Der Söldner trat neben Caine und schaute süffisant von oben auf ihn herab. "Das sieht man mal, dass das Sprichwort zutrifft: Man sieht sich immer zwei Mal im Leben. Willst du mich vielleicht um etwas bitten? Dein Leben vielleicht, oder das deines Sohnes?" Der Priester antwortete nicht. Er erwiderte nur mit stoischer Ruhe den herablassen Blick, was Straker mit einem wütenden Tritt gegen Caines Schenkel kommentierte. Er hob das Bein für einen weiteren Stoß, aber plötzlich musste Angel so laut niesen, dass der Söldner zusammen zuckte. "Hey, geht das nicht ein wenig leiser?", beschwerte er sich und ließ von dem Shaolin ab. "Entschuldigung. Caine benutzt wohl ein Kräutchen, auf das ich allergisch reagiere", erwiderte sie prompt. "Außerdem sagt man 'zum Wohlsein', wenn jemand niest." "Auf Etikette muss ich hier nun wirklich nicht achten. Da scheiß ich drauf", versetzte der Angesprochene scharf. Ein Poltern drang von der Tiefe des Untergeschosses zu ihnen hinauf. Straker fuhr herum. "Was war das?", knurrte er und zog seine Waffe. "Was war was?", fragte Angel. "Na das eben! Hast du es nicht gehört?" "Tut mir leid, ich weiß nicht, was du meinst. Was soll ich bitte gehört haben?", wollte die junge Frau neugierig wissen. "Da war ein Geräusch, kam von unten. Evans, Miller geht nachschauen!", befahl er zwei seiner Schergen, ohne auf Angels Worte näher einzugehen. Nachdem die beiden Männer hinter dem Treppenabsatz verschwunden waren, wandte sich Straker mit gezogener Pistole Caine zu und richtete sie auf seinen Kopf. "Also nutzen wir die Gunst der Stunde und fangen an. Sage Lebewohl zu dieser Welt, Priester." Angel wich zurück, so dass sie fast neben einem der zwei verbleibenden Söldner stand. Hier konnte sie alles besser überschauen. "Was hältst du davon, Caine ein Stück nach vorne zu führen? So haben Kermit und Peter einen besseren Blick. Das willst du ihnen doch nicht vorenthalten, sie sollen doch genießen, oder?", warf sie ein. "Hast recht", stimmte Straker zu. "Los auf die Beine, Priester. Meine Kühlkammer damals im Lager hast du überlebt, aber ich garantierte dir, das hier wirst du nicht mehr überleben." Caine erhob sich graziös. Die lange Zeit in der unbequemen Position auf dem Boden schien ihm nichts ausgemacht zu haben. Kermit und Peter bemerkten erstaunt, dass er keine Handschellen mehr trug. Sie strafften sich. Langsam, jede Sekunde genießend, hob Straker die Pistole an und entsicherte sie mit einem deutlich wahrnehmbaren Klicken. In einer beinah liebevollen Bewegung, glitt sein Finger über das blankpolierte Metall auf der Suche nach dem Abzug. Caine stand unbeweglich auf seinem Platz, den Kopf ein wenig gesenkt. Ein Schuss ertönte, aber nicht aus Strakers Waffe. Der Shambhala Meister nutzte die momentane Abgelenktheit des Henkers und trat ihm die Waffe aus der Hand, noch bevor dieser durchziehen konnte. Im gleichen Moment warf sich Angel auf den überraschten Mann direkt neben ihr und schickte ihn mit einem harten Handkantenschlag ins Genick ins Reich der Träume. Caine hechtete vorwärts. Er sah, wie der verbleibende Söldner auf die junge Frau zielte. Er erreichte den Kämpfer gerade in dem Augenblick, als dieser die Waffe abfeuerte und gab ihm einen Stoß, der ihn vorwärts taumeln ließ. Der Waffenarm ruckte hoch und die Kugel schlug irgendwo hinter der Blondine ein. Angel reagierte blitzschnell. Mit einem großen Schritt überbrückte sie die kurze Entfernung und kickte ihm geistesgegenwärtig die Waffe aus der Hand. Dann stürzte sie sich auf ihn. Durch den Schwung verlor der Angreifer sein Gleichgewicht und riss Angel als auch Caine mit sich zu Boden. Ein wildes Knäuel aus Armen und Beinen entstand. Der kampferprobte Söldner verteidigte sich nach Leibeskräften gegen die Übermacht der Zwei. Letztendlich hatte er keine Chance, auch er wurde in das Reich der Träume geschickt. Mit einem leisen Laut sackte er in sich zusammen. Caine erhob sich und half Angel fürsorglich auf die Beine, die unter dem schweren Gewicht des Söldners begraben lag. Fußtritte polterten die Treppe hinauf. Eine bekannte Stimme rief: "Alles klar hier oben?" "Ja, wir haben alles im Griff", rief Angel zurück. Peter zog scharf den Atem ein, als er den Mann erkannte, der die Treppe hinauf geeilt kam. "Paul", wisperte er ungläubig und blinzelte mehrere Male, als habe er Angst, sein Pflegevater würde sich vor ihm wieder in Luft auflösen. Auch Kermit konnte sein Erstaunen nicht unterdrücken. Wie beim Tennismatch schaute dieser abwechselnd von Paul zu Angel und wieder zurück. Keiner achtete auf Straker, den Caine bewusstlos wähnte. Angel war noch dabei, sich den Staub von den Beinen zu wischen, von Caine und Paul beobachtet, und die anderen beiden waren zu überrascht und durcheinander, um den Blick von Paul abwenden zu können. "Darauf würde ich nicht wetten", klirrte eine Stimme durch den Raum. Straker tauchte wie aus dem Nichts hinter Peter auf und hielt ihm die Pistole an den Kopf. Angel, die Einzige, die gerade eine Waffe in der Hand hielt, sprang sofort einen Schritt zur Seite und zielte auf den Söldner. "Du wirst meinem Bruder kein Haar krümmen, damit das klar ist", sagte sie mit entschlossener Stimme. "Du hast mich betrogen, du kleine Hure, das wirst du mir büßen. Leg deine Waffe weg", erwiderte Straker nicht minder entschlossen. "Ich denke gar nicht daran. Gib auf, du hast keine Chance." "Ich werde ihn töten." "Ich bin schneller." Einen Moment zeigte sich Unsicherheit in Strakers Gesichtszügen. Angel schien nicht die Absicht zu haben, auch nur einen Millimeter von ihrem Ziel abzuweichen, er hatte es aber auch nicht vor. Ihre Blicke trafen sich, versanken ineinander. Jeder versuchte den anderen einzuschätzen. Strakers Brust hob sich in einem tiefen Atemzug. Sein Finger schloss sich um den Abzug. Zwei Schüsse peitschten gleichzeitig durch den Raum. Peter zuckte zusammen. Seine Ohren klingelten durch den lauten Knall. Er roch das Schießpulver. Er spürte keinen Schmerz. Er atmete. Er war noch am Leben. Aber wer? Die Antwort folgte auf dem Fuße. Wie in Zeitlupe kippte ein Körper nach vorne. Die Pistole landete mit einem Klappern auf den Boden, direkt neben ihr kam der Mann zu liegen. In der Stirn des Toten klaffte ein kreisrundes Loch und eine Blutlache bildete sich unter seinem Hinterkopf, die rasch größer wurde. Angel stand wie angewurzelt da, die Pistole noch im Anschlag. Paul bewegte sich zuerst. Er trat zu ihr und nahm ihr sanft die Waffe aus der schlaffen Hand. "Es ist vorbei, Engelchen", sagte er leise, dennoch tönte seine Stimme sehr laut durch die Stille. Sanft hob er ihr Kinn an. "Sieh mich an, Angel Caine, es ist vorbei", wiederholte er, dabei jedes Wort deutlich betonend. Sie schaute zu ihm auf. Ein unendlich trauriger Blick, voller Schmerz und tiefer Qual traf ihn. "Es ist vorbei?", echote sie. Ihre Stimme klang flach und gebrochen. "Ja, der Teufel Straker ist besiegt. Er wird nie wieder jemandem etwas antun", bestätigte er. "Ich habe ihn umgebracht. I...Ich habe gerade einen Menschen getötet", sagte sie flach. "Du hattest keine andere Wahl. Wärst du nicht schneller als Straker gewesen, lägst du nun hier vor uns." Tröstend legte Paul ihr seine Hände auf die eingesunkenen Schultern, aber ließ sie sofort sinken, als er das verhärten ihrer Muskulatur bemerkte. Besorgt musterte er die junge Frau. "Ich...ich..." Ihre Stimme brach. Ihr Blick wanderte zu Kermit und Peter, die mit einem undefinierbaren Ausdruck in den Augen das Ganze beobachteten. Sie meinte Hass darin zu erkennen. Schritte erklangen auf der Treppe. Der Captain, zusammen mit Jody, Skalany, Blake und Strenlich kamen auf sie zu. Angel wich zurück. "Unten ist alles klar, die Söldner sind allesamt hinter Gittern verfrachtet", erklärte Karen zufrieden. "Sehr gut, Captain. Gab es Verletzte?" "Nur eine leichte Fleischwunde bei einem der Männer. Unsere Leute sind allesamt unverletzt." Paul stieß erleichtert den Atem aus. "Gott sei dank", sagte er aus tiefstem Herzen. "Der Plan ist aufgegangen." Caine trat zu seinem Sohn und Kermit und befreite sie von ihren Fesseln. Mit steifen Gliedern erhoben sich die Zwei. Beide setzten sich zeitgleich in Bewegung. Sie schlugen die Richtung ein, wo Paul und Angel sich befanden. Der ehemalige Captain des 101. hielt sie mit einer gebieterischen Handbewegung zurück, denn er sah den unterdrückten Zorn, der in Kermits als auch in Peters Augen schwelte. Angel hatte ihnen mit ihrer Show schwer zugesetzt, fast über das Erträgliche hinaus, und es war leicht zu erraten, dass sie Antworten haben wollten. Die junge Frau wich noch weiter zurück, konnte keinem mehr in die Augen schauen. Zitternd schlang sie beide Arme um ihren schmalen Körper. Eine einzelne Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel. "Paul, ich muss... ich brauche... ich muss alleine sein, bitte." Der Angesprochene musterte sie intensiv. Da sie den Kopf nach wie vor gesenkt hielt, konnte er ihr nicht in die Augen schauen, um zu sehen, was in ihr vorging. Allerdings war dies auch nicht nötig. Im schalen Licht der Deckenbeleuchtung wirkten ihre Wangen seltsam eingefallen, gerade so wie bei einer alten Frau. Hinzu kam die blasse Gesichtsfarbe und die extrem flache Atmung. Man konnte ihr unschwer ansehen, wie emotional erschöpft sie sich fühlte. All die Täuschungen und die Schauspielerei hatten ihr das letzte abverlangt. Paul drehte den Kopf und suchte den Raum nach Captain Simms ab. Immerhin hatte Angel gerade einen Menschen getötet, auch wenn dieser das mehr als verdient hatte, und das Protokoll sah vor, dass sie eine Aussage machen musste. Natürlich lag ein Fall von Notwehr vor, alle Polizisten im Raum würden dies bezeugen, dennoch konnte er nicht eigenmächtig die Entscheidung treffen, sie ziehen zu lassen. Nach kurzem Suchen entdeckte er seine Nachfolgerin neben Blake am Schreibtisch stehen. Er suchte ihre Augen und hielt ihren Blick fest. Captain Simms schien zu verstehen, was er von ihr wissen wollte, denn sie nickte und fügte knapp hinzu: "Sie kann gehen." Paul lächelte ihr dankbar zu und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Angel zu. "Du versprichst mir, dass du keinen Unfug anstellst?", erkundigte er sich eindringlich. "Ja." Sie nickte leicht und straffte sich etwas. "Ich brauche ein paar Tage nur für mich selbst, ich muss erst mit all dem zurecht kommen." Paul zögerte deutlich. Einerseits wollte er sie unter allen Umständen hier behalten, damit er sich um sie kümmern konnte. Andererseits war sie wohl in der Einsamkeit seiner Berghütte besser aufgehoben, denn da würde sie keiner stören und somit konnte sie dort das ganze Geschehen besser verarbeiten. Manche Menschen brauchten nun mal andere Menschen um sich herum, damit sie Dinge aufarbeiten konnten, andere wiederum nicht. Das Wissen, dass Angel, bedingt durch die Jahre im Waisenhaus, zur letzteren Kategorie zählte, gab den Ausschlag. Umständlich kramte der ehemalige Captain einen Schlüssel aus der Tasche und reichte ihn ihr. Er verzog schmerzlich das Gesicht, als Angel nach dem Gegenstand griff, dabei aber peinlich genau darauf achtete, seine Handfläche nicht zu berühren. Nur schwer widerstand Paul der Versuchung, sein Engelchen beschützend in die Arme zu nehmen. Leider konnte man eben nicht alles Schlimme auf dieser Welt mit einer einfachen Umarmung vergessen machen, zumal sie sehr deutlich signalisierte, dass sie keinen Trost oder Berührung wollte. "Okay, dann geh. Ich werde mich um alles Weitere kümmern. Melde dich wenn du angekommen bist.", gab Paul seine Zustimmung, begleitet von einem leisen Seufzen. "Danke, das werde ich tun." Angel verstaute den Schlüssel sicher in ihrer Lederhose. Sie schien noch etwas sagen zu wollen, denn ihr Mund öffnete sich. Anscheinend fand sie aber nicht den Mut dazu. Stattdessen drehte sie sich herum und trottete schwerfällig und mit gesenktem Kopf zur Türe. Pauls scharfer Blick hielt die anderen davon ab, sich ihr in den Weg zu stellen. Diesen Weg, den musste sie alleine gehen. Er konnte nur hoffen, dass er sich richtig entschieden hatte. ************** "Verdammt, wie konntest du sie gehen lassen, Paul? Ich will eine Erklärung und ich will sie jetzt!", explodierte Kermit, kaum dass die erschütterte Frau das Revier verlassen hatte. "Später. Wir treffen uns alle bei Annie, dann erkläre ich euch alles. Aber erst nachdem hier alles bereinigt ist und die Berichte eingereicht wurden", entgegnete Paul in seinem autoritärsten Ton, bei dem selbst Kermit nichts zu erwidern wagte. Langsam kam wieder Leben in die Bude. Die meisten gelang es, ihren Schock relativ schnell abzuschütteln und sie kehrten an ihre Arbeit zurück. Bei Peter und Kermit war das etwas anderes, so schnell kamen sie nicht über das Erlebte weg, zumal sich Paul beharrlich weigerte, hier mehr darüber verlauten zu lassen. Knapp zwei Stunden später brachen sie dann endlich auf zu Annie. Einige Zeit später versammelten sich Kermit, Caine, Peter und Paul, mehr oder minder gemütlich, in Wohnzimmer der Blaisdell Residenz. Zu Kermits und Peters großer Überraschung hatte Annie absolut ruhig reagiert, was die Vermutung nahe brachte, dass sie zumindest schon einen Teil vorher gewusst hatte. Sie versorgte alle mit Kaffee und Tee und setzte sich dann neben ihren Mann, seine Hand aufmunternd in die ihre nehmend. "Wirst du uns jetzt endlich sagen was hier gespielt wird?", erkundigte sich Kermit mit harter Stimme. Paul holte tief Atem. "Zuerst einmal tut es mir leid, was ich euch da zumuten musste, aber es ging nicht anders. Straker hat ein paar hochtrainierte Männer angeheuert, die hätten sofort gemerkt, wenn ihr nur geschauspielert hättet. Da wir leider selbst nicht wussten, wie alles ablaufen würde, mussten wir den richtigen Moment zum Zuschlagen abpassen, daher mussten wir euch leider so lange 'leiden' lassen. Mehr gibt es darüber eigentlich nicht zu berichten." "Nachvollziehbar", bemerkte Kermit kurzangebunden, denn noch immer schwelte der Zorn in ihm. "Was war mit dem Streit im Revier zwischen uns am Tag von Angels Verschwindens?", warf Peter ein. "War ein Fake. Die perfekte Entschuldigung, alle Brücken hinter sich abzubrechen, und in Strakers Nähe zu gelangen." "Warum ausgerechnet Angel? Waren etwa alle anderen Informationen auch ein Fake. Ist sie gar nicht die, für die wir sie hielten?", mischte sich Kermit erneut ein. "Doch zum großen Teil stimmt schon alles. Es waren nur ein paar Informationen umgeändert, die du ausgegraben hattest Kermit." "Verdammt, was soll das alles? Ich verstehe rein gar nichts. Warum Angel?", explodierte der ehemalige Söldner erneut. Nur die beruhigende und Respekt gebietende Anwesenheit von Annie, hielt ihn davon ab, seinen Unmut deutlicher zum Ausdruck zu bringen. "Weil sie zum damaligen Stand der Dinge die Einzige gewesen ist, die das durchziehen konnte. Du weißt selbst, wie oft uns Straker durch die Lappen ging. Er ist – nun zum Glück war - wie ein glitschiger Aal, den man kaum fassen kann. Angel hat Jahre dafür trainiert und es ist ihr nicht leicht gefallen, euch alle im Unklaren zu lassen, das kann ich dir sagen, Kermit." Caine meldete sich in beruhigendem Ton zu Wort. "Paul, es ist besser Sie beginnen von Anfang an und erzählen uns wie alles begann. Ich fürchte, sonst versteht niemand, was sie sagen wollen und alles endet im Durcheinander und Dunkelheit." Die restlichen Anwesenden nickten zustimmend und schauten den ehemaligen Captain erwartungsvoll an. Dieser fuhr sich in einer müden Geste durch die Haare, drückte Annies Hand und fing dann an zu erzählen. "Sie haben Recht, Caine. Also ich traf auf Angel das erste Mal während einer Mission in einem anderen Waisenhaus, kurz nachdem ich Peter aus Pineridge geholt habe. Was ich dort gemacht habe, spielt für diese Sache hier keine Rolle. Wie auch immer, die Kleine machte einen so verlorenen Eindruck auf mich, dass ich meinem Gefühl nachgab und Nachforschungen über sie anstellte, nachdem die Mission erfolgreich erledigt war. Ich fand heraus, dass ihre Eltern nicht wie proklamiert durch einen Autounfall ums Leben kamen, sondern dass sie auf grausame Art und Weise ermordet wurden und Angel alles angesehen hatte, aber es verdrängte und keinerlei Erinnerung daran besaß. Der Mann, der ihre Eltern - ihren Zwillingsbruder, Caine - umgebracht hat, war Straker. Er war hinter einer bestimmten Formel her, die er leider auch in Besitz bringen konnte. Ich nehme an, Straker war damals der Meinung Angel sei auch tot, doch sie überlebte seine Folter schwer verletzt. "Nachdem ich das herausgefunden hatte, beschloss ich Angel zu ihrem eigenen Schutz im dortigen Waisenhaus zu lassen. Der Ort mag für sie die Hölle gewesen sein, aber gleichzeitig befand sie sich in dieser Abgeschiedenheit auch in Sicherheit. Nur wenig dringt von solchen Institutionen an die Außenwelt. Hätte Straker, durch welchen Zufall auch immer, herausgefunden, dass sie noch lebt und wo sie sich aufhielt, hätte er sie umgebracht. Mord verjährt nicht, Angel wäre die Kronzeugin in seinem Mordprozess gewesen und stellte somit eine potentielle Gefahr für ihn dar. "Zu ihrem 18. Geburtstag wurde Angel aus dem Waisenhaus entlassen. Sie hatte kurz darauf einen Autounfall und der bewirkte, dass die Erinnerung an das Erlebnis vom Tod ihrer Eltern zurückkehrte. Ich war glücklicherweise in der Nähe und es gelang mir, langsam ihr Vertrauen zu gewinnen. Sie war nur noch beseelt von dem Gedanken, Rache an dem Mann zu nehmen, der ihre Eltern auf dem Gewissen hatte. Ich brachte sie soweit, dass sie auf mich hörte und alles auf sich beruhen lies, was sie allerdings nicht davon abhielt, Unterricht in Selbstverteidigung zu nehmen. Wie es der Zufall so wollte, suchte sie sich Kung Fu heraus. Ich selbst habe ihr das Schießen beigebracht, da sie schon in ihrem zarten Alter dazu neigte, sich in Situationen zu manövrieren, die mich stark an Peter erinnerten. "Unsere Wege trennten sich nach einiger Zeit. Ich versuchte sie so gut wie es ging abzuschirmen, hatte auch immer ein Auge auf sie gerichtet, um sie vor dem Schlimmsten zu bewahren. Tja und damit kommen wir nun auch zu dem Grund meiner plötzlichen langen Abwesenheit von hier, genauer gesagt zu einem der Gründe, aber nur dieser hier zählt im Moment. Warum ich euch so Hals über Kopf verlassen habe lag daran, dass es nicht mehr sicher für euch gewesen wäre, wenn ich geblieben wäre. "Ein Freund von mir bekam Wind davon, dass es Straker gelungen war die Formel, die er beim Mord ihrer Eltern erbeutet hatte, nach jahrelangen Fehlschlägen in ein tödliches Gift umzuwandeln. Ich bekam den Auftrag, ihn zur Strecke zu bringen. Zu jener Zeit gab es keinen anderen, der dies hätte tun können, denn ich kannte ihn und sein teuflisches Genie nun mal am Besten. Ich nahm also die Verfolgung auf und traf dabei wieder auf Angel, sie sich seit unserem letzten Treffen wesentlich weiter entwickelt hatte. Irgendwie fand sie heraus hinter wem ich her war und bestand darauf, ihren Teil dazu beizutragen. Ich stellte Straker eine Falle, doch er kam dahinter und es gelang ihm leider, wie so oft, zu fliehen. Erneut verloren wir seine Spur. "Da entschied ich mich, Angel nach Sloanville zu schicken. Ich wollte sie aus der Schusslinie haben. Ich hoffte, hier bei euch wäre sie sicher. Ich dachte, Straker wäre nur hinter mir her, aber da habe ich mich leider schwer getäuscht. Ich wusste leider nichts von eurem Aufeinandertreffen mit Straker in Monmouth, keiner von euch hat mir davon erzählt. Als ich davon erfuhr, war es schon zu spät, noch etwas zu ändern. "Wie auch immer, ich möchte nicht weiter vorgreifen...meine Vermutung, euch anbelangend, wurde bestätigt. Ihr habt sie sofort aufgenommen. Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte, war die Tatsache, dass Angel mit dir, Peter, und ihnen, Caine, verwandt ist." Paul blickte den Shambhala Meister entschuldigend an. Erst als dieser verzeihend nickte und ihn mit einer kurzen Handbewegung aufforderte, weiter zu sprechen, erzählte er weiter. "Diese Entdeckung komplizierte natürlich die Sache; aber ich war froh, dass sie so wenigstens hier blieb und ich mir nicht tausend Gründe überlegen musste, um sie hier zu halten. Gemeinsam mit ihr dachte ich mir die Geschichte aus wie wir uns zum ersten Mal getroffen hatten und ein paar weitere Dinge. Ich wollte nicht, dass ihr erfahrt, dass wir uns schon länger kennen, ich war ja auch der Meinung Straker hätte letztendlich doch das Weite gesucht, nachdem er so knapp seiner Festnahme entgangen war. "Leider war dem nicht so. Ich erfuhr wenig später, dass Straker sich wieder in Amerika aufhielt. Er hatte einen großen Auftrag angenommen bei dem es um viel Geld ging, mehr kann ich euch dazu nicht sagen. Aus verlässlicher Quelle erfuhr ich dann, dass er als kleinen Bonus mich, Kermit, Caine und Peter beseitigen wollte als Rache für das Zerschlagen seines Gefangenencamps in Monmouth. Ich war gezwungen, schnell zu handeln und die einzige Person, die mir einfiel, die ich in Strakers Gruppe einschleusen konnte, war Angel. Sie stimmte meinem Plan zu und das weitere habt ihr selbst erlebt. Ende der Geschichte." Mehrere Minuten herrschte absolute Stille. Er war Kermit, der die erste Frage stellte. "Du hast vorhin gesagt, dass ihre Eltern ermordet wurden, also kanntest du ihren Namen. Warum hast du nicht entdeckt, dass sie mit den Caines verwandt ist, oder zumindest die Ähnlichkeit zwischen ihrem Vater und Caine bemerkt?" "Der Name Caine ist nicht so selten. Außerdem war damals nur Peter bei uns und Caine galt als Tod. Ich kam gar nicht auf die Idee, dass da ein Zusammenhang bestehen könnte, zumal der Lebensstil ihrer Eltern nichts mystisches an sich hatte. Ganz im Gegenteil, die sind wahre Technikfreaks gewesen. Weiterhin gab es in der Akte über deren Tod keine Fotos und Angel zeigte mir niemals ein Bild ihrer Eltern. Von ihrer Verwandtschaft erfuhr ich erst hier am Abend meiner Heimkehr wie ihr wisst." "Was hatte es mit deinem 'Tod' auf dem Revier auf sich, wie habt ihr das angestellt?", hakte Kermit erneut nach. "Nun, Angels Fähigkeiten sind sehr gewachsen. Durch Zufall entdeckten wir, dass sie in der Lage ist, für einige Sekunden eine andere Realität zu erschaffen. Wenn du es so sehen möchtest eine Art Kurzzeit-Gehirnwäsche. Da Straker leider nicht mitteilte, wo er sich aufhielt, mussten wir uns etwas ausdenken. Das, was ihr gemeint hattet zu sehen war nicht real. Wir haben uns einfach einen gut klingenden Namen ausgedacht, wie sie vorgaukeln konnte, dass sie tatsächlich diese Feuerkraft in sich trägt, Bethren hörte sich für uns gut an. Tja, und solange Angel euren Geist verwirrt hat mit ihrem Spielchen, habe ich die Asche aus meiner Tasche auf den Fleck gelegt und bin entwischt." Caine nickte zustimmend. Seinen Geist hatte Angel nicht verwirren können, doch auch er musste zugeben, dass er bis zu diesem Zeitpunkt auf dem Revier nichts geahnt hatte und eine Zeitlang sogar auf ihr Schauspiel herein gefallen war. "Das erklärt auch, warum Angel nach so kurzer Lehrzeit in der Lage war, Dinge zu tun, für die wir Jahre harten Trainings brauchten. Denke nur an diese starke mentale Verbindung zwischen uns", erklärte er an seinen Sohn gewandt. Noch bevor der junge Cop etwas erwidern konnte, stellte Kermit schon die nächste Frage und lenkte somit erfolgreich vom, für ihn sehr unbehaglichen, mystischen Teil ab. "Aber wie ist es dir gelungen, Angel bei Straker einzuschleusen?" "Wir wussten von einem Informanten wer die Kontaktleute von Straker waren. Ergo passierten ein paar ziemlich üble Dinge in der Nähe von ihnen. Wir stellten sicher, dass die richtigen Leute davon erfuhren, wer hinter diesen von uns ausgeheckten Anschlägen steckte und so kam es, dass sie angeheuert wurde." Kermit strich sich durch die Haare. "Mein Gott, das muss verdammt hart für sie gewesen sein, so lange eine Fassade aufrecht zu erhalten. Sie hat sogar mich mit ihrem Auftreten getäuscht und ich meinte eigentlich, sie ganz gut zu kennen." Paul nickte zustimmend. "Ja, das war es auch. Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit gehabt, sie auf alles besser vorzubereiten, doch ihre Blindheit machte uns da einen Strich durch die Rechnung. Als wir während ihres Aufenthalts in Strakers Camp erfuhren wann der Überfall auf das Revier stattfinden sollte, habe ich mich von ihr einfangen lassen, damit ich die letzten Tage bei ihr sein konnte. Sie stand da kurz vor einem Zusammenbruch, hatte ein paar schlimme Alpträume." Peter, von diesen Worten aufgeschreckt, warf anklagend ein: "Und da hast du sie einfach so gehen lassen? Sie sollte hier bei uns sein!" Paul sah seinen Sohn mit festem Blick an. "Und was wäre, wenn sie hier wäre? Peter, du am Allerwenigsten würdest ihr die Zeit geben, die sie braucht, um sich zu erholen. Sie musste ein paar ziemlich harte Dinge über sich ergehen lassen, um für Straker glaubhaft zu wirken und es ist das Beste für sie, wenn sie ein paar Tage ganz alleine für sich ist. Vergiss nicht wie sensibel sie ist. Sie würde deutlich spüren, dass du ihr noch nicht vergeben hast, es ist dir und auch Kermit deutlich anzumerken. Was glaubst du wie sie sich dabei fühlen würde? Glaubst du im Ernst, das ist ihr alles so leicht gefallen wie es herüber kam? Ihr braucht alle Zeit, um das Erlebte zu verarbeiten und Angel ist dort gut aufgehoben wo sie ist." Peter zuckte wie unter einem Peitschenschlag zusammen. Paul zerrte mit seinen Worten gnadenlos die Wahrheit ans Licht. Er wusste tatsächlich nicht, was er im Moment für Angel empfand. Schuldbewusst ließ er den Kopf hängen. Caine ging zu seinem Sohn, legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte sie aufmunternd. "Das Licht wird die Dunkelheit vertreiben mein Sohn", meinte er in seiner typischen kryptischen Aussage. "Und wo ist sie jetzt?", wollte Kermit wissen. Paul grinste leicht. "Wo wohl? Da wo es jede Menge Wald, einen großen See und kaum Menschen gibt." Kermit nickte wissend. Paul sprach von seiner Hütte und er musste zugeben, das war ein guter Ort zum nachdenken. Er selbst war auch schon einige Male dort gewesen und hatte den Ort immer als äußerst friedvoll empfunden, Balsam für eine verwundete Seele. Das Telefon klingelte. Paul nahm den Hörer ab und sprach kurz mit dem anderen Teilnehmer. Als er auflegte wandte er sich wieder den anderen zu. "Angel ist gut angekommen. Sie hat sich gerade gemeldet." Ein erleichtertes Aufatmen war die Antwort. Kermit wollte noch eines wissen. "Warst du es, der die ganzen falschen Spuren gelegt hat und die Computer aus ihrer Wohnung entwendete? Nachdem Angel so plötzlich verschwand, konnte ich rein gar nichts mehr über sie in Erfahrung bringen." Paul grinste und nickte bejahend. Er konnte sich gut vorstellen, wie sehr sich Kermit über diese Tatsache aufgeregt hatte. "Das war leider notwenig. Es wäre nicht auszudenken gewesen, wenn Straker herausgefunden hätte, dass Angel die Tochter jener Wissenschaftler gewesen war. Die Computer konnte ich nicht in ihrer Wohnung lassen, denn du bist einfach zu gut mit diesen Kisten und hättest unter Garantie Dinge entdeckt, die du zu jenem Zeitpunkt nicht wissen durftest. Von dem her bin ich dir ziemlich dankbar, dass du die Verwandtschaft mit den Caines entdeckt hast und nicht Straker." "Du hättest mich dennoch einweihen können", lautete die knurrige Erwiderung. "Keine Chance, mein Freund. Je weniger davon wussten, desto sicherer war es für Alle. Außerdem war es viel zu gefährlich, dafür lebt ihr mir zu dicht aufeinander und ich kenne deinen Beschützerdrang nur allzu gut." *Du ahnst gar nicht wie nahe sich die beiden gekommen sind*, dachte Peter ärgerlich. Laut meinte er: "Kermit hätte dem nie zugestimmt, wenn er es gewusst hätte." Im nächsten Augenblick hätte er sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Sein Kollege sah ihn deutlich verärgert an und in Pauls Gesicht erschein ein misstrauischer Ausdruck, während Caine noch immer total ruhig zu sein schien; nur sein Griff auf Peters Schulter wurde eine Winzigkeit fester. "Kermit, hast du mir vielleicht etwas zu sagen?", erkundigte sich Paul. "Privatsache", erwiderte Kermit kurzangebunden. Es war dem Ex-Söldner anzumerken, dass nicht mehr aus ihm heraus zu bringen war. Sein Blick, den er stur auf Peter gerichtet hielt, schien den armen Kerl bei lebendigem Leibe zu grillen. Pauls Gesicht verfinsterte sich, er ahnte was da abgelaufen war und zweifelte stark daran, dass das gut gewesen sein konnte. Nun wurde ihm auch klar warum sie stellenweise so heftige Alpträume gehabt hatte, in denen er manchmal meinte, Kermits Namen fallen zu hören, während sie schrie und schluchzte. Annie mischte sich ein. "Ich denke, für heute haben wir genug Aufregung gehabt. Ich für meinen Teil bin heilfroh, dass alles ausgestanden ist und ich bin müde. Schlafen wir darüber, morgen sieht es sicher schon wieder anders aus. Liebling, begleitest du mich bitte nach oben?" Keinem der Männer entging der deutliche Wink mit dem Zaunpfahl. Die Runde löste sich auf. Kermit, Caine und Peter verabschiedeten sich von Annie mit einem Kuss auf die Wange und einer festen Umarmung und machten sich dann auf den Heimweg. Kermit fuhr zurück zu seinem Appartement, das ihm heute mehr als einsam vorkam und Peter geleitete seinen Vater nach Hause der darauf bestand, dass er die Nacht bei ihm verbrachte.
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