heute Abend noch einiges erledigen. Ein großer Auftrag wartete darauf, endlich zum Abschluss gebracht zu werden und sie sollte auch noch den Wein besorgen. Nur mit Müh und Not schaffte sie es, bis um sechs Uhr fertig zu sein, als Kermit pünktlich an ihre Türe klopfte. Sie schnappte sich eilig ihre Handtasche, rückte ihre Sonnenbrille gerade, strich glättend über ihr leichtes, gelbes Sommerkleid und öffnete dann die Türe. Kermit betrachtete sie eingehend. "Du siehst müde aus, Dollface", kommentierte er. Angel hob die Augenbraue. "Dollface? Bin ich zwischenzeitlich zu einer Puppe mutiert und weiß es nicht?" Kermit zuckte nur die Schultern und zog sie wortlos an sich, um sie tief und verlangend zu küssen. Angel kam ihm nur zu gern entgegen. Mehrere Minuten später lösten sie sich atemlos voneinander. "Wir sollten uns auf den Weg machen, sonst kommen wir zu spät", meinte Kermit mit rauer Stimme. Angel, die ihrer Stimme noch nicht traute, nickte nur und ließ sich von ihm zum Aufzug führen. Er legte ihr den Arm um die Schulter und sie schmiegte sich an ihn auf der Fahrt nach unten. Kermits große Hand legte sich auf ihre Stirn. "Du fühlst dich heiß an, Dollface, du hast Fieber." Angel wich ein wenig von ihm zurück und schob seine Hand zur Seite. "Unsinn, mir geht es gut. Das, was mich so erhitzt hat, war dein Kuss", gab sie zurück. Er schaute sie skeptisch an. "Sicher?" "Ganz sicher, mach bloß keine Affäre daraus.", erwiderte sie leichthin. In dem schummrigen Licht des Aufzugs konnte er nicht sehen, was in ihr vorging, außerdem verbargen die dunklen Gläser ihre Augen effektiv. Ein leises Gefühl in seiner Magengegend sagte ihm, dass sie nicht ganz ehrlich zu ihm war, doch er wollte die entspannte Stimmung nicht zerstören und beschloss, nicht weiter nachzuhaken. Während der gesamten Fahrt zu Annies Haus beobachtete Kermit Angel unauffällig. Er konnte keine weiteren Zeichen erkennen, dass es ihr nicht gut ging. Auch die Unterhaltung floss leicht und sanft dahin, dass er seine Vorbehalte langsam wieder vergaß. Peter war schon da und öffnete ihnen bei den Blaisdells die Türe. Er nahm Angel die beiden Flaschen Wein aus der Hand, umarmte sie brüderlich und schob sie ins Haus. Angel machte sich gleich auf den Weg in die Küche, wo sie die Dame das Hauses rumoren hörte. "Hallo Annie, du kannst sicher Hilfe gebrauchen", begrüßte sie sie. "Hallo Liebes, das kann ich ganz sicher. Am besten sorgst du dafür, dass Peter nicht mehr in die Küche kommt. Bei seinem Appetit bleibt sonst nicht mehr viel für euch andere übrig", gab Annie zurück. Die beiden Frauen umarmten sich herzlich und widmeten sich dann, fröhlich miteinander plaudernd, dem Essen, während die Herren der Runde den Auftrag bekamen, den Tisch zu decken. "Wo sind Kelly und Caroline?", erkundigte sich Angel. "Die sind beide über das Wochenende zu Freunden gefahren, sie kommen erst am Mittwoch zurück." Angel ließ ein leises Kichern hören. "Ah ja, und du hast dann natürlich die Gelegenheit genutzt, mal wieder einen gemütlichen Abend zu verbringen, ohne das Geschnatter deiner Töchter." Annie kicherte mit. "Du hast mich durchschaut, Liebes. Ich wollte euch drei einfach wieder sehen. Es ist schon eine Weile her, seitdem wir es uns hier gemütlich gemacht haben." Die blonde Frau seufzte leise. "Ja, ich weiß. Ich wollte auch viel öfter hierher kommen, aber ich habe es bis jetzt leider nur zwei Mal geschafft. Tut mir leid." Annie legte ihr die Hand auf den Arm. "Du musst dich nicht entschuldigen, ich weiß, dass du jede Menge zu tun hast mit deiner Arbeit und du musst dich auch erst einmal einleben. Ich hörte von Peter, dass dich Caine ziemlich mit Beschlag belegt, außerdem musst du auch erst einmal damit zurecht kommen, dass deine Familie rapide angestiegen ist. Für mich gehörst du jedenfalls dazu und auch Caroline und Kelly haben dich vollkommen akzeptiert, wie du weißt. Du bist hier jederzeit Willkommen." Angel schluckte trocken, es klang soviel Liebe aus den Worten ihres Gegenübers, dass ihr ganz warm ums Herz wurde. Spontan umarmte sie die ältere Frau. "Danke, Annie, du bist eine wunderbare Frau. Du weißt gar nicht, was mir das bedeutet. Manchmal denke ich, ich habe das alles gar nicht verdient. Ihr habt mich hier ohne zu zögern aufgenommen, es gab kein Wenn und kein Aber. Ich... ich..." Angel konnte nicht weitersprechen. Annie strich ihr über den Rücken. "Aber, aber Liebes, das war doch selbstverständlich. Du hast es uns auch leicht gemacht. Mit deinem offenen Wesen muss man dich einfach gern haben. Wenn ich sehe, wie glücklich du meinen Sohn machst und all die Menschen um dich herum, machst du deinen Namen wirklich alle Ehre. Und wenn Paul demnächst zurück kommt, dann sind wir endlich alle vereint." Angel konnte ihre Tränen nicht mehr länger zurück halten. Annie war nun doch überrascht über diesen Ausbruch. "Scht Liebes, was ist denn los? Ich spüre, dass dich etwas bedrückt." Sie stockte einen Moment. "Und du fühlst dich ziemlich heiß an." So schnell ihre Tränen gekommen waren, so schnell hatte Angel sich wieder im Griff und löste sich von Annie, sich über die Augen wischend. Sie seufzte tief. "Ich weiß auch nicht. Mir gehen wohl die Emotionen durch. Eigentlich sollte ich überglücklich sein, weil ich euch alle gefunden habe. Komm, lass uns das Essen servieren, bevor die Herren vor Hunger vom Stuhl fallen", wehrte sie ab. Annie akzeptierte stillschweigend ihre Antwort, sagte nur noch einen Satz dazu: "Wenn du reden willst, Liebes, ich bin Jederzeit für dich da." "Danke Annie.", gab Angel zurück und drückte noch einmal kurz ihre Hand. Wenige Minuten später saßen alle vier um den Tisch versammelt und ließen es sich schmecken. Kermit und Peter lobten Annies Kochkunst in den höchsten Tönen, was diese lachend abwehrte. Die Unterhaltung schwirrte bunt durcheinander, so dass es gar nicht auffiel, dass Angel mit zunehmender Stunde immer ruhiger wurde. Sie bot sich an, das Geschirr zu spülen und wehrte die Hilfe der anderen drei rigoros ab, froh darüber, ein paar Minuten alleine sein zu können. Tatsächlich fühlte sie sich langsam schlechter, als sie zugeben wollte. Eine bleierne Müdigkeit hatte ihre Knochen erfasst, ihre Gelenke schmerzten. Außerdem brannten ihre Augen mittlerweile fürchterlich und waren so empfindlich gegen Licht geworden, dass sie stellenweise Probleme hatte, ihre Umgebung noch richtig zu erkennen. Im Spiegel des Flurs überprüfte sie kurz das heute sehr reichlich aufgelegte Make Up, bevor sie zu den anderen zurückkehrte. Zu ihrer Erleichterung hielt es noch und ließ ihr Gesicht frisch und rosig erscheinen. Auf keinen Fall wollte sie diesen schönen Abend verderben, weil sie sich nicht wohl fühlte. Die drei anderen waren so in ihre Unterhaltung vertieft, dass sie kaum aufblickten, als sie den Raum betrat. Angel lächelte leicht und setzte sich auf einen Stuhl. Ab und an warf sie auch eine Bemerkung ein, aber verhielt sich ansonsten, ganz entgegen ihrer Art, ziemlich ruhig. Plötzlich versteifte sich Peter, auch Angel stellten sich die Haare auf und sie setzte sich kerzengerade hin. Sie wechselten einen besorgten Blick. Die Unterhaltung verstummte. "Was ist los?", erkundigte sich Kermit, dessen Hand unwillkürlich zu seiner Waffe wanderte. "Es kommt jemand", erwiderte Peter ernst, tief in sein Inneres lauschend. Angel nickte bestätigend. Kermit schaute auf seine Uhr. "Um diese Zeit? Äußerst ungewöhnlich." Der ältere Detective zog seinen Desert Eagle heraus und machte Anstalten, sich zu erheben. Peter hielt ihn mit einer Hand auf dem Arm zurück, ein strahlendes Lächeln legte sich auf seine Lippen. "Das ist nicht Nötig, mein Freund. Mom, ich meine, du solltest hingehen und die Türe öffnen, da draußen steht jemand, auf den du lange gewartet hast." Atemlose Stille herrschte nach seinen Worten. Er dauerte einen Moment, bevor die Worte in sie sackten. Auch Angel hatte inzwischen herausgefunden, wer vor der Tür stand und flüsterte leise: "Paul." Annie ließ einen erstickten Laut hören, bevor sie aufstand, zur Haustüre eilte und sie mit Schwung aufriss. Der Mann, der gerade nach der Türklingel greifen wollte, hielt überrascht inne. Die widersprüchlichsten Emotionen zeichneten sich auf seinem Gesicht ab, Schmerz, Leid, Erleichterung, Freude und vor allem die tiefe Liebe, die er für die Frau empfand, die nun vor ihm stand. Zitternde Hände umrahmten sein Gesicht, strichen den Konturen nach. "Oh mein Gott, du bist es wirklich...", wisperte Annie mit bebender Stimme. "Ja, ich bin wieder da", kam die emotionsgeladene Antwort. "Es geht dir gut?" "Ja, es geht mir gut. Sehr gut sogar, nachdem ich endlich wieder hier bin." Im nächsten Moment lagen sie sich in den Armen, hielten sich fest, als wollten sie sich nie wieder loslassen. Tränen der Freude und des Glücks liefen beiden über die Wange und sie schämten sich deswegen nicht. Paul bedeckte Annies Gesicht mit kleinen Küssen bis er ihren Mund erreichte und sie intensiv und lange Küsste. Nur langsam fanden sie in die Wirklichkeit zurück. Sie mussten beide Lachen, als ihnen klar wurde, dass sie wie Teenager mitten auf der Haustürschwelle herum knutschten. Annie fand als Erste ihre Sprache wieder, immer wieder glitten ihre Finger über seinen Brustkorb und die Taille, als müsse sie sich überzeugen, dass er tatsächlich vor ihr stand. "Komm herein, Schatz. Es gibt auch noch andere, die dich begrüßen möchten." "Oh Annie, ich freue mich so, endlich wieder bei dir zu sein. Ich liebe dich so sehr", versuchte Paul ungelenk seine Gefühle in Worte zu fassen und drückte ihr einen sanften Kuss aufs Haar. "Ich liebe dich auch, mehr als du dir überhaupt vorstellen kannst." Die blinde Frau tupfte ihrem Ehemann einen weiteren Kuss auf die Lippen und zog dann leicht am Ärmel seines Jacketts. "Aber nun komm, bevor die anderen nachschauen kommen." Paul lächelte breit und schlang die Arme um die zierlichen Schultern seiner geliebten Frau, die sich eng an ihn schmiegte. Als sie sich dem Wohnzimmer näherten, ließ sie von ihrem Ehemann ab, um den anderen Gelegenheit zu geben, den lang vermissten Vater, Freund und Mentor zu begrüßen. Kermit kam ihm als Erster entgegen. In seinem Gesicht zuckte es und seine Finger bebten beinahe unmerklich, als er dem Captain die Hand entgegen streckte. "Willkommen Zuhause, Paul", sagte er mit erstickt klingender Stimme. Gleich darauf umarmten sich die beiden Männer, zutiefst ergriffen, fest. Der ehemalige Söldner trat nach mehreren Sekunden einen Schritt zurück, damit Paul freies Blickfeld hatte. Mit wenigen Schritten überbrückte der ehemalige Captain die Entfernung zu seinem Sohn, der mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck in einer Ecke der Zimmers stand. Offen und frei liefen ihm die Tränen über die Wangen. "Paul", flüsterte Peter. "Mein Sohn." Die folgende Umarmung war so fest, dass man meinen könnte, die Rippen krachen zu hören. Die beiden Männer hielten sich lange fest, der junge Mann musste sich erst selbst überzeugen, dass sein Vater, sein Pflegevater, wieder hier war. Peters Stimme zitterte als er fragte: "Musst du bald wieder weg?" Seine Augen blickten wie die eines Kindes, erinnerten Paul an den Jungen, den er im Waisenhaus vorgefunden hatte und der sich sofort in sein Herz geschlichen hatte. Es hatte lange gedauert bevor er damals den kleinen Peter davon überzeugen konnte, dass er ihn nicht mehr zurück schicken würde. Immer hatte der Junge Angst gehabt, zurück gewiesen und wieder alleine gelassen zu werden. "Nein mein Sohn, ich bleibe hier. Für immer", erwiderte der Heimkehrer mit nicht ganz fester Stimme. Peter umarmte seinen Ziehvater noch einmal überschwänglich. "Ich bin so froh, dass du wieder da bist, Dad, gesund und munter." "Ich auch mein Sohn, ich auch." Paul drückte den jungen Cop einen Augenblick lang fester an sich, dann führte er ihn zum Tisch zurück, an dem die anderen beiden Platz genommen hatten. Er setzte sich dicht neben seine Frau und hielt ihre Hand, sein freier Arm lag fest um die Schulter seines Sohnes. Das Gespräch ging hin und her, er galt einiges aufzuholen. Als die Sprache auf Angel kam, die ja die Nachricht übermittelt hatte, blickte sich Kermit suchend um. "Wo ist sie überhaupt?", fragte er. "Angel ist hier?", kam es überrascht von Paul. Peter nickte bekräftigend. "Ja, du wirst es nicht glauben was sich da heraus gestellt hat. Sie ist meine Cousine, Kermit hat die Verwandtschaft entdeckt." Laut rief er "Angel." Ein leiser Laut am Eingang der Terrasse ließ die Köpfe in die Richtung herum fahren. Die junge Frau lehnte am Türrahmen, die Arme vor der Brust verschränkt. "Hallo Paul, schön dich wieder zu sehen", sagte sie leise, ein merkwürdiger Unterton lag in ihrer Stimme. "Engelchen." Paul schob die Neuigkeit mit dem Familienzuwachs vorläufig in seinem Denken zurück, damit würde er sich später auseinander setzen. Er erhob sich und trat mit wenigen Schritten auf sie zu. Er streckte ihr die Hände entgegen und sie warf sich ihm so heftig entgegen, dass er ein paar Schritte mit ihr zurück stolperte, bevor er sein Gleichgewicht wieder fand. Ihm entging die Hitze, die sie ausstrahlte, nicht. Er legte beide Hände um ihr Gesicht und drehte sie zum Licht. "Was ist mir dir? Du glühst ja", sagte er ernst. "Es ist nichts, mir geht es gut", schwächte sie ab. Ein ungläubiger Blick traf die junge Frau. "Das denke ich aber nicht so ganz. Mich kannst du nicht austricksen, Engelchen. Dafür kenne ich dich zu gut", entgegnete Paul. Er ignorierte Angels leisen Protest, als er ihr mit einer schnellen Bewegung die Sonnenbrille von der Nase zog. Dann schnappte er sich eine Serviette, die auf dem Tisch lag, legte eine Hand um ihren Hinterkopf und begann, ihr das Make up aus dem Gesicht zu wischen. "Hey, was soll das!", protestierte sie vehement und versuchte seiner Hand auszuweichen - ohne Erfolg. Zum Vorschein kam ein ziemlich gerötetes Gesicht mit tiefen Ringen unter den Augen. Paul warf achtlos die Serviette zur Seite und legte ihr seine Hand auf die Stirn. "Mädchen, du hast Fieber. Peter hole das Thermometer aus dem Badezimmer. Und du, junge Dame, begibst auf dem schnellsten Wege ins Bett!", befahl er. Angel, der es absolut unangenehm war, so im Mittelpunkt zu stehen, wehrte sich gegen Pauls härter werdenden Griff um ihre Handgelenke "Lass mich los, mir geht es gut verdammt noch mal!" "Ja, das sieht man genau", erwiderte Kermit, der mittlerweile neben sie getreten war und sie ebenso besorgt musterte. "Keine Widerrede, junges Fräulein. Ich möchte wirklich nur einmal erleben, dass du tust was man dir sagt, ohne dich zu streiten", meinte Paul entschlossen. Ein Zittern lief durch ihren Körper, ihre Pupillen vergrößerten sich unnatürlich weit. Sie griff ungelenk nach ihrer Sonnenbrille und setzte sie sich wieder auf die Nase. "Mir geht es gut", kam es schwach von ihr, dann klappte sie in seinen Armen zusammen. Paul reagierte sofort und fing sie auf, bevor sie auf den Boden fallen konnte. Bewegungslos und schlaff lag sie in seinen Armen. Der ehemalige Captain legte sie mit Kermits Hilfe flach auf den Boden und fühlte ihren Puls, der zu seiner Erleichterung kräftig und regelmäßig schlug. "Kermit ruf sofort den Notarzt an", befahl er besorgt. Dieser nickte nur und griff nach dem Handy in seiner Brusttasche. Doch kaum hielt er das kleine Telefon in der Hand, schlug Angel schon wieder die Augen auf und stöhnte leise. "Kermit, warte." Paul veränderte seine kniende Haltung neben Angel etwas und half ihr, sich in eine sitzende Position zu begeben. Forschend musterte er ihr Gesicht. Als er nach der schief sitzenden Sonnenbrille greifen wollte, hielt sie sie fest, als würde ihr Leben davon abhängen. Er gab nach und ließ die Finger sinken. "Okay, Mädchen nun heraus mit der Sprache, was ist mir dir?" "Nichts", erwiderte Angel und versuchte aufzustehen. Paul ließ es nicht zu. Vehement drückte er sie auf den Boden zurück. Zur Sicherheit ließ er seine Hand auf ihrer Schulter ruhen. "Das kannst du deiner Großmutter erzählen, aber nicht mir. Ich frage dich zum letzten Mal, was los ist, oder ich bringe dich auf direktem Weg ins Krankenhaus", entgegnete er fest entschlossen. "Mir ist nur ein wenig schwindelig geworden, das ist alles. Ich denke, ich brüte einfach nur eine Erkältung aus, die klassischen Symptome halt: Kopfschmerzen, Übelkeit und meine Augen brennen", gab sie leise nach. Paul konnte nur den Kopf schütteln. "Und warum liegst du nicht im Bett, anstatt hier zu sein? Das hat doch wohl nicht eben erst angefangen. Ausgehend von der Tonne Make-Up, die ich dir aus dem Gesicht gerieben habe, hast du doch versucht, deine Blässe zu übertünchen." "Ich wollte euch den Tag nicht vermiesen, Annie hat sich so auf den Abend mit uns allen gefreut", erwiderte sie beschämt. Der Ex-Captain schnalzte ungehalten mit der Zunge. "Also ob das nicht jeder verstanden hätte, wenn du wegen Unwohlsein abgesagt hättest", murmelte er unhörbar vor sich hin. Dann erhob er sich und zog Angel vorsichtig mit sich hoch, die schwankend stehen blieb. "Okay Mädchen, nun aber ab ins Bett und keine Widerrede mehr. Peter, du bringst Angel nach oben und ich rufe den Hausarzt an. Sicher ist sicher." Die Kranke wollte protestieren, doch ein Blick ins Pauls, als auch Peters Gesicht teilte ihr mit, es war klüger ruhig zu sein. Gegen die Übermacht kam sie eh nicht an. So seufzte sie nur leise und ließ zu, dass Peter ihr den Arm um die Taille legte, um sie nach oben in sein altes Zimmer zu führen. Kermit folgte ihnen auf dem Fuße, die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen gepresst. Wenige Minuten später war der Anruf erledigt. Paul legte den Arm um Annie und stand im Begriff, mit ihr gemeinsam in den ersten Stock zu gehen, als er Peter die Treppe herunter kommen sah. "Und?", fragte er. Peter zuckte die Schultern. "Ich denke mal, es ist tatsächlich nur eine Erkältung. Kermit und ich haben sie kaum ins Bett gebracht, da ist sie auch schon wieder eingeschlafen. Das Fieber scheint auch nicht so hoch zu sein. Sie hat sich wohl heißer angefühlt, als sie ist. Das Thermometer zeigte gerade mal 38,6 °C an, also nichts allzu sehr beunruhigendes." Von Annie und Paul kam gleichzeitig ein erleichterter Seufzer. "Na dann scheint ja alles noch mal gut gegangen zu sein. Dr. Saunders wird ungefähr in einer Stunde hier sein", informierte ihn Paul. Peter lächelte seinen beiden Pflegeeltern zu. "Gut. Dann würde ich mal sagen Kermit und ich vertreiben uns die Zeit mit Angel und ihr beiden", er machte eine großartige Geste mit der Hand, "zieht euch mal ein wenig zurück. Es gibt viel Nachzuholen." Ohne ihre Antwort abzuwarten, drehte er sich um und ging wieder die Treppe hoch, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. ******** Fast exakt eine Stunde später klingelte es an der Türe. Paul öffnete und führte Dr. Saunders zu Peters Zimmer, in dem Angel lag, während er ihm von ihren Symptomen berichtete. Alle vier warteten, mehr oder weniger geduldig, vor der Zimmertüre, bis der Mediziner seine Untersuchung beendet hatte und zu ihnen kam. "Und?", erkundigte sich zu aller Überraschung Kermit als Erster. Paul warf ihm einen forschenden Seitenblick zu. Der Arzt lächelte dem Vierergespann beruhigend zu. "Ich denke, es ist nichts Ernstes. Die junge Dame hat wohl Recht, dass sie hier eine Grippe ausbrütet. Sie ist während meiner Untersuchung einmal aufgewacht, aber dann gleich wieder eingeschlafen. Die Müdigkeit ist typisch für eine Erkältung." "Aber warum ist sie im Wohnzimmer zusammen gebrochen?", erkundigte sich Kermit nicht völlig überzeugt. "Nun ich schätze, sie hat sich schlicht und einfach zuviel zugemutet. Hatte sie in den letzten Tagen Stress?" "Oh yeah, das kann man sagen", warf Kermit ein und ballte die Hände zu Fäusten. "Sehen sie, da haben sie die Erklärung. Irgendwann hat der menschliche Körper seine Grenze erreicht und zeigt es auch. Ich konnte bei meiner Untersuchung jedenfalls nichts finden, was auf eine andere Ursache hindeutet." "Und was empfehlen sie nun Doc?", erkundigte sich Annie mit sanfter Stimme. "Nun, sie haben schon das Richtige getan. Bettruhe ist das Beste Mittel, um eine Erkältung zu überwinden. Ich schreibe ihnen noch ein Rezept aus gegen die Kopfschmerzen und die Übelkeit, ansonsten schauen sie einfach, dass die junge Dame im Bett bleibt. Sollte sich ihr Zustand zum schlechteren verändern, rufen sie mich bitte." "Danke Doc, wir werden darauf achten." Paul warf einen düsteren Blick in das Schlafzimmer. "Und wenn wir sie festbinden müssen. Wir bringen sie noch zur Türe", sprach er weiter und reichte dem Arzt die Hand. Während Peter seinem Pflegeeltern und dem Arzt nachblickte, schüttelte er den Kopf. Er und Kermit kehrten in das Zimmer der Kranken zurück. "Kann es denn soviel Sturheit auf einmal geben?", erkundigte er sich bei seinem Freund und machte eine bedeutungsvolle Geste in Richtung des Bettes, in dem die Kranke nun friedlich schlief. "Dazu musst du nur in den Spiegel schauen", gab der ältere Cop zurück. "Sturheit liegt bei euch eindeutig in der Familie. Ihr seid alle so." Peter verzog das Gesicht, sagte aber nichts dazu. "Und was machen wir nun?" Kermit verzog die Lippen zu einem angedeuteten Grinsen. "Ich denke, wir sollten sie nach Hause bringen. Alleine wenn du siehst, wie aufgeregt Angel war, als sie kurz erwachte und entdeckte, dass sie nicht in ihrer gewohnten Umgebung ist, dann finde ich es wirklich besser, wir verfrachten sie in ihr eigenes Bett. Sie fühlt sich hier nicht wohl." Paul, inzwischen zurück gekehrt und unbemerkt ins Zimmer geschlüpft, warf ein. "Im Prinzip habe ich nichts dagegen, aber ich meine, hier hat sie die bessere Pflege. Mit Annies unnachahmlicher Hühnersuppe und Fürsorge ist sie schnell wieder auf den Beinen." "Und was bringt es dir, wenn sie sich so aufregt? Mein Appartement liegt direkt neben ihrem und es ist kein Problem für mich, sie zu verpflegen.", erwiderte Kermit ungehalten. "Okay, okay, okay." Paul hob beschwichtigend die Hände hoch. Kermits ganze Körperhaltung, jeder Muskel angespannt und das Kinn leicht vorgeschoben, machte dem ehemaligen Captain schnell klar, dass dieser unbedingt seinen Willen durchsetzen wollte. Einen Streit wollte er daher nicht provozieren und schon gar nicht am Abend seiner Wiederkehr. "Ihr habt gewonnen, dann bringt sie eben nach Hause." Die beiden jüngeren Männer warfen sich einen zufriedenen Blick zu und machten sich daran, die Aufgabe umzusetzen. Kurz darauf wurde Angel, eingemummelt in eine dicke Decke, in Peters Wagen verfrachtet und er fuhr los. Kermit startete wenige Minuten später nach einem kurzen Gespräch mit Paul. Paul und Annie selbst standen eng aneinander geschmiegt am Eingang und sahen den beiden Fahrzeugen hinterher. "Ganz so habe ich mir das Wiedersehen mit meiner Familie nicht vorgestellt", meinte Paul trocken. Annie lachte leise. "Ich mir auch nicht. Doch es ändert nichts daran, dass ich mehr als froh bin, dich wieder zu sehen." Paul zog seine Frau dichter an sich und drückte ihr einen Kuss auf das Haar. "Nicht nur du Annie, ich habe dich so sehr vermisst." "Ich dich auch." Annie fröstelte in der kalten Nachtluft. "Komm, lass und hinein gehen, hier ist es einfach zu kalt." Paul zögerte noch einen Augenblick, einen nachdenklichen Ausdruck im Gesicht. "Sag mal, Schatz, kann es sein, dass Kermit ...hm... Gefühle gegenüber Angel hat?" Annie schmiegte sich in die Arme ihres geliebten Mannes und küsste ihn auf die Wange. "Ich habe auch gemerkt, dass unser Kermit Angel ein wenig mehr als nur gern hat. Lass uns nun aber bitte endlich ins Wohnzimmer gehen, bevor ich mich hier in einem Eiszapfen verwandele." Paul erwiderte ihr Lächeln. "Stimmt, aber das Erste, was ich morgen früh machen werde, ist bei Kermit anzurufen." Dem hatte Annie nichts entgegen zu setzen und das Ehepaar ging, eng aneinander geschmiegt, ins Wohnzimmer, um endlich richtig Wiedersehen zu feiern.
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