Das Frühstück verlief in relativ entspannter Stimmung. Kermit fühlte sich sehr erleichtert, dass Angel ihm anscheinend von seiner Bedrohung ihr Gegenüber auf dem Weg zu den Blaisdells nichts nachtrug. Dennoch machte ihm sein schlechtes Gewissen schwer zu schaffen. So wie sie ihn mit ihren blauen Augen fixierte, beschlich ihn das Gefühl, sie könne ihm, durch die Sonnenbrille hindurch, direkt auf den tiefsten Grund seiner Seele blicken. Der Gedanke gefiel ihm überhaupt nicht. Mit Erstaunen stellte der Ex-Söldner fest, dass es ihm mehr als schwer fiel, ihr gegenüber seine Gefühle im Zaum zu halten. Etwas, was er bei anderen sonst immer mit Leichtigkeit schaffte, selbst in den prekärsten Situationen. Warum nur fühlte er sich in ständiger Versuchung, sie um ein Zeichen ihrer Vergebung zu bitten? Irgendwie schaffte es Kermit, das Frühstück hinter sich zu bringen, ohne etwas von seinem Gefühlschaos verlauten zu lassen. Nachdem er mit ihrer Hilfe den Tisch abgeräumt hatte, reichte er ihr den Beleg, der ihre Verwandtschaft aufzeigte mitsamt den zugehörigen Akten, was er alles herausgefunden hatte. Sofort begann die junge Frau zu lesen. Der Detective seufzte innerlich erleichtert auf, als er ihren forschenden Blick nicht mehr ständig auf sich zu spüren glaubte, es gab ihm viel von seiner Sicherheit zurück. Angel studierte die Schriftstücke genau, las sie mehrmals durch. Die unterschiedlichsten Emotionen huschten während des Lesens über ihr Gesicht, so dass Kermit schon fürchtete, sie würde wieder zu weinen anfangen, was aber zum Glück nicht geschah. Endlich ließ sie die Papiere sinken und murmelte mehr zu sich selbst: "Seltsam wie schnell sich das Leben ändern kann. Vor zwei Tagen war ich noch völlig alleine auf der Welt und heute habe ich plötzlich zwei Personen, die zu mir gehören oder besser gesagt, die die gleiche Abstammung haben. Ich frage mich, wie das nun weiter geht." Kermit verdrängte seine innere Stimme, die laut und empört: *drei Personen!* rief und antwortete stattdessen: "Es ist ganz einfach, Angel. Du kannst absolut sicher sein, eine neue Familie gefunden zu haben. Peter und Caine sind zwei Personen, auf die du dich blind verlassen kannst. Allerdings, und da möchte ich dir keine Illusionen machen, hängt bei der Familie Caine noch ein ziemlicher Rattenschwanz hinten an, aber das soll dir besser Peter erklären, denn es ist ziemlich kompliziert. Der Junge wird übrigens bald hier auftauchen. Er hat angerufen als du drüben warst und meinte, er wolle dich abholen, falls du einverstanden bist." Angels Gesichtszüge verdunkelten sich den Bruchteil einer Sekunde. Das ging so schnell, dass sich der ehemalige Söldner fragte, ob er sich nicht getäuscht hatte. Dann hellten sie sich auf und jenes spezielle Lächeln erschien auf ihren Lippen, bei dem er immer weiche Knie bekam. "Wunderbar, da freue ich mich drauf. Ich bin gespannt, was er in den letzten Jahren erlebt hat.", jauchzte sie. Kermit konnte das Lächeln nicht erwidern. Er stand auf und ging in die Küche, wo er Wasser ins Spülbecken einlaufen ließ, damit sie nicht sah, wie düster er drein schaute. Zum einen nagte erneut die Eifersucht an ihm, dass er es den ganzen Morgen nicht geschafft hatte, dieses ganz bestimmte Lächeln bei ihr hervor zu zaubern. Und nun genügte gerade mal die Erwähnung von Peters Namen, dass sie strahlte wie ein Weihnachtsbaum. Andererseits wusste er, dass die Vergangenheit von beiden nicht gerade schön war und ihr wohl sehr bald das Lachen im Halse stecken bleiben würde. Aber er wollte sich da nicht einmischen, dazu hatte er keinerlei Recht. Weiterhin wollte er Peter nicht vorgreifen; es lag an den Beiden selbst, was sie erzählten und was nicht. Angel folgte ihm kurz darauf und half ihm, das Geschirr zu spülen. Nach kurzer, wenn auch stummer, Beschäftigung glänzte die Küche wie neu. Als sich der Detective wieder dem Wohnraum zuwenden wollte, hielt ihn Angel mit einer Hand auf seinem Arm zurück. "Kermit?" Er drehte sich um. "Ja?" Sie trat näher auf ihn zu, so dass er ihre Körperwärme und ihre verführerische Ausstrahlung mehr als deutlich wahrnehmen konnte. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und hauchte ihm zu seiner Überraschung einen Kuss auf die Lippen. "Danke Kermit für alles, was du für mich getan hast. Das werde ich dir nie vergessen. Ich bin sehr froh, dich zu kennen.", hauchte sie dicht an seinen Lippen, bevor sie wieder einen Schritt zurück trat. Der ehemalige Söldner fühlte sich im ersten Moment viel zu perplex, um zu reagieren. Schon seitdem er sie in der dunklen Gasse das erste Mal zu Gesicht bekommen hatte, sehnte er sich einen Kuss herbei und das war gerade Realität geworden...wenn auch viel zu kurz für seinen Geschmack. Es juckte ihn in den Fingern, die Arme auszustrecken, sie an sich zu ziehen und sie richtig zu küssen. Unglücklicherweise klingelte es in diesem Augenblick an der Türe und der Moment wurde unterbrochen. *Peter Caine, das büßt du mir!*, schwor sich der Detective in Gedanken, während er sich abrupt umdrehte, zur Türe stapfte und sie öffnete. Peter bekam den vor Ärger lodernden Blick seitens Kermit überhaupt nicht mit, denn er schneite wie ein Wirbelwind in den Raum. Vor Angel blieb er abwartend stehen und schaute sie mit einer Mischung aus Neugier und Frage an. "Na du", meinte er. "Na du", gab sie zurück. Beide lachten wie aus einem Mund nach dieser unorthodoxen Begrüßung. Das Eis brach und Peter zog seine neue Verwandte für eine kräftige Umarmung an sich. Kermit musste sich nun doch ein Grinsen verkneifen. Die Zwei wirkten wie Teenager, die einen Streich ausheckten, als sie einträchtig und Händchen haltend die Wohnung verließen, nachdem sie sich von ihm verabschiedet hatten. Kaum schloss sich die Türe hinter den beiden, verzog sich Kermits Gesicht zu einer grimmigen Maske. Er kam sich vor, als hätte der junge Mann ihm gerade etwas genommen, was nur ihm allein gebührte. Er wollte der Einzige sein, den Angel umarmte oder anlächelte. Gleich darauf gab er sich einen Ruck und schüttelte den Kopf. "Junge, Junge, dich hat es schwer erwischt. Komm mal schnell von deinem Höhenflug herunter und werde wieder normal", rügte er sich selbst, bevor er sich abgrundtief seufzend umdrehte und sich mit der liegengebliebenen Arbeit beschäftigte. ************* Peter und Angel verbrachten einen schönen, wenn auch Stellenweise sehr traurigen, Nachmittag in Peters Wohnung zusammen. Einträchtig saßen sie auf dem bequemen Sofa nebeneinander, während sie sich langsam kennen lernten. Sie erzählten sich, was sich in der Vergangenheit zugetragen hatte und stellen bald fest, dass es ziemliche Parallelen in ihrem Leben gab, wie zum Beispiel das Leben im Waisenhaus, oder auch die beidseitige Vorliebe für die Kampfsportart Kung Fu. Es war fast schon erschreckend, wie gleich sie in manchen Dingen waren. Außerdem erstaunte es beide, wie schnell sich das Band zwischen ihnen verfestigte. Es war Peter, der zuerst damit anfing, sie kleine Schwester zu nennen und Angel nannte ihn bald nur noch großer Bruder. Tatsächlich fühlten sie wie Geschwister füreinander. Bald saßen sie eng zusammen gekuschelt in einer Ecke des Sofas und spendeten sich gegenseitig Kraft, wenn die Erzählung zu traurig wurde. Es gab auch Zeiten da schwiegen sie einfach nur und hingen ihren eigenen Gedanken nach, aber Niemals war es unangenehm. Am späten Nachmittag schaute Peter auf seine Uhr und meinte: "Nun kennst du schon einiges von mir und ich von dir. Was hältst du davon, auch noch das nächste Mitglied unserer Familie kennen zu lernen?" Angel zögerte einen Moment. "Du meinst deinen Vater, den Shambhala Meister?" Peter drückte Angel aufmunternd an sich. "Ja, genau den meine ich, oder willst du das noch verschieben?" Die widersprüchlichsten Gefühle zeichneten sich in Gesicht der jungen Frau ab. Obwohl sie Kung Fu gelernt hatte, waren ihr die Begriffe wie Shambhala absolut unbekannt. Peter hatte sie soweit es ging darüber aufgeklärt, was es damit auf sich hatte. Nun verstand sie ein wenig mehr, aber es war eben noch fremdartig für sie. Er hatte ihr auch ein paar Tricks gezeigt und war erstaunt, dass sie ebenfalls einige seiner Kunststücke wiederholen konnte, ohne sie jemals gelernt zu haben. Ihm kam da kurz in den Sinn, dass es nicht nur Zufall gewesen sein konnte, dass sie sich hier und jetzt getroffen hatten. "Nein, will ich nicht. Ich meine, es...es ist unfair deinem Vater gegenüber. Es sollte es auch wissen. Immerhin war Dad sein Zwillingsbruder. Ich hoffe nur, er akzeptiert mich ebenfalls." Peter küsste sie geschwisterlich auf die Stirn. "Da bin ich ganz sicher. Ich könnte wetten, er wird dich behandeln und lieben, als wärst du seine eigene Tochter." Treuherzig fügte der junge Shaolin-Cop hinzu: "Weißt du, Paps ist ein charismatischer, wenn auch in sich gekehrter Mann, der mich des öfteren zum Wahnsinn treibt mit seinen kryptischen Reden. Ich bin sehr froh, dass ich nun Verstärkung habe in Form von dir. Vielleicht verstehst du seine Reden besser als ich und kannst mir übersetzten." Angel verzog das Gesicht. "Oho, das liegt wohl in der Familie. Auch bei meinem Vater fiel es mitunter sehr schwer, eine vernünftige Antwort zu bekommen." Peter lachte laut. "Na dann haben wir wohl beide Übung drin. Wollen wir losgehen?" "Gerne, ich bin schon sehr gespannt auf deinen Dad." ************ Wenige Minuten später parkte Peter den Stealth mitten im Herzen Chinatowns vor dem Backsteingebäude seines Vaters. Ein Schauer lief Angel über den Rücken, während sie aus dem Sportwagen kletterte. Sie spürte deutlich eine starke Persönlichkeit um sich herum, obwohl sie nicht erkennen konnte, woher dieses Gefühl so plötzlich kam. Die junge Frau wurde von ihren Gedanken abgelenkt, als plötzlich ein Kind an ihrem Rock zupfte. Erstaunt blickte sie nach unten und kniete sich vor das kleine Mädchen. "Nanu, wer bist du denn?", fragte sie auf Chinesisch. "Xian Ling. Und wer bist du?" Peter unterbrach kurz das Gespräch. "Ich gehe schon mal vor, mein Vater wohnt im dritten Stock. Kommst du dann nach?" Angel, die einsah, dass es besser war, dass Peter seinen Vater vorwarnte nickte nur und wandte ihre Aufmerksamkeit dem kleinen Mädchen zu. "Ich heiße Angel." "Angel? Wie die Engel im Himmel?", fragte das Mädchen mit großen Augen. Angel lächelte sie an. "Genau so. Meine Mama hat mich so genannt wegen meiner blonden Haare." Das Mädchen ließ eine der Locken durch ihre Finger streichen. "Du siehst auch aus wie ein Engel. Genau so ein Bild habe ich Zuhause in einem Buch, bist du das auch?" "Nein, das bin ich nicht." Die Mutter des Kindes kam um die Ecke, und begann gleich mit der Kleinen zu schimpfen. Angel mischte sich ein, ihr war klar, dass die Frau sie für eine Fremde hielt, die der Sprache mit der sie die Kleine ausschimpfte nicht mächtig war. "Bitte schimpfen sie nicht mit der Kleinen, sie hat mich überhaupt nicht belästigt, Misses Ling", warf sie ein. Die Frau errötete, als sie in ihrer Muttersprache angeredet wurde. "Oh, tut mir Leid, ich dachte wirklich, meine Kleine hier belästigt sie. Sie ist sehr neugierig müssen sie wissen." Angel schenkte der Frau ihr schönstes Lächeln. "Aber nicht doch, Mrs. Ling. Ich liebe Kinder und ihre Xian hier ist wirklich bezaubernd." Angel kitzelte die Kleine am Bauch, was dem Mädchen ein glockenhelles Lachen entlockte. Das Kind wandte sich an ihre Mutter. "Mama, kommt der Engel öfter hierher? Wenn ja darf ich dann mit ihr spielen?" Die beiden Frauen blickten sich an, konnten sich kaum ein Grinsen verkneifen. Mrs. Ling war ein wenig verlegen über die Offenheit, die ihre Tochter an den Tag legte, zumal einer völlig Fremden gegenüber. Angel wandte sich dem kleinen Mädchen zu. "Heute habe ich leider keine Zeit für dich Xian Ling, ich werde schon erwartet. Aber ich werde bestimmt noch oft hier sein und dann habe ich auch Zeit, um mit dir zu spielen, vorausgesetzt, deine Mutter erlaubt das und ich finde dich." Das Mädchen schenkte Angel ein offenes Lächeln und antwortete vergnügt: "Mama erlaubt das bestimmt und wenn du mich finden willst, dann frag einfach nach Caine, er weiß alles." Der Name schien es hier wirklich in sich zu haben. Angel blickte zu Mrs. Ling, die ihr zunickte, wenn auch etwas zögernd. "Wollen sie sich wirklich mit einem Kind beschäftigen das sie nicht einmal kennen?", erkundigte sie sich unsicher. "Warum nicht? Ihre Kleine ist wirklich etwas Besonderes und ich würde mich geehrt fühlen, sie besuchen zu dürfen, Mrs. Ling." "Also gut, ich bin einverstanden. Sie sind sehr großzügig Miss... ich kenne nicht einmal ihren Namen." Angel beugte sich zu der Kleinen und strich ihr über die Haare. Dabei schaute sie an dem Backsteingebäude hoch und entdeckte Peter, der ihr von einem Balkon aus zuwinkte. "So, nun muss ich aber wirklich gehen. Mach's gut, meine Kleine." Zu Mrs. Ling gewandt sagte sie. "Mein Name ist Angel Caine, Mrs. Ling. Bis bald." Sie sah nicht mehr das erstaunte Aufblitzen in Mrs. Lings Gesicht, als sie in Caines Haus lief. Im Weggehen hörte sie noch von der Kleinen: "Mama, der Engel heißt auch Caine?" Peter kam ihr auf dem Treppenansatz entgegen und grinste sie an. "Da hast du ja schon einen richtigen Eindruck hinterlassen bei der kleinen Xian." Angel erwiderte das Lächeln. "Das ist aber auch ein bezauberndes kleines Wesen, wer könnte ihr schon widerstehen?" "Niemand. Und glaub mir, das nutzt sie auch ziemlich aus. Die hat es faustdick hinter den Ohren." "Na das kommt mir nun aber bekannt vor, Peter Caine." Dieser schaute absolut unschuldig und wechselte schnell das Thema. "Ich? Kann nicht sein." Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu, dann fuhr er fort: "Und? Bist du bereit, meinem Vater zu begegnen?" "Ja sicher. Hast du ihn mittlerweile vorgewarnt?", erwiderte sie mit mehr Zuversicht, als sie empfand. Peter zuckte mit den Schultern. "Musste ich gar nicht, er wusste es schon." "Hä? Wie denn das?", erkundigte sich Angel verwirrt. "Er ist ein Shambhala Meister", erwiderte Peter nur, als würde das alles erklären. "Er wartet auf dich." Peter legte der jungen Frau die Hände auf die Schultern und schob sie in den Raum, in dem Caine ihr schon entgegen schaute. Kaum dass Angel ihn erblickte, blieb sie wie angewurzelt stehen. Sämtliche Farbe wich aus ihrem Gesicht, das Zittern fing wieder an. Peter wunderte sich über Angels Reaktion, eben war sie noch ziemlich ruhig gewesen. Dann erinnerte er sich daran, dass sein Vater und ihr Vater Zwillinge gewesen waren. Caines Anblick musste ein richtiger Schock für sie sein. Der ältere Shaolin kam langsam auf sie zu, sein Blick drückte tiefe Anteilnahme für sie aus, er schien genau zu spüren, was in ihr vorging. "Mein Gott! Sie...du siehst genauso aus wie mein Vater, sieht man von der Haarlänge ab", flüsterte sie. Hätte Peter nicht immer noch die Hände auf ihren Schultern liegen, sie wäre davon gerannt, zu stark überkam sie die Erinnerung an ihren eigenen Vater. Caine hob die Hände und legte sie um ihre Wangen. Sanft wischte er mit dem Daumen eine Träne ab, die ihr die Wange hinunter lief. "Dein Pfad hat dich nun endgültig nach Hause geführt, Angel Caine. Willkommen in unserer Familie." Die junge Frau spürte, wie ein warmer Strom von seinen Händen auf sie überfloss und sie sofort beruhigte. Sie konnte nichts sagen, starrte ihn nur mit großen Augen an. Er ließ sie los und sie streckte sofort die Hände nach ihm aus, die er ergriff und sie nun an sich und in seine Arme zog. Erneut konnte Angel die Tränen nicht unterdrücken und weinte sich an seiner Schulter aus. Caine hielt sie beschützend umfangen und strich ihr in langsamen Kreisen über den Rücken. Es dauerte nicht lange und das Gefühl der Wärme breitete sich immer mehr in Angel aus. Sie fühlte sich behütet und geborgen, wie sie es nur als kleines Kind in den Armen ihrer Mutter empfunden hatte. Sehr viel später, nachdem sie sich vollkommen
beruhigt hatte, hob sie Kopf und schaute Caine in die Augen. Angel hob ihre Hand und strich über seine Wange. Ihre Finger glitten über sein Gesicht, als wolle sie sich alle Konturen für immer neu einprägen und gleichzeitig alte Erinnerungen aufleben lassen. Caine fing ihre forschenden Finger ein, hielt sie fest und drückte sein Gesicht in ihre Hand. "Willkommen zu Hause, Angel", wiederholte der Shaolin. Peter schluckte hart. Die Stimme seines Vaters klang so voller Emotionen, dass es hm tief ins Herz schnitt. Bis jetzt hatte er so viel übersprudelnde Gefühle erst einmal bei ihm erlebt und das war bei ihrer Wiedervereinigung gewesen. Die vielen Schwingungen in dem Raum drohten Peter zu überwältigen. Ganz deutlich spürte er die Liebe und Sorge, die sein Vater Angel entgegen brachte. Es gab keinen Zweifel, sie war eine echte Caine, das wurde immer deutlicher. Er räusperte sich, nicht sicher ob seine Stimme ihm gehorchen würde. "Ich glaube, ich lasse euch eine Weile alleine, damit ihr euch in Ruhe unterhalten könnt." Beide drehten sich wie auf Kommando zu ihm um,
wie aus einem Mund kam. Die drei schauten sich erstaunt an, dann folgte ein erleichtertes Lachen. Ja, sie waren eine Familie. Heute wieder vereint nach vielen, vielen Jahren. Caine legte Angel und Peter je einen Arm um die Schultern und führte sie zu der schmalen Couch, die Peter ihm geschenkt hatte. "Erzähl mir mehr über meinen Bruder, den ich nie kennen lernen durfte", bat er. "Gerne." "Aber bevor du anfängst, hätte ich noch eine Frage", warf Peter schnell ein. Die beiden anderen Caines schauten ihn auffordernd an. Der junge Cop spürte, wie ihm die Röte in die Wangen stieg, aber er musste es einfach wissen. "Paps, da gibt es etwas, was ich nicht verstehe. Du weißt und spürst so vieles aber…" Peter unterbrach sich und fuhr sich unstet durch die Haare. "Uh, ich meine…Dad, warum hast du niemals gemerkt, dass du noch einen Zwillingsbruder hast? Gerade bei Zwillingen gibt es doch extrem enge Verbindungen zueinander, wie man immer liest. Hattest du niemals das Gefühl, dass es da noch jemanden gibt, der zu dir gehört? Warum hast du nie nach deinem Bruder gesucht?" Caine neigte den Kopf, seine Stirn furchte sich in Konzentration. Schließlich meinte er: "Wie kann ich nach etwas Suchen, von dem ich nicht weiß, dass es existiert?" "Huh?" Peter fühlte sich nicht gerade glücklich mit der kurzen Antwort. "Paps, vielleicht habe ich mich undeutlich ausgedrückt. Was ich wissen will ist: Warum hast du nie gespürt, dass du noch einen Zwillingsbruder hast? Da muss es doch was gegeben haben, immerhin weißt du schon so viele Dinge im Voraus. Gerade eben hast du ja auch schon gewusst, dass ich dir eine neue Verwandte ins Haus bringe. Wieso hast du also nicht gemerkt, dass es noch einen weiteren Caine gibt?", formulierte er seine vorherige Frage um. Caine senkte die Augen und verknotete die Finger fest in seinem Schoß. "Darauf habe ich keine Antwort, mein Sohn." Wenige Sekunden später fuhr er, mehr in Gedanken nach innen gerichtet, fort: "Meine Fähigkeiten, mit mehr als meinen Augen zu sehen, sind erst mit der Ernennung zum Shambhala Meister zu ihren vollen Blüte gelangt. Vorher hatte ich zwar auch schon Ahnungen, Gefühle oder dann und wann eine Eingebung, aber nicht zu vergleichen mit dem, welche Welt mir nach dieser hohen Ehre offenbart wurde." Ein trauriger Zug huschte über Caines Gesicht, als er nun den Kopf hob und seinen Sohn musterte. "Ich befand mich fünfzehn Jahre auf Wanderschaft, suchte deine Essenz. Du standest mir viel näher als mein Bruder, den ich nie gekannt habe, und dennoch konnte ich während all dieser Jahre nicht erkennen, dass du noch am Leben warst. Nicht einmal, als wir wochenlang schon in der selben Stadt lebten und nichts voneinander wussten. Zu welchem Vater, oder auch Bruder, macht mich das?" Peter spürte, wie sich ein dicker Kloß in seinem Hals bildete. Seltenst vermochte er so viele Emotionen von seinem ansonsten immer gut abgeschirmten Vater wahrzunehmen. Nun passierte das schon zum zweiten Mal an einem einzigen Tag. Was ihm jetzt entgegen schlug, konnte er nur als Gefühlschaos bezeichnen. Zum ersten Mal erkannte er, wie sehr die Vorwürfe an seinem Vater nagten, weil er niemals entdeckt hatte, dass Ping Hai ihn angelogen hatte. Spontan zog er Caine an sich und umarmte ihn so fest er konnte. Es kam ihm so vor als suchte dieser Absolution, was der junge Cop ihm gerne gab. "Vater, es tut mir leid. Ich wollte keine unangenehmen Erinnerungen wecken. Es gibt nichts, was du dir vorzuwerfen hättest", flüsterte er mit erstickter Stimme. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich die beiden Männer wieder voneinander lösten. In Caines Augenwinkel glitzerte eine einzelne Träne, die er mit leicht zittriger Hand weg wischte, bevor ein tiefer Atemzug seine Brust anhob. Peter konnte direkt sehen, wie sein Vater seine Emotionen und Gefühle wieder hinter seine stoische Fassade zurück schob. Da wusste er, dass dieses Thema vorerst vorüber war. Parallel versuchte er es seinem Vater gleich zu tun, allerdings gelang ihm das nicht ganz. "Uh, vielleicht sollte ich euch beide nun alleine lassen und später wieder kommen?", lies sich Angel leise verlauten, unbewusst Peters Worte in ihrer eigenen Umsetzung wiederholend. Caine umfasste ihre Hand und drückte sie. "Das ist nicht nötig. Erteilst du mir die Ehre und erzählst mir von meinem Bruder?" Unschlüssig schaute die junge Frau von einem zum anderen. Sie verstand nicht ganz, was hier gerade vor sich gegangen war. Natürlich wusste sie schon einen Großteil der Geschichte von Peter, aber dass hier noch so viele im Argen lag, damit hatte sie nicht gerechnet. Erst als ihr neugefundener Cousin ihr aufmunternd und auffordernd zunickte, erwiderte sie mit einem angedeuteten Lächeln: "Mit dem größten Vergnügen." ********* Es war später Abend, als das Gespräch so langsam dem Ende zuging. Für Peter war es absolut frappierend, wie schnell sie alle zusammen wuchsen. Obwohl sie sich gerade einen Tag kannten, war es, als würden sie sich schon immer kennen. Angel hatte die Berührungsängste nicht, die Peter damals hatte. Caine war ja auch nicht ihr leiblicher Vater, doch er spürte deutlich, dass sie die Zuneigung ihm genauso entgegen brachte, wie er ihr. Als kleinen Höhepunkt des Abends sah er Angels Frage an, die von Caine wissen wollte, wie sie ihn überhaupt nennen sollte. Sein Vater machte ihr ein Angebot, das sie zum wiederholten Male während der Gespräche zu einem Tränenausbruch hinreißen ließ. Die wenigen Worten waren: "Ich würde mich geehrt fühlen wenn du mich an deines Vaters Statt annehmen würdest, meine Tochter." Hinterher meinte sie mit lachenden und weinenden Augen: "Ich glaube ich habe noch nie so viel geheult wie in den letzten Stunden, das alles ist für mich wie ein wunderschöner Traum aus dem ich jeden Moment erwachen kann." Caine als auch Peter bestätigten ihr, dass es kein Traum war und Angel war nur allzu bereit ihnen zu glauben. Einige Mal hörte Peter an diesem Abend ihre Worte, dass dies für sie einer der glücklichsten Momente in ihrem bisherigen Leben sei.
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